Die Herrlichkeit Jesu ist die Liebe

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Die Herrlichkeit Jesu ist die Liebe

Lätare 2021 | Johannes 6,1-15 (dänische Perikopenordnung) | von Jens Torkild Bak |

Der Evangelist Johannes ist nicht der einzige, der von einem Speisungswunder erzählt. Das kennen wir auch aus den anderen Evangelien. Aber das Besondere bei Johannes ist die Art und Weise, in der er sowohl das Wunder der Speisung als auch die anderen Wunder inszeniert, von denen er berichtet. Er nennt sie „Zeichen“, wie wir dies zwei Mal im heutigen Text hören.

Mit diesem Begriff stellt er die Wunderberichte in einen bestimmten Zusammenhang der Auslegung, womit der seine Leser und Zuhörer zum rechten Verständnis dieser Erzählungen verhelfen will, vor allem aber will er damit verhindern, dass das Verständnis dieser Berichte außer Kontrolle gerät. Letzteres wird an dem deutlich, was heute als Folge des Speisungswunders zu geschehen beginnt, das die Leute mit einer solchen Begeisterung erfüllt, dass sie ihn allein aus diesem Grunde zu ihrem Führer und König machen wollen. Durchaus verständlich, aber er will kein König sein durch Brot und Zirkus und flüchtet in die Berge. Er weder will noch kann diese Erwartungen erfüllen. Er will etwas anderes.

Erlauben Sie mir, vier Kapitel zurückzuspringen im Johannesevangelium, näher bestimmt zur Erzählung von der Hochzeit zu Kana, die in Bezug auf die Wunderberichte eine besondere Rolle spielt, nicht nur weil es die erste Wundergeschichte ist, sondern weil sie eine Art Schüssel für das Verständnis der folgenden Geschichten ist.

Die Erzählung von der Hochzeit zu Kana erfordert an sich kaum viel Gedächtnishilfen. Zumindest erinnert man sich an die berühmten Worte: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie trunken sind, den geringeren. Worte, die uns heimsuchen, die wir nicht zu dem weinkundigen Teil der Bevölkerung gehören, wenn wir Gäste einladen und einsehen, dass eine Flasche nicht reicht. Denn womit soll man beginnen, wenn man nun nicht zwei Faschen vom selben Wein hat – und keine Ahnung hat, was sich hinter den verschiedenen Etiketten verbirgt.

Und doch handelt die wunderbare Erzählung von der Hochzeit zu Kana in Wirklichkeit weder um ein Gastmahl noch eine Verwandlung von Wasser in Wein. So wie das Speisungswunder nicht davon handelt, wie fünf Gerstenbrote und zwei Fische soweit gestreckt werden können, dass sie eine Volksschar von fünftausend Leuten sättigen – und sogar reichlich mehr als sättigen können. Jedenfalls sollen wir uns nicht bei diesem mystischen Mirakel aufhalten, weder in dem einen noch in dem anderen Fall. Ganz offenbar nicht. Es geht um etwas anderes. Und wenn man diesem anderen auf die spur kommen will, ist es nützlich, auf die Hochzeit zu Kana zurückzublicken, weil hier das Wort „Zeichen“ eine ganz andere und entscheidende Bedeutung mit auf den Weg bekommt, nämlich das Wort „Herrlichkeit“. Die Erzählung schließt nämlich mit diesen Worten: Das ist das erste Zeichen, d.h. das Wunder der Verwandlung, das Jesus tat. Es geschah zu Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit.

Dass Jesus Wasser in Wein verwandelt ist also nur ein – „Zeichen“. Wenn man deshalb damit anfangen will, näher nach dem Wunder selbst zu fragen, hat man die Sache missverstanden. Interessant ist nur, was das „Zeichen“ bedeutet: Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat. Es geschah zu Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Eine etwas komplizierte Formulierung des Evangelisten, aber er Sinn ist ja deutlich: Der Zweck dieses Zeichens und der anderen Zeichen, die ihm folgten, hierunter auch das Speisungswunder, ist ausschließlich der, uns die „Herrlichkeit“ Jesu zu zeigen. Und wir werden gleich darauf zurückkommen, was das bedeutet.

Zunächst jedoch einige Worte zum Begriff Zeichen. Wenn jemand einem ein Zeichen gibt, ist es entscheidend, dass man das Zeichen versteht. Bedeutet es, dass man aufhören soll, weitermachen oder sein Verhalten ändern soll bei dem, was man gerade tut? Bedeutet es, dass man sich in einer bestimmten Situation sofort eingreifen soll, oder dass man sich vielmehr zurückhalten soll? Bedeutet es Missbilligung oder Aufmunterung, Kritik oder Anerkennung? Gab Trump seinen Anhängern an jenem berüchtigten Tage vor dem Marsch auf das Kapitol und dem Sturm auf das Kongressgebäude ein Zeichen, und was bedeutete dann in diesem Fall das Zeichen?

Gab die dänische Ministerin Inger Støjbjerg ihren Beamten ein Zeichen, ehe sie das taten, was sie getan haben, nämlich das Gesetz zu brechen? Zeichen können entscheiden zwischen Krieg und Frieden.

