Johannes 6,47-51

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Johannes 6,47-51

 


Sermons from Göttingen on the Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


4. Sonntag der
Passionszeit, Lätare, 25. März 2001

Predigt über Johannes 6,47-51,
verfaßt von Traugott Vogel


Liebe Gemeinde!

Wer in Wittenberg, der Lutherstadt, vom Markt her
zum alten Augustiner-Kloster geht, dem Kloster, in dem Luther zuerst als
Mönch und später als Reformator gelebt hat, betritt das an der
Hauptstraße gelegenes Haus des Areals durch einen nicht sehr hellen
Torgang. Der Gang führt durch das Haus weiter auf den großen Hof mit
den anderen Gebäuden, darunter die vielbesuchte Luther-Halle. Wenn die
kleine Tür zum Hof in der Mitte des Torbogens geöffnet ist,
fällt von dort gewöhnlich Licht in den Durchgang, den die meisten
Besucher, die von der Straße kommen, allerdings nur eilig durchqueren.
Wer aber dort einen Moment innehält und umherschaut, kann über dem
Bogen oben unter der Decke in großen Buchstaben eine Inschrift finden:

Niemand lasse den Glauben daran fahren,
dass
Gott an ihm eine große Tat will.

Und mit kleineren Buchstaben ist zugesetzt: Dr. M.
Luther. Das überrascht und wird schon manchen zum Nachdenken gebracht
haben.

Ich komme in jedem Jahr mehrmals ins Wittenberger
Augustinerkloster, und jedes Mal wird mein Blick von der Inschrift angezogen.
Was für ein kühnes Wort! Wie kommt Luther darauf, und was mag er sich
dabei gedacht haben? Auf alle Fälle ist es ermutigend, auch wenn man nicht
gleich weiß, was man so zuversichtlich von Gott erwarten soll, wie es
hier behauptet wird.

Ich habe schon Lust verspürt, mich einmal mit
Mikrofon und Aufnahmegerät auszurüsten und mir das Gehabe eines
professionellen Reporters zu geben, um den einen oder die andere von den
Touristen, die hier durchgehen, zu befragen, was sie von dem Spruch halten.

Zuerst habe ich aber den näherliegenden Weg
gewählt und mich an die im Hause arbeitenden Luther-Spezialisten gewendet
und nachzusehen gebeten, in welchem Zusammenhang der Satz bei dem Reformator
steht. Aber siehe da! – Bis jetzt ist in den vielen Bänden von
Luthers Schriften, in den Predigten und in den Tischreden und wo auch immer,
eine Fundstelle nicht nachgewiesen. Hat man das Wort noch nicht aufgespürt
oder gibt es das in der schriftlichen Überlieferung gar nicht? Ist es
freigebildet unter Berufung auf Luther, was nicht ohne Beispiel wäre? Die
Schrift an der Wand deutet auf das späte 18. Jahrhundert, aber das sagt
nicht viel.

So musste ich mich wieder auf das eigene
Nachdenken verlassen. Im Laufe der Zeit habe ich das Wort liebgewonnen, sei es
nun von Luther oder von einem anderen. Es weitet das Herz und lässt den
Blick heben.

Niemand lasse den Glauben daran fahren,
dass
Gott an ihm eine große Tat (tun) will.

Was die große Tat sei, kann ich wohl erst
erfahren, wenn sie sich ereignet, aber mir wird mit diesem Sätzchen auf
ganz einfache Weise etwas Wichtiges über Gott gesagt.

Er ist einer, der dort steht, wohin die Linien
meines Lebens laufen; der mir entgegentritt und von dem ich Großes
erwarten darf, das ich in jedem Fall als etwas für mich Gutes erfahren
werde.

Wird es eine überraschend neue Wendung in
meinem Leben sein oder eine Bewahrung in Gefahr? Werde ich zu etwas gebraucht
werden, von dem ich noch nichts ahne? Wird es etwas sein, was ich allein erlebe
oder etwas zusammen mit anderen? Wird es eine innere Erneuerung sein, eine
Erfüllung meines Daseins, die übersteigt, was ich bis jetzt kenne?
Oder wird es die endgültige Erneuerung meines Lebens sein, wenn mein
irdisches Leben zu Ende gegangen ist?

Das Wort im Wittenberger Torweg lässt mich
innerlich und äußerlich den Kopf heben. Es nötigt, auf mein
Leben, wie es vor mir liegt, zu sehen und darüber hinweg auszuschauen nach
einer neuen Begegnung mit Gott. Mein Herz und meine Gedanken werden auf ihn
eingestellt.

Und der Blick aus dem dunklen Raum durch die
Tür hinaus ins Helle wird unversehens zum Symbol dafür.

Liebe Gemeinde!

