Matthäus 6,1-4

Matthäus 6,1-4

 

Sermons from Göttingen on the Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


 

13. Sonntag nach Trinitatis,
9. September 2001
Predigt über Matthäus 6,1-4 verfaßt von Dorothea Zager


Habt acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor
den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn
bei eurem Vater im Himmel.
Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen,
wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie
von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben
ihren Lohn schon gehabt.
Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was
die rechte tut, damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater,
der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.
I.
„Mein Honig und mein Blütenstaub gehören mir und keinem
anderen!“, sagte die blühende Blume, verschloss ihren Blütenkelch
und ließ weder Biene noch Schmetterling von ihrem Nektar naschen.
Dafür welkte sie dahin, ziel- und zwecklos und starb ohne Frucht
und Samen …
Eine winzig kleine Geschichte, liebe Gemeinde, die ausdrückt, was
wir alle fühlen und ahnen: Ein Leben, das nicht gibt und schenkt,
ein Leben, das nicht hilft und anderen Freunde macht, bleibt ein armes,
ein leeres und ein fruchtloses Leben.
Jesus hat also ganz Recht, wenn er in seinen Gesprächen mit den
Menschen seiner Zeit auch diesen Teil unseres christlichen Lebens immer
wieder anspricht: das Schenken, das Spenden, das Almosengeben. Passt
auf, sagt er, wenn Ihr anderen helft. Dann macht es nicht so offensichtlich
und demonstrativ, damit es alle Menschen sehen und Euch toll finden.
Gebt nicht an mit Eurem Edelmut und Eurer Barmherzigkeit. Lasst es auch
nicht herumerzählen, wie gut Ihr zu anderen gewesen seid, damit
man über Eure guten Werke spricht.
Gott möchte es anders: Er möchte, dass wir im Stillen helfen.
So dass nur er es sehen kann. Er möchte, dass wir so helfen, dass
die Menschen, denen wir geholfen haben, wirklich Hilfe erfahren, ohne
beschämt zu werden. Tue Gutes und schweige darüber. So will
es Gott.

