Es sollen die Werke Gottes offenbar werden

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Es sollen die Werke Gottes offenbar werden

Andacht für den 2.8.2020 – 8. Sonntag nach Trinitatis | Andacht über Johannes 9,3 und Lieder von Fanny Crosby | verfasst von Dr. Hansjörg Biener |

 

„Die Heilung eines Blindgeborenen“ – der heutige Predigttext hat es in sich. So ein Schicksal wirft die Warum-Frage auf; in der Jesus-Zeit hat man oft einen Zusammenhang zwischen Schuld und Krankheit hergestellt. Vielleicht sind die Themen, die Johannes 9 aufwirft, in Corona-Zeiten vielleicht ein bisschen zu viel.

 

Deshalb habe ich mir eine Alternative überlegt: Ich greife nur einen Vers auf. Jesus hat in unserem Predigttext eine andere Antwort als den Zusammenhang von Schuld und Strafe. „Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.“ (Joh. 9,3) Behinderung als Teil der göttlichen Vorsehung für ein Leben? Auch das ist harte Rede.

 

Ich könnte mir eine solche Äußerung nur von Betroffenen selber vorstellen. Es wäre beeindruckend, wenn so jemand sagt, „ich kann mich annehmen, wie ich bin, und Gott zu Großem an mir wirken lassen.“ Tatsächlich ist mir jemand eingefallen, der das mindestens im Lied so gesagt hat: Die blinde Liederdichterin Fanny Crosby. Sie lebte von 1820 bis 1915 in den USA und wurde mit mehr als 8000 Liedtexten die wichtigste Texterin der amerikanischen Erweckungsbewegung.

 

Ich habe bei You Tube nach einigen ihrer Lieder gesucht. Sie werden sehr verschieden präsentiert, und ich lade Sie ein, auch die Vielfalt zu genießen. Die Untertitelung hilft verschiedentlich auch, das Copyright-Problem zu umgehen.

 

Das erste Lied, das mir einfiel: „To God Be The Glory“ „O Gott, Dir sei Ehre“. Die folgende Fassung von etwas mehr als 3 Minuten bringt die ganze Royal Albert Hall in London zum Singen:

 

Ein ganzer Saal singt. Vielleicht hätte man sich früher den himmlischen Thronsaal so vorgestellt, wenn die Erlösten Gott ihr Halleluja singen und das gerne tun. „O Gott, Dir sei Ehre“ – eine der bekanntesten Hymnen von Fanny Crosby. Sie lobt Gott. Nicht wegen ihrer Blindheit, wohl aber wegen ihrer Erlösung. Dieses Grundmotiv wird sich im Folgenden durchziehen.

 

Es gibt verschiedene Versionen über Fanny Crosbys Blindheit. Nach der einen hatte sie als Baby eine Augenentzündung, die von einem Quacksalber falsch behandelt wurde. Nach einer anderen waren die Eltern zu eng verwandt, und die angeborene Blindheit wurde eben erst einige Wochen nach der Geburt bemerkt. Wie auch immer. Das bemerkenswerte Kind fand in der Religion ein Zuhause. Es begann mit acht Jahren zu dichten, durchlief ab 15 eine musikalische Ausbildung. Fanny Crosby wurde als junge Erwachsene politisch für die Sache der Blinden aktiv und selber Lehrerin. Ihre Dichtkunst machte sie bekannt. Sie schien Texte in die Melodien hineinhören zu können. In ihren Vierzigern wandte sie sich religiösen Texten zu. Ich sagte es schon: Am Ende waren es mehr als 8000 religiöse Liedtexte. Damit wurde Fanny Crosby zur führenden Textdichterin der amerikanischen Erweckungsbewegung.

 

Ein weiteres bekanntes Lied ist deshalb „Pass me not“. Die Version bei

ist ein berührendes Beispiel zeitgenössischer christlicher Popmusik, aber mit sechs Minuten etwas lang. Leider kommt man auch an der Werbung nicht so einfach vorbei.

Näher am Gemeindeleben einer afroamerikanischen Gemeinde ist:

Anders als in deutschen Gemeinden steht man hier auf, um zu singen. Das macht das Zwerchfell frei und ermöglicht auch mehr Bewegung.

 

Ich kann bei diesem Lied nicht anders, als an eine andere Blindenheilung denken. „Die Heilung des blinden Bartimäus“. Als er hörte, dass Jesus vorbeikommen würde, rief er und rief er und rief er nach Jesus. So sehr, dass es die anderen störte. Am Ende stand er aber vor Jesus, und Jesus nahm sich seines Unglücks an. Im Predigerseminar mussten wir einmal üben, biblische Geschichten für Kinder zu erzählen. Eine war eben die vom blinden Bartimäus. Einer meiner Kollegen konnte es nicht. Er kam aus einer erwecklichen Tradition und wusste aus eigener Erfahrung, an Jesus diese Bitte zu stellen: Geh nicht an mir vorbei.

 

Auch wenn ihr Lebensweg nicht einfach war und einige Windungen hatte, – Fanny Crosby hatte für sich gefunden, dass es eine gefährlichere Blindheit gibt als die physische: Jesus nicht zu kennen. Auf ihrem Grabstein wurde der Anfang eines anderen bekannten Liedes eingraviert: „Blessed assurance, Jesus is mine. Oh, what a foretaste of glory divine“/ „Seliges Wissen, Jesus ist mein. Oh, welch ein Vorgeschmack der göttlichen Herrlichkeit.“

 

Im Folgenden noch einmal eine Version in Praise-Modus zeitgenössischer christlicher Popmusik, leider auch noch einmal nach Werbung.

 

Einige Lieder wurden auch ins Deutsche übersetzt und werden in freikirchlichen Gemeinden und landeskirchlichen Gemeinschaften gesungen. Deshalb muss am Ende dieser Andacht eine deutschsprachige Fassung stehen: „O Gott, Dir sei Ehre“.

 

 

Manche Kritiker empfanden Fanny Crosbys Texte als schlicht, aber sie wurden von Tausenden Menschen verstanden. Sie sind Millionen bis heute eine geistliche Heimat. Welch wunderbares Erbe einer Blinden an die Christenheit! Erinnern wir uns an den Satz aus der Heilung des Blindgeborenen: „Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.“ (Joh. 9,3)

 

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Dr. Hansjörg Biener (*1961) ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und derzeit als Religionslehrer am Melanchthon-Gymnasium Nürnberg tätig. Außerdem ist er außerplanmäßiger Professor für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

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