Lukas 2, 1-20

Lukas 2, 1-20

Liebe Gemeinde!

1.
Wir feiern Weihnachten, das Fest der Geburt unseres Herrn und Heilands
Jesus Christus. Diesen Anfang des geschichtlichen Weges Jesu und den Namen
seiner Mutter nennen wir jedes mal, wenn wir das Glaubensbekenntnis sprechen.
Ähnlich kurz, wie einen Satz aus dem Katechismus, formuliert schon
der Apostel Paulus: „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen
Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die,
die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen“
(Galater 4,4f.)

Der Evangelist Lukas erzählt uns das Gleiche in einer Geschichte,
so wie sie ihm wohl erzählt worden war, wenngleich mit eigenen Worten.
Und diese Geschichte nimmt uns hinein in Gottes Wunder-Handeln. Sie erzählt,
was damals wirklich geschehen ist, wie es kein Fotoreporter hätte
aufnehmen können. Hätte er den Lobgesang der Engel im Himmel
filmen können? Aber diese Botschaft und dieser Lobgesang sind doch
der Schlüssel zur ganzen Weihnachtsgeschichte! Ohne diese Botschaft
vom Himmel wäre es nur der Bericht vom Elend eines herumirrenden
Paares, einer jungen Frau, die ihr erstes Kind in einem Stall zur Welt
bringen muß und von menschenfreundlichen Hirten, die ihr seelischen
Beistand geleistet haben.

Es ist das gleiche Geschehen, von dem der Apostel Paulus schreibt, auch
wenn Lukas nicht das Wort „Sohn Gottes“ gebraucht, um den zu
benennen, der hier zur Welt kam. Dies Wunder aller Wunder, daß Gottes
Sohn im Sohn Mariens in unsere Welt eintritt, das klang in der Zusage
des Engels an das junge Mädchen in Nazareth an (Lukas 1, 12.15) und
bei der Taufe im Jordan, Jahre später, wird es Gott selbst Jesus
zurufen (Lukas 3, 22). Lukas kann ja erzählen. Da bleibt Raum für
das Heranwachsen eines Kindes im Kreis der Familie, bis Gott ihn rufen
wird, das zu sein, was er immer schon war.

Noch an einer anderen Stelle formuliert der Apostel einen theologischen
Grundsatz, während der Evangelist erzählt, was in unserer Welt
geschieht. Wenn der Apostel Paulus formuliert: „..unter das Gesetz
getan“, dann denkt er an das Gesetz des Mose, das doch Gottes Gesetz
für sein Volk, das jüdische Volk ist. Das ist das Lebensthema
des Apostels, wie weit dies Gesetz auch für Glaubende, an Jesus Christus
Glaubende aus der Heidenwelt, gilt. Das weiß der Evangelist Lukas
auch; er erzählt, daß das neugeborene Kind am 8. Tag beschnitten
wurde (Lukas 2, 22).

Auch zuvor ist von einem Gesetz die Rede, aber nicht dem Gesetz Gottes,
sondern von einem Erlaß des Kaisers. Er zwingt das Paar mit der
hochschwangeren Frau, den weiten Weg von Galiläa bis nach Bethlehem
zu gehen. Aber eben so kommt Gottes Plan zum Ziel: Josph war Davidide,
Nachkomme des alten Königshauses. So wurde Jesus, der Davidssohn,
in der Stadt geboren, aus der auch sein Ahnherr kam. Die Übersetzung
Luthers ist hier heute etwas mißverständlich. Sie kamen in
das Land Judäa. So heißt es auch in der russischen Übersetzung.
Denn jüdisches Land ist Bethlehem eben heute nicht, es ist arabisches
Land. Aber diese heilsgeschichtliche Bedeutung hebt doch die menschliche
Realität nicht auf. Der Erlaß des Kaisers gehört zu den
Zwängen unserer Welt, die Last sind: der weite Weg, die vergebliche
Herbergssusche, die Geburt in einem Viehstall.

