Ein Start-Up-Unternehmen in der Strukturkrise

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Ein Start-Up-Unternehmen in der Strukturkrise

Predigt zu Apostelgeschichte 6,1-7 | verfasst von Udo Schmitt |

Früher war alles besser. Wir waren jung, hatten keine Sorgen und brauchten nicht viel. Wir hatten wenig, aber mit dem, was wir hatten, waren wir glücklich. Stimmt doch, oder?

In seiner Apostelgeschichte zeichnet der Schriftsteller und Chronist Lukas ein solches Bild von den Anfängen der Kirche. Wie alles begonnen hat: Die legendäre Urgemeinde, eine tolle Zeit. Sie waren täglich beieinander. Beteten viel und gern. Waren einmütig, es gab keinen Streit. Sie hatten alles gemeinsam, sie verkauften ihren Besitz – alles, was sie so hatten – und teilten es miteinander, je nachdem wie es einer nötig hatte. „Sie brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen.“ Sagt Lukas.

Doch auch er kann nicht ganz verbergen, dass das junge „Start-up-Unternehmen“, das einst mit wenigen Leuten am See Genezareth in Galiläa entstanden war, auch Wachstumskrisen und Umstrukturierungsphasen durchgemacht hatte. Harte Zeiten waren das. Und davon berichtet der heutige Predigttext.

Der CEO und Firmengründer selber, der zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr auf Erden weilte, war ein Visionär gewesen und hatte vieles aus der Kraft der Begeisterung heraus gemacht. Die von ihm eingesetzten Gewährsmänner und Vertrauensleute standen aber nun vor der Herausforderung, die Struktur der Firma neu zu organisieren angesichts des rasanten Wachstums in den letzten Jahren.

Dabei erwiesen sich einige der Leitlinien des Firmengründers als – nun ja – nur teilweise hilfreich. Der hatte immer wieder betont, man solle sich keine Sorgen machen um das Cash-Flow-Management und sich auch nicht vor Liquiditätsengpässen fürchten. Wer die Hand an den Pflug legt, der solle nicht zurückschauen, hatte er gesagt. Und man solle sich nicht um morgen sorgen, es sei ja schon genug, dass jeder Tag seine eigene Plag habe.

Also eine redliche Finanz-Planung kann man das nicht nennen. Aber anfangs schien es gut zu gehen. Erst nach und nach stellte sich heraus, dass einige der Vertrauensmänner und -frauen mit den Aufgaben überfordert waren. Zu einem ersten unschönen Vorfall kam es, als ein Ehepaar namens Hananias und Saphira sich der Verkollektivierung ihres Privatvermögens entzog und zu diesem Zweck unrichtige Angaben über dessen tatsächliche Höhe machte. Es gab zwar noch keine Nummernkonten in der Schweiz. Aber der Traum von einer kommunistischen Urgesellschaft stieß hier schon merklich an seine Grenzen.

Als weiterhin schwierig erwies sich, dass bei dem rasanten Wachstum zunächst nur wenig auf kulturelle Unterschiede der Mitglieder geachtet wurde. Berühmt wurde in diesem Zusammenhang das Schlagwort eines der ersten International-Business-Managers namens Paulus: „Hier ist weder Jude noch Grieche!“ Hatte er versichert.  Tatsächlich hatte es schon früh Stimmen gegeben, die gegen eine Öffnung des Unternehmens plädierten. Sie konnten sich aber nicht durchsetzen mit ihrem Ansatz einer Beschränkung der Aktivitäten auf den heimischen Markt.

Gleichwohl, und das erwies sich im Nachhinein als konfliktträchtig, blieb es dabei, dass Aufsichtsrat und Vorstand nur mit Männern besetzt wurden, die aus der Heimat der Firma und dem Judentum stammten. Dass nur Männer in Vorständen sitzen, störte dabei weniger, das kennen wir ja bis heute noch. Aber dass es auch weiterhin nur Juden-Christen aus Jerusalem und Galiläa waren, die die Geschicke aller weltweit leiten sollten, stimmte ja nicht mit dem überein, was Paulus behauptet hatte – in seinem Bemühen, die Unterschiede herunterzuspielen, um die Internationalisierung voranzutreiben.  Es gab also doch Unterschiede. Alle waren gleich, aber einige waren gleicher.

Tatsächlich hatte sich die Unternehmens-Strategie des Paulus als erfolgreich erwiesen und in der Sache durchgesetzt: Aus einer kleinen jüdischen Sekte war eine weltweite Religion geworden. Aber die Leitung bestand nach wie vor aus einem kleinen exklusiven Zirkel von Männern, die dem Firmengründer persönlich verbunden waren und die daraus ihre Autorität und Legitimation ableiteten. Und nicht etwa aus ihren sonstigen Kompetenzen und Führungsqualitäten.

