Besonnenheit bringt …

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Besonnenheit bringt …

Besonnenheit bringt Perspektivenwechsel in der Corona-Zeit | Predigt zu 2. Timotheus 1, 7-10 | verfasst von Klaus Wollenweber |

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Ich lese den für den heutigen Sonntag vorgeschlagenen Predigttext aus dem 2. Timotheusbrief Kapitel 1 die Verse 7-10:

7 Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Ängstlichkeit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.

8 Bekenne dich daher ohne Scheu zu unserem Herrn, und schäme dich auch nicht, zu mir zu stehen, nur weil ich ein Gefangener bin – ich bin es ja um seinetwillen! Sei vielmehr auch du bereit, für das Evangelium zu leiden. Gott wird dir die nötige Kraft geben.

9 Er ist es ja auch, der uns gerettet und dazu berufen hat, zu seinem heiligen Volk zu gehören. Und das hat er nicht etwa deshalb getan, weil wir es durch entsprechende Leistungen verdient hätten, sondern aufgrund seiner eigenen freien Entscheidung. Schon vor aller Zeit war es sein Plan gewesen, uns durch Jesus Christus seine Gnade zu schenken,

10 und das ist jetzt, wo Jesus Christus ´in dieser Welt` erschienen ist, Wirklichkeit geworden. Er, unser Retter, hat den Tod entmachtet und hat uns das Leben gebracht, das unvergänglich ist. So sagt es das Evangelium.

Liebe Gemeindeglieder,

„Gott hat uns nicht die Haltung der Ängstlichkeit, der Verzagtheit, gegeben, sondern die Haltung der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ ( V.7 ) Ohne den Hinweis auf Gott könnte dieser biblische Ausspruch in dieser Corona-Pandemie-Krisenzeit genauso aus dem Mund von Politikerinnen und Politikern stammen. Das Virus erzeugt bei vielen Menschen Ängste, aber die Mahnung der politisch maßgeblichen Personen fordert zur verantwortlichen Haltung der Besonnenheit und der Vernunft auf: wie das konsequente Tragen des Mund-Nasen-Schutzes, die Einhaltung der Hygiene-Maßnahmen und die Abstandsregeln. Der Aufruf zur Vernunft und Besonnenheit wird von vielen unter uns befolgt, von einigen „Besserwissern“ jedoch bewusst abgelehnt. Nicht zuletzt ziehen Verschwörungstheoretiker Menschen in ihren Bann. Das zeigt uns: Besonnenheit ist überhaupt nicht selbstverständlich, auch wenn das in unserem christlichen Wertedenken weithin vorausgesetzt wird.

Und was die Ängstlichkeit oder Verzagtheit in dieser Krisenzeit betrifft, – wer von uns kann sich davon freisprechen? Die Seuche kann jede und jeden von uns treffen, – vom Kleinkind bis zum älteren Menschen, völlig unabhängig von der Intensität des Glaubens. Kein glaubender Mensch ist ausgenommen. Die Pandemie zeigt uns, wie verletzlich unser so sicher gefühltes Leben ist. Da schleicht sich nach und nach die Frage in unser Lebensgefühl ein: Wie soll das nur weitergehen? Bin ich als Nächster dran? Bleibe ich verschont? Die Haltung der Verzagtheit beginnt an uns zu nagen und von uns Besitz zu ergreifen. Die Verzagtheit kann uns den Mund verschließen und schließlich lähmt sie die Eigeninitiative und dann auch die Eigenverantwortung. Ich kann ja doch nichts machen. Hinzu kommt noch, dass manche Personen sogar glauben, dass Gott ihnen das Covid–19–Virus als Schicksal zuteilt!

Wie schwer ist bei allem Widerstand in unserer derzeitigen Corona-Lebenssituation der Hinweis auf die Besonnenheit zu verstehen, zumal wenn diese mit der Haltung der Kraft und der Liebe als Gabe von Gott hervorgehoben wird? Liebe Gemeindemitglieder, der Gott des Lebens kann nicht der Pädagoge sein,

der uns zur Strafe für unsere Eigenmächtigkeit und Ichbezogenheit das Virus geschickt hat, um unsere Vision von „immer weiter – immer größer – immer schneller“ zunichte zu machen. Was für ein Sarkasmus wäre das, wenn dieser Gott der Liebe kranke und elend sterbende Menschen braucht, um uns zu belehren?! Was für ein schrecklicher, ungläubiger Gedanke, Kranke und Tote zu instrumentalisieren, um göttliche Vorstellungen von der Lebensweise von Menschen durchzusetzen!