II.
Aber: Ganz ehrlich gefragt, liebe Freunde, ist das, von dem Jesus hier
spricht, für uns heute wirklich noch ein Problem? Ich traue Ihnen
zu, liebe Gemeinde, die Sie als treue Christen heute hier sind, Sie
gehen nicht nur zum Gottesdienst, Sie beten nicht nur mit Worten, sondern
leben Ihren Glauben auch in der Tag.
Manche von Ihnen, dessen bin ich mir ganz sicher, tun Liebesdienste
– je nachdem wie viel Zeit Sie dafür finden und wie viel Kraft
Sie dafür haben. Und dass ich es nicht so genau weiß, sondern
nur vermuten kann ist ein Zeichen dafür, dass es auch keiner von
Ihnen vor sich her posaunt.
Wir gehören nicht zu den große Stiftern mittelalterlicher
Kirche, deren Namen auf Glasfenstern leuchten oder in Sandstein gemeißelt
sind.
Wohl kaum eine Parkbank hier in Wachenheim oder Mölsheim trägt
ein Messingschild mit unserem Namen als gütige Spender.
Vielleicht geht es Ihnen sogar ähnlich wie mir: ich mag noch nicht
einmal in einer Spenderliste in der Zeitung oder im Gemeindebrief stehen.
Es taugt nichts, Namen und Summen derer aufzulisten, die für die
neue Orgel oder für die Sanierung des Kirchenvorplatzes gespendet
haben – dann wären 10 DM für einen arbeitslosen Familienvater
nicht ein viel größeres Opfer als für einen erfolgreichen
Geschäftsmann ein Hundertmarkschein? Was sagen da schon Namen und
Zahlen?
Nein, liebe Freunde, ich glaube nicht, dass das Aushängeschild
„Ich bin ein großzügiger Spender“, das Jesus hier
anprangert, heut ein ernsthaftes Problem ist. Wenn es um Almosen – also
um Soenden – geht, dann drückt uns der Schuh, so denke ich, wo
ganz anders. Nämlich bei der Frage: „Was bringt’s?“
Wir sind es gewöhnt, liebe Freunde, stets und ständig diese
kleine Frage zu stellen: Was bringt’s? Was kommt dabei heraus? Lohnt
sich das?
In einer Welt, deren grundlegende Organisation geprägt ist von
Marktwirtschaft, Wettbewerb und Konkurrenz, in einer Medienwelt, die
vor allen politischen und humanitären Nachrichten des Tages zuallererst
„börseimersten“ – also Berichte aus der Welt des Geldes
und des Profits – in den Äther sendet, sind sie die treibenden
Kräfte des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens: die
Fragen nach dem Eigentum, die Frage nach dem Nutzen und dem Ertrag.
Es geht in erster Linie um die Steigerung und Besserung des Lebensstandards
– wohlgemerkt des eigenen! – und darum, dass alles, was wir tun, sich
auch lohnt.
Uns prägt diese kleine Frage „Was bringt’s?“ so stark,
dass sie sogar hineindringt in ganz alltägliche und persönliche
Entscheidungen des Lebens und des Glaubens.
Bitten Sie Ihr Kind, mal schnell zum Bäcker zu laufen und Brot
zu holen, wird es fragen: Darf ich mir bei der Gelegenheit ein Eis holen?
Schicken Sie einen Jugendlichen mit einem eiligen Schreiben zum Briefkasten,
wird er fragen: Und was krieg ich dafür?
Suchen Sie mal einen Ehrenamtlichen, das unentgeltlich bei der Kerwe
mithilft oder beim Baumschnitt oder der Pflege von Gartenanlagen mithilft.
Er wird erst mal darauf schauen, wie es die anderen handhaben. Und wenn
er merkt, dass auch sonst keiner ohne Lohn mitmacht, wird er sagen:
Es sind doch auch noch andere da! Warum ausgerechnet ich?
Viele junge Menschen fragen sich: Was bringt’s mir, Kinder zu haben?
lebe ich nicht freier, ungebundener, wohlhabender ohne solche Quälgeister
und ohne die Kosten, die sie verursachen?
Was bringt’s, wenn ich mich um meine alten Eltern kümmere? Können
das nicht andere tun? Bin ich nicht zu angebunden mit einem Pflegefall
im Haus?
Was bringt mir die Freundschaft zu diesem Menschen noch? – Oder: lohnt
es sich überhaupt noch, um meine Ehe zu kämpfen? Wäre
es nicht einfacher, auseinander zu gehen?
Was nichts „bringt“, das lässt man besser bleiben. Weil
sich’s nicht lohnt.
Das ist einfach. Auch in Glaubensdingen.
Was bringt’s, wenn ich in die Kirche gehe?
Was nützt es, wenn ich bete?
Lohnt es sich überhaupt noch, in der Bibel zu lesen?
Nach Gott zu fragen? Ist das nicht Zeitverschwendung?
So wird alles bei uns auf diese Weise hinterfragt, nach seinem Effekt
und Nutzen. Wichtig ist, dass etwas dabei herausspringt. Wenn nicht,
lässt man’s lieber bleiben.
Dieser Lohn-Gedanke ist nicht mehr wegzudenken aus unserem Leben. Aber
wir spüren es selbst ganz deutlich: Eigentlich ist es nicht gut,
so zu denken. Denn viel an Liebe, an Spontaneität und an Gemeinschaftssinn
geht uns dadurch verloren. Eine Welt, die nur rechnet, wird arm. Arm
an Liebe.
Das gilt genauso für unser Geben und Schenken.
Wir bemerken wohl den wohnungslosen Bettler vor dem Kaufhof sitzen.
Er rührt uns an mit seiner Demut und in seiner Verwahrlosung. Aber
ehe wir uns entschließen, eine Münze in seine Kappe zu legen,
kriecht die kleine Frage in uns hoch: Was bringt’s? Und wir antworten
uns selbst: Nichts. Er wird es sinnlos vertrinken. – Und schon sind
wir vorüber.
Wir lesen den dringenden Hilferuf von Brot für die Welt, zu helfen,
dass die Lage der Menschen in der dritten Welt nicht immer katastrophaler
wird … da kriecht wieder die Frage in uns hoch: Was bringt’s? War
da nicht ein Gerücht, dass Spendengelder in dunkle Kanäle
fließen … Also, was bringt’s dann noch zu spenden? Außerdem
ist eh jede Spende nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Schon
wandert der Bittbrief ins Altpapier.
Vielleicht, liebe Freunde, würde Jesu Predigt über das Almosengeben
heute anders klingen. Und das, was er uns zu sagen hätte, anders
lauten: Wie oft hast Du Deine helfende Hand zurückgezogen, weil
Du die Frage „Was bringt’s?“ zugelassen und nur allzu gern
mit „Es bringt ja doch nichts!“ beantwortet hast?
Etwas hingeben für einen andern, das mich wirklich etwas kostet,
ein echtes Opfer bringen und das auch noch ganz im Stillen, ohne eine
Gegenleistung dafür zu erwarten … das ist unglaublich schwer.
Und wir wissen genau, wie sich in unserem eigenen Leben das christliche
Ideal und unser wirkliches Handeln widersprechen. Ich weiß, ich
sollte mehr geben. Mehr helfen. Aber bringt es im Endeffekt wirklich
was für die, die Hilfe brauchen? Bringt es mit nicht wenigstens
ein bisschen Anerkennung?
„Mein Honig und mein Blütenstaub gehören mir und keinem
anderen!“, sagte die blühende Blume, verschloss ihren Blütenkelch
und ließ weder Biene noch Schmetterling von ihrem Nektar naschen.
Dafür welkte sie dahin, ziel- und zwecklos und starb ohne Frucht
und Samen …
Nein, eigentlich wollen wir das nicht, ziel- und zwecklos dahin zu leben,
und ohne Frucht und Samen sterben … Was aber können wir tun,
um diesen bohrenden Lohngedanken, diese Ängstlichkeit und diese
Frage nach dem Effekt in uns zu bekämpfen?

