Johannes 2, 1-11

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Johannes 2, 1-11

Liebe Gemeinde!

Viele haben wohl im Laufe der Zeit darüber nachgedacht,
was eigentlich während der berühmten Hochzeit zu Kana geschah.
Wo der Wein knapp wurde und Jesus die Diener die sechs Wasserkrüge
mit Wasser füllen ließ, und als der Speisemeister das Wasser
kostete, war es wunderbarer Weise zu Wein geworden, zudem besser als der
erste. Und dann noch mindestens 600 Liter Wein. Welch ein Fest!

Wie aber war das möglich? Ich kann mich an Konfirmanden erinnern,
die danach gefragt haben. Gab es vielleicht verborgene Weinreserven im
Keller, die unbemerkt geholt wurden, oder war es wirklich eine Verwandlung,
also chemische Magie? Das möchte man gerne wissen. Ganz gleich aber
welcher Antwort man zuneigt, so ist klar, daß man das Wesentliche
gar nicht erfaßt, wenn man so fragt. Das Wesentliche ist nicht,
daß Wasser in Wein verwandelt wurde und daß Jesus der große
Zauberkünstler ist. Das Wesentliche ist das, was mit denen geschieht,
die am Fest teilnehmen. Das eigentliche Wunder ist, daß dort, wo
Enttäuschung, Mißmut, Langeweile herrschen, wo die Freude zu
verwelken scheint, daß sich dort die Freude wieder einstellt, das
Fest neu beginnt und die Gäste eine Freude spüren, die nicht
zu erklären ist. Eine überraschende, berauschende Freude, die
das Leben wunderbar und groß macht.

Und als sie später davon erzählten und Johannes es niederschrieb,
dann hieß es, daß hier in Kana wirklich die Herrlichkeit Gottes
zum Vorschein kam. Ja, für Johannes war es das erste Zeichen von
vielen, das zeigte, daß Jesus gekommen ist, um uns mit in das Reich
Gottes zu nehmen, hinein in eine Welt, die größer und prächtiger
und viel lebendiger ist als die Welt, in der wir uns gewöhnlich befinden.

Wenn wir also wirklich verstehen wollen, was an der Hochzeit in Kana
wichtig war und Johannes Anlaß gab, davon zu erzählen, dann
hilft es natürlich nicht, sich vorzustellen, wie der Wein nun herbeigeschafft
worden ist. Denn dann bleiben wir nur in unserer kleinen Welt, begrenzt
durch unsere Vernunft und unsere vorgefaßten Meinungen. Wir müssen
vielmehr auf unser Leben eingehen und an Situationen denken, wo dies oder
Ähnliches uns widerfahren ist. Wo uns das Leben überraschte
und sich als viel größer und wunderbarer und lebendiger erwies
als wir geglaubt und gedacht hatten.

Denn das haben wir vermutlich alle erlebt. Das kann ein Fest sein, zu
dem man mit begrenzten Erwartungen oder mit schlechter Laune hinging.
Und das geschieht das Merkwürdige, ohne daß wir eigentlich
Macht darüber haben, daß uns etwas Lebendiges anrührt
und wir aus all dem, was uns ansonsten niederdrückt, herausgehoben
werden. Und das Fest geht uns ins Blut, und wir spüren eine Freude,
die wir lange nicht erlebt haben. Neid und Kleinlichkeit und all die Sorgen,
die uns eingesperrt haben, sind verschwunden, und wir befinden uns in
einer größeren Welt, die sich uns großzügig öffnet.

Aber warum geschieht das? Es kann ja sein, daß es nur der Wein
ist, der seine Wirkung tut, es kann eine anregende Tischdame oder ein
Tischherr sein, mit dem man spricht, oder herzliche reden oder ein Humor,
der sich im Raum ausbreitet und all unsere Selbstherrlichkeit und unser
Besserwissen umwirft. Das kann vieles sein.

Entscheidend ist, daß wir, ohne genau sagen zu können warum,
in eine größere Welt hineingezogen werden, die wir als mehr
wahr und wirklich erleben als die Welt, in der wir uns sonst befinden.
Wir wissen nämlich sehr wohl, daß die Freude und Großzügigkeit
des Festes wahrer ist als die Kleinlichkeit und das Beleidigtsein, die
uns vielleicht bestimmt haben. Wir wissen sehr gut, daß unsere Selbstgefälligkeit
eine Begrenzung ist, und es ist nur gut, wenn sie mit liebevollem Humor
weggefegt wird und wir wieder besser wir selbst sein können.

