Römer 8, 1-2 (10-11)

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Römer 8, 1-2 (10-11)

 

Göttinger

Predigten im Internet

hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Pentecost Sunday,
19. Mai 2002
Predigt über Römer 8, 1-2 (10-11), verfaßt von Eberhard
Harbsmeier (Dänemark)


Liebe Gemeinde!

Ich möchte mit einem Wort beginnen, das in diesem Zusammenhang
eine große Rolle spielt, das aber – vielleicht – bei der Textauswahl
für diesen Pfingsttag gleichsam als vielleicht etwas peinlich schamhaft
übergangen wird. Hier ist zwar viel vom Geist die Rede, der lebendig
macht, aber im achten Kapitel des Römerbriefs spricht Paulus auch
vom Gegenteil von Geist und geistlich, nämlich dem „Fleisch“
und der „Fleischlichkeit“, von der fleischlichen Gesinnung.
Um zu verstehen, was Paulus mit dem Gesetz des Geistes und der Freiheit
meint, ist es vielleicht nützlich, sich zunächst mit dem etwas
altmodischen aber für Paulus ungeheuer wichtigen Begriff „Fleisch“
auseinanderzusetzten. Was meint Paulus mit „Fleisch“ und „fleischlich“?

Wenn wir nicht bei dem Worte „Fleisch“ an einen Fleischerladen
denken, dann verbinden wohl die meisten Menschen heute mit diesem Wort
Sexualität, oder zumindest die Körperlichkeit des Menschen.
Und es gibt in der christlichen Kirche eine lange Tradition dafür,
daß man das „Fleisch“ im Sinne der Körperlichkeit
und der Sexualität des Menschen gering geschätzt und verachtet
hat.

Das hat Tradition, eine Tradition, die eigentlich älter ist als
das Christentum. Nach dieser Tradition geht es darum, sich von den Bindungen
an das Fleisch – die Körperlichkeit allgemein und die Sexualität
im Besonderen – freizumachen. Denn die Bindung an das Fleisch, den Körper,
macht unfrei. „Die Gedanken sind frei“ – heißt es so schön
im Volkslied – Freiheit ist Freiheit von seiner eigenen Körperlichkeit.

Es kann kein Zweifel daran bestehen: Der Apostel Paulus kannte diese
Angst vor der eigenen Körperlichkeit, der eigenen Sexualität.
Er kannte die Erfahrung, daß der eigene Körper, das „Fleisch“,
einem fremd wird, gleichsam ein unappetitlicher Brei, der einen umgibt.
Fleischlich in diesem Sinne kann nur der Mensch sein – dem der eigene
Leib fremd wird, etwas, was man nicht ist, sondern was man beherrschen
muß – als sei es eine Bedrohung.

Und manch einer mag sich nun über diese „Leibfeindlichkeit“
des Paulus und der christlichen Tradition erheben als etwas, über
das wir weit erhaben sind. Die Theologen, die Kirche, haben den Körper
entdeckt, und es erscheint beinahe schon anstößig, im Sinne
von Paulus vom Gegensatz zwischen Fleisch und Geist zu reden. Und dort,
wo man es noch tut, versteht man unter Fleisch etwas ganz anderes als
Körperlichkeit – z.B. Egoismus, Selbstsucht oder dergleichen. Man
spiritualisiert gleichsam das Fleisch – um nicht als jemand dazustehen,
dem man Leib- oder gar Sexualfeindlichkeit vorwerfen kann.

Ich möchte heute das Wort Fleisch dennoch zunächst lieber wörtlich
verstehen als Körperlichkeit. Paulus warnt davor, sich zum Sklaven
seiner eigenen Körperlichkeit und Sexualität zu machen. Der
Mensch ist mehr als sein Körper, der Mensch ist auch Geist. Denn
wir brauchen nicht – aus lauter Angst, daß uns Leibfeindlichkeit
vorgeworfen wird – zu leugnen, daß der Mensch mehr ist als sein
Körper.

