Ein Funken unter der Asche

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Ein Funken unter der Asche

Predigt zu 2.Timotheusbrief 1, 6 + 7 | verfasst von Ulrich Kappes | 

 

2. Timotheusbrief 1, 6+7

6 Aus diesem Grund erinnere ich dich daran, dass du erweckest die Gabe Gottes, die in dir ist durch die Auflegung meiner Hände.

7 Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

 

Paulus schreibt an seinen Schüler Timotheus. [1] Aus dem Gefängnis heraus sind die Worte verfasst. (2. Tim. 2,9)  Es ist, als fühlte sich der Apostel gedrängt, in kurzen und knappen Sätzen eine Art „Summe“ des christlichen Glaubens zu verfassen.

Beginnen wir mit der Feststellung „Gott hat uns nicht gegeben einen Geist der Furcht einen Geist der Verzagtheit.“  Was ist Paulus über Timotheus und die Gemeinden zu Ohren gekommen? Gibt es einen historischen Hintergrund für diese Worte? Wi kennen ihn nicht.

Vermuten dürfen wir wohl, dass die vor allem im Hebräerbrief und der Offenbarung gerügte Lauheit und Resignation der Anlass gewesen sein könnten. Offenkundig brannte im Herzen des Timotheus und den Seinen nicht mehr das Feuer früherer Zeiten. Man zog sich zurück. Die Gottesdienste und Versammlungen waren nur schlecht besucht. Das gipfelte schließlich darin, dass sich Christinnen und Christen nicht mehr beauftragt sahen, von Christus „in der Welt“ zu reden. Familien spalteten sich. Die Eltern schwiegen angesichts des Unglaubens ihrer Kinder. „Man“ blieb in der Gemeinde, aber das war es dann auch. Die Gemeinden und offenbar ihr „Evangelist“ Timotheus boten ein Bild der Verzagtheit. (Hebr. 5, 11; Hebr. 6, 6-8, Offbg. 3,16)

Damals wie auch heute galt und gilt, dass mit der Verzagtheit gern eine Lebensphilosophie verbunden wird, nach der „es ja ohnehin keinen Zweck hat“, sich gegen die bestimmende Mehrheit als ein einzelner zu Wort zu melden. Es gibt auch die Flucht in einen Habitus des feinen und vornehmen Menschen, der sich „nicht herum streitet“. „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“, weil es klüger ist, „erstmal den Dingen ihren Lauf zu lassen“.

Die Folge von Verzagtheit und Feigheit, wonach Probleme nicht offen angesprochen und Kritik unterlassen wird, ist die schleichende Zerstörung einer Gemeinschaft. Unter dem Deckmantel von Harmonie und Höflichkeit geht eine offene Gesellschaft, wie groß oder klein sie auch sein mag, zugrunde.

Und Paulus? Wir hörten: „Deshalb erinnere ich dich, das Geschenk Gottes wieder anzufachen, das in dir ist durch die Auflegung meiner Hände.“

Mit der Metapher „Geschenk Gottes“ verbindet Paulus etwas, das im Menschen brennt und darauf wartet, wieder entflammt zu werden. Das ist das Spezifikum des „Geschenkes“, von dem Paulus hier spricht. „Deshalb erinnere ich dich, das Geschenk Gottes wieder anzufachen.“ [2]

Was angesichts offenkundiger Verzagtheit wie „Asche“ aussieht, enthält unter der trostlosen Oberfläche in Wahrheit einen unzerstörbaren Funken, den es zu entfachen gilt. „Blase in die Asche! Ein Funken ist darunter verborgen!“ Das ist die Botschaft.

Was rät Paulus dem Timotheus, um diesen Funken neu zu entflammen? Die Antwort heißt: Blick zurück!  Blicke in aller Intensität zurück! Denke an deinen großen Tag, als ich dir die Hände auflegte und dich als Prediger des Evangeliums einsetzte.

Was heißt das nun auf uns gewandt?

Der Predigttext dieses Sonntages will, dass ich mich – sozusagen in Analogie von Timotheus – frage, ob es  auch in meinem Leben einen Menschen gab, der mir „die Hände auflegte“.  Er  legte „die Hände auf“, indem er mir vorlebte, was ein Leben in der Bindung an Christus bedeutet und das hat sich mir eingeprägt.

Kann die Erinnerung an ihn ein Funken in meinem Leben sein, der meinen Glauben neu entfacht? War er ein Geschenk Gottes, das in mein Leben eingefügt wurde und von dem Energie ausgeht? Das gilt es zu erkunden.

