Erklärung zur Rechtfertigungslehre

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Erklärung zur Rechtfertigungslehre

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Reformationstag
1999

Edward Idris Cardinal Cassidy,
Präsident, Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der
Christen: Predigt anläßlich der Unterzeichnung der Gemeinsamen
Erklärung zur Rechtfertigungslehre, 31. Oktober 1999 in Augsburg, St.
Anna


1. Im ersten Brief des Apostels Paulus an die Korinther legt der
Völkerapostel den ersten Christen von Korinth die besondere Rolle dar, die
Gott ihm verliehen hat, als er ihn dazu berief, die gute Nachricht von der
Erlösung der heidnischen Welt zu verkünden. Er war dazu berufen
worden, die Kirche Christi aufzubauen, indem er die festen Grundlagen legte,
auf denen der ganze Bau ruhen sollte. Er war dazu bestimmt, der Baumeister zu
sein und derjenige, der das Werk beginnen sollte. Andere würden dann
kommen und dieses Werk fortsetzen. „Der Gnade Gottes entsprechend, die mir
geschenkt wurde“, so schreibt er, „habe ich wie ein guter Baumeister den Grund
gelegt, ein anderer baut darauf weiter.“

2. Um gut zu bauen, ist es wesentlich, daß die Grundlagen um
den Eckstein gelegt sind, der einen neuen Bau unterstützt und fest
zusammenhält. Für den Heiligen Paulus konnte dieser Eckstein nur
einer sein, Jesus Christus. In diesem Namen hatte er den Bau begonnen, und wer
auch immer den Bau weiterführen wollte, würde es auf dieser Grundlage
tun müssen: „Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der
gelegt ist: Jesus Christus.“

3. Wir, die wir heute hier versammelt sind, zwanzig Jahrhunderte
später, sind dazu aufgerufen, diesen Bau fortzusetzen. Wir zählen zu
denen, an die sich der Heilige Paulus wendet, wenn er von „einem anderen“
spricht, „der darauf weiterbaut“. Unsere Aufgabe besteht nicht nur darin, den
Bau fortzusetzen, sondern wir haben leider auch die Pflicht, den Schaden zu
reparieren, der diesem Bau durch die Stürme, Auseinandersetzungen und
zuweilen durch Menschen verursachte Erdbeben zugefügt worden sind. Wir
müssen dies zusammen tun, indem wir auf dem einen Grundstein aufbauen, der
bereits gelegt wurde, Jesus Christus und sein Evangelium. Die Gute Nachricht
von Jesus Christus ist heute ebenso gültig wie sie es für die
Menschen von Korinth zur Zeit des Heiligen Paulus war. Sie ist die gute
Nachricht der Erlösung für alle Menschen zu allen Zeiten.

4. Der Heilige Paulus hatte Erfolg in seiner Aufgabe „der Gnade
Gottes entsprechend, die ihm geschenkt wurde“. Auch uns ist es hier an diesem
Tag gelungen, ein Dokument mitzubringen, das in bedeutsamer Weise die Arbeit,
die Einheit unter den Anhängern Christi wiederherzustellen, vorantreibt.
Daß es uns gelungen ist, ist mit Sicherheit „der Gnade Gottes
entsprechend, die uns geschenkt wurde“, einer Gnade, die frei zu uns gekommen
ist und unsere Herzen und unser Denken den Eingebungen des Heiligen Geistes
geöffnet hat. Wir danken Gott für diese Gnade genauso wie wir
versprechen, die Aufgabe fortzuführen, den Bau, der seine Kirche ist,
wiederherzustellen.

5. Schließlich erinnert der Heilige Paulus die, welche am
Reich Gottes mitarbeiten, daran, „darauf zu achten, wie sie weiterbauen“.
Achten wir auf diese Warnung. Seien wir uns bewußt, wie dringend die
Aufgabe ist, die uns anvertraut wurde. Die Gemeinsame Erklärung zur
Rechtfertigungslehre
hat neues Leben und neue Hoffnung für die gesamte
ökumenische Bewegung gebracht, wo wir uns jetzt dem Ende dieses zweiten
Jahrtausends nähern. Wir müssen auf dieser Hoffnung aufbauen, da wir
hier in Europa im besonderen dazu herausgefordert sind, unsere Anstrengungen zu
erneuern und vielen, die sich weit von ihrem traditionellen Glauben entfernt
haben, das Evangelium zu verkünden. Unsere Trennungen sind ein
großes Hindernis für diese Aufgabe. Unser Mangel an Liebe
zueinander, die wir Brüder und Schwestern im einen Herrn Jesus Christus
sind, zerstört die Glaubwürdigkeit unserer Predigt vom Evangelium der
Liebe. Wenn wir für den erreichten Fortschritt danken, laßt uns
erkennen, daß die vor uns liegende Straße noch lang und schwierig
ist, aber auch „so voller Freude“, wie es Papst Johannes Paul II. in seiner
Enzyklika Ut Unum Sint – Über den Einsatz für die Ökumene
(Nr. 2)
ausgedrückt hat. Diese Freude wird die unsrige sein, und sie
wird in der Tat von Millionen von anderen geteilt werden, wenn wir heute von
der Erfahrung von Augsburg lernen, wie wir mit offenem Geist und
großzügigem Herzen weitergehen „von der Liebe geleitet, an der
Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir ihn erreicht haben. Er, Christus,
ist das Haupt. Durch ihn wird der ganze Leib zusammengefügt und gefestigt
in jedem einzelnen Gelenk. Jedes trägt mit der Kraft die ihm zugemessen
ist“ (Eph 4, 15-16).

de_DEDeutsch