Auch im Alltag können Zeichen entscheidend sein. Wenn die Hausfrau ohne ein Wort einem den Wäschekorb vor die Augen stellt, weiß man ja, was das bedeutet. Andere Situationen sind schwerer zu deuten. Was im Umgang zwischen Menschen das größte Problem ist, die einander kulturell fremd sind, ist dies, dass man unmittelbar nicht mit den Zeichen und Codes der anderen vertraut ist und eben deshalb eben oft einander in der Situation völlig missversteht. In ihrer Rede zum Abschluss eine Liturgiekonferenz vor einigen Wochen in Odense erzählte die Bischöfin Tine Lindhardt, wie sie mit ihrem Hintergrund in einem kirchenfremden Milieu sich völlig fehl am Platz fühlte, als sie zum ersten Mal mit dem Gottesdienst der Volkskirche Bekanntschaft machte, ohne unmittelbar imstande zu sein, seine Zeichen zu deuten. Das sollten alle wir kirchlich erzogenen Leute nicht vergessen. Wie geht es jemandem, der die Zeichen nicht kennt und sich deshalb fremd fühlt?

Die Geschichte von der Hochzeit zu Kana begann, wie man sich erinnern wird, mit einem eigenartigen Wortwechsel zwischen Jesus und Maria, seiner Mutter. Sie haben keinen Wein mehr, sagte sie zu ihm – und forderte ihn auf, den Wirtsleuten aus dieser peinlichen Situation herauszuhelfen, dass sie nicht genug Wein eingekauft hatten. Das tat er bekanntlich auch; ohne zu zögern, befahl er den Dienern, was zu tun sei. Aber seiner Mutter Maria gab er nichtsdestoweniger eine merkwürdige abweisende Antwort. Er sagte: Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Er tat das, worum sie ihn gebeten hatte – erzählte ihr aber gleichzeitig, dass er nicht für so etwas gekommen sei. Für das, wofür er gekommen ist, ist die Zeit noch nicht gekommen. Und der Evangelist ergänzt das mit der Auskunft, die wir nun alle kennen, dass das Wunder der Verwandlung nur ein Zeichen ist, der Beginn einer langen Reihe von „Zeichen“, die auf die „Herrlichkeit“ Jesu hinweisen. Und damit sind wir wieder bei diesem Schlüsselbegriff der „Herrlichkeit“. Ein Wort, das eine besondere, wenn man so sagen kann, besonders tiefe Bedeutung hat im Johannesevangelium. Nicht zuletzt hier in der Fastenzeit, wo wir auf Ostern zugehen.

Denn das, worauf alles im Johannesevangelium wartet und worauf es hinweist, ist der Tod Jesu am Kreuz. Erst der Tod Jesu am Kreuz offenbart seine wahre Identität, die in seiner unbedingten Liebe zum Menschen besteht, in seinem Willen, alles zu tun, was die Liebe gebietet. Die Offenbarung dieser Liebe nennt Johannes die „Herrlichkeit“ Jesu. Die Liebe, die alles erträgt, überwindet und vollbringt. Die Liebe, die unser tägliches Brot ist und ohne die unser Leben eine Wüste wäre. Ein Leben ohne Liebe ist ein Leben, wo man menschlich aushungert.

Jesus macht mit anderen Worten einen Unterschied in der Welt – nicht weil er Essen verteilt (denn Essen allein kann ohne Trost und Ermunterung sein, ganz gleich wie reichlich es ist), sondern weil die Liebe einen Unterschied macht. Ja, das ist insofern die unsichtbare Überschrift über jede Episode in allen Evangelien, besonders aber im Johannesevangelium: Die Liebe macht den Unterschied.

Deshalb ist der Evangelist ganz besonders darum bemüht, uns zu erzählen, dass das mirakulöse Verwandlungswunder nur ein Zeichen ist, das nichts ist in sich selbst, bzw. in sich selbst gleichgültig und Vergangenheit ist.  Nur wenn wir durch dieses Zeichen auf den Unterschied aufmerksam werden, den Jesus im Leben der Menschen ausmacht, in dem er sich in den Dienst der Liebe stellt, haben wir die Botschaft verstanden. Und wir werden selbst Teil der Geschichte. Also wenn wir hören, dass die Liebe einen Unterschied macht – und wenn wir beginnen, über den Unterschied nachzudenken, den wir selbst im Leben machen. Für Freunde und Feinde. Für die Gegenwart und die Zukunft.

Das kann natürlich der Anfang einer endlosen Selbstprüfung sein. Aber ich denke dennoch, dass die Erzählung, statt vor allem zur weiteren Selbstprüfung aufzurufen, eine mehr aufmunternde und erbauliche Herausforderung darstellt. Nämlich eine Herausforderung, nicht nur das, was wir sehen und erleben (und was uns oft zum Halse heraushängt), wörtlich zu verstehen, sondern das Zeichen darin zu sehen. Mit anderen Worten und ganz konkret: Hinter dem, was wir sehen, erleben und worin wir stehen, immer die Hoffnung sehen. Die Hoffnung, die davon lebt, dass die Liebe alles glaubt, hofft und überwindet. Wenn wir in der Welt existieren sollen, ohne von der Welt erdrückt zu werden, müssen wir mehr sehen, als wir sehen. Nicht nur das Brot, sondern die Menschen sehen, mit denen zusammen man es essen kann. Überall geht es darum, die Liebe mitlesen zu lassen und die Zeichen zu verstehen. Einen schönen Sonntag. Amen

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