Wir leben ja in einer Zeit in dem mit dem Körper ein regelrechter
Kult betrieben wird. Vielleicht wird ja das Wort des Apostel Paulus von
denen, die „nach dem Fleisch“ wandeln und sich dadurch zum Sklaven
ihres Körpers machen, wieder in einem ganz wörtlichen Sinne
aktuell. „Nach dem Fleisch wandeln“ ist ja nicht die unmittelbare
und positive Freude an der eigenen Körperlichkeit, sondern sich zum
Sklaven seines Körpers zu machen. Die Leibesübung, das Spiel,
die Freude am Körper, eigentlich durchaus etwas Positives, wird zum
Körperkult, zur Selbstquälerei. Das ist nicht gesund, das ist
ein Körperkult, der nicht lebendig macht, sondern krank, das ist
Selbstquälerei. Das kann z.B. zu einer krankhaften Angst vor dem
Älterwerden füren. Was eigentlich gut und gesund ist – verkommt
zum Fitnesswahn – Paulus würde sagen dem Gesetz der Sünde und
des Todes.

Was ist der Fehler an solch einem Fitnesswahn? Wie ist es möglich,
daß einem der eigene Körper zum Abgott wird, der einen versklavt?
Der Fehler ist nicht, daß man sich an der Körperlichkeit freut
– sondern ganz im Gegenteil: Daß man seinen Körper beherrschen
will, statt sich an ihm zu freuen. So verkommt der Sport, die Freude an
ihm zum Wahn.

Und dies gilt nun nicht nur vom Fleisch bzw. dem Körper im wörtlichen
Sinne. Dies gilt auch für das Leben überhaupt: Wenn man es beherrschen,
besitzen will, statt es zu leben, dann macht man sich zum Sklaven seines
Lebens. Die verstorbene Marion Gräfin Dönhoff hat in ihrem bewegenden
Buch über ihre ostpreußische Heimat das Wort geprägt,
daß man etwas lieben können muß, ohne es besitzen zu
wollen. Dies ist ein sehr wahres Wort, es gilt für die Heimat: Kein
Volk „besitzt“ in diesem Sinne ein Land, als hätten andere
kein Recht, dort zu leben. Die Heimat ist ein Stück von uns selbst,
aber wir „besitzen“ sie nicht. Das gilt für auch unseren
Körper: Wir „besitzen“ ihn nicht, wir „sind“
unser Körper. Das gilt auch für unser Leben insgesamt: Wer es
besitzen will, wird es verlieren.

Das heißt fleischlich sein bei Paulus, das macht uns unfrei: Etwas
besitzen zu wollen, herrschen zu wollen – statt zu leben. Das gilt für
das Verhältnis zu unserem Körper, wenn die Freude an der Leiblichkeit
zum Fitnesswahn verkommt, das gilt für unser Leben insgesamt.

Das ist das Gesetz des Fleisches, das Gesetz der Sünde und des Todes:
Das Leben beherrschen wollen statt zu leben.

Dagegen stellt der Apostel das Gesetz des Geistes, der lebendig macht.
Wie das Wort Fleisch, so müssen wir auch das Wort „Geist“
zunächst ganz wörtlich nehmen, es bedeutet soviel wie Atem und
Leben im wörtlichen Sinne: Ein Körper ohne Geist, d.h. ohne
Atem, ist ein Leichnam. Ein Leben ohne Geist ist kein wirkliches Leben.
Es ist kein Zufall, daß wir das Pfingstfest, das Fest des Geistes,
im Frühjahr begehen, in der Jahreszeit, wo die Natur zum Leben erwacht.
Es mag ja sein, daß manchem dieses wörtliche Verständnis
von Geist als Leben und Lebenskraft (und -saft) nicht fromm genug ist
und zu weltlich, sozusagen nicht geistlich genug. Aber wir tun gut daran,
uns zunächst an diesem wörtlichen Verständnis zu orientieren:
Ohne Atem kein Leben, ohne Geist wären wir tot. Der Geist macht lebendig,
weil er selbst das Leben ist.

Geist ist Leben, Lebendigkeit, davon spricht Paulus im Römerbrief,
davon handelt im Grunde der ganze Römerbrief: Was ist Leben, was
ist Tod? Was macht lebendig, was tötet? Was ist das Gesetz der Sünde
und des Todes, und was ist das Gesetz des Lebens?

Geist ist nicht Leibfeindlichkeit, sondern Leben – im wörtlichen
Sinne, aber auch im übertragenen Sinne. Deshalb verbinden wir mit
diesem Wort viele Bedeutungen:
Geist ist Kultur – im Gegensatz zur bloßen Natur.
Geist ist Zukunft – im Gegensatz zur Vergangenheit.
Geist ist Bewegung – im Gegensatz zum Stillstand.
Geist ist Andersheit – im Gegensatz zur Selbstgenügsamkeit.
Geist ist Atmosphäre – im Gegensatz zur Leere.
Geist ist Leidenschaft – im Gegensatz zur Gleichgültigkeit.
Geist ist Friede – im Gegensatz zur Gewalt.