In dem biblischen Briefabschnitt entdecke ich keine extra Aufforderung zur beachtenswerten Besonnenheit, sondern schlicht die Feststellung, dass wir die Haltung und Einstellung der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit bereits bekommen haben. Das gilt auch heute in der Corona-Zeit! Wir können bereits innehalten und uns darauf besinnen, dass wir Menschen in unserer begrenzten Lebenszeit nicht auf alle Fragen, Erwartungen und Entwicklungen sofort eine passende Antwort finden oder wissen, – auch nicht wir Christen und Christinnen. Die Unberechenbarkeit des Virus ist wie die Unberechenbarkeit der eigenen Lebenszeit. Wir hätten zwar alles gerne im Griff, aber unsere menschlichen Konzepte und Pläne bleiben verhaftet im sterblichen, irdischen Bereich. Und weil dies so ist, können wir auch die Ängstlichkeit und Verzagtheit unter uns nicht verurteilen und verdammen, nicht zerreden oder verdrängen. Jesus selbst hat seinen Jüngern gesagt: „In der Welt habt ihr Angst!“ Allerdings fährt er dann fort: „aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Das ist eine Zusage, die viel mehr aussagt und umfasst als nur die Angst oder Ängstlichkeit in einer Pandemie. Jesus Christus hat der Welt mit all ihren Schrecknissen und mit dem Tod die Macht des Siegers genommen. So haben wir eben auch im Brief an Timotheus gehört: „Jesus Christus, unser Retter, hat den Tod entmachtet und hat uns das Leben gebracht, das unvergängliche.“ ( V.10)

Kein Medikament und kein Impfstoff bewirken unvergängliches Leben! Jede Pandemie ist eine Herausforderung, unseren Lebensstil und Lebenssinn erneut kritisch zu überprüfen. Wir müssen sicher Einschränkungen vornehmen und hinnehmen, uns auch an Hygieneregeln halten. Wir sind herausgefordert, immer neu zu verantworten, wie wir einander begegnen und wie wir zusammenleben. Wir realisieren z.B. ein Umdenken, indem wir unseren Lebensstil mehr an der Schöpfungsordnung orientieren. Dies bedeutet u.a.: die Klimakrise wirklich ernstnehmen und ihr mit allen persönlichen Fähigkeiten und Kräften die Lebensgefahr nehmen. Das schließt Belastungen mit ein, aber zugleich kann uns immer wieder die Gewissheit der Begleitung durch den Geist der Liebe Gottes entlasten.

Sicherlich können menschliche Forschungen Leiden erleichtern und Leben verlängern, aber sie können nicht die Macht des Todes überwinden oder besiegen. Unser christliches Glaubensverständnis ist, dass diese Todesüberwindung allein die Kraft der Liebe Christi bewirkt hat: Wir leben deshalb nicht, um zu sterben, sondern wir sterben mit Christus, um zu leben. Erinnern wir uns an die Aufforderung in diesem Abschnitt des Timotheusbriefes: „Bekenne dich ohne Scheu zu unserem Herrn. … Sei vielmehr auch du bereit, für das Evangelium zu leiden. Gott wird dir die nötige Kraft geben.“ (V. 8 ) Und das, was wir Christenmenschen nicht zu Wege bringen und nicht schaffen können, das können wir getrost in Gottes Hand legen. Gottvertrauen gehört zu unserer christlichen Besonnenheit entscheidend mit dazu. So sehe ich in dieser biblischen Aufforderung zur Bereitschaft zum Leiden keine Absage an die Erforschung von Medikamenten zur Linderung der Leiden und von Impfungen bei Pandemien, sondern ich erkenne darin einen anderen Blickwinkel auf unsere Wirklichkeit, eine andere Perspektive des Lebens mit einer veränderten Zuordnung des Lebenssinns. Die Haltung der Liebe und der Besonnenheit ordnet unsere Realität ein in den Geist der Liebe Gottes zu uns.

Ja, wir sind und bleiben ängstlich und dabei sogar häufig überheblich und manchmal sehr selbstgefällig, aber diese Einstellung ist nicht Wert und Maßstab unseres christlichen Lebens. Eine Pandemie, eine Seuche, eine Krankheit hat ebenso wenig Sinn in sich selbst wie wir Menschen diesen in uns selbst haben. Wir sind soziale Wesen und auf Begegnung und Kommunikation ausgerichtet. Eine Pandemie ist vielmehr ein Zeichen der vergänglichen Welt. Allerdings fordert sie uns mit unserem Glauben heraus zu sagen und zu handeln: „So nicht! So eine Krankheit ist nicht Sinn des Lebens. Das ist nicht Liebe Gottes zu uns! So nicht!“

So eine Pandemie kann nicht Misstrauen in das christlich sinnvolle Leben mit Gott und Gottes Wirken mit uns hervorrufen. Vielmehr fordert die Seuche zu einer veränderten Perspektive heraus:

Wie kann ich in meinem Glaubensleben die Haltung der Besonnenheit in Krisenzeiten praktizieren? z.B. indem ich im Angesicht lebensfeindlicher, kranker Umstände versuche, Menschen von ihrer Mutlosigkeit zu befreien, sie frei spreche durch Worte und Zeichen. Oder indem ich erschütternde Nachrichten vorurteilsfrei höre und sie empathisch teile und schließlich mit ins Gebet nehme. Wir besinnen uns dann, Gott unsere Sorgen und Lasten vor die Füße zu legen; diese sind somit nicht verschwunden, aber zum Mittragen durch Gott offengelegt.

