2. Könige 5, 9-15.19

Home / Bibel / Old Testament / 12) 2. Könige / 2 Kings / 2. Könige 5, 9-15.19
2. Könige 5, 9-15.19

Predigt am dritten Sonntag nach Epiphanias | 21.01.24 | 2. Kön. 5, 9-15.19 | A. Roggenkamp |

Der Predigttext des heutigen dritten Sonntags steht im 2. Buch der Könige. Er berichttet von einer „Begegnung“ zwischen dem aramäischen Heerführer Naaman aus Syrien und dem Propheten Elis(ch)a aus I srael:

9 Und Naaman kam mit seinen Pferden und seinem Wagen und stellte sich an Elischas Hauseingang. 10 Und Elischa sandte einen Boten zu ihm: „Geh und wasche dich sieben Mal im Jordan, damit dein Fleisch zu dir zurückkehrt und du rein wirst.“ 11 Da wurde Naaman zornig und ging und sprach: „Siehe, ich dachte: Er wird gewiss hinauskommen und sich hinstellen und den Namen JHWHs, seines Gottes, anrufen und seine Hand zu der Stelle bewegen und den Aussatz heilen. 12 Sind denn Abana und Parpar, die Flüsse von Damaskus, nicht besser als alle Wasser Israels? Kann ich mich nicht in ihnen waschen, damit ich rein werde?“ Und er wandte sich ab und ging fort im Zorn.

13 Da traten seine Knechte heran und redeten mit ihm und sprachen: „Mein Vater, wenn der Prophet eine große Sache zu dir gesagt hätte, würdest du es nicht tun? Und nun, da er [nur] zu dir sagte: Wasche dich und werde rein?“ 14 Und er ging hinab und tauchte sieben Mal im Jordan unter, wie der Gottesmann gesagt hatte. Und sein Fleisch kehrte zurück wie das Fleisch eines kleinen Jungen und er wurde rein.

15 Da kehrte er zum Gottesmann zurück, er und sein ganzes Lager, und er kam und stellte sich vor ihn und sprach: „Siehe, jetzt weiß ich, dass es keinen Gott gibt auf der ganzen Erde, außer in Israel. Und so nimm doch eine Segensgabe von deinem Knecht.“ … 19 Und er sagte ihm: „Geh in Frieden!“[1]

(Ambivalente) Vorgeschichte(n)

Der dritte Sonntag nach Epiphanias ist ein wichtiger Teil des Weihnachtsfestkreises.  Vielleicht träumt der ein oder die andere von den frischen Tannenzweigen, brennenden Weihnachtskerzen, geknackten Nüsse oder erinnert sich an das wohlige Gefühl nach dem Kirchgang am Heiligen Abend. Und auch wenn wir uns eigentlich in einer Hochzeit des Kirchenjahres befinden, fällt es uns schwerer als in anderen Jahren, die Botschaft von Weihnachten mit ins Neue Jahr zu nehmen.

Nach Sylvester drohten die Deiche in vielen Teilen Norddeutschlands zu brechen. Die Bauern riefen zum motorisierten Aufstand auf. Und der im Herbst scheidende Chef der Lokführergewerkschaft lässt es zu seinem beruflichen Ausstand noch einmal so richtig krachen. Still stehende Schienenfahrzeuge legten in der vorletzten Woche auf sein Geheiß hin fast die gesamte Republik lahm. An die Verbreitung der frohen Botschaft, gar an ihre Ausbreitung des Glaubens unter den Völkern – wie das liturgische Motto des heutigen Sonntags lautet – ist unter diesen Umständen kaum oder allenfalls mit digitalem Vorbehalt zu denken.

Der aramäische Feldherr Naaman könnte eigentlich ein glücklicher Mensch sein. Den letzten Feldzug hat er für seinen König gewonnen, ihm gelingt Vieles, beim aramäischen König ist er hoch angesehen. Und auch wenn er seine Truppen fest im Griff zu haben scheint, wirkt er oft einsam. Denn Naaman fühlt sich zurück gesetzt. Die meisten meiden seine Nähe, gehen zu ihm auf körperliche Distanz. Seit längerem ist Naaman von einem Geschwür gezeichnet, das ihn entstellt und einfach nicht heilen will. Die Siege feiert er allein. Er ist weit davon entfernt, die militärischen Erfolge nach den aramäischen Sitten und rituellen Gebräuchen mit anderen zu teilen.  Die Gemeinschaft, in der er in Damaskus lebt, verfügt über subtile Ausgrenzungsmechanismen. Die Stimmung in seinem Haus kann mit Fug und Recht als deprimiert beschrieben werden.

