Epheser 1, 15-20a

Epheser 1, 15-20a

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


4. Sonntag nach
Epiphanias

30.1.2000
Epheser 1, 15-20a

Ulrich Nembach


Liebe Gemeinde,

„Dank für gute Augen“ –
so kann die Überschrift für unseren Predigttext lauten.

Der Schreiber des Briefes
dankt Gott, daß die Adressaten zum Glauben kamen. Und sie kamen zum
Glauben, weil Gott ihnen gute Augen gab.

Mit den Augen ist das so eine
Sache. Wir brauchen gute Augen im Straßenverkehr. Weil das so ist,
brauchen wir Augenärzte, Brillen und, wenn wir älter werden,
benötigen wir neue Linsen. Sie werden heute in einer kleinen Operation
eingesetzt.

Aber Augenärzte,
Brillen, neue Linsen sind nur eine Seite. Augen können noch mehr sehen
oder auch nicht. Es gibt eine alte Redeweise. Sie ist heute aus der Mode
gekommen. Diese Redeweise sagt: man kann und soll oft auch mit dem „Herzen
sehen“. Das h

Herz sieht Dinge, die die
Augen nicht sehen. Es sieht oft auch weiter und schärfer als die Augen.
Selbst Ferngläser können nicht so weit sehen wie das Herz, und
Mikroskope nicht so tief wie das Herz. Jede Schülerin und jeder
Schüler kennt jemanden aus seiner Klasse, der ein hoffnungsloser Fall war.
Dann gab es eine Lehrerin, einen Lehrer, eine Mitschülerin, einen
Mitschüler, die sich nicht mit der Situation abfanden. Sie redeten mit
ihm, mit ihr, sie halfen ihm, ihr bei Mathe oder Physik, und dann schaffte er
bzw. sie doch noch die Versetzung. Ärzte kennen auch solche Fälle.

Neulich erzählte mir ein
Bekannter: Er war mit einem schweren Herzinfarkt ins Krankenhaus gekommen. Er
kam durch. Ein Arzt nahm sich seiner an. Was der Arzt für ihn tat, begriff
er erst nach über einem Jahr. Er kam in das Krankenhaus zu einer
Nachuntersuchung. Auf dem Flur begegnete ihm ein anderer Arzt. Der staunte,
weil er nicht glauben konnte, daß der mit dem schweren Infarkt noch lebt!
Oder ein anderes Beispiel: Ein Mann, ein erfolgreicher Mann, hat eine tolle
Frau. Sie liebt ihn. Sie ist schön Sie heiratet ihn. Nun hat der Mann
einen Neider, einen Feind. Der will sich an ihm rächen und überlegt
sich einen teuflischen Plan. Er redet ihm ein, seine Frau betrüge ihn.
Dabei liebt sie ihn! Der Trottel sieht nicht, was los ist, und bringt seine
Frau um. Er erwürgt sie. Es ist die Geschichte von Othello. Diese
Geschichte hat immer Leute aufgeregt. Theater und Opernhäuser spielen sie
mit Erfolg. Hätte, ja hätte Othello nur Augen des Herzens
gehabt!

Also um solche Augen, die
mehr sehen, die tiefer sehen, geht es im Text.

Der Schreiber dankt Gott,
daß er, Gott, die Gemeinde ins Leben gerufen hat. Der Schreiber sagt,
daß Gott den Gmeindegliedern „erleuchtete Augen des Herzens“ geschenkt
hat. Glaube braucht „erleuchtete Augen“. Was sehen diese Augen, was unsere
Augen, auch die mit einer Brille, nicht sehen? Es sind 3 Dinge:

 

Hoffnung, 2. Reichtum der
Herrlichkeit des Erbes Gottes, 3. die große Kraft Gottes.

Die Hoffnung.

Hoffnung ist schön. Was
mir heute nicht gelingt, gelingt mir vielleicht morgen. „Think positive“ nennen
wir das. Und auf der Basis solchen positiven Denkens gehen die Dinge viel
leichter von der Hand.

Hoffnung im Text, im
Predigttext, meint viel mehr. Um diese Hoffnung erkennen zu können,
braucht es mehr als einen flotten Alltagsspruch; es braucht eben „Augen des
Herzens“. Sie erkennen, daß Gott uns ruft. Hoffnung meint, Gottes Ruf ist
angekommen.

Wir meinen gewöhnlich,
wenn wir „Hoffnung sagen“. Daß wir uns wünschen, daß das, was
wir erhoffen, eintreten, geschehen möge. Hoffnung ist also auf die Zukunft
gerichtet. „Hoffentlich kommen die 6 Zahlen am Sonnabend bei der Auslosung“,
denke ich, wenn ich am Donnerstag meinen Tippschein ausfülle. „Hoffnung“
meint hier die Gegenwart. Gottes Ruf ist angekommen. Nur ich kann diesen Ruf
heute so wenig sehen, wie die Zahlen von Sonnabend. Die Zahlen sehe ich nicht,
weil sie noch nicht angekommen sind. Gottes Ruf sehe ich nicht mit meinen
Augen, auch nicht mit meiner Brille, weil Gottes Ruf andere Augen verlangt,
eben solche des Herzens. Sie sehen, daß Gott sich zu uns auf dem Weg des
Glaubens wendet. Warum das so ist, sagt uns das 2. Stichwort im
Text.