III.
Richten wir unseren Blick auf Gott, unseren Vater.
Fragte Er nach dem Ertrag, als er den Menschen schuf? Der Urgrund seines
Handelns war Liebe.
Fragte Er danach, was es ihm bringt, wenn er Abraham ins Gelobte Land
führte, Jakob auf seinem Weg nach Ägypten beschützte
und Mose geleitete auf seinem Zug nach Kanaan? Der Urgrund seines Handelns
war Liebe.
Fragte Er danach, wie viel für Ihn dabei herausspringt, wenn er
seine Propheten zu den Menschen schickt, und sie zur Umkehr ruft? Der
Urgrund seines Handelns war Liebe.
Fragte Gott nach dem Profit, als er in der Stunde, als unser eigenes
Leben begann, ja sagte dazu, dass wir leben, ein jeder von uns, einzigartig
und einmalig auf dieser Welt? Der Urgrund seines Handelns war Liebe.
Und fragt Gott danach, was für ihn dabei herausspringt, wenn er
uns täglich beschützt, täglich ernährt, täglich
vergibt? Der Urgrund seines Handelns ist Liebe.
Richten wir unseren Blick auf Jesus. Fragte er nach dem Ertrag?
Fragte er nach dem Gewinn, als er den Zöllner Zachäus vom
Baum rief er und in seinem Haus als Gast am Tisch saß? Der Urgrund
seines Handelns war Liebe.
Fragte er nach dem Erlös, als er Tausende speiste, die Kinder segnete,
die schuldiggewordene Frau vor der Todesstrafe bewahrte? Der Urgrund
seines Handelns war Liebe.
Fragte er nach dem Nutzen als er litt, als er im Garten Gethsemane weinte,
als er am Kreuz den Verbrechertod starb? Der Urgrund seines Handelns
war Liebe.