Der Escape-Modus ein richtiger Weg? Ambivalente Reaktionen

Die German Angst hat weite Teile der Gesellschaft fest im Griff. So äußerte selbst eine mehrfach ausgezeichnete, professionelle Kommentatorin, dass sie bei den meisten Nachrichten im deutschen Fernsehens am liebsten davon laufen würde. Sie   bezog sich auf Nachrichten, die das Neue aus dem Alten Jahr übernommen hat. Nachrichten über die stetigen, nun schon fast allgegenwärtigen Dauer-Krisen: der brutale russische Angriffskrieg, der sich auf den Libanon auszuweiten drohende Gaza-Krieg, vom Klimawandel oder der Krise in unserem Gesundheitswesen ganz zu schweigen. Ob die beliebte Kommentatorin ihren Posten wechselt, weil sie die allabendliche Überbringung schlechter Nachrichten nicht mehr erträgt? Es wäre jedenfalls konsequent, auch wenn mir ihre nüchtern vorgetragenen Analysen fehlen werden.

Und auch Naaman hält es nicht länger aus. Als ein aus Israel verschlepptes Mädchen, eine Kriegsgefangene, von einem gottesfürchtigen Wundertäter berichtet, geht er zum aramäischen König und quittiert vorerst seinen Dienst. Denn Naaman möchte den Erzählungen vom Gottesmann dieses an und für sich feindlich gesonnenen Volkes nur zu gerne Glauben schenken. Was für eine Überwindung mag es ihn gekostet haben?!

Wer stiftet Ordnung in zerfasernden Strukturen?

Schaut man sich die aktuelle Situation in unserer Gesellschaft an, so überkommen vermutlich nicht nur mich mulmige Gefühle darüber, was ihr gerade widerfährt; ja Zweifel daran, was hier eigentlich geschieht. In den letzten Wochen und Monaten haben mir durchaus nahe stehende Personen Meinungen geäußert, die mich irritieren – weniger wegen ihrer Nähe zu radikalen Positionen – schlimm genug – als vielmehr ob ihrer ohnmächtigen Aggression. Und auch in mir selbst entdecke ich bisweilen Gedanken, die eine tiefe, bisweilen fast verzweifelte Frustration offenbaren. Keine diffuse Angst – wie die viel beschworene Abstiegs- oder German Angst –, sondern eine Wut über das Verhalten derer, denen die politische Situation allmählich, aber zunehmend zu entgleiten droht. Ein Zugeständnis hier, die Zurücknahme einer Entscheidung dort, ein klarer Ziel gerichteter Wille fehlt, Zögerlichkeiten gibt es allenthalben.

Und da stimmt es schon fast hoffnungsfroh, wenn sich in unserem Predigttext das Diffuse allmählich zu lichten scheint: Als der aramäische Herrscher den König Israels – um Naamans willen – brieflich um Hilfe bittet, wittert dieser eine Falle, so dass er öffentlich seine Kleider zerreißt.  Naamans demütiges Werben droht in sein Gegenteil verkehrt zu werden. Aberauf einmal werden Ordnungen eingehalten, folgt das Geschehen einem erkennbaren Plan. Denn in diesem Moment schaltet sich Elischa ein. Von niemandem direkt um etwas ersucht, ruft er den aramäischen Heerführer zu sich und zu seinem Haus. Und Naaman geht hin „mit seinen Pferden und seinem Wagen“.

Wandlungen oder Transformationen?

Unsere Gesellschaft wandelt sich. In einer Situation, in der unsere bisherigen Ordnungen und Gepflogenheiten von innen und außen  erschüttert werden, nutzen die Vertreter extremer Parteien ihre Chance und zeigen vermeintlich Führungsstärke. Programme für eine neue Ordnung werden entwickelt, die alles Fremde mit politischen Mitteln entsorgen möchten. Sind wir blind geworden für das, was sich in der Mitte unserer Gesellschaft zusammenbraut oder haben wir unter dem äußeren Druck unsere Ideale verloren?

Und auch Naaman kommt ins Grübeln: Warum kommt der von allen Seiten angepriesene Wundertäter nicht einfach aus seinem Haus heraus? Warum hilft er ihm nicht, ihm, der extra aus Syrien gekommen ist? Warum verhält sich Elischa so anders, als er, Naaman, es von einem Gottesmann erwartet? Warum ruft er seinen Gott nicht für ihn an? Treibt Elischa sein Spielchen mit ihm? Aber es kommt noch schlimmer: Naaman schwillt an vor Zorn. Was hat dieser israelitische Prophet gesagt? In diesen Fluß soll er sich wagen? Was bildet er sich ein, dieser Elischa? Wie kommt dieser angebliche Gottesmann dazu, ihm, dem großen Heerführer, etwas so Absurdes vorzuschlagen? Waschen soll er sich? Und das gleich siebenmal?

