Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“

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Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch



Predigtreihe „Passion im Lied“ – Judika,
1.4.2001

EG 83 „Ein
Lämmlein geht und trägt die Schuld“, Barbara Heller


(Die nicht in das Ev. Gesangbuch aufgenommenen Strophen wurden an
die Gottesdienstbesucher in Kopie ausgegeben.)

Wie sollen wir die Passion Jesu begreifen? Jesus leidet, stirbt
einen schlimmen Tod und wird begraben. Nachfühlen können wir diese
Situation, denn wir kennen sie. Wir kennen es, dass jemand stirbt, kennen
Beerdigungen und Besuche auf dem Friedhof. Immer im November erinnern wir uns
gemeinsam an die Toten. Wie läßt sich beschreiben oder begreifen,
was es mit der Passion, mit dem Tod Jesu auf sich hat? Ein Tod, den wir in
jedem Jahr gemeinsam in der Kirche bedenken. Ein Tod, der Bedeutung hat nicht
nur für die Angehörigen und Freunde Jesu, sondern auch für uns.
Dieser Gedanke ist nicht einfach. Wir können uns vorstellen, dass in
besonderen Zusammenhängen ein Mensch sich für andere opfert, im Krieg
oder in besonderer Not. Aber dass der Tod eines Mannes Bedeutung haben soll
für Menschen, die gar nicht zu seiner Zeit oder in seiner Nähe leben,
das ist eine schwierige Vorstellung.

Ich möchte heute mit Ihnen im Gesangbuch ein Lied genauer
ansehen, das sich genau mit dieser Frage beschäftigt: Ein Lämmlein
geht und trägt die Schuld. Paul Gerhardt hat es vor über 300 Jahren
geschrieben. Ich möchte Sie einladen, in seine Gedankenwelt einzutauchen.
Paul Gerhardt hat versucht, den Tod Jesu für sich und seine Zeit zu
deuten. Seine Zeit ist geprägt vom 30jährigen Krieg, von der
Herrschaft vieler verschiedener Fürsten. Aus unserer Sicht ist die Zeit
grausam und das Überleben schwierig. Und auch der Gott, den Paul Gerhardt
vorstellt, wirkt drohend und beängstigend. Doch in allen Kriegswirren und
aller Bedrohung halten die Menschen fest daran, dass es eine Gerechtigkeit
geben muss. Gerechtigkeit, die man sich wünschte auch von den weltlichen
Herren, von Königen und Fürsten. Und man glaubte fest daran, dass
Gott in jedem Fall gerecht ist. Gerechtigkeit als eine der wichtigsten
Eigenschaften Gottes, – gegen alle Ungerechtigkeiten, denen man ein Leben lang
ausgesetzt war. Das ist ein Grundpfeiler in Paul Gerhardts Gedankenwelt. (Und
der dürfte uns recht vertraut sein, – denn Gerechtigkeit ist für uns
heute genauso wichtig)

Ein anderer Punkt, der wesentlich in der Welt Paul Gerhardts ist,
ist die Bedeutung des Blutes. Das liegt nahe bei so viel kriegerischem
Blutvergiessen. Wo jedes Kind weiss, dass das Blut der kostbare Lebenssaft ist
und dass mit dem Blut das Leben verlorengeht. Über das Blut hat man sich
viele Gedanken gemacht. Blutsbande verbinden. Blut wird zum Opfer vergossen,
manchmal auch zur Strafe

“Die Straf ist schwer, der Zorn ist groß.”
schreibt Paul Gerhardt darüber, wie der gerechte Gott auf die Untaten der
Menschen reagieren muß. Wie soll es dann eine Rettung für die
Menschen geben, wenn sie die schwerste Strafe verdient haben? “Du kannst
und sollst sie machen los durch Sterben und durch Bluten.” Tod und
Blutopfer können aussöhnen. So wird der Gerechtigkeit genüge
getan. Und das hat nichts zu tun mit plumper Rache, die nach der Todesstrafe
verlangt. Es geht um eine höhere Ordnung, die verletzt ist und
wiederhergestellt werden muß.

Wie gesagt, eine möglicherweise für uns fremde
Vorstellung von Strafe und Sühne und von der Bedeutung des Blutes. So
fremd, dass einige Strophen gar nicht mehr in unserem Gesangbuch auftauchen.
Das finde ich schade, weil dadurch das Lied seinen Erzählfaden beinahe
verliert. Deshalb habe ich Ihnen die fehlenden Strophen mitgebracht.

So altertümlich das Lied ist, so faszinierend ist es auch.
Weil die Menschen darauf hoffen, dass eine gerechte Ordnung, die verletzt
wurde, auch wirklich wiederhergestellt werden kann. Und dass das Blut Jesu ein
Mittel dafür ist. Und mit dieser Frage schlagen wir uns noch genauso
herum: Kann es Wiedergutmachung oder Versöhnung geben? Ist ein Ausgleich
zwischen Opfern und Tätern möglich? Wie läßt sich
Gerechtigkeit schaffen?

Lassen Sie uns also Paul Gerhardt folgen. Er verbindet in seinem
Lied den Tod Jesu ganz eng mit dem Abendmahl. Und so beziehen sich die Strophen
zum einen auf die Vergangenheit, auf die Geschichte vom Leiden und Sterben
Jesu, und auf die Gegenwart, auf das Abendmahl, das die Gemeinde feiert.

