«Wer glaubt, was verkündet …

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«Wer glaubt, was verkündet …

«Wer glaubt, was verkündet wird?» | Karfreitag | 2. April 2021 | Predigt zu Jesaja 52,13–15; 53,1–12 | verfasst von Paul Wellauer |

Predigttext Jesaja 5,1-7 [Die Zürcher Bibel, Ausgabe 2007, © Theologischer Verlag Zürich]

Das Leiden des Gottesknechts

13 Sieh, mein Diener wird Erfolg haben, er wird emporsteigen, wird hoch erhoben und sehr erhaben sein.

14 Wie sich viele über dich entsetzt haben – so entstellt, nicht mehr menschlich war sein Aussehen, und seine Gestalt war nicht wie die eines Menschen -, 15 so wird er viele Nationen besprengen, und Könige werden ihren Mund vor ihm verschliessen. Denn was ihnen nie erzählt wurde, werden sie gesehen haben, und was sie nie hörten, werden sie verstanden haben.

1 Wer hat geglaubt, was uns verkündet wurde; und der Arm des HERRN, über wem ist er offenbar geworden?

2 Und wie ein Säugling wuchs er auf vor ihm und wie eine Wurzel aus dürrem Land. Er hatte keine Gestalt und keine Pracht, dass wir ihn angesehen hätten, und sein Aussehen war nicht so, dass er uns gefallen hätte.

3 Verachtet war er und von Menschen verlassen, ein Mann der Schmerzen und mit Krankheit vertraut und wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, ein Verachteter, und wir haben ihn nicht geachtet.

4 Doch unsere Krankheiten, er hat sie getragen, und unsere Schmerzen hat er auf sich genommen. Wir aber hielten ihn für einen Gezeichneten, für einen von Gott Geschlagenen und Gedemütigten.

5 Durchbohrt aber wurde er unseres Vergehens wegen, unserer Verschuldungen wegen wurde er zerschlagen, auf ihm lag die Strafe, die unserem Frieden diente, und durch seine Wunden haben wir Heilung erfahren.

6 Wie Schafe irrten wir alle umher, ein jeder von uns wandte sich seinem eigenen Weg zu, der HERR aber liess ihn unser aller Schuld treffen.

7 Er wurde bedrängt, und er ist gedemütigt worden, seinen Mund aber hat er nicht aufgetan wie ein Lamm, das zur Schlachtung gebracht wird, und wie ein Schaf vor seinen Scherern verstummt. Und seinen Mund hat er nicht aufgetan. 8 Aus Drangsal und Gericht wurde er herausgenommen, doch sein Geschick – wen kümmert es? Denn aus dem Land der Lebenden wurde er herausgeschnitten, der Schuld meines Volks wegen hat es ihn getroffen. 9 Und bei Frevlern gab man ihm sein Grab und bei Reichen, als er starb, obwohl er keine Gewalttat verübt hatte und kein Trug in seinem Mund war.

10 Dem HERRN aber gefiel es, ihn mit Krankheit zu schlagen. Wenn du ihn zur Tilgung der Schuld einsetzt, wird er Nachkommen sehen, wird er lange leben, und die Sache des HERRN wird Erfolg haben durch ihn.

11 Der Mühsal seines Lebens wegen wird er sich satt sehen, durch seine Erkenntnis wird er, der Gerechte, mein Diener, den Vielen Gerechtigkeit verschaffen, und ihre Verschuldungen, er wird sie auf sich nehmen.

12 Darum werde ich ihm Anteil geben bei den Vielen, und mit Starken wird er Beute teilen dafür, dass er sein Leben dem Tod hingegeben hat und sich den Übeltätern zurechnen liess. Er hat die Sünde vieler getragen, und für die Übeltäter trat er ein.

