Himmelfahrtsblick

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Himmelfahrtsblick

 – Predigt über Joh 17, 1. 20- 26   | verfasst von Jochen  Riepe

I

Manche erheben die Arme und strecken sie zum Himmel… Andere schließen Hände und Augen und schauen nach innen… Dritte schließlich knien nieder und senken das Haupt…  ‚Himmelfahrtsblick‘, eine ‚open-air-Sicht‘ auf der maigrünen Wiese:  ‚So redete Jesus, und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da…‘

II

‚Social distancing‘ – mit diesem Fremdwort wurden und werden wir in Zeiten der Corona- Krise ermahnt. ‚Haltet Abstand voneinander!‘ Es galt,  zu Hause, ‚im Nest‘,  zu bleiben und die Außenkontakte auf‘s Notwendige zu beschränken. Gottesdienst konnten wir nicht feiern, und an den Sonntagen lasen wir eine Andacht am Küchentisch, hörten einen Podcast oder setzten uns ins virtuelle Kirchencafé.

Viele haben das Aussetzen der Normalität angenommen. ‚Ich bin zwar allein, aber nicht einsam‘.  Ebenso viele litten darunter: Ist das nicht völlig überzogen und unverhältnismäßig? ‚Wo bleiben meine Kinder?‘ fragten die Alten im Heim und sehnten sich nach Wiedersehen, nach Berührung. Eltern klagten über beengtes Wohnen: ‚Uns fällt die Decke auf den Kopf‘. Müssen nicht in dieser verordneten Ferne neue, soz. mittelbare Formen von Nähe ge- und erfunden werden? Manche fürchteten eine Zunahme von Gewalt in den Familien.

III

Jesus distanziert sich. Im Johannesevangelium kann er gar nicht aufhören, ‚Lebewohl-Farewell‘ zu sagen und sprechend den Jüngern zu helfen, mit ihrer ‚Angst‘ ‚in der Welt‘ umzugehen.  ‚Es ist gut, daß ich gehe‘(16,7), hat er sie eben noch getröstet. Schließlich aber betet er, er hält Fürbitte. ‚So redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel…‘ schreibt der Evangelist und leitet damit den feierlichen Höhepunkt seines Buches ein, ein ‚literarische(s) Testament‘(H. Thyen) Jesu, das  ‚Hohepriesterliche Gebet‘.  In der Nacht des Abschieds führt der Evangelist seine Leser soz. betend  ‚hinaus‘( Lk 24,50) ins Freie. Im Blick ‚nach oben‘ wird der bedrückende Raum  aufgeklappt, und wir atmen die kühle Frische des kommenden Morgens.

Jesus geht. Er entfernt sich. Sie werden ihn nicht mehr ‚anrühren‘(20,17) oder gar an seiner Brust liegen können. Er wird sterben und so – in der paradoxen Sprache des Johannes- ‚erhöht‘, zu Gott erhöht. Was ist ‚gut‘ daran, daß er von sich aus Distanz schafft? Werden die verlassenen Jünger ‚einander lieben‘(15, 17) und Anfeindungen und Isolation ertragen? ‚Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen sie auch in uns sein‘.

IV

Man kann sich in diesen Fragen und Gefühlen grübelnd, brütend verlieren. Ungewißheit lähmt. Die vielen Worte am Ende zeigen es. Sie zeigen aber auch: Jesus, dessen Leben ein einziges Gebet, ein Gespräch mit Gott*  war, erschließt im Wort auch diese Situation. ‚Wahrhaft lebendig im Leben ist nur der, der frei ist, sich umzudrehen und wegzugehen‘, schreibt ein Philosoph**.  Wenn Jesus ‚weggeht‘, ‚kommt der Geist‘, der ‚Geist der Wahrheit‘(14,17), jene Gottesmacht, die nicht umsonst nach dem ‚Wind‘(3,8) benannt wird.  Menschen müssen von Anfang an ‚Distanzen‘ ertragen. Sie können Trennungen verkraften, mit Risiken umgehen, Einsamkeit gestalten und lernen auf diese Weise, ihr Leben weiter zu führen. Man sagt, in jeder Trennung sei ‚ein Keim von Wahnsinn‘, der Keim einer inneren, entgeisterten Ödnis, aber in jeder Trennung kann die Kraft zu Eigenverantwortung, zu neuer Erkenntnis und neuer Sprache liegen.