Die Strophen 1 bis 3 erzählen die Geschichte vom Leiden und
Sterben Jesu in biblischen Bildern, – wie hier in der Kirche. Und sie lassen
uns teilhaben an einem Gespräch zwischen Vater und Sohn.

Singen 1-3

Die Liebe ist es, Wunderlieb und Liebesmacht, die Vater und Sohn
bewegt. Und Paul Gerhardt stellt sich vor, dass diese Liebe die Kraft des
Blutes benutzt um Rettung zu bringen. So erzählt es die ursprüngliche
Strophe 4: Strophe 4 lesen.

Du marterst ihn am Kreuzesstamm mit Nägeln und mit Spiessen,
Du schlachtest ihn als wie ein Lamm, machts Herz und Adern fliessen: Das Herze
mit der Seufzer Kraft, die Adern mit dem edlen Saft des purpurroten Blutes. O
süsses Lamm, was oll ich dir erweisen davor, daß du mir erweisest so
viel gutes?

Das Blut ist das Mittel zur Rettung. Darauf, auf diese kostbare
Gabe antwortet Paul Gerhardt in den Strophen 4-5 in unserem Gesangburch: erst
lesen, dann

Strophen 4 u. 5 singen.

Mein Lebetage will ich dich aus meinem Sinn nicht lassen dich will
ich stets, gleich wie du mich, mit Liebesarmen fassen. Du sollst sein meines
Herzens Licht, und wenn mein Herz in Stücke bricht, sollst du mein Herze
bleiben; ich will mich dir, mein höchster Ruhm, hiermit zu deinem Eigentum
beständiglich verschreiben.

Ich will von deiner Lieblichkeit bei Nacht und Tage singen, mich
selbst auch dir nach Möglichkeit zum Freudenopfer bringen. Mein Bach des
lebens soll sich dir und deinem Namen für und für in Dankbarkeit
ergießen; und was du mir zugut getan, das will ich stets, so tief ich
kann, in mein Gedächtnis schließen.

Und dann kommt das Blut wieder ins Spiel, in einer weiteren
ausgelassenen Strophe: Lesen Strophe 7

Erweitre dich mein Herzensschrein, du sollst ein Schatzhaus werden
der Schätze, die viel grösser sein als Himmel, Meer und Erden. Weg
mit dem Gold Arabia, weg Calmus, Myrrhen, Casia! Ich habe ein besers funden:
Mein großer Schatz, Herr Jesu Christ, ist dieses, was geflossen ist aus
deines Leibes Wunden.

Mein größter Schatz, Herr Jesu Christ, ist dieses, was
geflossen ist aus deines Leibes Wunden: das Blut. Und davon erzählt die 6.
Strophe in unserem Gesangbuch, was dieser Schatz für Paul Gerhardt
bedeutet: Strophe 6 lesen.

Das soll und will ich mir zunutz zu allen zeiten machen; im
Streite soll es sein mein Schtuz, in Traurigkeit mein lachen, in
Fröhlichkeit mein Saitenspiel; und wenn mir nichts mehr schmecken will,
soll mich dies Manna speisen; im Durst soll’s sein mein Wasserquell, in
Einsamkeit mein Sprachgesell zu Haus und auch auf Reisen.

Das Blut als Lebenselexier, als sicheres Mittel gegen jeden Mangel
von Leib und Seele.

Die nächste ausgelassene Strophe schließlich bringt es
auf den Punkt: Dein Blut, das ist mein Leben. Lesen: Strophe 9

Was schadet mir des Todes Gift? Dein Blut, das ist mein Leben.
Wenn mich der Sonnen Hitze trifft, so kann mirs Schatten geben. Setzt mir des
Wehmuts Schmerzen zu so find ich bei dir meine Ruh als auf dem Bett ein
Kranker; Und wenn des Kreuzes Ungestüm mein Schifflein treibet um und um,
so bist du denn mein Anker.

Folgerichtig erzählt die letzte Strophe in unserem
Gesangbuch, wie noch im Tod das Blut es ist, das den Gläubigen ins Reich
Gottes führt.

Fremd ist uns diese Verehrung des Blutes und wahrscheinlich auch
die große Strenge, mit der die höhere Ordnung Gottes erfüllt
werden muß. Auf der anderen Seite: wie tröstlich ist es, in einer
Welt so voller Unordnung, an die Gerechtigkeit Gottes zu glauben, die am Ende
hergestellt wird.

Und wie nötig haben wir auch heute einen Beistand oder ein
Lebenselexier, wie es Paul Gerhardt beschreibt. Was wir jederzeit nutzen
könnten: im Streit, in Traurigkeit, wenn wir einsam sind oder uns etwas
fehlt oder auch wenn es uns gut geht und wir das Leben genießen, – zu
Haus und auch auf Reisen, wie es in Strophe 6 heißt. . Eine solche Kraft
geht vom Leiden Jesu aus, sagt uns Paul Gerhardt. Und es ist gut, dass wir
seine Worte haben und dann auch eigene dafür finden.

Singen der Strophen 6 u. 7.

Barbara Heller
Evangelische Akademie Hofgeismar
E-Mail:
Heller.akademie.hofgeismar@ekkw.de


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