Diese Verhältnisse änderten sich radikal, als im Jahr 70 n.Chr. die römischen Legionen unter Kaiser Vespasian die Stadt Jerusalem eroberten und den Tempel zerstörten. Fortan war es Juden – und also auch den Judenchristen – verboten, die Stadt zu betreten. Damit verlor auch die junge Kirche ihren Firmensitz. Wo sollten Aufsichtsrat und Vorstand von nun an zusammenkommen?

Es entwickelte sich in der Folge eine dezentrale Leitung, statt des einen Zwölferrats in Jerusalem kam nun den Presbytern und Diakonen in den einzelnen Gemeinden vor Ort eine größere Bedeutung zu. Presbyter, das sind die Ältesten, und Diakone, soviel verrät ihr Name schon, waren ursprünglich mit dem Tischdienst betraut. Tatsächlich waren sie mehr als bloße Kellner. Sie hatten vielmehr ihre Hauptaufgabe in der Finanzverwaltung. Insbesondere die Armenkasse, also die Sozial- und Rentenversicherung der Gemeinde oblag ihnen. Es gab Witwen und Waisen von verstorbenen Mitbrüdern. Deren Versorgung schien – je länger je mehr – zu einem Problem geworden zu sein. Wer klärt die Frage, wer alles anspruchsberechtigt ist? Wer prüft die Anträge, zumal wenn sie auf Griechisch gestellt werden? Wer verwaltet die Mittel und wer teilt die Gelder zu?

Lukas berichtet davon in dem Abschnitt, den wir gehört haben. Der Vorstand der Kirche, der Zwölferrat der von Jesus selbst eingesetzten Apostel, erweist sich als überfordert. Es wird eine zweite Leitungsebene eingeführt, zunächst sieben Männer, alle mit griechisch klingenden Namen, die fortan eine gewisse Entscheidungs- und Regelungskompetenz haben, ohne dass diese genauer definiert würde. Die Apostel beten und legen ihnen die Hände auf. Damit fährt zwar nicht der Heilige Geist in sie. Denn es wurde ja schon vorher vermerkt, dass die in Frage kommenden Kandidaten nicht nur kompetent sind und einen guten Ruf haben sollen, sondern auch voll Heiligen Geistes sind. Aber immerhin, eine Art Weihe oder Ordination scheint hier stattzufinden.

Darauf werden sich in späteren Jahrhunderten Bischöfe berufen, nicht zuletzt der Bischof von Rom, und behaupten, es gebe eine ungebrochene Kette der Handauflegungen, die so genannte Sukzession. Ist ja auch ein schönes, romantische Bild, eine Art heiliger Staffellauf über mittlerweile fast 2000 Jahre. Aber dass die Kette ungebrochen ist, gehört in den Bereich der römischen Legenden und alternativen Fakten. Tatsächlich gilt das Wort des Herrn, dass der Geist weht wo er will. Immerhin, soviel ist auch klar, soll dadurch eine gewisse „corporate identity“ gewährleistet bleiben.

Die Wahrung des Markenkerns ist ja wichtig für ein expandierendes Unternehmen. Dem widmen sich fortan die zwölf Männer des Vorstands in besonderer Weise. Sie sagen, dass sie fortan ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben wollen. Es ist aus heutiger Sicht nicht ganz klar zu bestimmen: Schwingt da eine gewisse Erleichterung mit? Sind sie froh, die unangenehmen Verwaltungsaufgaben los zu sein? Oder betonen sie eher trotzig das Bleiben-wollen, obwohl sie gerade ein Stück Macht abgeben mussten? Ist immerhin das ein Trost für sie, dass der „Dienst am Wort“ viel ehrenvoller ist als der „Dienst am Tisch“, die geistliche Leitung höher im Ansehen steht als die Verwaltung von Gütern und Finanzen?

Wie auch immer: Auf die Dauer erwies sich das Apostelamt als ein Auslaufmodell. Wie gesagt, dazu trug die Zerstörung Jerusalems maßgeblich bei. Aber auch sonst ist es fraglich, ob die charismatisch legitimierte Herrschaft einiger, weniger Männer zukunftsfähig für den „global player“ Christentum gewesen wäre. Es sind nicht immer die großen herausragenden und beeindruckenden Persönlichkeiten, die die Geschichte lenken. Auch das ist nur ein schönes, romantisches Bild.