Wenn wir hinüberschauen zur Weihnachtsgeschichte des Matthäusevangeliums,
hören wir noch von ganz anderen politischen Zwängen. In unserer
Welt gibt es Herrscher, die nicht davor zurückschrecken, Kinder ermorden
zu lassen, weil von dort möglicherweises Gefahr für ihren Thron
ausgehen könnte. Die junge Familie muß ins Ausland fliehen,
einen viel längeren Weg als der von Galiläa nach Bethlehem.

Auch die Hirten hatten ein hartes Leben. Sie werden die Botschaft der
Engel anders gehört haben als der Apostel Paulus das Geschehen versteht.
Sie hören die Proklamation eines neuen Königs, des ersehnten,
verheißenen Retters, des Messias. Das erklärt die Angst des
Herodes. Die Hirten mögen auf eine Änderung ihres elenden Lebens,
auf Befreiung aus der Fremdherrschaft der Römer gehofft haben. Nicht
so schnell, denn der neue Herrscher ist ja noch ein Kind. Aber das hindert
sie nicht, ihm zu huldigen. Ein Baby in einer Futterkrippe, das fanden
sie und waren bereit, der Zusage der Engel zu trauen und von diesem Kind
Großes zu erhoffen.

2.
Wenn die Hirten die Engelsbotschaft so verstanden haben sollten, war das
dann nicht ein großes Mißverständnis? Allerdings wäre
es dann ein Mißverständnis gewesen, das dieses Kind auf seinem
ganzen Lebensweg begleitet hat. Es ist wieder der Evangelist Lukas, der
uns von den Emmaus-Jüngern berichtet, die nach der Kreuzigung ihres
Herrn verzweifelt sind, dem Frauengeschwätz von einem leeren Grab
nicht trauen und den fremden Mann, der zu ihnen tritt, nicht erkennen.
Sie begründen ihm gegenüber ihren Kummer: „Wir hofften,
Er sei es, der Israel erlösen werde“ (Lukas 24,21). Erst danach,
als Er mit ihnen zu Tische saß , als Er das Brot nahm, dankte, es
brach und ihnen gab, beim heiligen Abendmahl, wurden ihnen die Augen geöffnet
und sie erkannten ihren auferstandenen Herrn (24,30f.). Er hatte sich
ihnen als Christus, der Herr, gezeigt, wie es der Engel in der Nacht der
Geburt verkündigt hatte. Aber hat er sein Volk erlöst? Der Engel
hatte von einer Freude gesprochen, die allem Volke widerfahren soll. Wer
ist das, „alles Volk“? Die Ausleger denken zunächst an
das jüdische Volk, was sollte auch anderes im Gesichtsfeld der Hirten
zu erwarten sein. Die Emmausjünger sagen es unmißverständlich:
Israel.

Nun berichtet Lukas in der Apostelgeschichte ausführlich, wie das
Evangelium über die Grenzen des jüdischen Volkes hinaus auch
zu den Heiden gelangt. Der Apostel Paulus wird dann für die eine
Kirche aus Juden und Heiden kämpfen. In diesen Zusammenhang gehört
ja dann auch seine Deutung des Kommens des Sohnes Gottes in unsere Welt,
damit er die Mauer zwischen Juden und Heiden, das Gesetz des Mose, entmächtige.
Erst damit wird ja die Weihnachtsgeschichte, wie wir sie gehört haben,
auch unsere Geschichte. Die große Freude, die der Engel den Hirten
verkündigt hat, gilt damit allen Völkern, sie wird auch unsere
Freude.

Aber damit ist die Frage ja nocht beantwortet: Hatten die Hirten und
die Jünger sich geirrt, als sie die Rettung für ihr Volk, das
jüdische Volk erhofften? Das eine ist klar: Wenn dies Kind in der
Krippe der Heiland ist, dann ist dies eine Zusage nicht nur für unser
Inneres, sondern an die Welt, Gottes ungehorsame Schöpfung.

