Gerüche, Getuschel…

Home / Bibel / New Testament / 02) Markus / Mark / Gerüche, Getuschel…
Gerüche, Getuschel…

Gerüche, Getuschel und Genugtuung | Predigt mit Lied über Markus 14, 3–9 | verfasst von Manfred Mielke |

Liebe Gemeinde,

mit dem heutigen Sonntag beginnt die Karwoche. Als „Palmsonntag“ erinnert er uns an Jesu Einzug in Jerusalem, der ja vor aller Augen geschah. Im Verborgenen allerdings beschließen die jüdischen Wortführer, ihn „mit List“ zu ergreifen und töten zu lassen, wozu einer seiner Jünger sich als Mittäter anbietet. – Der Evangelist Markus verfolgt diese Intrige, fügt aber dann dazwischen seinen Bericht über die Salbung Jesu ein. Davon schreibt er so:

Als Jesus in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und lag zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Glas mit unverfälschtem und kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Glas und goss es auf sein Haupt. Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Denare verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. – Jesus aber sprach: Lasst sie in Frieden, warum bringt ihr sie in Verlegenheit? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. – Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt für mein Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat. (Markus 14, 3–9)

 

Liebe Gemeinde,

wir leben im Auf und Ab der Corona-Krise. Wir hoffen, dass nach dem weltweiten Leiden ein neues Aufatmen einsetzt; für jeden Betroffenen als persönlichen Ostermorgen. Die Salbung in Bethanien war ein Schlüsselerlebnis zunächst für Jesus selbst. Wir können aber hinhören, ob einige Aspekte der Geschichte uns helfen können in unseren aktuellen Sorgen. Dazu fragen wir beim Pensionswirt nach, bei den Männern und Jesus, beim Salböl und der Frau.

 

Liebe Gemeinde,

warum wird uns der Hausbesitzer so ausführlich genannt? – Simon bietet sein Haus als Schlafstelle an für die Zeit des Passahfestes im nahen Jerusalem. Und da es mehrere gibt, die Simon heißen, markiert ihn der Evangelist Markus mit dem ortsbekannten Zusatz: „Simon, der Aussätzige“. Seine Lepra-Erkrankung dürfte abgeheilt sein; nun liegt Jesus in seinem Haus entspannt zu Tisch. Er tafelt nicht allein, auch für die Anderen ist es ein mutiger Schritt zurück in die Normalität. Das finde ich bemerkenswert.

Des Simon Aussatz‘ ist vorbei, sein Essen ist koscher und macht die Runde. Aber dieses unvermutete Parfüm weckt doch Erinnerungen an den Gestank, der vorher alles durchdrang – damals, als er unter Hausarrest stand. Nun aber verströmt das Salböl auf Jesu Kopf so etwas wie einen „Wohlgeruch Christi“. Den werden alle, auch Simon, genüsslich eingeatmet haben. Auch wir – als weitere Gäste – immer dort, wo ansteckendes Elend besiegt wird. Der ausführliche Name „Simon, der Aussätzige“ weckt also unsere Sinne für eine Überraschung und stellt den Mut Jesu heraus.

 

Liebe Gemeinde,

und was ist der Sinn des Salböls? Es entstammt der Nardenpflanze, die im Himalaya wächst. Sie im Hochgebirge zu ernten und ihr das wenige Öl zu entziehen, machen das Parfüm so wertvoll. Und deswegen wird es in kleinen Alabaster-Flacons aufbewahrt. Die Frau ehrt den Rabbi Jesus nicht wie üblich mit kalt gepresstem Olivenöl, sondern mit dem überschwänglichen Mehrwert des Nardenöls.

Viele Männer haben über sie spekuliert. Mal erschien sie ihnen als Sklavin, die vor ihm kniete, seine Füße einölte und mit ihrer Lockenpracht trocknete. Wahlweise auch als Luxus-Prostituierte, denn „man“ weiß ja, wie „so eine“ an ein Parfüm gelangt im Wert eines Jahresgehalts. Übrigens: Im Musical „Jesus Christ Superstar“ (1) beschwichtigt sie ihn als singende Aroma-Therapeutin mit dem Refrain: „Everything‘s alright“. Alles ist gut, alles wird gut. Doch Markus verzichtet auf jedes Klischee, umso mehr lässt er sie in ihrem Handeln erstrahlen.

Und Jesus? Er lässt sie gewähren, er genießt ihre Verehrung schweigend. Erst die Aggressionen der Männer veranlassen ihn, Position zu beziehen. Nach der Inschutznahme der Frau erteilt er ihnen eine sarkastische Bibellektion; und als Schlusspointe fügt er an: „Sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt für mein Begräbnis.“ Die Frau hatte mit ihrem Parfüm nur ihre überragende Wertschätzung für Jesus überfließen lassen. Erst Jesus interpretierte ihr Parfüm spontan als Salböl für die letzten Handgriffe bei seiner bevorstehenden Grablegung. Als dazu mehrere Frauen mit Salböl zu seinem Leichnam kamen, war er bereits auferstanden. Ohne ihm ein „Gutes Werk“ antun zu können, gingen sie nach Hause. Seine Salbung war bereits getan – durch die Frau in Bethanien.