Diese kleine Erinnerung vorweg, damit wir das
Bibelwort für die Predigt vielleicht ein wenig besser vorbereitet
hören. Auch dieses Wort öffnet die Perspektive auf das ganze Leben.
Es setzt in Erwartung, weil es von dem spricht, was Gott für uns tut. Es
ist ein Stück aus der Rede Jesu, mit der im Johannes-Evangelium die
Erzählung von der wunderbaren Speisung der 5000 fortgesetzt wird.

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch:
Wer glaubt,
der hat das ewigen Leben.
Ich bin das Brot des Lebens.
Eure Väter
haben das Manna gegessen in der Wüste
und sind gestorben.
Mit dem
Brot aber, das vom Himmel herabkommt, steht es so,
dass man von ihm essen
und nicht mehr sterben soll.
Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel
herabgekommen ist.
Wer immer von diesem Brot isst, wird leben in Ewigkeit.

Christus, das Brot, das vom Himmel herabgekommen
ist. Wer davon isst, wird leben in Ewigkeit.
Was für ein Bild! Es wird
angespielt auf die alte Geschichte vom Manna, mit dem Gott vom Himmel her das
hungrige Volk Israel in der Wüste ernährt hat. Aber auch wer diese
Geschichte nicht kennt, versteht die Bildsprache. Brot – das ist ein
Urwort der Menschheit von sinnlicher Anschaulichkeit und zugleich von
sinnbildlichem Reichtum. Kaum eine Kultur, die das Brot nicht kennt. Noch heute
morgen werden es die meisten von uns in der Hand gehabt haben, vielleicht
gestern beim Bäcker gekauft, in einem Laden mit dem wunderbaren Geruch des
Brotes, der ihm bleibt, solange es noch warm ist. Die Wärme des Feuers im
Ofen ist verwandt der Wärme der Sonne, des Sommers, der Ernte, in der
einmal das Getreide gereift ist. “Brot ist der Erde Frucht, doch ists vom
Lichte gesegnet“, sagt der Dichter.

Wir brauchen Brot, wir brauchen Nahrung,
täglich mehrmals. Nur im Stoffwechsel mit der Natur können wir unser
Leben erhalten, weil wir selbst Naturwesen sind. Aber Leben geht nicht auf in
der Sorge ums Überleben. Wir suchen das Leben, zu dem wir dankbar Ja sagen
können. Zwischen Lebenserhaltung und Lebenserfüllung spannt sich der
weite Bogen unserer Bedürfnisse. Nahrung ist nur das elementarste davon,
deshalb kann das Brot zum Inbegriff all dessen werden, “was Not tut
für Leib und Leben“. So zählt Luther in der Auslegung der
Vaterunser-Bitte im Katechismus auf: Essen und Trinken, Kleider und Schuh, Haus
und Hof, Partner und Freunde, gute Regierung und Friede, Gesundheit und
Ansehen.

Wie verschieden ist unser Verhältnis zu
diesen Elementen des Lebens: Manches steht in unserer Verfügung, und wir
müssen nur kräftig zupacken und können es uns erarbeiten.
Anderes trifft uns schicksalhaft, und es wird verlangt, dass wir uns dazu in
ein Verhältnis setzen: die Grenzen der Begabung, die Grenzen der
Gesundheit, das Verflochtensein im Guten und im Bösen in die Geschichte
unserer Zeit. Und zuletzt die Erfüllung, das Glück, – wie begegnen
sie? Das ist in jedem Fall etwas, was der einzelne ganz persönlich
erfährt. Und je weiter die Skala der Bedürfnisse an die letzte
Lebenserfüllung heranreicht, desto mehr gehen die Überzeugungen der
Menschen davon auseinander. Und gewiss ist richtig, was ein Philosoph einmal
klug und spitz gesagt hat: Mit aller Macht glücklich werden wollen, das
ist der sicherste Weg, um sich unglücklich zu machen.

Auf diesem Hintergrund hören wir Jesu Wort:
“Ich bin das Brot des Lebens“. Wir verstehen, dass es zuerst etwas
mit der Lebenserfüllung zu tun hat. Ein Leben mit ihm, in seiner Nachfolge
– ein dankbar bejahtes Leben, das ist die Grunderfahrung, von der unser
Glaube herkommt. “Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen
Lebens“, bekennt Petrus nach der Auseinandersetzung, die Jesu Rede vom
Lebensbrot entzündet hatte. So oder so ähnlich reden alle, die einmal
zu glauben begonnen haben.

Achten wir genau auf die Formulierung in Jesu
Wort, so fällt auf, dass es nicht heißt: Ich gebe euch
Lebensbrot, erfülltes Leben. Nein, ein noch viel innigerer Ausdruck ist
gewählt: Ich bin das Brot des Lebens.

