Drei Hasen und …

Drei Hasen und …

 

Drei Hasen und der Aaronssegen|Predigt zu 4. Mose 6, 22-27| verfasst von Dekan Uland Spahlinger |

 

Der Priestersegen (4. Mose 6, 22-27 – Zürcher Bibel)

22 Und der HERR sprach zu Mose:

23 Rede zu Aaron und seinen Söhnen: So sollt ihr die Israeliten segnen, sprecht zu ihnen:

24 Der HERR segne dich und behüte dich.

25 Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.

26 Der HERR erhebe sein Angesicht zu dir und gebe dir Frieden.

27 So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, und ich werde sie segnen.

 

 

Dreihasenfenster im Kreuzgang des Hohen Doms zu Paderborn, Bild von AnnaER auf Pixabay

Liebe Gemeinde,

im Kreuzgang des Paderborner Doms findet man ein kleines Kunstwerk: das Dreihasenfenster. „Das Anfang des 16. Jahrhunderts geschaffene Kunstwerk aus rotem Wesersandstein zeigt drei springende Hasen, die kreisförmig angeordnet sind“[1]. Die Anordnung wird knapp und zutreffend so beschrieben: „Der Hasen und der Löffel drei, und doch hat jeder Hase zwei“[2].  Es ist ein kurioses kleines Bild, keine optische Täuschung und doch ein wenig irritierend – aber so, dass man darüber schmunzeln kann: drei Hasen, drei Ohren/Löffel, aber aus jedem der drei Köpfe ragen zwei Ohren (also eigentlich sechs). Aber alle Biologie und alle Mathematik helfen nichts: es bleiben drei Ohren.

Der Feldhase war ein altes Symboltier für den christlichen Glauben. Ihm wird die Fähigkeit zugeschrieben, mit offenen Augen schlafen zu können – und das setzten die Alten mit der Wachsamkeit gleich. Und Mahnungen zur Wachsamkeit gehörten schon immer zum Existenzbestimmung des Glaubens: „Mehr als der Wächter auf den Morgen harrt meine Seele des Herrn“; „wachet und betet, dass ihr nicht in Versuchung fallt“ – so Jesus‘ inständige Bitte an seine Jünger im Garten Gethsemane; und in geradezu apokalyptischer Dichte: „Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Dem widersteht, fest im Glauben, ….“ (1. Petrus 5, 8.9a). Bedrohung durch Feinde des Glaubens auf der einen Seite, die Erwartung: „Der Tag Gottes wird kommen wie der Dieb in der Nacht“ auf der anderen: das prägte den Verpflichtungscharakter, der den Glaubenden immer wieder vor Augen geführt wurde. Seid wachsam wie der Feldhase, wenn Gefahr für den Glauben droht – oder aber die Zeichen für den Tag Gottes sichtbar werden.

Das Fenster kann aber noch mehr. Es erzählt auch etwas über das Wesen Gottes selbst, die Trinität, die Dreifaltigkeit oder Dreieinigkeit, die wir heute feiern. Ein wenig anschauliches Fest normalerweise. Ein Fest für die Studierstuben mittelalterlicher Theologie: wie sollen wir denn das zusammendenken, dass Gott einer ist und gleichzeitig in drei Erscheinungsweisen erkennbar und denkbar sein soll? Schnell geraten wir vor dieser Frage ins Schleudern – es ist eine Aporie; der Duden sagt dazu:

Das ist eine „Unmöglichkeit, eine philosophische Frage zu lösen, da Widersprüche vorhanden sind, die in der Sache selbst oder in den zu ihrer Klärung gebrauchten Begriffen liegen“[3]. Das Hasenfenster sagt uns aber, quasi augenzwinkernd: „Macht nix, geht trotzdem – drei Ohren sind sechs Ohren, solange die Hasen nur wach sind.“ Widersprüche, die du siehst, können manchmal stehen bleiben und fügen sich doch zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammen.

Denn worum geht es eigentlich? Es geht ja nicht um das Glauben an absurde Gedankenspiele. Genauso wenig geht es um moralische Zwangsmaßnahmen nach dem Motto: Ohne Gott kommst du nicht aus, oder wie dieses pädagogisch ganz furchtbare Kinderlied, in dem es z.B. heißt:

3) Pass auf, kleiner Mund, was du sprichst!
Pass auf, kleiner Mund, was du sprichst!
Denn der Vater im Himmel schaut herab auf dich,
drum pass auf, kleiner Mund, was du sprichst!