IV.
Und nicht anders soll es auch bei uns sein, liebe Freunde.
Wenn wir einander helfen, wirklich tatkräftig und uneigennützig
einander zur Seite stehen, dann finden wir uns an der Site Jesu wieder.
Auf einmal stehen wir an seiner Seite, an der Seite dessen, der selbst
an keinem Kranken, Bettelndem und Traurigen vorübergehen konnte,
ohne ihm Zuwendung zu geben; an der Seite dessen, der seine Liebe verschenkte
an Gute und Gerechte genauso wie an Gestrauchelte und Sünder. Und
Er sagt: Du aber folge mir nach!
Und es ist schöner – so sagt es der Theologe und Tropenarzt Albert
Schweitzer treffend – es ist schöner als der herrlichst Glücksfall,
der uns je begegnet, so ein Opfer zu bringen. Wir spüre, dass Jesus
uns braucht. Wir spüren, dass wir unsere kleine Kraft, unsere kleine
Fantasie, unsere kleine Leibe einsetzen dürfen, um an dem großen
Werk mitwirken zu können, Jesu große Liebe in unsere kalte
und arme Welt zu bringen.
Wir finden uns an Jesu Seite wieder. Und damit kommen wir Gott näher
– auch unserem eigenen Ideals, ein liebevollerer und glaubwürdigerer
Christ zu sein, so zu leben, wie Gott es sich von uns wünscht,
als Schenkende, ohne Vorbedingung und ohne Hintergedanken.
Keine Angst, liebe Mitchristen, wir werden dadurch nicht gleich hochmütige
und eitle Pharisäer. Viel zu oft werden wir erkennen, dass wir
Fehler machen, dass die Frage „Was bringt’s?“ uns doch nicht
ganz in Ruhe läst und dass wir versagen. Keine Angst also, sich
auch zu freuen, dankbar zu freuen, wenn Jesus uns als seine Werkzeuge
brauchen kann, und wir dazu taugen, in seinem Namen Gutes zu tun.
Spätestens jetzt, liebe Freunde, wird uns auch klar, dass solches
Handeln aus Liebe sich nicht in klingender Münze erschöpfen
kann – also in einer Spende oder Kollekte. Wenn es ums Schenken und
Geben geht, sind manchmal noch viel kostbarere Dinge gefragt, als das,
was in unserem Geldbeutel steckt. Kostbareres, Unersetzliches. Zum Beispiel:
Zeit.
Eine Stunde Zeit, um einen kranken Menschen zu besuchen.
Ein Abend, um einem einsamen Menschen zu zuhören.
Ein Nachmittag, um mit unseren Kindern oder Enkeln glücklich zu
sein. Sich einspinnen zulassen in ihre bunten Träume, in ihre taumelnd-schöpferische
Welt, oder in die Geheimnisse von Computerspielen, von Pokemon und Harry
Potter.
Ein Gespräch mit dem neuen Nachbarn.
Ein Sprung über den eigenen Schatten.
Gott sieht in das Verborgene. Und den Lohn, an den wir vielleicht in
diesem Moment gar nicht mehr gedacht haben, den schenkt er uns manchmal
sogar gleich: Nach einem Nachmittag mit den Kindern, nach einem Krankenbesuch,
nach einem Gespräch mit einem Traurigen, fühlen wir uns frei
und glücklich: Ich durfte an Jesu Seite stehen. Ich bin dankbar
für die Kraft, zu helfen. Dankbar für die Mittel, Almosen
zu geben, dankbar für die Zeit, für andere da zusein.
Aus Liebe ein Opfer zu bringen kann uns fröhlicher machen als Geld
und gut.
Und die Frage „Was bringt’s?“ wird immer leiser werden, bis
sie eines Tages ganz verstummt. Denn im Reich Gottes, liebe Freunde,
wird nicht mehr gerechnet. Dort ist alles Liebe und alles Geschenk.
Amen.

Dorothea Zager, Wachenheim
E-Mail: DWZager@t-online.de

Vorschläge zur Liturgie:
EINGANGSLIED
EG 409,1-8: Gott liebt diese Welt
EG 288,1-5: Nun jauchzt dem Herren, alle Welt
EINGANGSSPRUCH
Christus spricht:
Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie
ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt.
Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn
ihr Liebe untereinander habt.
(Joh 13,34.35)
SCHRIFTLESUNG
Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37)
WOCHENLIED
EG 343,1-3: Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ
LIED NACH DER PREDIGT
EG 413,1-8: Ein wahrer Glaube Gotts Zorn stillt
EG 629,1-3: Liebe ist nicht nur ein Wort
EG 620,1-4: Gottes Liebe ist wie die Sonne
EG 627,1-3: Schalom, Schalom
FÜRBITTENGEBET
EG 825 im Wechsel mit der Gemeinde gesprochen
SCHLUSSLIED
EG 259,3: Er mache uns im Glauben kühn

 

 

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