Petrus 1,-3-11

Petrus 1,-3-11

(Dänische Perikopenordnung, Epistellesung: 2.
Petrus 1,-3-11)

Wir Menschen mögen Brot.
Frisches Weißbrot vom Bäcker, Brötchen, Hörnchen
ziehen uns hin zu den Läden,
locken uns mit dem Duft aus der Backstube.
Wie der Duft aus der Küche als Kind,
wenn meine Mutter das tägliche Riesenweißbrot aus dem Ofen zog
für uns fünf hungrige Kinder nach der Schule.
Vieles ändert sich,
aber das nicht.
Denn noch immer ist das Beste, was ich tun kann,
wenn die Mädchen nach Hause kommen
mit oder ohne eine Schar von Freunden:
Selbstgemachtes Brot.
Ja, Menschen mögen Brot,
auch im Jahre 2004 in Kongsted.

Von einem Pfarrer auf Lolland im 18. Jahrhundert wird erzählt,
daß er jeden Morgen um vier Uhr aufstand,
im Sommer wie im Winter,
seinen Kaffee braute und studierte.
Und erst wenn er den getrunken hatte,
weckte er die Leute im Pfarrhaus.
Dann studierte er wieder bis 10 Uhr,
dann ging er los,
um die Leute bei der Arbeit zu sehen
im Haus oder auf dem Felde.
Um 11 hielt er Mittagsschlaf,
um 12 stand das Essen auf dem Tisch.
Das Brot mit dem Brotmesser lag neben dem Teller,
und nach dem Tischgebet sollte jeder laut sagen,
wieviel Brot er zu seinem Essen haben wollte.
Und wenn jemand zu wenig verlangt hatte,
durfte er gern um mehr bitten.
Aber wenn die Mahlzeit beendet war
und jemand Brot übrig gelassen hatte,
ging der Pfarrer um den Tisch
und steckte denen die Reste in die Tasche,
die Brot liegengelassen hatten,
ob das nun Glieder der Familie waren oder Fremde.

Ich stelle mir vor, daß es nicht besonders oft geschah,
daß sich jemand verrechnete.
Denn es muß unangenehm gewesen sein,
wenn einem so die Reste in die Tasche gesteckt wurden.
Und ich muß daran denken,
daß sich der Pfarrer aus dem 18. Jahrhundert
in alle seiner Pastoralität,
selbst an der Erzählung von den Israeliten überfressen hatte,
die nur so viel Manna in der Wüste sammeln sollten,
daß niemand zu viel oder zu wenig hatte,
sondern alle eben genug.
Denn es geschieht ja,
daß das Auge mehr essen kann als der Magen,
auch wenn man im Pfarrhaus auf Lolland
gerne um mehr bitten durfte.
Die meisten von uns sind nämlich nicht so gut darin,
die innere Kathedrale zu bauen,
deren Bausteine Petrus in seinem zweiten Brief aufzählt.
Hört nur, wie bedrohlich sich das auftürmt (2. Petr. 1,5-6):
Beweist in eurem Glauben Tugend
und in der Tugend Erkenntnis
und in der Erkenntnis Mäßigkeit
und in der Mäßigkeit Geduld
und in der Geduld Gottesfurcht
und in der Gottesfurcht brüderliche Liebe
und in der brüderlichen Liebe Liebe zu allen Menschen
.
Für die meisten von uns steht diese innere Kathedrale
wohl nicht sehr lange fest.
Denn die Selbstbeherrschung kann verdammt schwer fallen,
auch die Geduld, die Gottesfurcht,
die Brüderlichkeit und die Liebe.
Und das kann ja an einem einfachen Ding deutlich werden:
Daß man mehr Brot nimmt, als man essen kann.
Hier hat man schon Mangel bewiesen
an Selbstbeherrschung und Brüderlichkeit,
und deshalb auch einen leichtfertigen Umgang mit Ihm,
der uns das tägliche Brot gibt.