Keine Frage, es gibt ein Verpflichtungsverhältnis zwischen Gott und den Menschen, die sich an ihn halten. Es gibt die Gebote – dieses Vertragswerk zwischen Gott und seinem wandernden Nomadenvolk. Es gibt die Bergpredigt mit den Seligpreisungen. Vor allem aber gibt es Gottes Selbstverpflichtung zum Beispiel so: „Kann auch eine Frau ihr Kindlein vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen. Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet; (Jes 49, 15.16a)“.

Worauf etwa der Beter von Psalm 121 antworten und seinen Hörern einschärfen kann:

Siehe, der Hüter Israels

schläft und schlummert nicht (Ps. 121,4).

Es geht Gott um Obhut, es geht ihm um Begleitung, um Schutz. Oder, um einen Grundgedanken des Alttestamentlers Claus Westermann aufzugreifen: Es geht Gott um Rettung und um Segen, auch noch da, wo Gericht und Erbarmen ins Spiel kommen[4].

Und dann – spielerischer Gedanke – könnten wir im Trio der drei wachsamen Hasen mit den drei Ohren, die in Wirklichkeit sechs Ohren sind, den dreieinigen Gott selbst vermuten – ein schönes Sinnbild für das, was wir zwar sehen, aber am Ende doch nicht in aller Tiefe verstehen können. Und da gibt es ja so manches.

Ich will diesen Gedanken weiterspielen. Warum ist das Trinitatisfest so sperrig, so ungriffig? Weil der Gedanke, dass der eine Gott in drei Wesenheiten unter uns wirksam ist, viele Missverständnisse heraufbeschwört. Sind die drei nun gleich? Sind sie eins? Oder glauben wir, wie uns z.B. muslimische Theologie immer wieder vorhält, am Ende doch an drei Götter statt eines Gottes? Die alte Theologie hat versucht, etwas zu beschreiben und zu fassen, was sich letztlich nicht in Regeln und Definitionen fassen lässt. Marie Luise Thurmair, eine überaus sprachmächtige katholische Liederdichterin, hat das in einem Lied sehr überzeugend zum Ausdruck gebracht:

„Gott ist dreifaltig Einer / Der Vater schuf die Welt
Der Sohn hat uns erlöset, / der Geist uns aus erwählt.
Dies glaub ich und so leb ich / Und will im Tod vertraun,
dass ich in meinem Leibe / soll meinen Gott anschaun“[5].

Der Schlüsselsatz heißt: „Dies glaub ich und so leb ich.“ So wie ich bin und über mein irdisches Leben hinaus. Unser Glaube ist nicht um eine in Stein gemeißelte ewige Wahrheit. Glaube ist Beziehung, aber weder Statik noch Statistik. Der Wahrheit Gottes können wir uns sowieso immer nur annähern, wir werden sie nie im Griff haben.

Marie Luise Thurmair erklärt in ihren schlichten Verszeilen, worum es geht: Es geht um den Glauben an Gott, der schon vor Beginn der Schöpfung da war, der in Jesus Christus den Menschen als reine Liebe und Zuwendung erschienen ist und der unter uns wirksam ist – „uns erwählt hat“, nennt das die Dichterin. Schade, dass dieses Lied nicht auch im Evangelischen Gesangbuch zu finden ist!

Und noch ein bisschen Theologie obendrauf: „So unmittelbar wir Gott im Geist begegnen dürfen, der Geist ist die von Gott ausgehende und für uns erfahrbare Kraft, nicht jedoch sein unerforschliches Wesen“, halten Ferdinand Hahn und Alf Christophersen in einem gemeinsamen Artikel fest, der überschrieben ist „Geist des Lebens – Geist der Freiheit“[6]. Und danach folgt der Abschnitt „Die Kirche als Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft“. Großartig – denn genau das ist es. Kirche ist Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft. Gerne zusätzlich noch Handlungsgemeinschaft.

Aber von Anfang an erzählen die Menschen Gottes Geschichten, die sie mit diesem Gott erlebt haben. Geschichten, die sie berühren und die nicht vergessen werden sollen. Das ist schon so beim Volk des Alten Bundes: Die Geschichten um Abraham, Isaak, Jakob, Mose und die Befreiung aus der Sklaverei, Josua und die Richter, Könige und Propheten. Gedichte, poetische Weltliteratur, die Psalmen oder das Hohelied. Und dann Jesus und seine Jünger! Geschichten über Geschichten. In der Pfingsterzählung in der Apostelgeschichte wird als das große Wunder berichtet, dass alle in ihren eigenen Sprachen von den großen Taten Gottes erzählen hören können – und verstehen. Es sind Geschichten, nicht Lehrsätze, die unserem Glauben Kontur geben.

