Vaterfreude aus …

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Vaterfreude aus …

Vaterfreude aus der dritten Reihe | Predigt über Lk 1,67-79 | verfasst von Wolfgang Vögele | 

Friedensgruß

Der Predigttext für den 1.Advent steht bei Lk 1,67-79:

„Und [Johannes‘]Vater Zacharias wurde vom Heiligen Geist erfüllt, weissagte und sprach: Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk und hat uns aufgerichtet eine Macht des Heils im Hause seines Dieners David wie er vorzeiten geredet hat durch den Mund seiner heiligen Propheten, dass er uns errettete von unsern Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen, und Barmherzigkeit erzeigte unsern Vätern und gedächte an seinen heiligen Bund und an den Eid, den er geschworen hat unserm Vater Abraham, uns zu geben, dass wir, erlöst aus der Hand unsrer Feinde, ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen. Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe, damit es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.“

Liebe Schwestern und Brüder,

ein nahe gelegenes Pflegeheim besuche ich gelegentlich. Einen Spaziergang entfernt steht ein großer freundlicher Bau mit vier Stockwerken, in gelber Farbe gestrichen. Auf den Stockwerken leben Wohngemeinschaften zusammen. Bevor ich dort ankomme, wehen gute Erinnerungen an Sommerfeste im Garten, Weihnachts- und Jubiläumsfeiern durch meinen Kopf. Ich denke an zahllose Besuche, Gespräche mit den Bewohnerinnen und Bewohnern. In diesem Dezember hat die Epidemie alles verändert. Die offenen Türen des Pflegeheims sind verschlossen. Wer einen Besuch machen will, der muß klingeln, dann im Vorraum ein Formular ausfüllen, schließlich Fieber messen lassen. Als Besucher auf den Zimmern bekomme ich eine FFP2-Maske. Verständlich, daß die Pflegedienstleitung sich große Sorgen macht, daß sich die alten Bewohner, die zur Risikogruppe gehören, anstecken. Erst nach der Eingangsprozedur darf ich über das Treppenhaus auf die entsprechende Station gehen und genau einen Besuch machen. Ich empfinde das alles als sehr mühsam, aber ich weiß zugleich, daß die hinderlichen Maßnahmen die Gesundheit dieser sehr alten und oft verwirrten Menschen schützen.

Manchmal rede ich mit Pflegerinnen und Pflegern, die auf der Station arbeiteten. Ich empfinde große Bewunderung für die Arbeit, die diese Menschen leisten, seit der Corona-Epidemie unter erheblich erschwerten Bedingungen. In der Öffentlichkeit wird diese schwere Arbeit kaum wahrgenommen und schon gar nicht richtig anerkannt. Im Gespräch und auf Bildschirmen steht seit Monaten kein anderer Gesprächsstoff als das Corona-Virus, das jeden zu Maske, Quarantäne und Abstand zwingt. Wenn notwendige Maßnahmen anstehen, dann schaut jeder – in den Nachrichten – auf die drängende Bundeskanzlerin, auf warnende Virologen, auf so genannte Querdenker, auf quengelnde Epidemie-Leugner und auf viele andere, die sich gerne in die Aufmerksamkeitsräume der Mikrofone und Scheinwerfer drängen. Ich bin überzeugt, daß die Bundeskanzlerin, Gesundheitsminister, Verantwortliche in den Ländern und Gesundheitsämter alle Maßnahmen ergreifen, welche die Bürgerinnen und Bürger vor dem Virus schützen. Aber ich bin genauso überzeugt, daß das die vielen helfenden Menschen, das Personal der Pflegeheime, der Intensiv- und Teststationen nicht genügend gewürdigt werden. Die Pandemie wird genauso sehr von den Menschen an der Basis bekämpft wie von den demokratisch gewählten Vertretern, die schnell und pragmatisch Entscheidungen treffen müssen: für die Schließung von Hotels und Skiliften, für einen gemäßigten Lockdown, für Impfstraßen mit den entsprechenden Impfstoffen.

Die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dürfen in Gedanken und Gebet nicht verloren gehen. Sie ziehen täglich Schutzkleidung an, tragen acht Stunden lang eine Maske tragen und riskieren ihre Gesundheit, um zu verhindern, daß alte und kranke Menschen sich mit dem Virus infizieren. Wenn sich jemand infiziert hat, versuchen sie, die gefährlichen körperlichen Folgen so gut wie möglich abzumildern. Pfleger und Schwestern, Ärzte und Rot-Kreuz-Helfer muß niemand alle mit Namen kennen. Aber es ist sehr sinnvoll, sich ihren großartigen Dienst immer wieder zu vergegenwärtigen. Das Entscheidende bei dieser Epidemie leisten diejenigen, die nicht im Scheinwerferlicht stehen.