Selig ist jeder Mensch, der Gottes Wort hört, in seinem Herzen bewahrt und danach lebt. Amen

Liebe Gemeinde, liebe Brüder und Schwestern in der Gnade und Liebe Gottes,

Welche Gedanken bewegen Sie, wenn Sie ein Kreuz sehen? Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie in einer Kirche, am Wegrand, auf einem Grab oder als Schmuckstück ein Kreuz erblicken?

Heute an Karfreitag geht es genau um diese Frage: Welche Bedeutung hat das Kreuz für Sie, für dich, für mich?

Wenn wir nach dem Gottesdienst die Gelegenheit haben, miteinander darüber zu diskutieren, sind bestimmt so viele unterschiedliche Antworten zu hören, wie wir Personen sind: Jede und jeder hat je ganz eigene, persönliche Kreuzerfahrungen, Kreuzgeschichten, Kreuzmomente.

Bei den einen von uns leuchtet möglicherweise ein Erlebnis aus der Kindheit auf, bei anderen eine Situation aus der jüngsten Vergangenheit.
Betrachten wir doch einen Moment dieses Kreuz und lassen wir innere Kreuz-Erinnerungen aufsteigen.

Ich stelle mir vor, in unseren Gedanken tauchen ernste, traurige und auch frohe, beglückende Bilder auf: Nach einem strengen Aufstieg auf der Höhe eines Berges angekommen beim Gipfelkreuz zu stehen und über das weite Land zu blicken, erfüllt mit Freude, Stolz und Dankbarkeit. Gut möglich, dass wir dabei innerlich Gott, dem Schöpfer aller Dinge, zujubeln und danken für die Schönheit und Pracht seiner Natur. Neben dem Gipfelkreuz zu stehen, ermöglicht einen beglückenden Blick über den zurückgelegten Weg: Farbenfroh, hoffnungsvoll und leuchtend wie das Kirchenfenster neben dem abgebildeten Kruzifix liegt uns die Landschaft zu Füssen.

Oder aber unser Herz ist bewegt vom Schmerz einer Beerdigung: Ein provisorisches Holzkreuz steckt in der aufgegrabenen Erde und davor eine Trauerfamilie in ihrer Not und Erschütterung. Das Kreuz trägt den Namen der verstorbenen Person mit den Jahreszahlen von Geburt und Tod. Es führt die unabänderliche Endlichkeit des Lebens vor Augen und macht deutlich: Hier endet ein irdisches Leben.

Das Kreuz kann beides sein: Ein Hoffnungsort, der einen weiten Blick in Zeit und Ewigkeit ermöglicht und zugleich «memento mori», gedenke des Todes, werde dir deiner Endlichkeit bewusst: «Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.» (Psalm 90,12 Lutherbibel 2017)

Der Prophet Jesaja zeichnet uns mit seinem Bericht vom leidenden Gottesknecht ein ähnlich spannungsvolles Bild vor Augen: Da ist von Erfolg die Rede, «emporsteigen, hoch erhoben und sehr erhaben» (52,13) und im nächsten Atemzug von Entstellung und Entsetzen, Verachtung, Krankheit und Schmerz.

Und mittendrin stellt Jesaja seinen Zuhörern die scheinbar rhetorische Frage: «Wer hat geglaubt, was uns verkündet wurde; und der Arm des HERRN, über wem ist er offenbar geworden?» (53,1)

Welche Bedeutung wir den beschriebenen Geschehnissen geben, ist demnach eine Frage unseres Glaubens. Genauso wie es unser Glaube ist, der im Kreuz ein Zeichen des Todes oder der Hoffnung sieht.