Heute wissen viele Menschen, dass die unscheinbaren Männer und Frauen in den Ämtern, Banken und Verwaltungen nicht zu unterschätzen sind. Hier liegt oft die eigentliche Macht. Große Tradition ist schön. Schießt aber keine Tore (wie die Fans von Schalke oder dem HSV wissen). Aufrüttelnde Reden und begeisternde Auftritte sind schön. Bezahlen aber keine Rechnungen. – „The economy, stupid!“ Es ist die Wirtschaft, Dummkopf, auf die es ankommt. Diesen Satz prägte ein Berater des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Bill Clinton im Wahlkampf 1992. Schlaue Sprüche und schönes Aussehen zählen nicht, es sind die harten finanziellen Fakten, auf die es letztlich ankommt.

Hier noch eine kleine Zwischenüberlegung:

Die Erkenntnis, dass es auf die Wirtschaft ankommt, hat sich ja mittlerweile tief eingegraben in das kollektive Bewusstsein. Auch bei uns. Ich meine sogar, dass eine Ökonomisierung des Denkens stattgefunden hat. In vielen Lebensbereichen. Auch in denen, die davon vielleicht einmal unabhängig waren. Ich habe das mit meiner Predigt heute persifliert, indem ich die Geschichte der Urgemeinde als die Geschichte eines Start-Up-Unternehmens darstellte. Das war vielleicht ein bisschen frech und ging dem einen oder der anderen zu weit: Die Kirche ist doch keine Firma!

Nein. Sie ist weit mehr als das. Aber wir. Wir haben es uns angewöhnt – mittlerweile – alles, aber auch wirklich alles im Lichte der Ökonomie zu sehen und zu verstehen. Alles, was wir tun, muss profitabel sein, Profit bringen.  Wo nicht, wird gespart, gekürzt, geschlossen. Auch an Dingen, die wir alle brauchen, auch an Straßen, an Schulen, Bädern, an Kindergärten, Krankenhäusern, an Kirchensteuern. Was bringt mir das? Wozu soll ich dafür bezahlen? Bruche mer nit, fott damit (Rheinisch: brauchen wir nicht, fort damit). Aber Achtung! Die Länder, die da am weitesten sind, auf diesem Weg, der „privat vor Staat“ propagiert, das sind genau die Länder, die jetzt zu wenig Krankenhausbetten und zu wenig Pflegepersonal haben, und in denen Bildung ein Luxus bleibt, der nur reichen Kindern zugutekommt.

Es ist nicht nur das Portemonnaie. Das Schmerzen empfinden kann. Wir alle leiden, a la longue, auf die Dauer, wenn wir nicht aufeinander achten, auch auf die Armen und Alten, die Witwen und Waisen. Wir alle leiden, wenn jeder nur noch „sein Ding macht“. Wir brauchen Strukturen, die für alle da sind. Und nicht nur für die, die es sich leisten können. Das sollte eigentlich eine Binse sein. Und vielleicht habe ich da mit vollem Anlauf eine offene Tür eingerannt. Hoffentlich ist das so. Aber so ganz sicher bin ich mir da nicht mehr. Wir werden ja sehen, ob zum Beispiel dem Applaus für Pflegekräfte und den warmen Worten auch zählbare Taten und Tarifabschlüsse folgen.

Doch zurück zu der Situation damals:

Schon in der alten Kirche war es ein Problem, aber ein lösbares. Große Prediger, charismatische Licht-Gestalten mit klingenden Apostelnamen sind gut für Kirchenfenster und steinerne Statuen. Die kommen groß auf das Plakat. Aber die eigentliche Arbeit wird dann oft von anderen verrichtet. Den Unscheinbaren. Den Unbemerkten. Männern und Frauen. Doch gerade sie sind es. Auf die man zählen kann und mit denen man rechnen kann. Presbyter, Ehrenamtliche, Freiwillige, helfende Hände. Die sich um andere kümmern, die mitdenken, planen, besorgen, verwalten, gestalten.

Wir brauchten sie damals, wir brauchen sie heute. Und in Zukunft vielleicht mehr denn je. Kirche sein, Gemeinde gestalten bleibt immer wieder neu eine Herausforderung. Dazu brauchen wir Männer und Frauen, die nicht nur zählen können, sondern auch rechnen. Und die damit rechnen können, dass die Gemeinschaft sie achtet und trägt – mit ihnen betet und für sie betet – und dass Gottes Liebe sie leitet und schützt.

 

Liedvorschläge (neben den beiden Tagesliedern):

  • „Aufstehn, aufeinander zugehen“ (HuE 313),
  • „Brich mit dem Hungrigen dein Brot“ (EG 420),
  • „Wo Menschen sich vergessen“ (EG.E 29),
  • „Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehn“ (HuE 282),
    „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt (HuE 239, RWL 604).

 

Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.

Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)

udo.schmitt@ekir.de

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