Weihnachten ist ein Fest, bei dem das Entscheidende außerhalb des Lichts von Scheinwerfern, Kerzen und Adventsbeleuchtung geschieht. Der Heiland, auf den die bedrängten Menschen in Israel sehnlich warten, erweist sich als ein Baby im Stall, nicht als politischer Stratege, der das römische Imperium in die Knie zwingt. Lukas, der Evangelist war ein so genauer und bilderreicher Erzähler, daß die Maler ihn zu ihrem Schutzheiligen gemacht haben. Im mittelalterlichen Brügge, Antwerpen oder Würzburg wurden Lukasgilden gegründet. Lukas erzählt ausführlich von Weihnachten. Er leistet sich die abschweifendste Einleitung in die Krippenerzählung, die man sich vorstellen kann. Er erzählt vom Priester Zacharias, der als stolzer Vater und Priester eine prägnante theologische Grundsatzrede hält, nachdem sein Sohn endlich den von ihm gewünschten Namen erhalten hat.

Lukas erzählt am Anfang noch lange nicht von Josef, dem Zimmermann mit der wichtigsten Nebenrolle von Weihnachten, er erzählt am Anfang noch nicht von Krippe und Hirten. Stattdessen erzählt er von der Geburt des Priestersohnes Johannes. Und der Vater scheint ihm noch wichtiger zu sein als der Sohn. Zacharias war Priester, im Dienst alt geworden, kurz vor der Pensionierung, wenn es das schon gegeben hätte. Trotzdem wird seine Frau schwanger, aber Zacharias verstummt über die Dauer der Schwangerschaft, weil er mißtrauisch war. Die schwangere Elisabeth, Zacharias‘ Frau trifft sich mit der schwangeren Maria. Lukas achtet auf jedes Detail: Dann hüpfen die beiden Kinder im Bauch (Lk 1, 41), in vorgeburtlicher Begegnung, sozusagen heilsgeschichtliche Schwangerschaftsgymnastik.

Johannes wird geboren. Mit Hilfe einer Tafel besteht der priesterliche Vater auf diesem Namen. Und dann darf der stolze Papa endlich wieder reden. Er hebt an zu seiner Grundsatzrede. Und wenn das kleine Baby Jesus von Nazareth in der Krippe im Mittelpunkt der Heilsgeschichte steht, dann kommt Zacharias erst sehr viel später: zuerst das Baby in Windeln, dann dessen Eltern, dann Ochs und Esel, dann Hirten, Engel und die Weisen aus dem Morgenland, dann Johannes der Täufer, dann erst Elisabeth, aber noch vor ihrem Mann. Schließlich zuletzt Zacharias als stummer Vater, der wieder reden darf. Wenn der Stall in Bethlehem auf einer Bühne stehen würde, so stünde Zacharias im Vergleich dazu auf dem zweiten Balkon unter der Decke, bei den Plätzen mit eingeschränkter Sicht. Wenn Zacharias gegen die Epidemie kämpfen müßte, er würde als Aushilfspfleger auf Station 3B schuften.

Lukas macht ihn zum stolzen Vater. Und er läßt ihn eine kurze, prägnante Rede halten. Leuchtende, lachende Vaterfreude verdichtet sich zur theologischen Ansprache. Mit dem Kind in der Krippe wird  Neues anfangen, gleichzeitig setzt es fort, was Gott mit Israel begonnen hat. Der stolze Vater lobt Gott, der die Welt erschaffen hat und sie erlösen wird. Er lobt den Gott, der dem Volk Israel schon immer beigestanden ist. Wie das Kind Johannes die Enttäuschung seiner bis dahin kinderlosen Eltern überwunden hat, so überwindet Gott immer wieder die Verzweiflung des Volkes Israel: im Auszug aus Ägypten, in der Rückkehr aus dem Exil in Babylon, in den geistlichen und politischen Erfolgen der Könige David und Salomo. Sie haben aus den zerstrittenen Stämmen ein geeintes Reich gemacht, das sich gegen die schwer bewaffneten Großmächte im Norden und im Süden behaupten konnte.

Der stolze Vater Zacharias reiht sein Baby in eine Reihe mit Abraham und David, und er nennt schon das Kind einen großen Propheten. Zu Abraham kann im übrigen der späte Vater und Priester eine besondere Sympathie empfinden, denn auch Abraham mußte sehr alt werden, bevor Sara und er den lange erwarteten Sohn bekamen, der den verheißenen Segen Gottes weitertragen sollte. Zacharias, der Priester und Vater stellt fest, daß zwischen der Barmherzigkeit Gottes mit Israel und der Geburt des Heilandes in Bethlehem kein Bruch besteht. Vielmehr setzt die Geburt die Liebe Gottes zu Israel fort.

