Mir ist gegeben alle Macht

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Mir ist gegeben alle Macht

Matthäus 28,16-20 (dänische Perokopenordnung) | verfasst von Elof Westergaard | aus dem Dänischen übersetzt von Eberhard Harbsmeier |

Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden, sagt Jesus, und er fordert seine Jünger auf, in die Welt hinauszugehen, zu taufen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und all das weiterzugeben, was er ihnen gesagt hat, als sie zusammen waren.

 

Wie befreiend, dass Jesus sagt: Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden. Die Macht gehört weder dir noch mir. Sie gehört dem gekreuzigten und auferstandenen Christus.

Ich kann schon die Erleichterung auf den Schultern spüren. Eine Last ist gleichsam von mir genommen. Das erinnert mich an Worte, die Jesus an anderer Stelle sagt, wo er seine Arme und Hände ausbreitet und die Einladung ausspricht: Kommt her zu mir alle ihr, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken (Matth. 11,28).

Weder du oder ich sollen die Gesellschaft retten und die Kirche, den Himmel oder die Erde tragen.

Die Leute können zu mir stehen, wie sie wollen. Ich muss mich natürlich verantworten für meine Arroganz und meine Fehler, aber ich bin nur ein Mensch und kann nicht selbst den Himmel am Leben und die Räder in Gang halten.

Meine Aufgabe ist vielmehr einfach und klar: Taufe und lehre. Liebe Gott, und liebe deinen Nächsten!

 

 

Einige von uns, die heute das Evangelium hören, werden vielleicht nur angefochten von Jesu Wort, sie denken: Wer ist er, der sich erlaubt zu sagen: Die Macht gehört mir.

Wenn es sich um einen weltlichen Machthaber handeln würde, einen populistischen Führer unserer Tage, wäre guter Grund zur Sorge und zur Mobilisierung aller unserer Kritik. Es ist aber der gekreuzigte und auferstandene Jesus, der sagt: Mir gehört die Macht.

Deshalb besteht kein Grund zur Sorge.

Die Demut ist in diesem Mann so tief verankert. Er scheut sich nicht, sich unter die Kranken und Ausgestoßenen zu begeben. Er isst gerne mit ihnen, und schließlich wird er zusammen mit Verbrechern am Kreuz auf Golgatha hingerichtet. Die Male an Jesu Füßen und Händen und das Kreuz als Symbol seines Lebens und Wirkens zeugen von einer Macht, die sich nicht aufbläst, sondern gekennzeichnet ist durch Nähe im Dunkel und Trost für Verlorene.

 

Ich kann mich noch so verloren und isoliert fühlen in meiner eigenen Kammer, dennoch bin ich in der Macht Jesu und deshalb in meiner Finsternis und meiner Einsamkeit nicht allein. Er, der die Macht hat, war selbst in der Finsternis und allein in der Welt.

Wenn Jesus sagt: Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden, bewirkt das deshalb in mir nicht nur Erleichterung, sondern auch Mut, in den Alltag hinauszugehen und der Zukunft entgegenzugehen. Gottes Segen, Barmherzigkeit und Gnade begegnen mir in ihm und öffnen alle Türen.

Welch ein Glück, dass er, der Gnade vor Recht ergehen ließ, alle Macht im Himmel und auf Erden hat.

Als sich das Christentum in der antiken Welt ausbreitete und schließlich Reichsreligion wurde, bedeutete dies die Schließung aller Tempel anderer Götter. Die griechisch-römischen Götter verschwanden, aber die Verbindung zwischen Himmel und Erde, die sie repräsentierten, wurde nicht unterbrochen.[1] Der Himmel wurde nicht geschlossen. Im Gegenteil! Die Erde war noch immer offen für das Himmlische, und der Himmel noch immer offen für das Irdische.

Jesus trat nun so eindeutig auf als die Brücke zwischen dem Paradies und den mehr armen Gegenden der Erde und als Leiter zwischen dem Reich Gottes und der Welt. Aber Jesu Angesicht und Leib, seine Worte, sein Leben und seine Taten, Tod und Auferstehung zeigen die Verbindung auf als etwas, das mehr ist und anders als eine Brücke und eine Leiter. Es handelt sich um eine Verbindung persönlicher Art.

Die Krippe und der Stall in der Weihnacht, das Kreuz und das leere Grab am Ostermorgen stehen zusammen mit dem Wind und dem Feuer, die Gott zu Pfingsten sandte als Zeichen dafür, dass Gott uns Menschen nahe sein will. Sie stehen als Zeichen in der Welt dafür, dass gilt, was Jesus in den Abschiedsworten des heutigen Evangeliums sagt: Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden.

 

In der Kirche der Freigemeinde in Lemvig, in der ich als Kind getauft wurde, hängt auf der Rückwand ein Relief, das die letzten Zeiten darstellt, das Lebensdrama, die Wiederkunft Jesu.

Der Menschensohn ist flankiert von einem Mann und einer Frau, Maria und Johannes bzw. Eva und Adam. Eine verzweifelte Schar von Menschen steht unter dem Menschensohn und hebt die Hände zu ihm empor, während zwei Reihen von verklärten Gestalten an jeder Seite der beiden Hauptfiguren hervortreten.

Unten am Relief standen ursprünglich eben diese Worte:  Mir ist gegeben alle Macht. Die Worte sind nun verschwunden. Sie waren nicht eingemeißelt, sondern mit einem Stift aufgetragen. Sie warteten, wie dies der Bildhauer formulierte, auf die Hand, die sie einmeißeln sollte. So wie ich ihn verstehe, war dies sein Gedanke: Zwar hatten wir Weihnachten, Ostern und auch Pfingsten, aber die Erde ist noch immer geprägt von Krankheit und Tod, Wut und Hass, Verzweiflung und Trauer. Um so wichtiger ist es, dass wir diese Worte hören und sie auch gerne wieder einprägen in der Welt und in der Zeit, in der wir leben. Dazu helfe uns Gott! Im Namen Jesu. Amen.

 

Bischof Elof Westergaard

DK 6760 Ribe

eve(at)km.dk

[1] Peter Brown: The Rise of Western Christendom, Oxford 2013.

 

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