Hebräer 13, 12-14

Home / Bibel / New Testament / 19) Hebräer / Hebrews / Hebräer 13, 12-14
Hebräer 13, 12-14

 


Judika (5. Sonntag der Passionszeit),
17. März 2002
Predigt über Hebräer 13, 12-14, verfaßt von Christian-Erdmann
Schott

Liebe Gemeinde!

In nicht ganz zwei Wochen haben wir Karfreitag. Durch unseren heutigen
Predigttext werden wir ermuntert, diesen Tag nicht passiv auf uns zukommen
und an uns vorüberziehen zu lassen, sondern uns, in Vorbereitung
auf diesen Höhepunkt der Passionszeit, persönlich die Frage
zu stellen: Was bedeutet das Sterben Jesu Christi am Kreuz eigentlich
für mich? Ich lese aus dem Hebräer-Brief aus Kapitel 13:
„12. Darum hat auch Jesus, damit er heilige das Volk durch sein eigen
Blut, gelitten draußen vor dem Tor.
13. So lasset uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach
tragen.
14. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige
suchen wir“.

Der Einstieg ergibt sich am besten, wenn wir uns vergegenwärtigen,
daß das Christentum eine hoch dramatische Religion ist; eine Religion,
in der es von den Ursprüngen im Alten Testament an um einen Prozeß
geht, bei dem Gott und die Menschheit um den Führungsanspruch streiten.
Gott hat erklärt und immer wieder bestätigt, „Ich bin der
Herr“. Der Mensch ignoriert das und erklärt „Ich bin mein
eigener Herr“. Wie wird dieser Prozeß ausgehen? Jesus erzählt
dazu ein Gleichnis (Mk. 12,1-12), in dem er Gott mit einem Weinbauern
vergleicht:

Dieser Weinbauer legte einen Weinberg an, umzäunte ihn, baute eine
Kelteranlage und einen Turm, verpachtete ihn und ging ausser Landes. Als
die Zeit der Ernte gekommen war, schickte er einen Knecht, damit er die
Pacht einnehme. Aber die Pächter weigerten sich, die Pacht zu zahlen,
verprügelten den Knecht und schickten ihn zurück. Da sandte
der Herr des Weinberges einen anderen Knecht. Auch den schlugen die Pächter
zusammen und zahlten nicht. So ging es auch dem dritten und weiteren Knechten.
Einige töteten sie sogar. Da schickte der Herr schließlich
seinen Sohn, den einzigen, den Erben. Er hoffte, daß die Pächter
ihn respektieren und nun zahlen würden. Aber gerade das taten die
Pächter nicht. Sie sagten unter sich: Laßt uns ihn töten.
Dann wird das Erbe uns gehören. „Und sie nahmen ihn und töteten
ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg“ (V.8).

Schon immer ist dieses Gleichnis im Sinne des Prozesses gedeutet worden,
von dem ich eben gesprochen habe: Gott, der Schöpfer und Herr der
Welt, muß um seine Anerkennung, um sein Gottesrecht mit den Menschen
kämpfen, weil die Menschen ihm das alles nicht zuerkennen und geben
wollen. Statt dessen spielen sie sich auf und leben „als ob es Gott
nicht gäbe“ (etsi deus non daretur). Immer wieder hat Gott,
zum Beispiel durch die Propheten, an sein Recht erinnert. Aber den Propheten
ist es so gegangen wie es im Gleichnis von den Knechten erzählt wird.
Zuletzt schickt er den Sohn, den einzigen, den Erben, Jesus Christus.
Ihn töten sie und werfen ihn „hinaus vor den Weinberg“
– oder, in der Sprache unseres Predigtabschnittes: Er, der Sohn, der Erbe
hat gelitten „draußen vor dem Tor“.

Dieses „Draußen“ ist weit mehr als eine bloße Ortsbezeichnung.
Es meint, daß die Menschen, die Besitzer der Erde, weder Gott noch
Christus bei sich haben wollen, weder im Weinberg, noch im Lager, noch
in der Stadt. Sie wollen Gott los sein, ein für alle Male. Darum
werfen sie den Erben dorthin, wo sie die Dinge hintun, die sie nicht mehr
haben wollen: Den Abfall, die Tierkadaver, die von den Opfern übrig
bleiben. Und sie nannten diesen Ort, draußen vor den Toren von Jerusalem
„Golgata“. Wir wissen, daß das der Ort war, an dem das
Kreuz Jesu Christi gestanden hat.

Von jetzt ab muß ich den Ton des Prozeßberichters verlassen
und mich an uns wenden – mit der Frage: Auf welcher Seite stehen wir –
auf der Seite Gottes oder auf der Seite der Menschen? Wir wollen die Antwort
nicht übers Knie brechen und abwägen: Die Menschen haben ein
relatives Recht, auf ihre Selbstständigkeit und Unabhängigkeit
(Autonomie) zu pochen, weil wir ja schließlich die Welt bebauen
und uns um unseren Unterhalt selbst bemühen. Wir sind nicht nur Besitzer
der Erde, wir machen auch was aus ihr. Daß dabei vieles nicht gut
ist und auch nicht gut ausgeht, stellen wir dabei heute mal nicht besonders
heraus. Im Kern ist es schon so, daß sich die Menschen als selbstverantwortliche
Hausbesitzer verstehen und weitgehend auch so verhalten. Der Schwachpunkt
bei ihrem Pochen auf Unabhängigkeit ist, daß sie den verleugnen,
dem sie sich selbst und die Welt insgesamt verdanken. Sie vergessen den
Eigentümer. Diese Ausblendung, diese Verweigerung der Anerkennung
Gottes verschiebt ihre relative Rechtsposition ins Unwahre. Wir belügen
uns selbst, wenn wir so leben, als ob es nur uns und sonst gar nichts
gibt. Es führt dazu, daß wir Menschen kein Maß mehr haben,
das uns messen, kritisieren, in Schranken halten könnte. Der Mensch
ohne Maß ist die größte Gefahr für sich selbst und
die Menschlichkeit auf der Erde.