Der christliche Glaube lässt uns nicht in Krisen die Hände in den Schoß legen und ausruhen, damit alles so bleibt, wie es ist, oder wieder so wird, wie es einmal war. Zweifellos gibt es nicht ein „weiter so leben wie vor der Pandemie“. Denn das gesamte Feld der Kommunikation hat sich in unserer Kirche und in der Gesellschaft verändert; dieser Prozess ist auch noch nicht beendet. Wir kommen nicht umhin, sozusagen einen christlichen Neustart in Glaubensangelegenheiten zu starten. Es geht z.B. im Blick auf den Gottesdienst nicht nur alternativ zu entscheiden: digital oder analog. Müssen wir nicht mehr dynamische Möglichkeiten im Übergang entdecken und ausprobieren?  wie z.B. Gottesdienste im Freien oder Amtshandlungen vor dem Kirchenportal oder offene Dialogbereitschaft an unterschiedlichen Orten im kleinen Kreis von Menschen mit dem Austausch von Glaubenserfahrungen und Lebenserinnerungen. Denn wir haben gemerkt, dass das digitale Tun nicht die echte Begegnung ersetzen kann.

Liebe Gemeindeglieder, so wie wir im Gebet neu Atem schöpfen, so können wir dem Geist und der Kraft der Liebe Gottes mehr zutrauen, als wir es bisher taten. Besinnen wir uns auf die Frage aller Fragen: Bleibe ich bei mir selbst und meiner eigenen Selbstgefälligkeit zwischen Angst und Misstrauen oder halte ich ohne Verzagtheit an der mir von Gott geschenkten Haltung der Liebe und der Besonnenheit fest? Gott schenke Ihnen und mir diese Einstellung der Liebe und der Besonnenheit auf unserem Lebensweg mit seinen Brüchen und auf unserem Glaubensweg mit allem zweifelnden Auf und Ab, so dass wir uns nicht schämen, uns zu diesem Gott mit der Liebe zum Leben zu bekennen.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen


Lied EG 432          Gott gab uns Atem, damit wir leben

Altbischof Klaus Wollenweber, Bonn

Klaus.Wollenweber@kkvsol.net

Viele Jahre Gemeindepfarrer in der Ev. Keuzkirchengemeinde Bonn; ab 1988 theologischer Oberkirchenrat in der EKU Berlin ( heute: UEK in Hannover ); ab 1995 Bischof der Ev. Kirche der schlesischen Oberlausitz mit dem Amtssitz in Görlitz / Neiße  ( heute: Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ); seit 2005 im Ruhestand in Bonn. Häufig aktiv in der Vertretung von Pfarrerinnen und Pfarrern in Bonn.


Fürbittengebet

Gott des Lebens, durch Jesus Christus hast du unserer Welt Heil und Heilung geschenkt. Nun bedrücken uns die Nöte des Corona-Virus, das so vielen Menschen in vielen Ländern Unheil bringt – persönlich und gesellschaftlich. Uns erschreckt auch besonders, was in den Flammenmeeren der Feuersbrunste zugrunde geht.  Wir bitten dich: Stärke unser Vertrauen auf deine heilende Gegenwart und lass uns deine heilenden Kräfte spüren.

Gott des Lebens, wir bitten dich für alle, die in den Ländern für andere Menschen Verantwortung tragen: In den Regierungen und Ministerien, in der Wirtschaft und Kultur, in der Erziehung und Wissenschaft, in den heilenden Berufen und bei der Polizei. Öffne uns die Augen, dass wir den Missbrauch von Macht erkennen und uns dagegen wehren. Hilf uns, Frieden zu schaffen in unserem Umfeld und zwischen den Völkern, zwischen den Religionen und Kulturen.

Gott des Lebens, wir bitten dich für die Menschen, mit denen wir in unseren Dörfern und Städten zusammenleben und arbeiten. Behüte uns vor Gerüchten und falschen Informationen, die uns und anderen schaden. Wir bitten dich für unsere Familien, Freunde und Nachbarn, und wir bitten dich auch für die, die uns feindlich begegnen. Schütze uns vor schnellen Reaktionen und Vorurteilen. Gib uns das rechte Wort zur rechten Zeit.

So rufen wir gemeinsam zu dir mit den Worten, die Jesus mit seinen Jüngern gesprochen hat:

Vater unser im Himmel …

de_DEDeutsch