Es ist schön, durch Freude überrascht zu werden, von einer
lebendigen Wirklichkeit, die größer ist als wir. Das geschieht
bestimmt nicht bei allen Festen, nur bei ganz wenigen, aber es ist schön,
wenn es geschieht. Und es ist schön, wenn die Stimmung, die Freude,
die Intensität, die Offenheit noch lange danach in uns bleibt.

Und wenn wir an ein Erlebnis dieser Art zurückdenken, dann sagen
wir ja nicht: Hier habe ich mich wahrlich aus der Wirklichkeit entfernt,
hier verlor ich denn Sinn für die Realitäten, sondern umgekehrt:
Wir haben in uns ein starkes Gefühl, daß hier Wirklichkeit
war, während wir sonst oft blind und taub in unserer eigenen etwas
unwirklichen kleinen Welt herumlaufen.

Das kann in vieler Weise geschehen: Bei einem guten Fest, in der Begegnung
mit einem anderen Menschen, oft wenn man sich verliebt, und es geschieht
auch, wenn wir ganz allein sind, daß uns die Schuppen von den Augen
fallen und wir plötzlich die Welt und einander mit einer ganz neuen
Frische und Intensität sehen. Ja, wir nehmen anders und tiefer wahr
als vorher. Wir verlassen nicht die Wirklichkeit. Wir kommen in ihr an.
Wir werden durch sie überrascht und überwältigt.

So etwas geschah vermutlich unter den Gästen bei der Hochzeit zu
Kana,als Wasser zu Wein wurde, ihr Mißmut zu Freude und sie die
Herrlichkeit Gottes sahen, das wunderbare, lebendige Reich, das Jesus
mit sich brachte. Und die Jünger, so wird erzählt, glaubten,
was sie spürten und sahen. So wie dies auch in vieler Weise bei uns
geschieht. Vielleicht nur in kleinen Augenblicken, wo sich das Dasein
wunderbar für uns öffnet, wo die Freude uns überrascht,
wo aber die Frage bleibt, ob wir denn auch auf das vertrauen und dem glauben,
was wir in uns spürten und sahen. War die Freude nur eine zufällige
Stimmung, oder kam sie von wo anders her? Sind wir mit der Wirklichkeit
in Berührung gekommen, oder war es nur ein Gefühl, eine Vorstellung,ein
Luftschloß? War es ein Traum?

Ich möchte von einem Erlebnis erzählen, wo die Frage sich
in einer sehr direkten Weise stellt. Es handelt sich um ein sehr direktes
Erlebnis, das ein Freund von mir kurz vor Weihnachten hatte. Es lag ihm
daran, es weiterzuerzählen, und er sah gerne, daß ich es in
meiner Predigt erzähle. Deshalb berichte ich darüber.

Mein Freund erwacht mitten in der Nacht, klar bei Bewußtsein und
nicht imstande, wieder einzuschlafen. Er zieht sich an, geht nach draußen,
zum Meer. Dann steht er still – und auf einmal wird der Himmel hell und
klar, obwohl es noch immer dunkel und der Mond nicht zu sehen ist. Zwei
andere Menschen stehen wie angenagelt. Sein Hund setzt sich und sieht
verunsichert umher. Es ist, als mache die ganze Welt eine Pause. Etwas
Großes ereignet sich. Eine andere Welt hat sich für ihn geöffnet.
Und er weiß, daß dies das vollkommene Bild ist. So ist die
Wirklichkeit, der Himmel, die Welt Gottes. So völlig einleuchtend
und klar. Sie voller Liebe, freigiebig. Da ist kein Gericht in dem, was
er sieht, nur Liebe. Aber er weiß: Im Verhältnis zu dem, was
er sieht, ist vieles von dem, was wir sonst unternehmen, komisch. Unsere
Sorgen verschwinden und werden zu nichts. Und er geht seinen Weg, dankbar
und sehr stolz – und auch mit einem Gefühl, daß dies die Wahrheit
ist, die Wirklichkeit. Wir können, sagt er, jeder in seiner kleinen
selbstgeschaffenen Welt versinken und in ihr leben, mit ihrem Haß
und Neid, ihrer Enge aus Vorurteilen und Gewohnheiten. Wir können
als Blinde leben, die nie das Licht in der Finsternis sehen. Aber die
Welt Gottes existiert. Die Liebe existiert. Es gibt eine himmlische Herrlichkeit,
die für uns leuchtet, und dem sollen wir uns als Menschen öffnen
und dazu sollen wir uns verhalten.

Obwohl man auch hier sagen könnte: Was war eigentlich passiert?
War es nicht das klare Bewußtsein, das durcheinander gekommen ist?
War es eine Illusion, ein Traum? Oder war es die Wirklichkeit selbst?