Die Lehre hat ihre Berechtigung – sie schafft Verbindlichkeit für eine Gemeinschaft, so wie das Grundgesetz für die Bundesrepublik den verbindlichen Rahmen gibt. Aber die Lehre taugt nicht zur Waffe gegen andere – und wo sie so verwendet wird, wird sie missbraucht. Das Leben bildet sich in den Geschichten ab und in der Weise, wie wir sie weiterschreiben: Dies glaub ich und so leb ich. Vielleicht sollten wir uns neu darauf besinnen, uns gegenseitig mehr zu erzählen: von unserem Glück und unseren Sorgen, von Begegnungen und überraschenden Erfahrungen – mit Menschen, mit Glauben, mit Gott. Auch von Enttäuschungen und Verletzungen – auch die kommen vor, warum sollten wir sie verschweigen?

Aber wir sollten wieder anfangen zu erzählen, zum Beispiel so wie die Philosophin Thea Dorn am 21. April bei Markus Lanz: „Thea Dorn bekennt offenherzig, sie sei kein gläubiger Mensch. Sie gehöre eher zu den „strukturell trostlosen Menschen“. Die Autorin legt nach: „Wir sind eine vom Glauben abgefallene Gesellschaft“, die nicht mehr an ein Paradies oder das ewige Leben glaubt.

Aber dann kommt es: Frau Dorn erzählt, wie sie in Hamburg auf dem Weg zum Studio an einer Kirche vorbeigekommen sei. Draußen hing ein großes Transparent mit einem Zitat aus einem der Paulusbriefe. „Und ich“, so die Philosophin, „hätte nicht gedacht, dass ich mal in einem Fernsehstudio sitzen würde und sagen werde: Der klügste Satz, den ich heute gehört habe, war ein Bibelzitat von Paulus! Und zwar stand da drauf: ‚Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit‘.“ Der Satz habe sie „in einer gewissen Weise umgehauen, weil ich den Eindruck habe, wir lassen uns im Augenblick massiv vom Geist der Furcht leiten und nicht vom Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Und ich glaube, dass das nicht gut ist, wenn die Gesellschaft anfängt, sich vom Geist der Furcht bestimmen zu lassen“[7].

Da kommt sie urplötzlich ins Spiel, die Kraft einer alten Glaubensaussage für uns heute. Und Gott bekommt ein Gesicht. Gott wendet uns seine erfahrbare Kraft zu, seinen Geist. Lebens- und Handlungshilfe – gerade in furchterregenden Zeiten so nötig!

Und – liebe Schwestern und Brüder – das war immer so, das ist so in unseren Tagen – und ich bin sicher: das wird auch nicht aufhören, so zu sein. Egal was kommt.

Wir brauchen aber dies: die Zusicherung, dass Gott sich uns zuwendet. So wie von allem Anfang an. So wie von Jesus verkörpert. So wie vom Heiligen Geist in unsere Mitte gegeben. Nicht immer intellektuell vollkommen zu durchdringen. Manchmal so absurd wie die drei Hasen mit den drei Ohren, die doch sechs Ohren sind. Aber wirklich und wirksam. Uns zugute sind die alten Geschichten aufgeschrieben. Zur Weisung und zum Trost. Uns zugesprochen sind die alten Worte. Am Ende jeden Gottesdienstes jedem und jeder einzelnen. Das ist der Segen – dem Gottesvolk anvertraut als Zusage für die Zeit, die kommt. Du weißt nicht, was sie bringt. Aber du kannst darauf vertrauen, dass Gott mit dir auf dem Weg ist. Und darum lass sie dir gesagt sein, die guten, starken, alten Worte:

Gott segne dich und behüte dich.

Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.

Gott erhebe sein Angesicht zu dir und gebe dir Frieden.

Amen.

Dekan Uland Spahlinger, Dinkelsbühl

uland.spahlinger@elkb.de

[1] Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Paderborner Dom Dreihasenfenster

[2] Ebd.

[3] https://www.duden.de/rechtschreibung/Aporie

[4] Diese Grundgedanken strukturieren C. Westermann, Theologie des Alten Testaments in Grundzügen, ATD Ergänzungsreihe 6, Göttingen 1978

[5] Gotteslob – katholisches Gebet- und Gesangbuch, Stuttgart 2013, Nr. 354

[6] Hahn/Christophersen, in: Der Glaube der Christen. Ein ökumenisches Handbuch, München, Stuttgart 1999, S. 746

[7] So bei Ulrich Körtner, Nicht mehr systemrelevant, in zeitzeichen 6/2020, S. 12

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