Emil Nolde, Grablegung 1915

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Emil Nolde, Grablegung 1915

Trauer und Liebe | Totensonntag | 21.11.2021 | Predigt zu Emil Nolde, Grablegung 1915 | Joh 19, 38-42  | verfasst von Rainer Kopisch |

Liebe Gemeinde,

heute ist der letzte Sonntag des Kirchenjahres, der Totensonntag.

Der für den heutigen Tag vorgesehene Predigttext berichtet vom Lebensende Moses. Gott zeigt ihm das gelobte Land, das er nicht betreten soll. Mose stirbt und Gott selbst begräbt seinen Diener in einem unbekannten Grab. Die Israeliten beweinten Mose dreißig Tage im Jordantal der Moabiter.

Predigtbild: Emil Nolde, Grablegung, 1915 © Nolde Stiftung, Seebüll

Nicht dieser vorgesehene Predigttext soll Grundlage der Predigt sein, sondern ein Bild von Emil Nolde. Er hat es 1915 gemalt und nannte es „Grablegung“. Es gehört zu seinen wichtigsten Bildern. Er hat es nie verkauft. Es ist wie sein Bilderzyklus „Das Leben Christi“ aus den Jahren 1912/13 im Nolde Museum in Seebüll zu sehen.

Emil Nolde kannte seit jungen Jahren die Berichte der Evangelien sehr gut.

1909 wurde er durch eine Vergiftung mit schlechtem Wasser sehr schwer krank. Nach seiner Genesung begann Emil Nolde wie im Rausch ein religiöses Gemälde mit dem Titel „Abendmahl“ zu malen. Todesnähe und Religion spielten bei seinen ersten religiösen Gemälden eine große Rolle. Christus diente Nolde, wie auch anderen Expressionisten, als Identifikationsfigur. Dass er in seinem Bild „Abendmahl“ Christus mit dem Kelch malt, zeigt seine eigene Ergriffenheit im Zusammenhang von Tod und Trinken.

Er sagte später einmal, dass seine religiösen Bilder auf seine Erfahrungen in der frühen Kindheit zurückgehen. Beim Lesen der biblischen Texte habe er stets Bilder gesehen, die er später als Maler umgesetzt habe.

So haben sich auch in dem Bild „Grablegung“ biblische Texte durch den Maler gestaltet: Geschichten von Josef von Arimatäa, Nikodemus und dem Jünger, den er lieb hatte.

Emil Nolde gab auch dem „Jünger, den Jesus liebte“ aus dem Johannesevangelium einen wichtigen Platz im Gemälde. Er darf die rechte Hand Jesu halten. Sein Gesicht ist von Leiden und Schmerz gezeichnet. Eine andere Hand neben seinem Gesicht gehört Josef von Arimatäa, der im blauen Trauergewand hockend den in gelblichen Tönen gemalten Leichnam Jesu mit seinem Arm am Kopf umschließt und ihn in seinem Schoß stützt.

Nikodemus gleichfalls im blauen Trauergewand hockt gegenüber und hält in seinem Arm die Beine Jesu so, dass die Wundmale der Füße zu sehen sind. Er blickt mit traurig dunklem Gesicht auf das noch schmerzverzerrte Gesicht Jesu. Emil Nolde äußerte einmal: „Farben sind meine Noten.“ So ist es auch bei dieser Komposition. Blau nimmt er hier als Farbe der Trauer in den beiden Gewändern. Dieses Blau umschließt durch die malerische Gestaltung den gelblich gemalten Körper des Leichnams Jesu. Auch das rotbraune Haar des Lieblingsjüngers weist ausdrücklich auf die Liebe hin, von der die Geschichten Jesu in den Evangelien erzählen. Das Gesicht des Lieblingsjüngers aber zeigt den Schmerz der Liebe, der sich bei uns allen mit dem Tod von nahen Angehörigen einstellt.

Der Jünger, den Jesus lieb hatte, stand neben der Mutter Jesu Maria unter dem Kreuz, als Jesus laut rief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Sein Sterbenskampf beendete Jesus mit den Worten „Es ist vollbracht“, als er sein Haupt neigte und starb.