Eines der prominentesten Beispiele für solche „Erinnerung“ verbindet sich mit dem Namen Blaise Pascal. [3] Blaise Pascal (1623-1662) war neben allen seinen mathematischen Forschungen tief in seinem Inneren gespalten. ‚Kann ich von der Existenz eines persönlichen Gottes ausgehen oder gibt es nur den „Gott“ meines Freundes René Descartes (1596-1650)?‘ Um den Sturm in seinem Inneren zu besänftigen, mietete er sich in einem Kloster (Port Royal) ein, wo seine Schwester bereits Nonne war und zog sich zurück von allen seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten.

Hier in einem karg eingerichteten Zimmer, mehr Zelle als Zimmer (und heute Museumsort), hatte er in der Nacht vom 23. zum 24. November 1654 ein einzigartiges Erlebnis. Er fühlte Wind, er spürte Feuer und es stand für ihn außer Zweifel, dass Gottes Geist ihm nahe war. Er ergriff in diesem Augenblick ein Stück Pergamentpapier und schrieb Worte auf, die sich wie hingeworfen lesen. „Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht Philosophen und Gelehrten. Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede. Der Gott Jesu Christi …

Er ist allein auf den Wegen zu finden, die das Evangelium lehrt … [4] Pascal hat diesen Zettel in seine Jacke eingenäht und ihn immer wieder angefühlt und betastet. Wechselte er die Jacke, trennte er den Zettel heraus und nähte ihn von neuem ein.

Ob der bibelkundige Pascal den zweiten Timotheusbrief gelesen hat oder nicht, so hat er unabhängig davon genau immer wieder das getan, was Paulus von uns Christen fordert:

„Deshalb erinnere ich dich, das Geschenk Gottes wieder anzufachen, das in dir ist …“

„Gott hat uns nicht gegeben einen Geist der Feigheit, sondern der Kraft.“

Die „Kraft“ … ist das Gegenstück zu Furcht, Resignation und Feigheit. In der „Kraft“ stehen und handeln, heißt, aufzustehen, Schluss zu machen mit der Lethargie. In der Kraft des Glaubens zu leben,  heißt, einen langen Atem haben und auch dann nicht aufzugeben, wenn alles zu misslingen scheint.

„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Feigheit, sondern der Kraft und der Liebe.“

Für Jesus ist ein Leben in der Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen das Höchste im Gesetz. „In diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“ (Matth. 22,40)

Es gibt nichts Größeres als die Liebe, heißt es bei Paulus in seinem Hohenlied der Liebe. (1. Kor. 13) „Nun aber bleiben Glauben, Hoffnung, Liebe, diese drei, die Liebe ist die größte unter ihnen.“

Was ist ein Leben in der Liebe? Ich will und kann dazu nur eine kleine Anmerkung machen.

Was ist Liebe nach dem Zeugnis der Schrift?  Ich lehne mich bei Paulus an. Er gibt verschiedene Antworten. Eine greife ich heraus.

Paulus sagt: „Die Liebe ist langmütig.“[5]  Ich interpretiere: Wer liebt, hat ein weites, großes Herz. Liebe geschieht, wenn ein Mensch „weitherzig“ ist.

Was heißt das praktisch? Etwa:

Ich stehe hier und du stehst da. Ich habe meine Wertvorstellungen. Du hast deine. Ich stelle fest, dass sich unsere Werte unterscheiden, teilweise krass unterscheiden. Es wird keine Annäherung geben.

Was ist die Konsequenz? Wir stehen am Scheidewege. Entweder gehen wir uns aus dem Weg, verneinen uns, … hassen uns schließlich oder wir finden einen anderen Weg.

Dieser andere Weg wird gegangen, wenn ich (nach wie vor) sage: „Ich stehe hier und du stehst da. Ich habe meine Werte. Du hast deine“,  füge nun aber hinzu: „Gott hat es so gewollt. Er gab uns die Freiheit, zu denken, zu reden und zu tun, was wir wollen.“

„Gott hat es so gewollt“, hat die Konsequenz, dass ich unsere Meinungsverschiedenheiten akzeptiere und mit ihnen auch dich.

Ich akzeptiere nach wie vor nicht, was du da sagst. Wenn ich „unter dem Himmel Gottes“ ein weites Herz haben will, geht es nicht um Inhalte. Es geht aber um dein Recht, so und nicht anders zu denken. Darum akzeptiere ich dich, wie du eben denkst und redest und lebst.

Ist es das?  Leider nein.

Als Jesus die Händler im Tempel sah und hörte, wie um die Preise der Opfertiere gestritten und gefeilscht wurde, Münzen klimperten und alles ein einziger Jahrmarkt des Geldes war, machte er sich eine Peitsche (Johannes 2,15) und trieb die Händler und Wechsler hinaus.