Brot ist zum Essen da. Die Nahrung wird verzehrt,
geht in uns ein, entfaltet in uns ihre Energien, wird ein Teil von uns.
Können das auch Menschen füreinander sein? Ja, sie können. Es
ist die Sprache der Hingabe, die Sprache der Liebe, die hier gesprochen wird.
In jeder tiefen Beziehung lassen sich die Person und das, was sie für den
anderen tut, nicht mehr trennen. Was sind Vater und Mutter dem Kind? Nur die,
die etwas geben, etwas für das Kind tun? Das wäre zu wenig gesagt.
Mit ihrem ganzen Dasein wirken sie – ob sie es wollen oder nicht –
auf das Kind. Was sind Freunde, was sind Liebende füreinander? Lässt
sich das aufschlüsseln in einzelne Vorzüge und Vorteile? Nein, und
wenn jemand so sprechen wollte, wären das doch nur Umschreibungen der
Beziehung, in der eine Person als ganze zur anderen steht. So meint es Jesu
Wort. Hier spricht einer, der sich rückhaltlos zur Verfügung stellt
in einer Bewegung der Hingabe und der Liebe, in der er innerlich von uns Besitz
ergreift und wir von ihm.

“Wer von diesem Brot isst, wird leben in
Ewigkeit“, heißt es weiter. Leben im Gegenüber zu ihm – ein
ewiges Leben. Ewiges Leben ist zuerst das Leben aus der Liebe Gottes und in der
lebendigen Beziehung zu ihm, wie es sich jetzt ereignet. So nahe uns Jesus ist;
seine Worte, seine Person sind ein einziger Verweis auf Gott. “Ihm, Jesus,
glaube ich Gott“, hat eine Theologin schön formuliert. In der
Begegnung mit Jesus werden wir aufgeschlossen für Gott, die Quelle allen
Lebens.

Das übergreift dann allerdings das
bloße Hier und Jetzt.
Keinen Teil unseres Daseins können wir aus
dem Gottesverhältnis ausklammern. Auch was in unserem Leben vermeintlich
nur Natur oder schicksalhafte Gegebenheit ist, rückt hinein in diese
Beziehung. Wir lernen Gott als unseren Schöpfer erkennen, und es wird zu
spannenden Frage, wie sich das alles zueinander verhält und wie wir uns
dazu verhalten: der Glaube an Christus, unsere Pflichten uns selbst
gegenüber und anderen Menschen und die Widerfahrnisse auf unserem
Lebensweg.

Nicht anders steht es mit der Zukunft. Gott wird
unser Leben im Tode nicht fallen lassen. Er wird es aufnehmen und zur
Vollendung führen. Nicht immer empfinden und begreifen wir, welcher Trost
das ist. Manchmal bringt das nur der Kontrast nahe.

In Berlin hat vor einigen Wochen die Ausstellung
’Körperwelten’ begonnen. Mit farbigen Kunststoffen
präparierte tote menschliche Körper, gesunde und kranke, in Teilen
oder im Ganzen, wenn auch immer ohne die schützende Haut, die meisten
davon in exzentrischen Posen werden der Neugier und der Sensationslust des
Publikums dargeboten. Die Leute laufen hin, und ein kräftiger Streit
über Sinn und Unsinn des Unternehmens hat begonnen. Da erzählt mir
eine Frau, dass sie beim Friseur mit einer anderen ins Gespräch gekommen
ist, die die Ausstellung besucht hat. “Warum sind Sie hingegangen?“
fragte sie. “Ich habe solche Angst vor dem Tod und dachte, das könnte
mir helfen.“ – “Und hat es geholfen?“ –
“Nein“.

Christus sagt: “Ich bin das lebendige Brot
vom Himmel gekommen. Wer davon isst, wird leben in Ewigkeit.“

In den 60er Jahren standen in Ost-Berlin die
Gemeindeseminare hoch im Kurs. Dort, wo ich damals wohnte, widmete sich eins
dem Abendmahl. Dabei entstand unter uns die Überzeugung, dass es
schön, hilfreich und sinnvoll wäre, bei der Austeilung von Brot und
Wein die Worte aus dem Johannesevangelium zu sprechen. Das Wort vom Brot mit
der Verheißung ewigen Lebens und das Wort, mit dem Christus sich den
Weinstock nennt und die Seinen die Reben und fortfährt: “Wer in mir
bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, und ohne mich könnt ihr
nichts tun.“ In die kirchliche Gottesdienstordnung sind diese Worte leider
nicht aufgenommen worden, aber mich und vielleicht noch anderen haben sie
seitdem bei dieser Handlung begleitet und haben geholfen, das Abendmahl mit
Zustimmung und Dank zu feiern.

Amen.

OKR Dr. Traugott Vogel
Dorfstr. 4, 16540
Stolpe
Tel./Fax: 03303 – 403194


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