Das gilt auch für die Jünger: Je weniger wir auf bestimmte Personen, Sprachspiele und Konventionen fixiert sind, je besser wir uns ‚aus der Umarmung lösen‘, umso unbefangener und kreativer können wir dem entsprechen, was unser Ziel und Auftrag ist. Jesus, der den Vater bei seinem ‚Namen‘ nennt, er hat diesen Namen auch den Seinen ‚kundgetan‘. Er, der ‚Ausleger Gottes‘, der modellhafte Beter, sendet ja uns ins Offene, aber nicht als ‚Waisen‘ (14,18), sondern als Beter und Zeugen, die innerlich frei und ‚mit großer Freude‘(Lk 24,52) dabei sind.

V

Beter breiten die Arme aus und strecken sie Gott entgegen… sie falten die Hände und senken den Kopf, zu schauen den inneren Himmel… sie knien und neigen das Haupt demütig zur Erde…

Aber läuft mit einer Trennung nicht alles auseinander? Jeder, der sein Kind aufbrechen und weiterziehen sieht, blickt doch mit Jesus hinauf und wünscht sich: ‘Hoffentlich verlieren wir uns nicht und werden einander nicht fremd! Hoffentlich bleibt die Liebe!‘ Es gibt notwendige Trennungen: ‚Geh mit Gott, aber geh!‘ Es gibt aber auch ein Auseinandergehen, das eine neue, überraschende, freudige, eben geistreich-pfingstliche Gemeinsamkeit verlangt und das Bedürfnis weckt, eben diese zu stiften – und sei es auf Umwegen.

Im Zusammenhang der Corona-Krise wurde uns bewußt: Gerade das körperliche Abstandhalten – der andere als Virusträger und gefährlicher ‚Superspreader‘!- kann eine schlimme soziale Kälte bewirken, eine Art Isolationshaft, die ‚Angst, in der Welt‘  eingeschlossen zu sein, wenn es nicht ein Gegengewicht gibt: Fürsorge, ‚cocooning‘, ‚Liebesnest-Pflege‘, und vor allem einen offenen, kontroversen Austausch- ‚Freimut‘ würde Johannes sagen. Neue Formen des Zueinanderkommens, die unser – gar nicht krankhaftes!-  Bedürfnis nach Normalität befriedigen, und Nähe, Diskussion, also die Praxis unserer grundgesetzlich verbrieften Freiheitsrechte auf indirekte  Weise,  manchmal durch die Hintertür, ermöglichen.

VI

Für den scheidenden Jesus gehört das unbedingt zusammen: Er, der im Wort Freie, gibt seine Jünger frei, der Geist der Wahrheit wird sie erfüllen. Eben darum kennt er auch die Sorge des ‚guten Hirten‘, der seine Schäflein zur grünen Aue führt – niemand darf sie ihm ‚aus der Hand reißen‘( 10, 28). Er ‚dreht sich um‘, jedoch ist diese Freiheit zum Weggehen nicht selbstbezogen und vergeßlich: ‚Du bist zeitlebens verantwortlich für das, was du dir vertraut gemacht hast‘, heißt es bekanntlich im ‚Kleinen Prinzen‘. Bleibt die Verbindung? In der erhebenden, inniglichen Sprache des Gebets: ‚Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein‘.

Ja, der Himmelfahrtsblick , er gehört hierher: Nach der langen Rede, nach Ankündigungen und   Erklärungen, also einem ‚tröstend-verzagten‘ Blickkontakt, in dem mancher der Jünger wohl zur Erde sah, hebt Jesus ‚seine Augen zum Himmel‘, zum ‚Vater‘, und legt alles, was ihn bewegt in Gottes Hände – im Hinblick auf die Seinen und im Hinblick auf uns, die Hinzugekommenen , ‚die durch ihr, der Jünger, Wort, an ihn glauben‘.  Aus der Sorge und Fürsorge der Liebe wird die Fürbitte ums Einssein.

Man darf sich diesen Augenblick so vorstellen: Jetzt, da ihnen der Taumelkelch des Abschieds gereicht wird, jetzt dürfen sie seinem Blick nach oben folgen. Verbunden bleiben sie untereinander, indem sie sich -wie einst das ‚viele Volk‘ am See Tiberias- im hohen ‚Gras‘  ‚lagern‘(6,10), das Wort hören, mit Jesus danken und Brot und Fisch teilen, jeder ‚so viel er will‘. Eben so wird in der Kraft des Geistes aus ihrem Sehen – Glauben, jene Begegnung, in der er uns ‚wiedersieht‘(16,22) und uns beim Namen ruft.