 

Reichtum der Herrlichkeit des
Erbes Gottes.

Diese Herrlichkeit oder
wenigsten Teile von ihr sind uns bekannt, weil sie uns begegnen. Wir kennen
wunderschöne Kirchen. Die sind groß und oft mit prächtigen
Kunstwerken ausgestattet. Der „Köln Dom“ begeisterte so sehr einen
Preußenkönig, daß er den Auftrag gab, die Bahnbrücke
über den Rhein in der verlängerten Hauptachse der Kirche zu bauen.
Darum fahren noch heute die Züge direkt auf den Dom zu, wenn sie über
den Rhein fahren. Barockkirchen in Bayern sind manchmal so prunkvoll
ausgestattet, daß es schon zu viel des Guten ist.

Wie die Architektur und
Malerei bietet auch die Musik herrliche Erlebnisse. Rock und Pop sind für
manche so toll, daß sie diese Musik auf Christus beziehen. „Jesus Christ
Superstar“ wird wieder entdeckt. „Sakropop“ wurde erfunden, um Pop in die
Kirche zu hohlen, weil manche von Pop begeistert sind. Früher, ebenfalls
im Barock, holte Bach die Musik in die Kirche. Chöre, Orgel, Orchester,
alles wird von Bach eingesetzt, um eine herrliche Musik erklingen zu lassen.

Um solche Herrlichkeit und
noch mehr geht es im Predigttext. Die Herrlichkeit, die hier gemeint ist, ist
noch herrlicher, noch schöner. Es ist die Herrlichkeit, bei Gott zu sein.
Diese Herrlichkeit ist keine, die weit weg ist, in einer fernen Zukunft liegt.
Sie ist schon heute real. Die Herrlichkeit ist so konkret, daß
Architekten große, wundervolle Kirchen bauen, daß Maler sie
ausmalen, daß Musiker glanzvolle Musik erklingen lassen. Wir Theologen
haben für diese Nähe einer eigentlich weiten Ferne einen eigenen
Fachterminus. Wir sprechen von „präsentischer Eschatologie“. Wörtlich
übersetzt heißt das: „heutige Zukunft“. Das ist ein Widerspruch,
denkt manche und mancher. Entweder ist etwas heute oder es geschieht erst in
der Zukunft. Schön wäre es ja, wenn die Zukunft schon heute ist. Kein
Jugendlicher müßte mehr träumen: wenn ich einmal groß
bin!! Ja, das meint Glaube. Schon jetzt die Zukunft! Ist das nicht herrlich?
Gott läßt uns nicht warten auf unser Erbe. „Erbschaft heute“ kann
man übersetzen „präsentische Eschatologie“. Wie soll das möglich
sein? Das 3. Stichwort gibt die Antwort.

 

Die große Kraft
Gottes.

Ein Interpret unseres
Predigttextes, Franz Mußner, nennt Gottes große Kraft „die alles
besiegende Macht Gottes“. Karl Barth sagte: „Gott ist anders“. Er wollte damit
ausdrücken, daß wir nicht von uns auf Gott schließen
können. Wir machen einen großen Fehler, wenn wir meinen, was wir
nicht können, kann auch Gott nicht.

Ich finde, daß wir uns
gewaltig irren, wenn wir meinen, Gott müsse dies tun oder jenes lassen.
Wer sind wir, daß wir Gott Vorschriften machen können? Wir haben
viel zu wenig Kraft, power, um die Welt regieren zu können. Wir sind schon
froh, wenn nach großen Anstrengungen weniger Menschen auf unseren
Straßen sterben. Dabei ist jede Tote, jeder Tote auf der Straße
eine, einer zuviel, jemand, der unnötig starb.

Vielleicht fragt nun jemand:
warum verhindert dann Gott nicht das Sterben auf den Straßen? Tolle
Frage! Wir rasen. Wir trinken zu viel. Und dann ist Gott schuld. Wer in der
Schule faul ist, kann nicht die Lehrerin oder den Lehrer für seine
schlechten Noten verantwortlich machen.

Gott schafft trotz Faulheit
und rasen auf den Straßen, daß die Welt noch steht.

Seine Stärke ist so
groß, daß er sogar den Tod überwindet. Er erweckt den toten
Jesus zu neuem Leben. Diese Macht ist herrlich.

 

Ja, kann ich dazu nur sagen.
Der Schreiber unseres Predigttextes hat recht. Wir können Gott nur danken,
daß wir zu seiner Gemeinde gehören. Lassen Sie uns darum auch
unsererseits Musik erklingen und das gerade 400 Jahre alt gewordene,
ökumenische Lied singen: „Wie schön leuchtet der Morgenstein“ (EG 70,
1,4,5).

Amen

 

Hinweis:

Ich folge weitgehend der
Auslegung von Franz Mußner, Der Brief an die Epheser, zur
Stelle.

Mein Anliegen ist es, die
drei Gründe für den Dank des Schreibers für den Glauben der
Gemeinde durch Anschaulichkeit verständlich zu machen. Die Konfirmandinnen
und Konfirmanden habe ich dabei besonders im Blick. Aus Zuschriften wissen wir,
daß die Predigten im Internet auch im Religionsunterricht gelesen werden.
Ob ich Jugendlichen Verständnis zum Beispiel für Kirchenmusik als Lob
nahe bringen konnte?

 

Ulrich Nembach: unembac@gwdg.de


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