Bildlich gesprochen geschieht es wohl nicht selten,
daß uns Brotreste in die Tasche gesteckt werden
vom dem Pfarrer aus Lolland.
Daß die innere Kathedrale wackelt, wankt und fällt,
wenn ihre Bausteine nicht mehr an ihrem Platz sind.
Einen ohrenbetäubenden Knall gibt das,
so daß man sich die Ohren zuhalten muß und denkt:
Nein, nun nicht schon wieder!
Und was mit der Tür zum lieben Gott,
die weit offen stehen soll?
Ist sie zugeschlagen mit einem Knall,
den der Einsturz bewirkt?
Wenn man Petrus und seinem Brief folgt: Ja!
Folgt man Jesus: Nein!
Denn das Brot vom Himmel,
das Brot, das das Leben ist,
das wir uns nicht selbst geben können,
versiegt niemals.
Das Brot wie der Glaube und das Vertrauen hören nie auf,
auch wenn die innere Kathedrale zusammengebrochen ist.
Denn das Brot können wir uns nicht selber geben,
es kommt von Gott,
oder wie Jesus sagt (Joh. 6,35):
Ich bin das Brot des Lebens.
Wer zu mir kommt,
der wird nicht hungern;
und wer an mich glaubt,
den wird nimmermehr dürsten
.
Daran sollen wir glauben,
auch wenn einiges darauf hindeutet,
daß das schwer ist.
Denn jeder zehnte junge Mensch läuft Gefahr,
Eßstörungen zu entwickeln.
Entweder hört man auf zu essen,
und es kommt zu Anorexie,
oder man überfrißt sich und wird Bulemiker.
Und 30% der übrigen Bevölkerung haben Übergewicht.
Warum?
Warum haben wir Probleme
mit dem allegrundlegendsten Trieb von allen.
Ja, ich kann es auch umkehren und fragen:
Welche Botschaft senden wir an uns selbst,
wenn wir zu viel auf den Teller tun?
Daß der Hunger vor der Tür steht
und wir hamstern müssen?
Wohl kaum!
Aber es ist, als könnten die Augen nicht genug kriegen.
Oder ist es das Herz,
das wir durch unser Uberfressen sättigen wollen?
Also wenn der Magen satt ist,
ist es das Herz auch,
oder wenn der Magen voll ist,
merkt man nicht den Schmerz im Herzen?
Irgendwie sind wohl das Überfressen
– wie wohl auch die Magersucht –
Ausdruck dafür, daß wir nicht mehr glauben.
Daß wir uns be- und verurteilt fühlen,
nicht gut genug, nicht fähig genug,
nicht klug genug, nicht kontrolliert genug.
Daß wir erst geliebt sind,
wenn wir den Hunger und das Gewicht kontrollieren können.
Wenn das richtig ist,
wird es allmählich religiös,
dann offenbaren wir unsere Sehnsucht nach dem ewigen Brot,
dem unvergänglichen Brot,
das die Liebe Gottes ist.
Wir essen oder hungern uns dorthin,
wo wir dem Gericht entgehen können.

Das Problem ist nur,
daß wir entweder an Unterernährung sterben
oder an Fettleibig­keit,
ohne das gefunden zu haben, was wir suchten,
weil die Augen und das Herz an einer falschen Stelle suchten.

Denn die ewige Liebe ist nicht in dem,
was wir in den Mund tun,
sondern in dem, was wir im Herzen tragen.
Da ist das, von dem wir leben.
Mit anderen Worten:
Wenn wir nicht den Glauben das Herz füllen lassen,
werden wir leicht zerbrechen,
wenn wir bei anderen Menschen auf Widerstand oder Kritik stoßen.
Denn wenn sich das Mißtrauen in uns ansiedelt,
werden wir der Welt unweigerlich mit Mißtrauen begegnen.
Wenn es Zorn ist, werden wir der Welt mit Zorn begegnen.
Wenn das Herz voll ist von Vorurteilen,
werden wir auch der Welt mit Vorurteilen begegnen.
Oder wie Jesus sagt:
Suchst du einen barmherzigen Gott – dann sei selbst barmherzig,
suchst du einen liebenden Gott, dann sei selbst liebend.
Die erste Voraussetzung, in Glauben und Vertrauen zu leben,
ist der Welt und anderen Menschen eben damit zu begegnen.
Das heißt nicht, daß wir in uns eine Kathedrale bauen sollen
aus Tugend und Erkenntnis, Selbstbeherrschung und Brüderlichkeit,
wie es Petrus sagt.
Nein, denn solche Türme stürzen leicht ein,
und reißen Menschen mit sich in ihrem Fall.
Wir sollen vielmehr an die Worte Jesu glauben,
daß wir von Anfang an geliebt sind,
daß Gott barmherzig ist und kein „gerechter“ Gott,
daß Gott in Liebe richtet
und nicht von dem her, was in uns zusammengestürzt ist.
Auch wenn wir zu ihm kommen
und die Reste unseren Lebens uns aus den Taschen hängen,
wird uns die Tür noch immer weit offen stehen,
auch wenn der Luftdruck unserer eingestürzten inneren Kat­hedrale
sie zuzuschlagen droht.
Ihr sollt daran denken, daß Jesus aus wenig viel machen kann,
wie damals, als er durch ein Wunder
5000 Menschen mit nur einem Brot sättigte.
Ein noch größeres Wunder aber ist es,
daß er aus viel wenig machen kann (Søren Kierkegaard),
daß er selbst die größten Brotreste unserer Seele,
in ein paar Krümeln verwandeln kann,
wenn er uns richtet.
Oder wie er uns selbst sagt (Joh. 6,37)
– und das soll das Wort dieses Sonntags sein,
daß Ihr euch zu Herzen nehmen könnt für die kommende Woche:
Alles, was mir mein Vater gibt,
das kommt zu mir;
und wer zu mir kommt,
den werde ich nicht hinausstoßen.

Amen.

Pastorin Kristine Stricker Hestbech
Møllevej 1
Kongsted
DK-4683 Rønnede
Tlf.: ++ 45 – 56 71 11 56
E-mail: kshe@km.dk

 

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