Römer 8, 1-11

Römer 8, 1-11

 

Göttinger

Predigten im Internet

hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Pentecost Sunday,
19. Mai 2002
Predigt über Römer 8, 1-11, verfaßt von Maunu Sinnemäki
(Finnland)


Die Welt ist alt,
Die Nacht ist schwer
Ich komme bald!
Das Grab ist leer.
Wer Ohren hat, der höre gern
Am Rand der Zeit das Wort des Herrn!

Welche Reise ist die allerlängste der Welt? Die ist so lang, dass
sie sogar eine Reise um die Welt bei weitem übertrifft.
Eine finnische Dichterin sagt darüber:

Ich begebe mich auf eine lange Reise in mich selbst
und muss feststellen,
dass ich noch nie dort war.

Bist Du schon einmal da gewesen? Die ist eine berechtigte Frage angesichts
unserer oberflächlichen Lebensweise. Wir fahren Auto, sehen Unterhaltungsprogramme
im Fernsehen, hören Musik, wir unterhalten uns miteinander über
Unwesentliches. Ist es nicht so, dass unser Leben von Dingen begleitet
wird, die wir schon im nächsten Augenblick wieder vergessen haben?
Woran kannst Du dich von gestern oder vorgestern überhaupt noch erinnern,
ausser vielleicht an deine Arbeit? Wäre es so gesehen nicht sehr
traurig, auch über unser ganzes Leben einmal schreiben zu müssen:
VERGEBENS ?

Wäre daran nicht die allgemeine Verflachung schuld? Vielleicht beruht
die Verflachung auf dem Umstand, dass wir uns vor den Tiefen unserer eigenen
Seele fürchten. Wenn wir es nicht wagen, den Dingen direkt ins Gesicht
zu sehen, verdrängen wir sie nur aus unserem Bewusstsein. Sie verschwinden
jedoch nicht, sondern siedeln sich im Unterbewussten an, um dort im Gefängnis
sonderbare Wirkungen zu zeigen. Unser Weg zu Freiheit und Ausgeglichenheit
verläuft über die Begegnung mit uns selbst und mit Gott in den
Tiefen unserer Seele. Furchterregend ist dieser Weg, weil er nur im Lichte
der Wahrheit gangbar ist, und gerade die Wahrheit über uns selbst
wollen wir sowohl vor den anderen wie auch vor uns selbst verbergen.

Darum ist es an der Zeit, halt zu machen und in unser Innerstes zu schauen,
die Tiefe des Lebens zu suchen.

Gerade heute, während Pfingsten, während der Tage des Geistes,
sagt Jesus, der Herr, nein, er schreit es geradezu heraus: Ich werde dir
in deinem eigenen Innersten begegnen. Das ist eine Antwort, um die Lösung
des Rätsels über das Leben zu finden.

Das Geheimnis des Lebens wird gelüftet,
die Unruhe meiner Seele wird zum Ende kommen,

wie ein anderer finnischer Poet schreibt.

„Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“, betet der Mann des
Alten Testaments (Ps. 130:1). Wenn wir oberflächlich leben, haben
wir keine Beziehung zu Gott. Wir können ihn nicht anrufen. Das können
wir nur aus der Tiefe heraus, wenn wir unsere Lauferei unterbrechen, wenn
wir uns Zeit zum Beten nehmen und der Wahrheit über uns selbst in
die Augen sehen.

So werden wir vom Ballast befreit, der sich aus unserer Oberflächlichkeit
ergibt, läutern gleichsam unser Innerstes und finden den Weg zu jener
Tiefe, wo man Gott anrufen kann.

Und dabei gelangen wir an die äusserste Grenze, wo wir auf Gottes
Geist, den Heiligen Geist treffen. In unserem Text sagt Paulus mehrmals,
dass dieser Geist Gottes in uns wohnt. Wir können ihn also in der
Tiefe unserer Seele antreffen. Er ist da, weil wir im Namen des Vaters,
des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft sind.

Der uns mit Geist und Feuer tauft,
Hat uns erkannt und uns erkauft,
Wirft uns in die entbrannte Glut
Des Wortes, das da Wunder tut,

Geht wie ein Feuer vor uns her,
Tilgt Menschenwissen, Wunsch und Ehr‘
Und kommt, wenn wir verloren sind,
Zu uns im Feuer und im Wind.

* * * * *

Paulus ist ein Theologe. Jesus spricht mehr in Bildern. Paulus sagt,
dass der Geist in uns wohnt. Jesus sagt, dass der Geist wie der Wind ist,
der „bläst wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber
du weisst nicht, woher er kommt und wohin er fährt“. (Joh. 3:8.)

Weisst nicht, woher er kommt,
Und wohin er geht,
Ob er bei dir verweilt
Oder verweht.

Ist, allem Geiste gleich,
Grad wie er will,
Balde wie Sturm und bald
Unsagbar still.

Dieses Sausen sehe ich meistens in der Seelsorge und werde dazu einige
Beispiele aus den finnischen Erfahrungen anbringen.

Es ist gerade 150 Jahre her, dass der finnische ‚Prophet aus der Einöde‘
Paavo Ruotsalainen starb. Er war ein Laie, konnte lesen, aber nicht schreiben.
Aber er wurde ein Prediger und Seelsorger, der im ganzen Land bekannt
war – und noch ist, durch die Kirchengeschichte. Eine der bekanntesten
finnischen Opern handelt von seinem Leben: „Die letzten Versuchungen“.

