Jesaja 55,1-3b

Jesaja 55,1-3b

 

Sermons from Göttingen on the Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


 

2.
Sonntag nach Trinitatis, 24. Juni 2001
Predigt über Jesaja 55,1-3b, verfaßt von Ulrich Braun


(Gottesdienst des Johanniterordens, Subkommende Göttingen in der
St. Martins-Kirche Jühnde)

Predigttext: Jesaja 55, 1-3b
1 Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die
ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne
Geld und umsonst Wein und Milch!
2 Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und
sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch
auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben.
3 Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr
leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen.

Liebe Gemeinde!

In der Welt trivial-philosophischer Weisheit ist alles so einfach..
Geld allein macht nicht glücklich. Die wirklich wichtigen Dinge
im Leben kann man nicht kaufen kann. Als vergrämte Kronzeugin wird
Ilsebill, die unersättliche Gattin des Fischers vorgeführt.
Zerknirscht folgt ihr Scrooge, der schmerzvoll geläuterte Geschäftsmann
aus Charles Dickens‘ Weihnachtserzählung.
Der reiche Kornbauer im Gleichnis Jesu muss sterben, gerade als seine
zusätzlich errichtete Scheune randvoll ist. Er führt – gewissermaßen
als ihr Ahnherr – die Riege der unglücklichen Raffkes und Nimmersatts
der Weltliteratur an. Die depressiven Königskinder aus den bunten
Blättern im Zeitschriftenregal, magersüchtige Adelssprösslinge
und verkrachte Existenzen mit fürstlichen Apanagen vervollständigen
den Reigen.
Irgendwie ist es beruhigend zu sehen, dass die, die alles haben, deswegen
auch nicht glücklicher sind. Seltsam nur, dass es so wenige davon
abhält, das Rennen um zählbaren Erfolg mit aller gebotenen
Erbitterung aufzunehmen. Ganz so trivial und einfach scheint es am Ende
eben nicht zu sein, vom wahren Wasser des Lebens zu trinken.
Neben der Beruhigung, dass Ruhm und Geld nicht alles sind, geben die
Geschichten der Enttäuschung keinen Hinweis auf das Wasser des
Lebens. Wo die Quelle zu finden ist – diese Frage bleibt einstweilen
offen.
Auch unser Predigttext bleibt die Ortsangabe schuldig. Er lebt vom Überraschungseffekt,
indem er in marktgerechter Sprache feilbietet, was sich den Gesetzen
des Marktes gerade entzieht. Wer Ohren hat, zu hören, spürt
wie die Melodie der Sehnsucht darin angespielt wird..
Die Sehnsucht gebraucht üblicherweise ganz äußerliche
Zeichen. Unnütz große Häuser, Autos mit sechzehn Zylindern
und offenem Dach, kurz: alles, was wir Statussymbole nennen. Im Grundschulalter
beginnt man Marken zu tragen. Dick gesteppte Helly Hansen Jacken, Hosen,
deren Preise den Eltern die Tränen in die Augen treiben, und Buffalo-Schuhe,
deren größter Vorteil sein dürfte, dass man mit ihnen
überhaupt nur gehen kann, wenn man unter sechzehn Jahren alt ist.
Aber auch das tollste Sweatshirt und das coolste Handy scheinen gerade
gut genug, die größte Not zu lindern. Die Gesichter ihrer
Besitzer jedenfalls erzählen von ungestillten Sehnsüchten.
Nennen wir sie den Durst nach Leben.
In diesem Durst nach Leben lebt zugleich der Wunsch, dass sich dies
Menschenleben an seinen sichtbaren Rändern doch nicht verlieren
möge – sozusagen im Einheitsbrei des Universums verschwinden. Nur:
offensichtlich tut es das. Jedenfalls in Hinsicht auf alles, was man
erwerben und besitzen kann.
Wer Ohren hat zu hören, bei dem schlägt das Prophetenwort
diese Saite der Sehnsucht an. „Höret, so werdet ihr leben!“
sagt Jesaja. Und indem er so schreibt, verschmelzen in seinen Worten
für Momente die Grenzen zwischen Gott und dem Menschen. Und so
kann er fortfahren: „Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen“.
Die Verheißung übersteigt jede Grenze des sichtbaren Lebens.
Das ist gewaltig und zugegebenermaßen nur schwer zu belegen.
Übrigens würden schon bescheidenere Verheißungen verwegen
gewirkt haben. Denn sie treffen ein aufgeriebenes Volk, ermüdet
in jahrzehntelangen politischen und religiösen Richtungskämpfen,
belagert, besiegt und verschleppt. Jetzt hat man sich mit den Verhältnissen
arrangiert. Die Glücklicheren haben ihr Auskommen und sind beschäftigt.
In den Gesichtern der weniger Glücklichen sind die Spuren einer
fast verloschenen Sehnsucht – wenn überhaupt – nur mehr zu ahnen
als zu sehen.
Wer Ohren hat zu hören, soll nun die Verheißung von dem ewigen
Bund hören. Historisch gesehen gibt es immerhin einen Silberstreif
am Horizont. Er heißt Kyros, hat die Babylonier besiegt und entlässt
einen ersten Teil der Leute aus dem Exil nach Israel. Gleichwohl kommt
die Hoffnung auf bessere Zeiten auf dünnen Beinen daher.
Das, was den Mühseligen und Beladenen aller Zeiten und aller Völker
mit der Rede von einem ewigen Bund gesagt ist, reicht aber tiefer hinab
und greift ohnedies weiter als die Grenzen des sichtbaren Lebens: Du
bist kein Vergessener am Rand der Weltgeschichte.
So verwegen es ist: genau deshalb muss hier von Ewigkeit die Rede sein.
Die Bedeutung des Menschenlebens verlangt es. Sie gilt über jeden
Augenblick hinaus, unabhängig von sichtbarem Erfolg, und besteht
sogar dann, wenn einer kaum das nötigste zum Leben hat. Denn er
hat Ohren zu hören und kennt den Durst nach dem Wasser des Lebens.
Er ist fähig zur Selbstachtung und bleibt es bei aller Widersprüchlichkeit.
Ein Vers aus der Feder desselben Propheten formuliert den Grund dieser
Selbstachtung in der Achtung Gottes: Fürchte dich nicht, denn ich
habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist
mein! Auf diesem Grund können Menschen famose Dinge. Sie können
die tollsten Träume träumen und kaum für möglich
gehaltene Erfolgsgeschichten möglich machen. Ein Ende der Erfolgsgeschichten
ist nicht abzusehen.