In wenigen Sekunden ändert sich der Sinn des Parfüms erheblich. Was können wir daraus lernen? Vielleicht das: Wir haben andere Ressourcen, die wir eventuell als schlicht einschätzen. Aber beim Verschenken entwickeln sie eine unvermutete Wirkung. Gottes Gegenwart macht unsere einfachen Gesten so segensreich. Das ist wunderbar.

 

Liebe Gemeinde,

und die Männer? Markus charakterisiert sie zunächst durch ihr Verhalten: sie werden mürrisch, sie tuscheln halblaut, dann fahren sie sie grimmig an. Dabei fällt auf, dass sie nicht zu den üblichen Verdächtigen gehören. Es spielt für Markus keine Rolle, ob sie Jünger sind oder Nachbarn oder Jesu Gegner. Für ihn gehören sie zur Gattung der „Männer“. Auch durch ihre gespielte Empörung charakterisiert er sie: „Was soll diese Vergeudung des Salböls? Die 300 Denare hätte man den Bettelarmen geben können.“ Wir sehen unter den Männern auch nicht Einen, der aufsteht, mit dem Diakoniebeutel rumgeht und für einen Anfang sorgt. Da ist auch nicht Einer, der sich Zachäus als Vorbild nimmt (2) und verspricht: „Die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen!“ Da ist auch nicht Einer, der sagt: „Ich habe noch 30 Silberlinge in meinem Beutel, wer verdoppelt?“ Keiner war da. Meist fehlt der Eine, und wir schauen auch oft zuerst nach links und rechts.

Die Männer verurteilen die Gabe der Frau als sinnlose Vergeudung. Gerne würden sie die 300 Denare als eigene Spende weiterleiten; fremdes Geld darf ja anrüchig sein. Sie dünken sich auf einem hohen Berg, als läge ihnen „aller Reichtum“ zu Füßen. Doch Jesus macht ihnen ihr „moralisches Regime“ streitig. Mit einem Blick rüber nach Jerusalem sagt er: „Bettelarme habt ihr doch jederzeit bei euch, auf dem Passahfest sind sie nicht zu übersehen.“ Und aufblickend zur Frau, die neben ihm steht, sagt er: „Danke, Du hast mir gutgetan.“ Und mit einem Blick auf sich selbst sagt er: „Sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt für mein Begräbnis.“

Jesus ist der einzige Mann mit Durchblick. Dadurch, dass er die Parfümspende als Salbung seines Leichnams deutet, macht er sie zu einem prophetischen Ereignis. Und die Frau zu einer Prophetin. Und sich selbst zum Gesalbten Gottes. Jesus ist sich sicher: Nach seinem Tod wird er für Gott derselbe sein, der er vorher war: Der Christus Jesus, der Gesalbte Gottes. Er kann jetzt aufstehen und seinen Leidensweg gehen. Uns hilft das, ihn innerlich mitzugehen.

 

Liebe Gemeinde,

Jesu Ansage seiner Tötung ist so konfrontierend, dass alle verstummen. Die Frau versteht Jesu Worte als „Geh hin in Frieden!“ Nur der Wohlgeruch ist noch da und die Männer. Und wir? Was machen wir als Nächstes? Vor der Krise, mittendrin – und als Genesende?

Jesus können wir nicht kopieren, so nicht. Aber seine Gewissheit, dass er derselbe ist im Himmel wie auf Erden, die hilft uns sehr. Ihm anzugehören ist unser „einziger Trost im Leben und im Sterben“. Für diese Gewissheit müssen wir nicht ableben, aber durch sie werden wir aufleben.

Die Männer? Die Männer sollten wir nicht kopieren. In einem Bibelkommentar (3) fand ich zusammenfassend: „In der Passion Jesu bewähren sich die Frauen.“ Bleibt die Frau – sie nachzuahmen lohnt sich. Jesus hätte sie zwar mit einer Volksweisheit loben können: „Die Engel werden Gott von ihr berichten!“ Aber damit hätte er sie in den Himmel erhoben. Als dann Jahre später die ersten Missionare vorankamen, sagten sie untereinander: „Wo immer wir predigen werden auf der Welt, wir werden ihr ehrendes Andenken bewahren.“ Aber damit hätten sie sie in ihre Ahnengalerie verschoben.

Die Salbung selbst braucht solche Schlusskommentare nicht, und die Frau auch nicht. Aber wir brauchen diese Frau in unserer Mitte. Wir brauchen sie mit ihrem Mut zu kleinen Gesten. Sie machte nur wenige Handgriffe, die zugleich hoheitlich waren. Sie nachzuahmen lohnt sich. Das deutet sehr treffend ein neues Passionslied (4) an, das wir gleich auch singen werden. Einige Zeilen davon lauten so: Kostbar war der Moment, als sie das Haus betrat, das Salböl in den Händen, um Liebe zu verschwenden… Gepriesen, was sie tat. – Kostbar war der Moment, als sie das Siegel brach und Duft das Haus erfüllte, sie zärtlich Ängste stillte… Erinnerung wirkt nach. – Kostbar war der Moment, als Jesus sie bewahrt, sie schützte und sie ehrte, als sie sein Danke hörte… als Gott den Raum betrat. Amen.