Es gibt ja gerade heute wieder einmal Stimmen, die sagen, alle Zwietracht
unter den Menschen, aller Terror kommt von der Religion. Das ist sicher
ein schreiender Widerspruch gerade zur Weihnachtsbotschaft der Engel:
„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden für die
Menschen, an denen er Wohlgefallen hat“ (Lukas 2, 14). Und es ist
auch nicht zu bestreiten, daß das Kind in der Krippe, daß
das Evangelium die Welt verändert hat. Es gibt ja auch nicht nur
Streit unter den Religionen und durch sie zwischen Völkern und Gruppen.
Ich komme gerade aus Baku, wo unsere Gemeinde einen neuen Pastor bekommen
hat. Auf Einladung des deutschen Botschafters kamen vor wenigen Tagen
das für religiöse Fragen zuständige Mitglied des Ministerrates,
die Leiter der religiösen Gemeinschaften in Aserbeidjan – der Scheich,
das Oberhaupt der Muslime – Erzbischof Alexander von der Russischen Orthodoxen
Kirche – das Oberhaupt der Bergjuden – der Vertreter der Römisch-Katholischen
Gemeinde – und wir Lutheraner zusammen mit Pastor Dr. Hartmut Scheurig,
um ihn in die Gemeinschaft der anderen Religionsvertreter einzuführen.
Es gibt nicht nur ein Gegeneinander, sondern auch ein Miteinander. Jedenfalls
gilt das für uns.

Ein Blick auf Bethlehem heute zeigt aber auch, wie weit wir noch vom
Frieden auf Erden entfernt sind. Da streiten ja nicht nur andere, auch
unsere lutherische, arabische Gemeinde ist zutiefst betroffen. Müssen
wir deshalb die Botschaft der Engel als widerlegt ansehen? Die Hirten
werden kaum eine Besserung ihres Elends erlebt haben. Die Emmaus-Jünger
sind in ihrer Hoffnung auf die Erlösung Israels auch nicht bestätigt
worden. Aber gerade sie haben etwas erfahren, was uns helfen kann, der
Botschaft der Engel zu glauben. Der Heiland, Christus der Herr, der Gekreuzigte
und Auferstandene, war bei ihnen, auch als sie ihn noch nicht erkannt
hatten.

Wir Christen dürfen in dem Kind in der Krippe, dem Sohn Mariens
und Sohn Gottes, den Retter der Welt erkennen und dafür Gott preisen.
Solchen Glauben schenkt Gott allein im Heiligen Geist. Daß es Menschen
gibt, die den gegenwärtigen Heiland nicht sehen und eben nicht glauben,
bleibt Gottes Geheimnis. Aber wir dürfen uns auch darauf verlassen,
daß er der Heiland allen Volkes und aller Völker ist.

Das gilt nicht nur im Blick auf eine offene Zukunft, es gilt auch heute.
Er, der Auferstandene, hat verheißen: „Siehe, ich bin bei euch
alle Tage bis an der Welt Ende“ (Matthäus 28,20). Er ist bei
uns und sammelt auch heute sein Volk aus allen Völkern und steht
auch denen zur Seite, die ihn noch nicht erkennen und nicht anerkennen.
„Siehe ich verkündige euch große Freude, denn euch ist
heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr“. Und die
Stadt Davids, Bethlehem, bleibt ein Zeichen für das unfaßbare
Geschenk Gottes an uns alle: „Gott sandte seinen Sohn, geboren von
einer Frau … daß wir die Kindschaft empfangen“, daß
wir Kinder Gottes sein dürfen nach dem Bilde dessen, der als Kind
in der Krippe lag. Das ist Weihnachten.

Amen.

D. Georg Kretschmar
Erzbischof der ELKRAS (Ev.-luth. Kirche in Rußland, der Ukraine,
in Kasachstan und Mittelasien)
St. Petersburg
Fax-Nr.: 007 812 3 10 26 65
E-Mail: kanzlei@elkras.convey.ru

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