Als Junge war er tiefen seelischen Anfechtungen ausgesetzt. Ein anderer
Laie half ihm mit folgenden Worten dabei, den Anfechtungen zu überwinden:
„Es fehlt dir eines, und damit alles: Die innere Erkenntnis Jesu
Christi.“ Für ihn war das eine derartige Erfahrung wie die reformatorische
Erkenntnis für Martin Luther. Wie er über das Predigen dachte,
können wir aus der Oper entnehmen, und ich zitiere:

„Ich werfe mitten ins Menschenmeer ein feuriges Netz, denn ich suche
nach den armen Sündern, ich bitte, die erschöpften Seelen zu
erhöhen und zu heben, und ihnen Hoffnung in Christus zu verleihen.
Wenn das Feuer des Wortes noch das Gewissen berührte und ein Beben
und Wundern das Herz erfüllte, dann könnte ich reden wie zu
den Menschen, die das letzte Mal gesehen werden. Wenn nur der Fang sich
lohnen würde! Ich würde das Netz näher zum Strand schleppen,
weg von der fremden Klippe. Und ich spräche leise zu Gott, bis man
in Reue, Busse und Trauer über die Sünden, in ein heimliches
Wimmern und Weinen einstimmte. Hier, an der Grasnarbe des Heimatstrandes,
würde ich die besten Worte sagen, würde die Menschen aus ihren
Zwangsjacken befreien und geschützt im Wasser schwimmen lassen. Ich
will ein Zeuge eines lebendigen Christus sein. Ich gehe hin und besiege
das Christentum der Vernunft.“ So sauste der Wind einem armen Ackerbauer
und Fischermann des 19. Jahrhunderts um die Ohren.

Ein anderer finnischer Bauer und Laienprediger – auch aus den finnischen
Einöden stammend – hundert Jahre später, war Aku Räty.
Er war nicht nur von seinen Predigten her, aber auch von seinen humoristischen
seelsorglichen Äusserungen her bekannt. Einmal war er von einer finnischen
Kunstmahlergruppe, in Helsinki, eingeladen worden, und der Leiter dieser
Gruppe fragte ihn gleich, wie ein Mann Gottes solche sündigen Künstler
einen ganzen Tag ertragen könne. Und Räty erwiderte: „Doch,
ich werde sie einen Tag lang ertragen können, wenn Gott sie alle
Tage ertragen muss.“ Der Wind des Heiligen Geistes!

Noch ein Beispiel aus meinem eigenen Leben. Mit etwa fünfzehn Jahren
sagte ich eines Tages zu meiner Grossmutter, die mich nach dem Tod meiner
Mutter erzog: „Oma, ich glaube nicht mehr an Gott.“ Und was
machte sie daraus? Sie brach in ein herzliches Lachen aus, und das war
das Ende meines Atheismus. Der Heilige Geist kann auch durch Lachen wirken!
Und ich glaube, dass es mit dem Atheismus der meisten Menschen so ist,
wie in dem Serienbild wo ein Mann eine Nonne fragt: „Ich glaube nicht
an Gott. Glauben sie dass er darüber sehr zornig ist?“

Das Bild ist klein. Der Geist ist gross.
Das Wort des Herrn lässt dich nicht los.

* * * * *

Wenn Paulus hier vom Heiligen Geist spricht, blickt er über die
Grenze des Todes hinaus: „…auch eure sterblichen Leiber lebendig
machen durch seinen Geist, der in euch wohnt“ (Vers 11). Von Pfingsten
bis zur Auferstehung reichen unsere Visionen heute.

Unsere Visionen über den Himmel sind oft sehr irdisch. Ein alter,
doch sicher frommer Mann hörte einmal neue geistliche Lieder, sogenannte
Gospelsongs. Einer seiner Freunde sagte, wie himmlisch diese Gesänge
seien. Dann äusserte er sehr aufgebracht: „Wenn solches im Himmel
ist, ich will nicht danach streben!“ Der arme Mann sollte getröstet
werden mit Jesu Worten: „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen“
(Joh. 14:2).

Ganz anders war es mit einem anderen Mann, vielleicht nicht gerade berühmt
wegen seiner Frömmigkeit. Als er seinem Tod nahe war, fragte ihn
sein Pastor, ob er nun die richtige Reisekost für seine letzte Reise
habe. Und der Mann erwiderte: „Ich habe die Absicht, meine Zuversicht
in den Proviant des Hauses zu setzen.“

Zuletzt noch einmal zu meiner Oma. Sie starb in unserem Pfarrhaus im
Alter von 84 Jahren. Sie war schon einige Tage bewusstlos. Als wir annahmen,
das Ende sei nahe, kamen wir an ihr Bett und sangen ein kirchliches Lied.
Und dann, ganz unerwartet, begann sie mit uns zu singen. Sie kam nicht
mehr zu Bewusstsein, aber sang doch leise mit uns mit die richtigen Worten.
Dieses Kirchenlied wohnte in ihrem innersten Herzen und geleitete sie
von dieser Welt zu der anderen. Es war der Heilige Geist, der in ihr wohnte.

Im Geiste, der der Taube gleicht,
Geh deinen Weg. Er ist nicht leicht.
Was suchst du? Wonach steht dein Sinn?
Du hast das Bild – und Gott darin!

(Die deutschen Gedichte stammen aus Siegbert Stehmann’s: Opfer und Wandlung
(1951). )

Maunu Sinnemäki, Probst i. R.
Joensuu, Finnland
maunu.sinnemaki@kolumbus.fi

 

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