Der englische Theologe und Dichter C.S. Lewis wurde einmal gefragt,
ob Glaube nicht ein Traum sei, ein Luftschloß, ob nicht Himmel und
Hölle nur Gemütszustände seien, die von uns selbst kommen.
C.S.Lewis antwortete: „Still! Verhöhnt das nicht! Die Hölle
ist ein Gemütszustand – nichts ist wahrer. Und jeder Gemütszustand,
der sich selbst überlassen ist, jedes Einsperren der Schöpfung
in das Gefängnis ihres eigenes Bewußtseins ist letztlich eine
Hölle. Aber der Himmel ist die Wirklichkeit selbst. Denn alles, was
erschüttert werden kann, wird erschüttert werden, nur das Unerschütterliche
bleibt.“

Mein Freund gibt in etwa dieselbe Antwort: Für mich besteht kein
Zweifel, sagt er. Für mich ist es nun einmal so, auch wenn ich wieder
gelandet bin und mit beiden Beinen mitten im gewöhnlichen Leben stehe
mit seinen Mühen und Aufgaben, so weiß ich, daß das was
ich gesehen habe, kein Traum war. Es war Wirklichkeit, Himmel, und ich
trage es mit mir als eine Welt, die hell und klar ist. Das unwirkliche
Leben kommt vielmehr von mir selbst.

Und wenn er es erzählt hat, so deshalb, weil das Erlebnis in sich
eine Botschaft enthält, weil es ein Zeichen ist, das geglaubt werden
will. Eigentlich so wie der Evangelist Johannes davon erzählt, was
er erlebt, gehört und gesehen hat. Johannes erzählt von einer
Reihe von sieben himmlischen Zeichen – von denen die Hochzeit zu Kana
das erste und die Erweckung des Lazarus das letzte ist.

Es gibt viele Arten von Zeichen. Sie brauchen nicht aufsichterregend
zu sein. Aber ein Zeichen ist immer handgreiflich. Wir können es
wahrnehmen, wir können hören und sehen, und das Zeichen erzählt
zugleich von einer Wirklichkeit, die größer ist als die, in
der wir uns gerade befinden. Ein Lichtstreif ist ein Zeichen dafür,
daß es das Licht gibt. Ein Kuß, ein Blick, eine helfende Hand
kann ein Zeichen sein, das auf die Liebe als die umfassendere Realität
verweist. Die erste Schwalbe des Sommers macht noch keinen Sommer, aber
ist dennoch ein Zeichen dafür, daß der Sommer dennoch kommt
und schon unterwegs ist. Ein Zeichen will etwas mit uns. Es will uns zu
Glaube und Hoffnung wecken, so daß wir uns der öffnen, von
der uns das Zeichen erzählt.

So will uns auch der Evangelist Johannes wecken. Erst mit der Hochzeit
zu Kana. Ein Zeichen, das von himmlischer Freude und Freigiebigkeit zeugt.
Wo und die Liebe verwandelt, und wir zu uns selbst kommen wie nie zuvor.
Dann mit der Erzählung vom königlichen Beamten und seinem Sohn,
den Jesus heilt als Zeichen dafür, daß das Reich Gottes lebenskräftiger
ist als Sünde und Tod. Dann hören wir vom Lahmen in Bethesda,
der aufsteht, von der Speisung in der Wüste, von Glaube trotz Angst
und Untergang, und vom Blindgeborenen, dessen Augen sich öffnen und
der die Herrlichkeit Gottes sieht, und schließlich von Lazarus,
der aus seiner kleinen finsteren Grabkammer herausgerufen wird unter den
offenen Himmel Gottes, als Zeichen dafür, daß wir uns erheben
sollen, unsere geschlossenen Räume verlassen und das ewige Leben
der Auferstehung annehmen sollen.

Jedes Zeichen im Evangelium zeugt davon, daß das Reich Gottes
mit Liebe und Freude da ist. So wie es Zeichen gibt in unserem leben,
die und erzählen, das Liebe und Freude da sind.

Und die Frage ist nun: Wagen wir es au glauben, daß dies wahr
ist? Können wir es uns zu Herzen nehmen, und erheben und berauschen
lassen wie die Gäste bei der Hochzeit zu Kana? Können wir die
Kleinlichkeit überwinden, die von uns selbst kommt, und die Liebe
annehmen, die wirklicher ist als alles andere?

Herr, hilf uns, die Zeichen der Freude und der Liebe zu sehen, die Wahrheit
zu glauben und festzuhalten, die in ihnen ist. Amen.

 

Erik Høegh-Andersen
Prins Valdemarsvej 40
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Tel. ++ 45 – 39 65 43 87
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