Das hatte der Jünger, den Jesus liebte, miterlebt.

So blickt der Lieblingsjünger im Bild von Emil Nolde fast beschwörend auf Jesus, um an das Reich zu erinnern, um dessen Kommen Jesus seine Jünger und damit uns zu beten gelehrt hat.

Nikodemus ist als der Alte Weise mit weißen Haaren dargestellt. Emil Nolde gibt Nikodemus durch die dunkel gemalte Farbe seiner Haut die Erinnerung an das nächtliche Gespräch mit Jesus, den er in der Dunkelheit aufgesucht hatte.

Dem Pharisäer Nikodemus hat Jesus in diesem Nachtgespräch gesagt, dass niemand in das Reich Gottes komme, wenn er den nicht neugeboren werde. Darauf stellte Nikodemus die Frage nach dieser Neugeburt. Wie kann das geschehen? Jesus hat ihm damals geantwortet indem er von Gottes Liebe sprach: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinem eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“

Die Frage nach dem eingeborenen Sohn scheint Emil Nolde Nikodemus so ins Gesicht gemalt zu haben, als bewege ihn eine dunkle Ahnung,

Von Josef von Arimatäa ist überliefert, dass er auf das Kommen des Reiches Gottes wartete. Das führte ihn mit Jesus so eng zusammen, dass er sich von dem römischen Stadthalter Pilatus die Erlaubnis holte, den Leichnam Jesu vom Kreuz abzunehmen, um ihn in einem Grab beisetzen zu können.

Was sagt uns das Gemälde am heutigen Totensonntag?

Was sagt es uns über Leben und Tod, über Abschied und Trauer, über Gehaltensein und Liebe?

Es sagt uns:

Sieh in Dein eigenes Leben.

Dann siehst Du all die eigenen Erfahrungen.

Sie haben Dir viele Gefühle gebracht, mit denen Du umgehen musstest.

Wo bist Du noch stecken geblieben?

Wo ist die Zeit der Trauer noch nicht zu Ende gekommen?

Wann hast Du Beistand und Begleitung erfahren?

Wann ist Gottes Liebe durch Dich oder an Dir erlebbar geworden?

Wir stehen mit diesen Fragen nicht allein.

Sie bewegen viele Menschen.

Wenn wir Gott um seinen Segen und die Kraft daraus bitten, werden wir weiter kommen mit diesen Fragen.

Wir werden den Trost der Liebe Gottes erfahren.

Das wünsche ich uns allen.

Amen.

Pfarrer i. R. Rainer Kopisch

Braunschweig

E-Mail: rainer.kopisch@gmx.de

Diese Ansprache ist der Versuch, eine Predigt allein von einem künstlerischen Bild her zu gestalten.

Literatur zum Predigtbild:

Emil Nolde, Die religiösen Bilder (Nolde Stiftung Seebüll und DUMONT),

Kirsten Jüngling, Biographie, EMIL NOLDE,  DIE FARBEN SIND MEINE NOTEN, Propyläen

Interessantes Interview „Wie Nolde die Bibel sah“:
Interview mit Manfred Reuther, 1912 Direktor der Nolde Stiftung:
https://www.shz.de/deutschland-welt/kultur/wie-nolde-die-bibel-sah-id132216.htm

Rainer Kopisch, Pfarrer in Ruhe der Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig,

Seelsorger mit logotherapeutischer Kompetenz, letztes selbstständiges Pfarramt: Martin Luther in Braunschweig,

in der Vergangenheit:

langjähriger Vorsitzender der Vertretung der Pfarrer und Pfarrerinnen in der Landeskirche,

Mitglied in der Pfarrervertretung der Konföderation der Landeskirchen in Niedersachsen,

Mitglied in der Pfarrvertretung der VELKD, Mitglied in der Fuldaer Runde.

Seit Beginn meines Ruhestandes vor 15 Jahren schreibe ich Predigten im Portal der Göttinger Predigten. Diese Arbeit ist mein Dank für die Liebe Gottes, die mich in meinem Leben begleitet hat.

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