Auf unser Thema bezogen heißt dies, dass es ein Ende der Weitherzigkeit gibt. Ein Mensch kann sich in seinen Worten und Taten so weit von den Werten der Schrift entfernt haben, dass er die von Gott gegebene Freiheit der Meinung pervertiert.

Dann gilt das weite Herz nicht mehr. Dann muss ich, gerade weil ich mein Gegenüber liebe, was heißt: nicht abschreibe, mit allen mir zu Gebote stehenden Argumenten streiten und jeder Fraternisation aus dem Wege gehen.

Es gibt auch für die „Teiltugend“ der Weitherzigkeit das Prinzip des Abbruchs. [6] Das ist nicht zu vergessen.

Für das „normale“ Leben, den Alltag, den wir haben, gilt aber nach wie vor, dass ein Mensch dort die Liebe lebt, wenn er weitherzig ist.

Gott will von uns nicht eine Gesinnung der Feigheit, sondern ein Leben in der Kraft und der Liebe und der angemessenen Selbsteinschätzung.

„Angemessene Selbsteinschätzung“  wird von Luther mit „Besonnenheit“ übersetzt. Aus dem neuesten Kommentar zum 2. Timotheusbrief  übernehme ich „angemessene Selbsteinschätzung“ [7]

Der angemessenen Selbsteinschätzung steht die übertriebene Selbsteinschätzung gegenüber.

In der angemessen Selbsteinschätzung reagieret der nüchterne Blick auf meine Möglichkeiten:

Was kann ich hier bewirken? Was kann ich nicht? Womit habe ich es zu tun? Womit nicht? Habe ich die Zeit und Kraft eine Aufgabe durchzustehen oder nicht? Ich kann nicht an allen Brennpunkten stehen und kämpfen. Was ist mir möglich? So sprechen wir, wenn wir uns um eine angemessene Selbsteinschätzung bemühen.

Aber Vorsicht! Die angemessene Selbsteinschätzung ist nie ein Freibrief für eine Feigheit, die durch die Hintertür kommt. Angemessen und nüchtern sollen wir handeln und reden, was aber nicht heißt, einem Handeln in der Kraft und in der Liebe aus dem Wege zu gehen.

 

Predigtliedvorschlag: 414, 1-3 Lass mich, o Herr, in allen Dingen (gesungen oder gesprochen)

 

[1] Dass es sich bei dem 2. Timotheusbrief um ein Pseudepigraph handelt, erwähne ich in der Predigt nicht. Ich übernehme damit die Ausdrucksweise vieler Kommentare, die an Stelle von „Paulus“ und „Timotheus“ oder der „Verfasser“  die einfache Namensnennung verwenden.

[2] „Die Metapher zeigt, dass der Apostel unter einem Geschenk Gottes etwas versteht, dass im Menschen brennt  und lebt, dass ihn also beschäftigt und bewegt, mit Energie und Motivation versorgt.“ Heinz-Werner Neudorfer, Der zweite Brief an Timotheus, Historisch Theologische Auslegung, Witten 2017, S. 80.

[3] Vgl. dazu u.a. Hartmut Rosenau, Blaise Pascal, in: RGG 4, 6. Band, Tübingen 2003, Sp. 966-969.

[4] Der Wortlaut des Textes wird wiedergegeben unter de.wikepedia  org>wiki>Mémorial_(Blaise_Pascal).

[5] Mit makrosunη  beginnt Paulus seine Beschreibung von Liebe in 1. Kor. 13,4.  In Gal. 5,22 ist sie das erste, was nach der Trias „Liebe, Freude, Friede“ als herausragende „Frucht“ des Geistes genannt wird. Das Wort hatte für ihn offenbar eine sehr große Bedeutung.

[6] Der Begriff ist übernommen von Heinz-Horst Schrey, TRE, Artikel „Geduld“, 139-144, S. 143, der in Blick auf die „Geduld“ feststellt: „[Es] wird richtig gesehen, dass Geduld in der Tat nur eine ‚Teiltugend‘ ist und nicht das Ganze der menschlichen Weltverhältnisse umgreift.“

[7] Neudorfer, a. a. O., S. 83.

 

Pfr. em. Dr. Ulrich Kappes

D 14943 Luckenwalde

Brahmbuschstraße 05

ulrich.kappes@gmx.de

 


Dazu passende Gebete:

 

VORBEREITUNGSGEBET

Der heutige 16. Sonntag nach Trinitatis hat das Thema: vom Tod zum Leben.