Man könnte diese Reihe fast beliebig fortsetzen. Die Bedeutung vom
dem, was wir mit dem Worte Geist verbinden, ist so breit und vielfältig
wie das Leben selbst.

Nun spricht Paulus nicht nur vom Geist des Lebens im Allgemeinen, sondern
vom Geist Christi, vom Geist Gottes, dem Geist, der nach unserem Bekenntnis
vom Vater und dem Sohne ausgeht. Ich denke, es wäre ein Mißverständnis,
wollte man den Geist Gottes gegen all das ausspielen, was wir sonst unter
Geist verstehen und mit diesem Worte verbinden. Der Geist Gottes ist nicht
ein anderer Geist als der Geist, der lebendig macht, sondern Christus
ist das Leben.

Darum heißt geistlich sein nicht lebensfremd sein, sondern im Gegenteil:
Geistlich sein heißt das Leben leben statt es besitzen und beherrschen
zu wollen. Nicht der „geistliche“, sondern der „fleischliche“
Mensch ist lebensfremd. Nicht der Geist, sondern das Fleisch ist naturwidrig.

Ich bin mit einer Theologie aufgewachsen, in der man streng zwischen
dem Geist Gottes, dem Heiligen Geist und all dem unterschied, was man
sonst noch Geist nennt – vom Geist zu reden mit Bildern der Natur, des
Frühlings war verpönt, als falsche Romantik verschrieen.

Ich denke, daß sich eine solche „unnatürliche“
Theologie überlebt hat – in Wirklichkeit ist sie ja Unglaube. Man
glaubt nicht mehr an die Allgegenwart Gottes in allem was lebt. Eine solche
Denkweise hat sich sozusagen selbst überlebt – nicht aber das Pfingstfest
mit seiner Verbindung von Natur und Geist. Ich möchte deshalb mit
einem romantischen Pfingstlied schließen, das von dem dänischen
Romantiker N.F.S. Grundtvig stammt, das beliebteste Pfingstlied in Dänemark,
gerade weil es vom Geist in Bildern der Natur spricht, lebendig und nicht
in trockener theologischer Terminologie. Auch wenn die deutsche Übersetzung
den Geist des dänischen Originals nur unzureichend vermittelt, kann
sie doch einen Eindruck von der Kraft der Sprache Grundtvigs geben:

In vollem Glanz strahlt nun die Sonne,
des Lebens Licht, der Gnaden Wonne.
Nun kam der Pfingsten liebe Zeit,
der Sommerblüte Herrlichkeit.
In Jesu Namen nun der Geist
in goldner Ernte uns verheißt.

Die kurze Sommernacht durchschallen,
des Friedenswaldes Nachtigallen,
das alles, was dem Herrn gehört,
darf schlummern still und ungestört,
darf träumen süß vom Paradies
und wachen auf zu Jesu Preis .

(Übersetzung: Eberhard Harbsmeier. Die Übersetzung findet sich
in dem Buch über Grundtvig: N.F.S. Grundtvig. Tradition und Erneuerung,
hg. von Anders Pontoppidan Thyssen und Christian Thodberg, übers.
von Eberhard Harbsmeier, Kopenhagen 1983, S. 202)

Das Lied von Grundtvig auf englisch:

In all its splendour now the sun shines
Above the mercy-seat the lifelight,
Now is our Whitsun lily come.
Now is there summer pure and soft,
Now more than angel songs foretell
A golden harvest in His name

In summer enen’s short sweet coolness
The noghtingale sings in the forest,
And all the Lord chose once to maek,
May slumber sweet and softly wake,
May sweetly dream of paradise
And waken to our Saviour’s praise.

(N.F.S. Grundtvig. Tradition and Renewal, ed. by Christian Thodberg
and Anders Pontoppidan Thyssen, Copenhagen 1983, p. 188.)

Amen

Rektor Professor Eberhard Harbsmeier
Teologisk Pædagogisk Center Løgumkloster
Præstehøjskolen – Folkekirkens Pædagogiske Institut
Kirkeallé 2, DK-6240 Løgumkloster
Telefon: 74 74 32 13 – Direkte: 73 74 58 81
Telefax: 74 74 50 13
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