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Karfreitag | 07.04.2023 | Mikkel Wold |

Für die Anhänger Jesu, die am ersten Karfreitag der Geschichte am Kreuze Jesu standen, muss die Situation eine totale Niederlage gewesen sein. Die Hoffnung, die mit Jesus als dem Erlöser verbunden war, konnte der Konfrontation mit dem, was nun geschehen war, nicht standhalten. Jesus als hingerichteter Verbrecher. Der Jesus, der angeklagt war wegen Blasphemie und weil er sich Sohn Gottes nannte, ein Mensch ohne besondere Gestalt, arm und geliebt von den Ausgestoßenen, der war nun als Krimineller hingerichtet worden.

Aber dieser Tag wurde für die Anhänger Jesu nur eine kurze Zeit ein Tag der Niederlage. In der Alten Kirche wurde er bald der Tag des großen Sieges, weil der Gekreuzigte der siegreiche Überwinder des Todes wurde. Für sie war deutlich, dass Jesus die Mächte des Chaos überwunden hatte.

Natürlich wussten sie sehr wohl, dass diese Chaosmächte weiter wirksam waren, das konnte jeder ja sehen, aber ein völliger und allesentscheidender Sieg war durch das Leiden und den Tod Jesu errungen. Ein versöhnender Tod, sollte es später heißen, und der Gedanke, dass der Tod Jesu eine Art Bezahlung für die menschlichen Sündenschuld sei, setzte sich immer mehr durch. Aber als eine Art Strafe, die den Zorn Gottes dämpfen und in besänftigen sollte, macht das nicht sehr viel Sinn, wenn man die Verkündigung der Alten Kirche betrachtet. Für sie waren es die Chaosmächte, die besiegt worden waren.

   Zugleich jedoch liegt in den Ereignissen des Karfreitags ein Element der Versöhnung. Die frühe Kirche verkündigte den Kreuzestod als eine Überwindung der Liebe und als Versöhnung in dem Sinne, dass Jesus die Last auf sich nahm, die wir nicht tragen können.

Paulus schrieb, dass der Tod der Lohn der Sünde sei, und er fügte hinzu, dass die Gnadengabe Gottes ewiges Leben in Christus Jesus sei. Damit sagt er etwas ganz Grundlegendes zu den Bedingungen, die mit dem Menschsein verbunden sind. Dass die Gnadengabe Gottes ewiges Leben ist, bedeutet, dass der Mensch nicht mehr mit seiner Schuld oder seinem Tod allein ist.

Das Leiden Jesu ist ein Leiden, das dem Menschen den Weg zur Freiheit bahnt. Das ist dem Denken zuwider und eine der schwierigsten Aussagen des Christentums. Der Tod Jesu ist nicht ein Tod, den Gott verlangt, um sich versöhnen oder die Rechnung aufgehen zu lassen, vielmehr versöhnt Gott mit seinem Werk der Liebe die Menschheit mit sich selbst. Gott rettet uns aus etwas, von dem wir uns selbst nie hätten befreien können. Mit der Kreuzigung nimmt Jesus den menschlichen Tod auf sich, der bedeutet, dass er an unsere Stelle tritt mit seinem Tod, der später zu seiner Auferstehung wird.

Deshalb ist der Tod von diesem Punkt her für uns nicht mehr das letzte Wort. Jesus stand nicht unter der Sünde, er war in seinem Tun ganz Liebe, und dieses Tun bedeutet, dass Jesus für uns den Weg zu Gott bereitet. Christus hat so jedem von uns seine Signatur gegeben. Jesus kommt zu seinem Eigentum, um sich in seiner Herrschaft die anzueignen, die ihm gehören. Eine Herrschaft, die mit dem Kreuz beginnt, die aber Christus auf den Thron hebt.

In den Kirchen in Dänemark, wo man alte Kruzifixe finden kann, wird man beobachten, dass die ältesten von ihnen Jesus nicht als den Leidenden zeigen, sondern als König. Eines von diesen Kruzifixen hängt in der Kirche von Øster Tørslev bei Randers. Das ist nicht ein Kruzifix, das Jesus als den Leidenden zeigt. Seine Haltung ist aufrecht, um die Stirn hat er eine Königskrone statt einer Dornenkrone. Natürlich wusste der Bildhauer, dass man nicht so aussah, wenn man gekreuzigt wurde. Aber der Bildhauer hat wohl an die Worte gedacht, dass es vollbracht ist. Die Königswürde Jesu ist mit seiner Liebe verbunden, und deshalb ist die Würde von einer anderen Art als die, die wir uns unmittelbar vorstellen können. Karfreitag ist die Kreuzigung und Überwindung in ein und derselben Handlung. Hier wird er Grund dafür gelegt, dass Gericht und Barmherzigkeit zusammenfallen.