Im Unterschied zu uns Menschen kann sich Gott auf das Recht des Eigentümers
berufen. Tatsächlich hat er auf seinen Anspruch, als Herr und Schöpfer
der Welt, als Gott anerkannt und geehrt zu werden, nie verzichtet. Im
Gegenteil, er hat diesen Anspruch immer wieder neu bekräftigt und
durchzusetzen versucht. Daß er dabei den endgültigen Sieg noch
nicht errungen hat, sollte uns weder allzusehr verwundern noch in Zweifel
stürzen; in Zweifel, die sich auf seine Durchsetzungsfähigkeit
(Macht) und/oder auf die Qualität seiner Rechtsposition (Wahrheit)
beziehen können. Beides liegt bei ihm, auch wenn beides zur Zeit
im Verborgenen liegt und nur wenig Konjunktur hat.

Nach diesem Durchgang ist es nun schon verständlicher, warum der
Apostel im Hebräer-Brief zu einer Standortbestimmung mit eingeschlossener
Parteinahme auffordert: „So lasset uns nun zu ihm hinausgehen aus
dem Lager und seine Schmach tragen“. Das hat zur Folge, daß
die Worte und Begriffe anfangen, eine neue Bedeutung, eine neue Farbe
zu bekommen. Wer sich zu dem Gekreuzigten, zu dem nicht erwünschten
Christus bekennt und in seinen Worten und in seinem Leben Gott begegnet,
der teilt lediglich vor der Welt seine Schmach mit ihm, nicht vor Gott.
Im Gegenteil, er ehrt Gott und Gott nimmt ihn in sein Reich, in sein Lager,
in seine Stadt auf. Er lebt im Reich der Wahrheit, das nur im Reich der
Unwahrheit mit Schande und Schmach bedacht wird.

Umgekehrt lebt der, der im Lager, in der Stadt oder im Reich der nicht
anerkannten Wahrheit Gottes lebt, wahrscheinlich in Ehren, aber vor Gott
ist das alles nichts. Es ist nichts, weil es der Wahrheit und dem Rechtsanspruch
Gottes nicht die Ehre gibt.

Die Parteinahme, um die es hier geht, ist von Gott gewollt. Sie ist eine
Folge seines nicht aufgegebenen Rechtsanspruches und enthält die
Aufforderung, daß alle, die diesen Rechtsanspruch anerkennen, heraustreten
und sich zu dem Sohn und Erben bekennen. Sie sind die ekklesia = die Gruppe
der Heraus-Gerufenen = das neue, geheiligte Volk, die christliche Gemeinde,
die eine Alternative zur alten Welt darstellt. Diese Alternative aber
ist ausschließlich Werk Gottes. Von uns aus könnten wir unsere
Situation weder durchschauen noch verändern. Diese Bewegung ist nur
möglich, weil Gott in Person und Kreuz Christi einen Sammelpunkt,
ein Zeichen aufgezogen hat, auf das wir zugehen, an dem wir uns orientieren,
um das wir uns sammeln können in einem neuen Lager, Volk und Stadt
der Menschheit.

Das Wort „neu“ läßt das bisherige, uns vertraute
Lager, das Volk und die Stadt plötzlich alt aussehen. Und sie sind
es auch. Sie gehören einer Epoche der Weltgeschichte an, die im Grunde
keine Zukunft mehr hat. Die Zukunft gehört der Stadt, in der Gott
nicht geleugnet, sondern gelobt, in der die Menschen untereinander und
mit Gott in Liebe und Vertrauen zusammen leben; in der Wirklichkeit wurde,
was Gott bei der Schöpfung gemeint und gewollt hat.

Noch ist es nicht so weit. Noch ist der alte Geist sehr stark, so stark,
daß Christen den Glauben verlieren und sich von dem Gekreuzigten
„draußen vor dem Tor“ abwenden. Sie haben Angst, sich
zu ihm zu bekennen und halten es mit dem scheinbar bewährten guten
alten Geist. Es wird wohl niemanden geben, der solche Gedanken nicht kennt.
Der Verfasser des Hebräer-Briefes hat sie gekannt. Darum hat er aus
tiefer Erfahrung damals schon den Christen einen sehr wichtigen seelsorgerlichen
Rat gegeben – nur ein paar Zeilen vor unserem Predigtabschnitt: „Es
ist ein köstlich Ding, daß das Herz fest werde, welches geschieht
durch Gnade“ (V9). Um die Gnade eines festen, eines im Glauben gegründeten
Herzens dürfen wir beten. Sie kann uns gegeben werden durch das Hören
und Bedenken des Wortes und durch die Gemeinschaft im neuen Volk Gottes.
Diese Gemeinschaft ist jetzt schon, mitten noch in der alten Weltzeit,
mitten in der Anfechtung und durchaus nicht vollkommen der einzige Ort,
an dem die Wahrheit Gottes gelebt wird.

In diesem Sinne stellt der heraufkommende Karfreitag an uns die Frage,
ob wir zu denen gehören wollen, die sich um den Gekreuzigten sammeln
und miteinander „durch ihn Gott allezeit das Lobopfer bringen, das
ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen“ (V. 15). Amen.

Dr. Christian-Erdmann Schott
Elsa-Braendstroem-Str. 21
55124 Mainz -Gonsenheim
Tel.: 06131/690488
Fax: 06131/686319

 

 

en_GBEnglish (UK)