Doch irgendwie gelingt es Naamans Knechten, Elischas Weisungen Gehör zu verschaffen. Die Knechte kennen ihren Herrn. Auf alle Fälle  erwischen sie ihn dort, wo Naamans Selbstbild durch Elischas Handeln ins Wanken gerät: „Mein Vater, wenn der Prophet eine große Sache zu dir gesagt hätte, würdest du es nicht tun? Und nun, da er [nur] zu dir sagte: Wasche dich und werde rein?“ Vielleicht sind sie ähnlich verzweifelt wie ihr Herr, vielleicht ist aber auch ihre Not einfach übergroß. Mich jedenfalls erinnern Naamans Knechte an die Begleiter jenes Gelähmten, zu dem Jesus sagen wird: „Stehe auf, nimm  Dein Bett und geh!“

Wer aber ist eigentlich die Lichtgestalt? Hand aufs Herz…

Elischa gehört zu den religiösen Spezialisten, zu jenen, die es vermögen zwischen Gott und den Menschen zu vermitteln. Er weiß, dass seine Botschaft göttlicher Herkunft ist, und er fühlt sich von Gott beauftragt, diese Botschaft auch wirksam auszurichten. Und dies selbst dann, wenn sein Anspruch, da er im Vorhinein schwer zu überprüfen ist, von den Angeredeten zurück gewiesen wird. Als Angehörige ihres Volkes sind Propheten wie Elischa dem Gott Israels gegenüber verpflichtet, weiteren Schaden von den Menschen abzuwenden. Ihre Handlungen begreift man nur dann, wenn man sie – wie die Propheten – dem Anspruch nach auf den mächtigen Gott ihres Volkes bezieht.

Im Umgang mit Adressaten und Institutionen aber kann Elischa selbst entscheiden, wie und wodurch er mit den Adressaten kommuniziert. Da der aramäische Heerführer Naaman keine eigene Beziehung zu Elischas Gott entwickelt, schickt er dessen Knechte, um ihn in das rechte (Resonanz-)Verhältnis zu bringen. Ob die Knechte ihrem Herrn seine eigene Eitelkeit hinreichend eindrucksvoll vor Augen führen? Ob sie schlichtweg fürchten, was ihnen geschehen könnte, wenn Naaman weiterhin in seiner großmannssüchtigen Selbstbezogenheit verharrt? Vermutlich wissen sie aber – auch aus eigener Erfahrung –, wie sich ein Leben anfühlt, das nicht nur in der Fremde verletzlich ist. Elischa hält in den Dienern Naamans nicht nur ihrem Herrn, sondern auch unserem Verhalten einen freundlich-ironischen Spiegel zur selbstkritischen Einsicht vor.

Die Gemeinschaft der Christen hat nicht erst in den Kirchen der Reformation, sondern immer schon betont, dass die Propheten das Kommen Christi vorausgesagt haben. Und dies selbst dann, wenn sich die Botschaft der Propheten stärker an der Nähe zu Gericht und Gesetz orientierte. Anstatt die German Angst in der Mitte unserer Gesellschaft mit all ihren Konsequenzen widerstandslos hinzunehmen, sind wir eingeladen, unsere Stimmen für all jene zu erheben, die in ihrer Verletzlichkeit von den Folgen politischer Planlosigkeit ganz konkret betroffen sind.

Was würden wir darum geben, wenn wir einen wie Elischa als Ratgeber hätten, jemand, der uns heil macht, indem er unsere stumme Verzweiflung in Zuversicht transformiert. Wir sind aber nicht Naaman, dem Elischa dessen eigenen Knechte schickt. Wir haben vielmehr in Jesus Christus einen selbstlosen König, der sich als liebender Herrscher und in, mit und durch seinen Heiligen Geist als umsichtiger (An-)Führer erweist. Durch ihn besitzen wir jene unerschrockene Zuversicht, dass er, der sich uns an Weihnachten in seiner menschlichen Verletzlichkeit geoffenbart hat, zu seiner Verheißung steht: Ehre sei Gott, damit endlich Frieden werde auf Erden.

Und die Liebe Gottes, welche größer ist als all unsere Vernunft, sei mit uns allen!

 —

[1] Die Übersetzung folgt dem Text der Exegese für die Predigt. https://www.bibelwissenschaft.de/ressourcen/efp/reihe6/3-nach-epiphanias-2-konige-5

en_GBEnglish (UK)