Mit dem Begriff Gericht haben viele Schwierigkeiten. Im Bereich der Kirche hat man zuweilen versucht, die Schwierigkeiten dadurch zu beheben, dass man es vermeidet, vom Gericht zu reden. Ein etwas erbärmlicher Zugang zum Problem, muss man sagen. Denn das Phänomen Gericht als solches lässt sich ja nicht einfach beseitigen. In unserer eigenen Zeit halten wir dauernd Gericht – über uns selbst und über andere. Wir haben eine Kultur der Selbstbewertung entwickelt, die unser Handeln dauernd evaluiert. Und wir haben wohl auch erfahren, dass es ein kurzer Weg ist von Selbstbeurteilung zu Selbstverurteilung.

Was tut in dieser Situation die Person, deren Leben nicht ein Erfolg ist oder nicht die Erwartungen erfüllt, die man an das Dasein hat? Und was tut der, der sich mit der Schuld herumplagt, entweder über etwas, was er getan hat, oder etwas, was er hätte tun sollen, aber nie getan hat – die verspielten oder missbrauchten Möglichkeiten des Lebens. Einige verdrängen das, indem sie die Situation vermeiden, wo man mit den tieferen Schichten seines Daseins konfrontiert wird. Man umgibt sich vielleicht mit Lärm, Geschäftigkeit, das kann die Sinne betäuben, so dass man nicht seine innere Stimme und das hören muss, was einen im Innersten bewegt. Vielen geht es wie dem Kaiser in dem Märchen von der Nachtigall, wo er in seinem Fieber erwacht und darum bittet, dass die große chinesische Trommel kommen soll, so dass er nicht hören muss, was ihm die Masken an der Wand zuflüstern, denn die Masken sind alle seine Taten, die guten wie die bösen, und die sagen: „Erinnerst du dich an dies, erinnerst du dich an das?“

Der Verdrängung geschieht nicht nur da, wo ich nicht mit meiner Schuld konfrontiert werden will. Sie ist auch dort, wo ich mit meiner Unzulänglichkeit konfrontiert werde. Man kann es nicht ertragen, mit seiner Schuld oder mit seiner fehlenden Fähigkeit, sein Dasein zu gestalten, allein zu sein. Zurück bleiben für viele die Selbstverachtung, die Depression und die Selbstverurteilung.

In Bezug auf diese Situation ist die Rede von Schuld und Gericht zu verstehen. Wenn vom Gericht Gottes die Rede ist, so bedeutet dies, dass ein Mensch in allen Zusammenhängen seines Lebens in einer Situation der besonderen Verantwortung steht, die alle anderen verantwortlichen Beziehungen übertrifft. Der Mensch ist vor Gott verantwortlich, und deshalb lässt man einen Menschen im Stich, wenn man nicht von Gericht spricht. Denn im Unterschied von dem Urteil, das der Mensch über sich selbst fällt, ist das Gericht Gottes mit der Barmherzigkeit verknüpft. Wenn es um die Barmherzigkeit Gottes geht und nicht um eine selbstgemachte Nachsicht, so bedeutet das, dass ich die Befreiung erlebe, die es bedeutet, sich nicht selbst als gut darstellen zu müssen. Ich brauche mich nicht selbst zu rechtfertigen, ich brauche nicht legitimierende Erzählungen von mir selbst zu erfinden. Denn das Gericht Gottes, das mich völlig durchschaut, ist mit seiner Barmherzigkeit verbunden. Da das Gericht eben Gottes und nicht meine Sache ist, brauche ich mich weder für mich selbst oder meine Mitmenschen darum zu bemühen, Gericht zu halten.

Das zu hören ist eine enorme Befreiung für den, der sich um eine Grundlage bemühen möchte, auf der die Selbstbeurteilung beruhen kann. Christus ist der, der das gerichtete Ich annimmt. Die christliche Verkündigung vom Gericht sagt eben nicht, dass niemand schuld ist oder verantwortlich oder dass es kein Gericht gibt, sondern sie sagt, dass die Schuld da ist und dass der Mensch mit der Schuld nicht sich selbst überlassen ist, weil Christus den Menschen angenommen hat. Die Versöhnung ist somit total. Amen.


Pastor Mikkel Wold

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