Jesu Liebe bindet sich an einen uns schützenden ‚Um-Weg‘. Sein Gebet soll die Fühlung und der ‚Hauch‘(20,22) sein, der lebendig macht und das ‚Herz‘ (Jer 31,33) fähig zur Liebe.  Unsere Vorfahren sagten: Der am Kreuz Erhöhte, er, der ‚König‘, ist zugleich der Priester, der als Anwalt für die Seinen eintritt und uns Bleibeschwerte dankend, lobend, singend empor zum Himmel ‚zieht‘(12,32). Sein ewiges Leben ist wie sein irdisches Leben ins Gespräch mit Gott gefaßt.

VII

Werden wir denn beieinander bleiben?  Wir wissen um die Trennungen und Distanzen, um die Vielfalt, ja, aber auch die Gegensätzlichkeit und Feindschaft, unter der die Herde Jesu leidet. Manche haben versucht, qua Autorität, Macht, sogar mit Gewalt, die sog. Einheit der Kirche herbeizuzwingen. Sie sind in der Regel Anwälte ihres Milieus und vertreiben Andersdenkende.

Andere halten dagegen: ‚Der Wind weht wo er will‘ (3,8). ‚Klappt die Welt auf‘ und ihr seht den Reichtum der Menschen, der Völker, der Sprachen, der politischen Überzeugungen! Wie sollte diese lebendige ‚Fülle‘ (10,10) in eine Wohnung gesperrt werden können? Das erzeugte erneut gehässige Blicke, ja Vernichtungswünsche, und führte zu jener ‚ehernen Kälte‘***, die ängstlich und räuberisch Gottes Liebe und die Gaben, das Gut und das Geld des Gottesvolkes nur der eigenen Sippschaft lassen will. Schon Johannes war diesem Verdacht ausgesetzt.

Es kommt die Zeit…, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist‘(4,23), sagt Jesus zu Beginn des Evangeliums der Frau am Jakobsbrunnen. Jesu hohepriesterliches Gebet ist soz. ein Modell für dieses Beten im Geist, das er ‚im Himmel‘ fortsetzen wird. Ja, der Himmel ist dort, wo wir füreinander in Liebe beten und einstehen. Einige strecken die Arme aus … andere falten die Hände  … dritte knien nieder.

VIII

So redete Jesus, und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da, verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche‘.

Himmelfahrtsblick – auch auf der ‚tiefsten Stufen‘: ‚singen, beten, rufen‘ (eg 123, 11). Gottesdienste auf der grünen Wiese sind an diesem Tag üblich. ‚Komm! Ins Offene!‘, liebe Schwester, lieber Bruder! Wenn wir unten ‚im Gras‘ mit ihm und zu ihm hinaufschauen, den Blick nicht direkt auf den anderen richten, sondern zuvor zum Himmel reisen lassen, also auf schützenden Umwegen einander berühren, dann bitten wir: Gottes Geist- ‚als fiele ein Maienregen‘****- möge uns erfrischen und zum freimütigen Weltgebetstag der Frauen und Männer zusammenschließen. Aus dem ‚Vater‘, den Jesus anruft, wird: ‚Unser Vater‘.

(Gebet nach der Predigt:) Unser Vater im Himmel, wir bitten um deinen Geist, den Heiligen Geist. Daß l.er uns, die wir so unterschiedlich leben, denken, fühlen,  miteinander ins Gespräch bringe und die Balance halte zwischen Jung und Alt, Mann und Frau, Oben und Unten,  sog. Konservativen  und  sog. Fortschrittlichen.  Daß er uns Urteilskraft gebe im Hin und Her der derzeitigen Situation. Schließlich aber bitten wir, daß dein Geist ‚unserer Schwachheit aufhelfe‘(Röm 8,26) und uns beten lehre, so daß wir in dir sind,  wie dein lieber Sohn in dir ist und du in ihm.  

Liedvorschläge: Jesus Christus herrscht als König (eg 123) / Du hast vereint in allen Zonen (eg 609) / Herr, deine Liebe (eg 663)  /Da berühren sich Himmel und Erde (Chr. Lehmann /Th. Laubach): https://www.youtube.com/watch?v=l72k-JQUnU0 / Weißt du, wo der Himmel ist (L. Edelkötter)

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*J. Ringleben, Das philosophische Evangelium, 2015, S. 302 Anm. 5: ‚als existierendem Gebet in Person‘ **P. Strasser, Journal der letzten Dinge, 1998, S. 17 ***E. Käsemann, Jesu letzter Wille nach Johannes 17, 1966, S. 113 ****E. Lasker- Schüler, Maienregen (‚Als fiele ein Maienregen / Auf meinen greisen Traum‘) in:  Sämtliche Gedichte, 1977, S. 79

Pfr.i. R. J. Riepe  Dortmund                       email: Jochen.Riepe@gmx.net

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