Markus 10, 35-45

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Markus 10, 35-45

Ehrgeiz und Ambitionen sind problematisch.

Als ich jung war, wurde man schief angesehen, wenn man seine Ambitionen
zu deutlich zeigte. Denn damals waren die Werte deutlicher geprägt
von Idealen der Gemeinschaft und Solidarität. Und da passen Ambitionen
nicht gut ins Bild.

Heute ist das anders. Heute zeigt man seine Ambitionen ganz offen,
einige werden sagen man stellt sie schamlos zur Schau. Karriereplanung
und Verzicht auf Lebensqualität sind keine Schimpfworte mehr, sondern
Mittel in der Welt, in der wir leben.

Dennoch kann das leicht peinlich werden – auch heute. Wie z.B. die
Dame, deren Sohn gerade an der Pädagogischen Hochschule sein Studium
begonnen hatte: Sie stellte dies aber ihrer Umgebung so dar, als werde
ihr Sohn zum Schulrektor ausgebildet! Lächerlich, und ein gewisses
Unbehagen stellt sich leicht ein angesichts allzu offener oder durchschaubarer
Ambitionen. Andererseits wünschen wir, daß es unseren Kindern
gut geht, und wenn unsere Ambitionen nicht so sehr auf Geld ausgerichtet
sind oder Status, sondern darauf, sein Leben so gut wie möglich
zu gebrauchen, einen Beitrag zu leisten und höchste Anforderungen
an sich selbst und andere zu stellen, ja, dann haben wir wiederum nichts
dagegen.

In Wirklichkeit wissen wir nicht ganz, in welcher Richtung die Mutter
der Söhne des Zebedäus sich ihre Ambitionen erfüllt sehen
wollte. Aber da sie vom Reich Gottes redet, könnte einiges dafür
sprechen, daß es sich um das echte Leben handelt, von dem sie redet,
Gott, dem Sohn Gottes und dem Willen Gottes nahe zu sein. Es deutet darauf
hin, wenn Jesus vertiefend fragt: „Könnt ihr den Kelch trinken,
den ich trinken werde?“ – und diese Frage bejaht wird. Es handelt
sich also vielleicht um einige überwiegend positive Ambitionen,
wenn auch etwas komisch vorgetragen. Eines muß man nämlich
dieser Mutter zugute halten: Sie läßt sich nicht von falscher
Demut leiten.

Ihr Ansinnen veranlaßt Jesus dazu, deutlich zu machen, was die
wahre Ambition in diesem Leben sein soll: Nicht Machtposition zum eigenen
Vorteil, sondern ein Dienst in Demut für das Allgemeinwohl, die
Liebe, ein Dienst, dessen Weg Jesus selbst durch sein Beispiel aufzeigt.

Das sind gute Ideale, die uns heute – auch wenn wir sie seit zweitausend
Jahren gehört haben – dennoch unendlich fern liegen, wo jeder danach
strebt, seines eigenen Glückes Schmied zu sein, und nicht so genau
auf die Leichen sieht, die die eigene Macht unterwegs im Straßengraben
hinterläßt. Es scheint so, als sei die Kluft zwischen einer
christlichen, humanen und solidarischen Auffassung einerseits und andererseits
dem Kampf ums Prestige aller gegen alle um Geld und Einfluß unüberbrückbar.
Aber wer hat heutzutage Lust – oder das Format, die Leiden und Widrigkeiten
durchzustehen, die ein echter Dienst für das Leben mit sich bringt?

Die beiden Jünger antworteten ja, aber sie wußten nicht,
wozu sie ja sagten. Jesus wußte, daß sie ihm nicht aus eigener
Kraft in Leiden und Tod folgen konnten. Das sollte sich nach der Verhaftung
Jesu als allzu wahr erweisen.

Ob wir ein Leben akzeptieren, das nicht nur uns selbst gehört,
sondern mehr ist als wir, so daß es Leiden und Schmerz mit sich
bringen kann, das hängt vor allem von zwei Dingen ab. Einmal davon,
wie sehr wir an das Bild Christi gebunden sind und an das Leben, das
er eröffnet, und zum andern davon, ob wir verstehen, was das für
eine Demut ist, die Jesus von uns fordert.

Das letzte zuerst: Wenn wir von Demut reden, meinen wir gewöhnlich
etwas Psychologisches, ein Gefühl, bei dem wir uns selbst binden
und uns selbst zwingen, anständiger und ordentlicher zu sein, als
wir eigentlich sind. Eine Züchtigung, die darin besteht, Ambitionen
zu ersticken und uns klein zu machen – im Vertrauen darauf, daß das,
dem wir diesen, dadurch – fast automatisch – wachsen wird.

Aber so wie Jesus im Neuen Testament den Begriff der Demut gebraucht,
handelt es sich nicht um ein psychologisches Gefühl, sondern um
einen Zugang zum Leben, wo der einzelne nicht das ganze Ziel der Welt
ist, sondern mit der Große rechnet, die eben einen Menschen demütig
machen kann. Ein Zugang zum Leben, den wir Achtung oder Respekt nennen
können. Achtung vor dem Leben, wie es an sich ist, Respekt vor anderen
Menschen – auch denen, die ganz anders sind als ich.