Die Epistel dieses Sonntages, gleichzeitig Predigttext, handelt von Angst und Kraft, Furcht und Besonnenheit. – Wie wechseln wir vom Schatten in das Licht?

Lasst uns beten!

Herr, unser Gott, eine Woche liegt hinter uns. Wir haben weder Liebe noch Wärme verbreitet, wurden herunter gezogen an Statt das Leben zu bejahen.

Vergib uns das und lass uns unter Deiner Gnade und in der Kraft der Umkehr diesen Gottesdienst feiern und die neue Woche beginnen.

So heißt es im Buch Hiob, 36,16:  Gott reißt dich aus dem Rachen der Angst und (stellt deine Füße) in einen weiten Raum, wo keine Bedrängnis mehr ist.

 

TAGESGEBET  [1]

Herr, unser Gott,

wir feiern heute den Sonntag, morgen wird eine neue Woche beginnen. Dann kommt wieder ein Sonntag und wieder eine neue Woche … So geht unser Leben dahin.

Es begleiten uns abwechselnd Mut und Stärke, aber auch Angst und Feigheit.

Wir sind mal so und mal so.

Heute bitten wir Dich, dass der Mut und die Zuversicht, das kraftvolle Handeln und die Lebensfreude die Oberhand gewinnen.

Stifte uns an diesem Tag der Gemeinschaft an, dass wir uns unserer Wurzeln im Glauben bewusst werden und daraus neue Kraft schöpfen können.

Das bitten wir Dich, unseren Gott, der Du mit Deinem Sohn und dem Heiligen Geist uns Menschen nahe bist und uns aufrichtest von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr von Ewigkeit zu Ewigkeit . Amen

[1]Einen Impuls zu dem Tagesgebet verdanke ich Eberhard Christof Grötzinger Predigtmeditation zu 2. Tim. 1, 7 – 10, in: Calwer Predigthilfen, Neue Folge, Reihe II, Stuttgart 1998, 153 – 160, 157.

 

Fürbittgebet

Wenn wir jetzt gemeinsam beten, bitte ich, dass wir nach den Worten „Gemeinsam rufen wir zu Dir“ die Worte sprechen: Herr, erhöre uns.

Herr, unser Gott,

in der Stadt Moria auf der Insel Lesbos herrscht eine unbeschreibliche Not. Noch campieren Menschen auf der Straße oder irgendwo. Es gibt kein Wasser, keine Nahrung, keine Toiletten.

Menschen flüchteten aus ihrer Heimat und landeten im Elend.

Nun bitten wir DICH, dass Du das Mitleid und die Barmherzigkeit wachsen lässt. Es geht nicht darum, wie man politisch denkt, sondern allein darum, Leben zu retten und eine Katastrophe zu verhindern.

Wir beten für die Geflüchteten auf Lesbos. Gib ihnen Mut in ihrer Verzweiflung. Lass internationale Hilfe das Schlimmste verhindern.

Gemeinsam rufen wir zu DIR: Herr, erhöre uns!

Herr, unser Gott,

wenn wir uns selbst betrachten, so erkennen wir manche Fähigkeit, manches Talent, manche Begabung an uns. Du hast uns vieles geschenkt. Wir haben Grund zu Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen.

Ungeachtet dessen erfasst uns aber wider Willen oft eine Feigheit, die den Lebensmut zerstört. Wir reden nicht, wo wir reden sollten. Wir handeln nicht, weil wir nicht auffallen wollen.

Wir bitten dich um Hilfe. Befreie uns durch deinen Geist von Lähmung, von ungeklärter Angst, von Unfreiheit.

Gemeinsam rufen wir zu DIR: Herr, erhöre uns!

Herr, unser Gott,

nichts ist wichtiger in unserem Leben als die Liebe, die Liebe zum Mitmenschen.

Wir danken Dir für alle Liebe, die wir in unserem Leben erfahren haben.

Nichts wird aber ebenso missbraucht wie das Wort der Liebe.

Heute bitten wir Dich, dass wir uns immer von neuem dafür entscheiden, mit einem weiten Horizont zu leben.

Du lässt Deine Sonne scheinen, über Gute und Böse. Weit erstreckt sich der Himmel deiner Liebe über unsere Erde. Lass uns mit dem Blick nach oben, dem immer neuen Blick nach oben, ein gütiges Herz erwerben

Gemeinsam rufen wir zu DIR: Herr, erhöre uns!

In der Stille beten wir nun zu DIR

Gemeinsam rufen wir zu DIR: Herr, erbarme dich –

Amen.

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