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Karfreitag

Karfreitag | 15.04.2022 | Marianne Frank Larsen |

In der Mitte steht das Holz des Kreuzes. Nicht tot, sondern offenbar lebendig, mit gerippter Rinde, wo das Licht in der Feuchtigkeit und den Spalten in vielen Farben spielt. Auf dem Altarbild des dänischen Künstlers Per Kirkeby in der Kirche von Gentofte (Kopenhagen) sieht man keine Menschen. Und doch. Am Fuße des Baumes finden wir die klare blaue Farbe auf der einen Seite und die klare rote Farbe auf der anderen Seite. Das kann nichts anderes sein als ein Hinweis auf die Menschen, die da in der Kirchenkunst seit dem Mittelalter gestanden haben, auf Altartafeln, in Kreuzigungsgruppen, auf Ikonen, als holzschnittarbeiten und Gemälde sowie i Mosaiken wie das wunderbare Mosaik in der Kirche San Clemente in Rom. Maria in einem Gewand, das so blau ist wie der Himmel, Johannes in einem Gewand, das so rot ist wie Blut – und wie Liebe. Wenn da zwei Menschen am Fuße des Kreuzes stehen, dann können wir damit rechnen, dass sie es sind: Die Mutter Jesu und der Jünger, den Jesus liebhatte. Das ist eine sehr alte Tradition, die Per Kirkeby in sein ganz neues Altarbild einbezieht. Das ist die Gegenwart zweier Menschen, die er mit der klaren blauen und der klaren roten Farbe am Fuße des Kreuzes andeutet.

Das Motiv stammt aus der Leidensgeschichte, so wie Johannes sie erzählt, so dass man sagen kann: Sie stehen dort, weil es im Text steht. Aber daran sind Künstler bekanntlich nicht gebunden, das genügt also nicht als Begründung. Wenn Per Kirkeby und übrigens auch der dänische Maler Ane Haugen Sørensen und mehrere andere die alte mittelalterliche Tradition in ihre ganz neuen Deutungen des Karfreitags heranziehen, so ist das eine bewusste Wahl. Maria und Johannes geben nämlich dem Bild vom Kreuz eine ganze Reihe von fruchtbaren Deutungen.

Die beiden stehen am Fuß des Kreuzes als Zeugen der Fürsorge Jesu. Denn wie Johannes erzählt, ist Jesus nicht beschäftigt mit seinem eigenen Leiden und Schmerz. Selbst als er am Kreuz hängt und seinen furchtbaren Tod stirbt, hat er einen Blick für die Menschen, die ihm verbunden sind, und einen Blick für den Verlust, den sein Tod für ihr Leben bedeutet. Auch in den letzten Stunden strömt seine Liebe frei und lässt ihn Maria und Johannes der gegenseitigen Fürsorge anvertrauen. So erfährt Maria die Fürsorge, die er selbst ihr hätte geben sollen, wenn seine Aufgabe nicht eine andere gewesen wäre. Er hatte die Seinen geliebt, wie Johannes an einer Stelle sagt, und er liebte sie bis zuletzt. Davon zeugen Maria und Johannes am Fuße des Kreuzes.

So zeugen sie jedoch auch von der Fürsorge, die wir einander geben sollen, wenn die Katastrophe oder der Verlust und treffen. Und dazu verpflichtet uns der Gekreuzigte. Wenn uns Krankheit oder Unglück oder Unrecht widerfahren und wenn wir die verlieren, die unentbehrlich sind, macht es einen großen Unterschied, ob wir damit allein sind. Oder ob da jemand kommt und uns beisteht und die Hand reicht, wie sie Johannes Maria reicht und ihr in der äußersten Not beisteht. Die Wärme der Hand eines anderen Menschen oder Worte oder eine Umarmung können das sein, was uns daran festhält, dass das Leben wert ist zu leben, ja dass wir überhaupt am Leben sind trotz des Unterganges, in dem wir mitten drinstehen. Das einzige, was wir einander geben können. Das ist scheinbar unendlich wenig, und dennoch ist es buchstäblich lebenswichtig für den, der einen Verlust erlitten hat. Maria und Johannes sind Zeugen diese Fürsorge am Fuß des Kreuzes.