Jesaja macht deutlich: Der Glaube sieht in Tod und Hoffnung keinen Gegensatz, sondern der Tod des Einen wird zur Hoffnung für die Vielen. (53,12)

Aus unserer nachösterlichen Perspektive deuten wir die grausame Beschreibung des leidenden Gottesknechts auf die Leidensgeschichte von Jesus hin: So viele Übereinstimmungen lassen sich entdecken, so viele geheimnisvolle Andeutungen finden in der Passion und im Kreuzesgeschehen von Jesus ihre Erfüllung. Es gibt aber ebenso viele Fragen, die offen bleiben: Woran dachte wohl der Prophet Jesaja oder sein Prophetenschüler, als er diese kraftvollen Worte aufschrieb? Dachte er an einen zeitgenössischen Propheten oder sogar an sein ganz persönliches Martyrium? Oder erhielt er von Gott eine weit über ihn hinaus deutende Schau zukünftiger Ereignisse? Oder als Kombination beider Möglichkeiten: Er erduldete am eigenen Leib Schmerzen, Krankheiten und den Tod eines Opferlammes, wie ihn hunderte Jahre später Jesus in neuer, umfassender Bedeutung auch erlebte. Gottes Wort und Wille in einem prophetischen Bild kann sich ja auch mehrere Male erfüllen.

«Wer hat geglaubt, was uns verkündet wurde; …»: Unser Auge sieht den «Verachteten, Gezeichneten, Geschlagenen und Gedemütigten». Kann unser Herz, unser Glaube im «Lamm, das zur Schlachtung» geführt wird, den «Gerechten, der den Vielen Gerechtigkeit verschafft» erkennen? Jesaja setzt alles daran, uns deutlich zu machen, wie düster und tragisch das Schicksal des leidenden Gottesknechts war: Nach menschlichem Ermessen ist dieser hoffnungslos verloren, ausgestossen, gemieden, verhöhnt. Gott aber gibt ihm über alles menschliche Verstehen hinaus Ehre und Anerkennung, eine göttliche Bestimmung.

Doch können, wollen, dürfen wir das glauben?

Leicht fällt es uns nicht, das wusste auch Paulus, als der den Korinthern schrieb: (1. Korinther 1,18-25)  18 «Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist’s eine Gotteskraft. 19 Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« 20 Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? 21 Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben. 22 Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, 23 wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; 24 denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. 25 Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.»

Du kannst das Kreuz als Ärgernis oder Torheit empfinden, so wie der leidende Gottesknecht als Inbegriff eines Versagers abgetan werden könnte. Für Paulus aber ist ganz klar: Das Kreuz ist «Gottes Kraft und Gottes Weisheit» (Vers 24).

Das Kreuz erinnert an und vergegenwärtigt Jesus Christus, der für dich und mich am Kreuz gestorben ist und für dich und mich auferweckt worden ist. Ohne diese zentrale Botschaft wäre das Christentum leer, ja, unmöglich.

Ohne Kreuz geht es nicht, was den Juden der damaligen Zeit ein Gräuel und Ärgernis war: «Verflucht ist, was am Holze hängt!» (Galater 3,13/5. Mose 21,23) In andern Worten heisst dies: «Wer so stirbt, kann nicht der erhoffte Messias sein!»

Und für weise griechische Ohren musste diese Botschaft ebenso eine Torheit sein: Das Kreuz passt nicht in eine Heldengeschichte und befriedigt philosophische Erwartungen ganz und gar nicht. Das Kreuz ist die absolute Niederlage, weit weg vom Sieg und Glorie.

Das Kreuz: Torheit und Ärgernis! Oder aber: Gottes Kraft und Gottes Weisheit?!

«Wer hat geglaubt, was uns verkündet wurde; …» Der leidende Gottesknecht als Inbegriff eines erbärmlichen Versagers oder als Prototyp für Jesus, der am Kreuz die Schuld der Welt trägt?

Jesaja mutet uns diese spannungsvolle Frage als Herausforderung an unseren Glauben zu. An dir und mir ist es zu entscheiden: Begegnet uns in Gottesknecht und Kreuz ein Rätsel, ein Geheimnis des Glaubens? Oder glaube und sehe ich darin den Hoffnungsanker und Kern der christlichen Botschaft?