Übrigens: Dieselben Lebensweisheiten kann man natürlich auch
für teures Geld erwerben. Eine ganze Branche lebt von dem Versprechen,
den Weg zum Erfolg zu weisen. Die Riege der Motivationskünstler,
der Erfolgscoaches und der Persönlichkeits-Optimierer lässt
sich für gutes Eintrittsgeld in vollen Hallen bejubeln.
Wer zahlt, kann über Glasscherben und glühende Kohlen gehen,
„Tschakkaa“ schreien lernen und Eisenstäbe mit dem Adamsapfel
verbiegen. Für durchschnittlich DM 59.90 sind die Bücher der
Meister im Foyer zu erwerben. Hörkassetten gibt es schon ab DM
19,90. Postmoderne Gebetsmühlen für lange Autofahrten und
Gute-Nacht-Gebete aus dem Walkman für das Unterbewusstsein ambitionierter
Filialleiter. Wer ganz sicher in der Erfolgsspur gehen will, erwirbt
die Videokassette zur Nacharbeit für DM 39,90. Anmeldeformulare
für die Aufbaukurse des Erfolges liegen bei.
Warum nur geben Menschen ihr sauer verdientes Geld für diese Radaubrüder
des Erfolgs aus? Anderswo ist doch auch zu hören: „Ihr seid
das Salz der Erde“ und „Ihr seid das Licht der Welt“?
Im Griff zum teureren Produkt zeigt sich nicht nur die unvernünftige
Hoffnung, dass das, was viel kostet, auch viel hilft.
Möglicherweise steht dahinter die gar nicht so unvernünftige
Ahnung, dass das Wasser des Lebens von mir selbst am Ende den höheren
Preis verlangt. Davon zu trinken, könnte das eigene Leben wahrhaft
verändern. Und dazu gehört eben mehr, als sich von einem Motivationscoach
einreden zu lassen, ich selbst sei ein Adler und der Rest der Welt ein
Hühnerhaufen.
Zur Selbstachtung müsste die Achtung des Anderen hinzutreten. Das
Geschenk des Lebens würde sich untrennbar mit der Verantwortung
dafür verbinden. Es könnte auch bedeuten, Wasser in den Champagner
des Erfolgsrausches zu gießen, weil das Versprechen unfehlbarer
Gewinnmaximierung eben nicht inbegriffen ist. Dafür ist aber von
etwas die Rede, das auch zur Sehnsucht nach dem wahren Leben gehört.
Nämlich vom Kennzeichen des Menschlichen, die Achtung des Anderen
mit der Selbstachtung zu verbinden und weder das eine noch das andere
von irgend einer Art sichtbaren Erfolgs abhängig zu machen. Und
davon ist die Rede, dass es dem Menschen nichts nützen würde,
die ganze Welt zu gewinnen und dabei Schaden an der Seele zu nehmen.
Es gilt weiterhin bewährte Alltagsphilosophie. Keiner wird sich
auf seinen Lorbeeren ausruhen dürfen, weil Stillstand Rückschritt
bedeutet. Von nichts wird auch forthin nichts kommen. Auch in Zukunft
wird nichts umsonst sein, außer eben dem Tod, der bekanntlich
das Leben kostet. Dass Geld auch weiterhin nicht glücklich macht,
wird die beruhigen, die keines haben, was wiederum niemanden davon abhalten
wird, sich mehr davon zu wünschen. Aber wer Ohren hat zu hören,
der lasse sie sich nicht von solcherlei Allerweltsweisheit verstopfen.
Er und sie lausche in sich hinein und höre darauf, welche Saiten
in ihm zum Klingen kommen. Und wer im Gesicht eines anderen Menschen
liest und für möglich hält, dass Gott gerade mit dem
einen ewigen Bund geschlossen haben mag, der trinkt wohl in diesem Augenblick
aus der Quelle des Lebens.

Amen

Ulrich Braun, Pastor in Meensen, Jühnde und Barlissen, Kirchenkreis
Hann. Münden
eMail: Ulrich.F.Braun@t-online.de

 

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