Sie sind jedoch Zeugen für mehr als das. Denn sie bezeugen ja, was sie sehen und hören. Maria und Johannes stehen am Fuß des Kreuzes im Mittelalter und heute, weil sie das bezeugen, was Karfreitag auf Golgatha geschieht, und deshalb bezeugen, was geschieht, dass er stirbt mit einer Ruhe als einer, der weiß: Was hier geschieht, macht unendlich viel Sinn. Als einer, der die grausamen Ereignisse mit den Augen der Ewigkeit sieht und voll und fest darauf vertraut, dass er auch hier eins ist mit dem Vater, ja dass er so gesehen nie mehr eins war mit dem Vater als jetzt, wo er am Kreuz erhöht wird, wie Johannes das formuliert. Das ist die Verherrlichung, nach der er gestrebt hat, seit er zum ersten Mal die Wirklichkeit der Menschen bei der Hochzeit zu Kana verwandelte.  Das sind Worte, an denen wir uns stoßen. Erhöhung und Verherrlichung – über eine brutale Hinrichtung und einen furchtbaren Tod. Aber das ist der Sinn, den er selbst in den Ereignissen von Karfreitag sieht: So tut er den Willen seines Vaters – indem er den Tod stirbt, den wir Menschen sterben. Das ist das Vertrauen zum Vater, von dem Maria und Johannes zeugen, wenn sie seine Ruhe sehen und ihn sterben hören, nicht mit einem Schrei, sondern mit der Gewissheit, dass es vollbracht ist. Das ist so wie es sein soll. Er ist dort, wo er sein soll. In unserem Leiden und Tod – in den Händen seines Vaters. 

Damit sind wir jedoch bei dem innersten Sinn dessen, dass Maria und Johannes dort stehen, wo sie stehen, am Fuß des Kreuzes. Sie sind nicht nur Zeugen. Sie sind Repräsentanten. Johannes ist ein Mann, so jung, dass er noch keinen Bart trägt, er hat auch keine Familie. Maria ist Frau und Ehefrau und Mutter, und sie ist nicht mehr jung. Zusammen repräsentieren sie uns alle, Frauen und Männer, Junge und Alte, Kinderlose und Singels, Mütter und Väter, Söhne und Tochter, verletzlich und ohnmächtig, liebend und trauernd. Sie stehen da, weil sie es sind, für die er stirbt. Oder für uns. Damit wir darauf vertrauen können, dass er mitten unter uns lebt, in unserem gewöhnlichen Leben, und das er unseren Tod stirbt. In die Verletzlichkeit und die Katastrophen unseres Lebens bringt er die Gegenwart, das Leben und die Schöpferkraft seines Vaters, und in die Finsternis in unserem Tod. Das ist das warme gelbe Licht, dass auf dem Altarbild von Per Kirkeby die Finsternis vertreibt. Weder wenn wir an unserem Kreuz stehen wie Maria und Johannes, oder wenn wir in unseren Gräbern liegen, sind wir außer der Reichweite seines Vaters und seiner Liebe. . Das ist es, was Maria und Johannes uns ohne Worte erzählen. Und im Grunde sind sie deshalb auf Altären, Kruzifixen und Bildern zu sehen, im Mittelalter wie in Gentofte im Jahr 2012.

Und im Jahr 2013. In der Nørremarkskirche im dänischen Vejle hat der dänische Künstler Peter Brandes eine Kreuzigung geschaffen, die in meinen Augentief bewegend ist. Auch hier sehen wir Maria zur Linken des gekreuzigten und Johannes zur rechten, gebeugt, trauernd. Sie erinnern an Adam und Eva und alle anderen, Frauen und Männer, die trauern. Die goldene Wand ist denn auch bedeckt von goldenen Tränen. Es sind die Tränen, die Mafia, Johannes und wir anderen weinen, wenn wir die verlieren, die wir lieben. Oder sind es goldene Flammen, die schon jetzt ankündigen, dass die Freude neu aufflammen kann? Oder goldene Kerne. Weizenkörner, die in die Erde fallen und sterben, um vielfältig zu geben? Christus hat jedenfalls die Gestalt eines Sämannes erhalten. Zugleich ist er der Gekreuzigte. Das ist verwunderlich und sehr schön. Das Lendentuch ist über dem Arm angebracht und in den Sack verwandelt, in dem der Sämann das Korn trägt. Der eine Arm hat sich vom Kreuz gelöst. Mit seiner großen Hand streut er das goldene Korn in die Welt, wo Maria und Johannes und wir anderen leben, und in die Erde, der wir auch liegen werden. Schöner lässt es sich vielleicht nicht sagen, dass er stirbt, um sein Leben als goldene Körner in unser Leben zu säen. Amen.


Pastorin Marianne Frank Larsen

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