Betrachten wir nochmals das Bild mit Kreuz und Kirchenfenster: Beide sind in unserer katholischen Schwesterkirche direkt nebeneinander. Hier das Kreuz und daran «ein Mann der Schmerzen und mit Krankheit vertraut» und daneben das farbige Fenster, dass die Sonnenstrahlen in warmes, farbiges Licht verwandelt. So ist es wohl auch für unseren Glauben: Da ist kein «Entweder – Oder», sondern ein «Sowohl als auch». Wir sehen den leidenden Gottesknecht und zugleich ahnen wir etwas vom Erlösungswerk Gottes, wir sind betroffen von der Not und Last, die auf seinen Schultern liegt und spüren den Schmerz, den die Nägel in seinen Händen bewirken. Zugleich sind wir uns bewusst, dass wir erlösungsbedürftig sind und der leidende Gottesknecht dies alles für uns erduldet, erleidet: «Durchbohrt aber wurde er unseres Vergehens wegen, unserer Verschuldungen wegen wurde er zerschlagen, auf ihm lag die Strafe, die unserem Frieden diente, und durch seine Wunden haben wir Heilung erfahren.» (Vers 5)

«Wer hat geglaubt, was uns verkündet wurde; …» – Die Frage ist nun: Will ich das annehmen, dass der leidende Gottesknecht in der Gestalt von Jesus so grausam für mich sterben muss? Wage ich es, zu vertrauen, dass es wirklich wahr ist und mich von aller Last befreit, dass Jesus auch meine Krankheit, meine Schmerzen, meine Vergehen und Verschuldungen ans Kreuz getragen hat? Kann ich gleichzeitig mit den Fragen leben: Weshalb dieses grausame Geschehen? Hätte Gott nicht eine andere Lösung für unsere Erlösung finden können? Solange wir keine Alternative sehen, ist dies nach wie vor unsere zentrale christliche Hoffnung: Das Kreuz Jesu schenkt uns Erlösung. Der Weg führt durch die Dunkelheit des Kreuzes zum Licht des Ostermorgens. Am Kreuz öffnet sich in Not und Tod des Gottesknechts das Fenster zum Himmel.

Letztlich fordert mich das Kreuz zu einem Glaubensschritt, einer inneren Entscheidung heraus, nicht nur an Karfreitag, sondern täglich neu: Ist es für mich ein menschliches Ärgernis oder meine ewige christliche Hoffnung?

Wie Paulus den Christen in Korinth erläuterte: Diese Botschaft ist eigentlich ganz einfach – und doch so schwer: Sie widerspricht der «Weisheit der Griechen» und der «Zeichensehnsucht» der Juden. Dennoch ist sie die «Gottes Kraft und Gottes Weisheit» und «verschafft den Vielen Gerechtigkeit».

«Wer hat geglaubt, was uns verkündet wurde; …» Unser Glaube ist gefordert, neben und hinter dem Kreuz das Fenster zum ewigen Leben zu entdecken. Heute an Karfreitag und jeden Tag neu.

AMEN

Liedvorschläge

ERG 445      O Haupt voll Blut und Wunden

ERG 447      Jesu, deine Passion

RW 26         Hab’ Dank von Herzen, Herr

RW 121       Von guten Mächten

ERG = Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz, © Friedrich Reinhard Verlag Basel, & Theologischer Verlag, Zürich 1998

RW = Rückenwind, Lieder für den Gottesdienst, Hrsg. Evang Landeskirche des Kantons Thurgau, Theologischer Verlag, Zürich 2017

Bildrechte:

Bild Kath. Pelagiuskirche, Bischofszell, © Paul Wellauer

Pfr. Paul Wellauer

Bischofszell, Schweiz

E-Mail: paul.wellauer@internetkirche.ch

Paul Wellauer, geb. 1967, Pfarrer der evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau, Schweiz. Seit 2009 in Bischofszell-Hauptwil, 1996-2009 in Zürich-Altstetten, davor 1993-1996 Seelsorger und Projektleiter in der Stiftung Sozialwerke Pfr. Ernst Sieber, Zürich

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