Gott hat mit der Schöpfung begonnen, der Segen wuchs unter Abraham, Isaak und Jakob. Er zeigte sich gegenüber den Königen David und Salomo barmherzig. Und diese Liebe wird sich fortsetzen in dem kleinen Kind von Bethlehem, für den der kleine Johannes der Täufer den Boden bereitet. Zacharias‘ theologische Zusammenfassung verliert sich nicht in einem süßen Idyll göttlicher Barmherzigkeit. Ohne daß es angesprochen würde, sind in dieser verdichteten Darstellung unerwähnt alle Abweichungen, Brüche und Katastrophen enthalten: der Brudermord Kains, die Sklaverei Israels in Ägypten, die Uneinigkeit der zwölf Stämme, die Niederlagen, Deportationen und politischen Katastrophen. Noch die Geburt der beiden Heilsbringer ist durch eine politische Konstellation gekennzeichnet, die eine umstrittene römische Besatzungsmacht und einen zwielichtigen, Kinder mordenden König Herodes umfaßt. Aber, und das stellt Zacharias heraus, unter all den Katastrophen ist ein goldener Faden der Barmherzigkeit und des Segens zu sehen. Für Zacharias zeigt er sich in dem spät geborenen Sohn und dem Kind Marias, das bald geboren werden soll. Über der Babyfreude hat er aus dem Stummsein in die theologische Sprachfähigkeit zurückgefunden.

Kinder, gleich ob sie Isaak, Johannes oder Jesus heißen, sind schutzlose kleine Wesen und tragen in sich doch eine große Verheißung, die Gott vorher angekündigt hat. In den Babys macht sich die Hoffnung fest, welche die Ungerechtigkeiten und Unbarmherzigkeiten der Welt überwindet. Und doch ist, das weiß der Vater Zacharias, auch das Baby Johannes nicht das Heil selbst. Als Prophet bereitet er nur die geistlichen Wege eines ganz anderen Babys vor. Der Täufer wird dem Jesus-Baby den Weg freimachen. Advent ist eine Zeit der Kinderfreude, und nicht nur deswegen haben alte Maler gerne Begegnungen zwischen dem kleinen Johannes und dem Jesus-Baby gezeigt. Beide krabbeln auf dem Boden und spielen miteinander, obwohl der bilderfreundliche Evangelist Lukas, der Ahnherr aller Maler, diese Szene nicht in seine evangelische Geschichte aufgenommen hat. Aber auch wenn sie nicht biblisch sein sollte, ist sie doch sehr gut empfunden und entspricht dem adventlichen Geist.

Zacharias schließt seine Rede mit dem Gebetswunsch: „Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.“ Jeder denkt dabei an Frieden als die Abwesenheit von Gefechten, bewaffneten Auseinandersetzungen, in der Gegenwart im Jemen, in Berg-Karabach, in Nigeria und in Mali. Wir können dankbar sein für jede nicht verschossene Kugel, jede nicht explodierte Granate, jeden nicht für neue Waffen ausgegebene Euro.

Daneben sitzen wir in der „Finsternis“ des Lockdowns, vermutlich in einem wahreren Sinn als das einem jeden lieb sein mag. Das Virus, das seit einem knappen Jahr die Menschen überall auf der Welt bedroht, hat die Verletzlichkeit der modernen Gesellschaften gezeigt. Der „Schatten des Todes“ legte sich über Intensivstationen, Beatmungsmaschinen und sterbende Menschen, die nicht einmal mehr besucht werden durften. Es kommt im Moment darauf an, die Abstandsmaßnahmen zu ertragen und sich von so genannten Querdenkern nicht irre machen zu lassen. Zacharias, der stolze Vater, hat – nach meiner Überzeugung mit guten Gründen – keinen lauwarmen moralischen Appell auf seine Mitbürger gesprüht: Strengt euch alle mehr an! Zieht die Masken auf! Bemüht euch selbst um Frieden! Er hat mit Bedacht betont, daß dieser goldene Faden des Segens Gottes schon sichtbar wurde: in seinem Sohn Johannes und in dem Kind von Bethlehem. Zweitausend Jahre später kann man sagen: Beide haben in die damalige Welt die Gewißheit gebracht, daß Gott sein Volk und die gesamte Welt nicht allein läßt. Wir warten noch auf Gottes Reich. Aber in jedem Advent vergewissern wir uns neu, daß das Entscheidende schon geschehen ist.  In Zacharias, Johannes und Jesus, in Maria und Elisabeth ist die Barmherzigkeit Gottes sichtbar geworden. Amen.

Nachbemerkung: Ich habe schon einmal über diesen Text gepredigt, im Jahr 2012 unter dem Titel ‚Fußspuren und andere Kleinigkeiten der Heilsgeschichte‘. Wer will, kann also noch eine zweite Version nachlesen. Beide Predigten sind unabhängig voneinander entstanden.

PD Dr. Wolfgang Vögele

Karlsruhe

wolfgangvoegele1@googlemail.com

Wolfgang Vögele, geboren 1962. Privatdozent für Systematische Theologie und Ethik an der Universität Heidelberg. Er bloggt über Theologie, Gemeinde und Predigt unter www.wolfgangvoegele.wordpress.com.

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