Es ist der Respekt davor, daß das Leben und die anderen Menschen
etwas enthalten, mit dem ich aus mir selbst nicht in Kontakt kommen kann.
Etwas oder jemand muß von außen kommen, um es mir zu öffnen.
Demut ist eine Leidenschaft, die sich nach außen richtet, ein Sich
ausstrecken und Empfangen. Demut heißt eingestehen, daß jeder
– auch der oberflächlichste – Kontakt mit anderen Menschen dazu
beiträgt, den Lebensmut dieses Menschen zu dämpfen oder zu
fördern. Niemand von uns kann mit einem anderen Menschen zusammensein,
ohne einen bestimmten Ton anzuschlagen. Und mit diesem Ton wagt man sich
im Verhältnis zueinander hervor. Das kann man, wenn nicht anders,
daran merken, daß der Ton unsicher wird, wenn man glaubt, daß der
andere eigentlich nichts mit einem zu tun haben will oder einen nicht
akzeptiert.

Jede Begegnung zwischen Menschen enthält ein kleines Drama, wo
Menschen gegenseitig Macht über einander gewinnen. Jeder von uns
hat erlebt, wie ein Busfahrer, der Hilfsbereit ist, die Hilfsbereitschaft
bei allen hervorruft, die sich im Bus befinden. Und wo Menschen sich
in Trauer und Krise näher kommen, sieht das Dasein ganz unterschiedlich
aus – je nach dem ob meine Trauer und Unsicherheit einen Raum bekommt
oder ob sich kein Raum dafür öffnet.

Demut heißt, diese Situation wahrnehmen, die Würde des anderen
achten – ohne sich selbst zu vergessen. Und dies gilt nicht nur anderen
Menschen gegenüber, daß sie sich in unserer Macht befinden,
wenn wir mit ihnen zu tun haben. Wir können auch unser Lebensschicksal
entweder in Demut oder ohne Demut verwalten. Demut heißt keineswegs,
sich alles gefallen zu lassen, sich mit Ungerechtigkeit abfinden – ja
fast ganz im Gegenteil heißt Demut, sich nicht damit abzufinden,
wenn Leben nicht zu Leben wird, sondern in Formen erstarrt, in Gewohnheiten,
Konventionen, Angst und Phantasielosigkeit. Demut heißt, sich dazu
zu bekennen, daß man für etwas einsteht, kämpft – ganz
gleich wie die äußeren Bedingungen sich gestalten.

Demut sehen wir dort, wo der Einsame darum kämpft, seine Einsamkeit
zu überwinden, indem er sich hervorwagt anderen Menschen gegenüber.
Demut ist der Kampf des Behinderten, nicht in Selbstmitleid oder Trauer
zu versinken. Demut ist die Verpflichtung, die du, der du viel empfangen
hast, anderen gegenüber fühlst, etwas weiterzugeben, die Freude
zu teilen.

Die Nicht-Demut hat vor allem zwei Gesichter: Einmal die Flucht aus
dem Zusammenhang, in dem du stehst, aus der Solidarität mit der
Umgebung, von der du lebst, zu der du aber nicht stehst. Die Flucht aus
den Schwierigkeiten, dem Leid, aus dem, was deine Zeit beansprucht, deinem
Engagement, deiner Nähe, deinem Mit-Leben.

Du kannst in vieler Weise fliehen: in die Arbeit, Rauschmittel, in
den Verbrauch von Menschen und Dingen. Die Flucht kann auch andere Gesichter
haben: Du bist beleidigt, fühlst dich übergangen. Wo du dir
einbildest, daß die Welt dir nichts zu bieten hat, so daß du
ihr keine Achtung entgegenzubringen brauchst – vielmehr meinst du sie
nach eigenen Gutdünken ausnutzen zu dürfen und dich einen Dreck
um die anderen scheren zu brauchen und darum, daß du mit deiner
Umwelt verwachsen bist. Oder indem du dich für viel besser hältst
als die anderen. Du brauchst sie gar nicht!

Aber Jesus war und ist nicht ein Beispiel weder für die Jünger
noch für uns. Er sagte nicht: „Lebt für andere!“ zu
denen, denen er begegnete. Er machte sich selbst zu einem Vorläufer
und Bahnbrecher – indem er sich den Weg freisprengte durch die Flucht
und die Isolation, den Tod und das Leiden.

Können wir sein Bild nicht festhalten, kann er es in uns festhalten.
Denn er hat, indem er uns sich selbst gegeben hat, uns teilhaben lassen
an dem Prozeß der Schöpfung und der Liebe, durch den Gott
uns prägt. So prägt, daß wir nicht ohne den Atem sein
können, der Christus in uns sein will. Durch ihn sehen wir, daß sich
das Leben bewegt im Unterschied zwischen dem eigenen Leben und dem Leben
anderer, daß uns das Leben abhängig macht von etwas außerhalb
unserer selbst. Daß der Unterschied und die Verbundenheit notwendig
sind, damit wir zu uns selbst kommen – durch die anderen. Amen.

 

Pfarrer Birte Andersen
Emdrupvej 42
DK-2100 København-Ø
Tel.: ++ 45 – 39 18 30 39
e-mail: bia@km.dk

 

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