 

Anmerkungen:

  1. “And it’s cool, and the ointment’s sweet for the fire in your head and feet. Close your eyes, close your eyes and relax, think of nothing tonight. Aus: “Everythings alright” in: Jesus Christ Superstar; Andrew Lloyd Webber, Tim Rice 1970
  2. Zachäus fand andere Nachahmer: Die philanthropische Kampagne „The Giving Pledge“, in der sich Milliardäre verpflichten, mindestens die Hälfte ihres Vermögens zu spenden. Aktueller Stand: 168 Unterzeichner. Ziel u.a. war und ist die Eliminierung der Malaria und anderer Menschheitsgeißel…
  3. Joachim Gnilka im EKK Kommentar zum Markusevangelium S.226
  4. Text: Ilona Schmitz-Jeromin; Melodie: Hans-Stephan Simon. Das Lied erhielt den 3. Preis im Passionsliederwettbewerb der EKiBa 2011. Siehe dazu auch die Liedpredigt von Monika Lehmann-Etzelmüller in: Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder; Werkheft der EKiBa; Karlsruhe 2018

 

 

Das eingespielte Lied hat den Text:

 

Kostbar war der Moment, als sie den Raum betrat,

das Salböl in den Händen, um Liebe zu verschwenden.

Kostbar war der Moment. Gepriesen, was sie tat.

 

Kostbar war der Moment, als sie mit leichtem Gang

die Mauer der Bedenken durchschritt, um Trost zu schenken.

Kostbar war der Moment, für sie ein Lobgesang.

 

Kostbar war der Moment, als sie das Siegel brach

und Duft das Haus erfüllte, sie zärtlich Ängste stillte.

Kostbar war der Moment, Erinnerung wirkt nach.

 

Kostbar war der Moment, als Jesus sie bewahrt,

sie schützte und sie ehrte, als sie Danke hörte.

Kostbar war der Moment, als Gott den Raum betrat.

 

Text: Ilona Schmitz-Jeromin; Melodie: Hans-Stephan Simon

In: „Singt Jubilate“ Nr 109; Gesangbuch der Evgl, Kirche Berlin/Brandenburg/Lausitz

(Arrangement und Klavier: Harald Mielke; Gesang: Evelyn Ziegler)

 

 

Vorschlag für Fürbitten:

 

Sie sind eingeladen, die Fürbitten jeweils zu bekräftigen mit der Zeile:

Du Schöpfer der Welt, gib uns einen langen Atem.

 

Wir beten: Gütiger Gott! Du hast uns das Leben eingehaucht. An jedem Frühlingsmorgen genießen wir die Frische der Natur. Nun aber spüren wir, wie verletzlich wir sind. Du Schöpfer der Welt, gib uns einen langen Atem.

 

Gütiger Gott! Du hast uns Würde und Sinn verliehen. Mit jeder Entscheidung übernehmen wir Verantwortung dafür. Nun aber spüren wir, dass sich vieles gegen uns kehrt. Du Schöpfer der Welt, gib uns einen langen Atem.

 

Gütiger Gott! Du hast uns Jesus als Lebensbegleiter mitgegeben. Im Glück und im Wohlstand waren wir uns seiner sicher. Nun aber hoffen wir, dass uns seine Leidenskraft stark macht. Du Schöpfer der Welt, gib uns einen langen Atem.

 

Gütiger Gott! Du stehst für Hoffnung und ewige Treue. Doch Unheilspropheten zitieren für ihre Sicht die biblischen Plagen. Lass uns Jesu Auferweckung als Gegenrezept entdecken. Du Schöpfer der Welt, gib uns einen langen Atem.

 

Gütiger Gott! Dein Sohn Jesus hat Kranke geheilt und Trostlose mutig gemacht. Wenn wir zu zaghaft reden und zu knapp helfen, dann verstärke Du das durch dein großes „Ja“! Du Schöpfer der Welt, gib uns einen langen Atem. Amen

 

Segen:

Und der Friede Gottes und der Mut Gottes, die heilsamer sind als alle unsere Berechnungen, bewahren uns in Jesus Christus, unserm Herrn. Amen

Ich wünsche Ihnen einen guten Tagesverlauf und Gottes Geleit in der kommenden Zeit.

 

 

Liedvorschläge:

 

364 Was mein Gott will, gescheh

649 Wer kann dich, Herr, verstehen

381 Gott, mein Gott, warum hast Du

383 Herr, du hast mich angerührt

Freitöne 31 Mit allen meinen Fragen

tvd 201 Du bist meine Zuflucht, du bist

tvd 214 Zeig mir den Weg zum Kreuz

 

Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn und Ruanda. Instrumentalist und Arrangeur.

en_GBEnglish (UK)