Johannes 4,19-26

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Johannes 4,19-26

„Es ist kommt die Zeit und ist schon jetzt…“| Pfingstmontag | 29.05.2023 | Joh 4,19–26 | Felix Stütz |

Bald ist wieder Weihnachten. Zumindest fast.

Denn das letzte Christfest liegt hinter uns. Karfreitag und Ostern ist auch vorbei. Pfingsten, das war gestern. Und Pfingstmontag, das ist doch nur der Abschied in die Trinitatiszeit. Erst kommt Trinitatis und dann wird durchgezählt. 1. Sonntag nach Trinitatis. 2. Sontag nach Trinitatis etc. So viele Sonntag bis es eben wieder spannend wird mit dem Reformationstag oder schließlich den Adventssonntagen. Heute werden wir gewissermaßen entlassen in den kirchenjahreszeitlichen Alltag, die kirchliche Belanglosigkeit im Sommer. Spannend wird es erst wieder in einiger Zeit. Jetzt kommt erstmal eine Weile nichts mehr.

„Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit…“

Es ist schon jetzt, dass Gott mitten unter uns ist. Es ist schon jetzt, dass Gott da ist. Nicht in der Ferne, nicht in der Zukunft. Schon jetzt und hier. Der Text schleudert meiner Lethargie und Behäbigkeit einen energischen Widerspruch entgegen. Meine Erwartungslosigkeit wird enttäuscht. Pfingstmontag, das ist mehr als ein Appendix an ein wichtiges christliches Fest, um schlicht einen Feiertag mehr zu erhalten. Pfingstmontag, das ist das Fest, des „es kommt die Zeit und ist schon jetzt“.

Ja, für den christlichen Glauben steht noch Einiges aus. Der christliche Glaube lebt in der Hoffnung. Der christliche Glaube, hält sich an dieser Verheißung fest, dass da noch eine Zeit kommt. Eine Zeit der Gerechtigkeit. Eine friedvolle Zeit. Eine Zeit der Liebe und Begegnung. Für den christlichen Glauben gibt es noch Zeit. Er hofft auf eine Zeit des Miteinanders, der Versöhnung. Es kommt die Zeit, in der Vorurteile abgebaut werden, Kompromisse in Win-Win-Situationen überführt werden. Es kommt die Zeit, in der Waffen zur Seite gelegt werden und die geballte Faust sich öffnet. Es kommt die Zeit, in der Tränen abgewischt werden und Zweifel sich auflöst. Es kommt die Zeit: Daran entzündet sich stets der Glaube, darauf hofft der Glaube.

Und gleichzeitig ist diese Zeit schon jetzt. Diese Zeit ist bereits angebrochen. Pfingstmontag vertröstet nicht auf ein Jenseits oder ein Übermorgen. Pfingstmontag ermahnt, erinnert, jubiliert, feiert, ermutigt, denn: „es kommt die Zeit und ist schon jetzt“.

Es soll also nicht doch erstmal vorbei sein? Es steht also doch keine Sommerpause bevor? Keineswegs!
Ich bin’s, der mit dir redet, spricht Jesus in dem Text. Die Frau wartet noch auf den Messias. Sie meint sogar, Zeichen seines Kommens zu kennen. Ja, wenn er kommt, dann wird sie ihn identifizieren können. Jesus gilt ihr als ein Prophet. Er aber spricht in Worten mit ihr, die an Gottes Selbstoffenbarung in der Mosegeschichte erinnern. In ihrem Warten auf das Kommende Jesus sie. In ihrem gewohnten Leben, der alltäglichen Routine begegnet er ihr am Brunnen. Er spricht sie unmittelbar an. Er spricht mit ihr. Er teilt seine Zeit mit dieser Frau. Jesus verweist nicht einfach auf Gottes heilsame Gegenwart, sondern vermittelt sie im Gespräch.

Und in dieses finde auch ich mich verwickelt. Mit meinen Sorgen, Zweifeln, meinem Glauben, meiner Angst, der Hoffnung, meiner Freude und meinem Suchen. Dabei entgegnet der Text meinem sehnsüchtigen Warten mit einem: Ich bin schon hier. Meinem verzweifelten Suchen antwortet der Text mit dem Verweis auf Gottes gewissmachende Präsenz. Zweifel begegnet der Text mit dem Hinweis auf die Gemeinschaft der Gläubigen, die mich umgeben. Meinem Zögern hält der Text Jesu ‚Ich bin da‘ entgegen. Weder steht eine kirchliche Sommerpause bevor, die nichts Spannendes mehr enthält. Noch warte ich nur auf die Zeit, die irgendwann eintreten wird. Vielmehr lebe ich in der Zeit, die schon ist, der Gegenwart Gottes, die Jesus mir vermittelt.

Ja, aber… Was ist mit meiner konkreten Lebensrealität? Das ist alles so groß und fern. Lauter schwerwiegende Begriffe. Gottes Gegenwart – was bedeutet das? Und von welcher Zeit spricht der Text überhaupt? Ich habe eher viel zu wenig Zeit und wäre recht dankbar, wenn mal etwas mehr Zeit hinzukäme. Von allen Seiten drängen Anforderungen an mich. Meine To-Do Liste wird von Tag zu Tag länger statt kürzer. Ich glaube ja. Ja, ich hoffe auch, dass das die Zeit kommt. Aber jetzt noch etwas Zusätzliches? Weiß Gott eigentlich, was ich alles zu tun habe? Ich kann darüber jetzt nicht nachdenken. Außerdem fühle ich mich nicht bereit. Ich bin doch noch gar nicht bei mir angekommen. Ich müsste mich doch erst vorbereiten – so mental und geistlich.

Jetzt ist die Zeit, dringt es an mein Ohr. Gleich der Frau im Text darf ich meine Anfragen äußern. Wie die Frau darf ich in das Gespräch eintreten, mich in das Gespräch verwickeln lassen. Ich muss nicht alles hinnehmen, sondern darf nachfragen, zögern, innehalten. Und ich muss nicht alleine bleiben mit meiner Situation. Ich darf mich ermutigen lassen von diesem Text, dem wertschätzenden Umgang Jesu mit der Frau.

Das Leben der Frau verlief vermutlich nicht ganz so, wie sie sich das vorgestellt hat. Vorallem lief es aber nicht so, wie die Gesellschaft sich das Leben einer Frau vorgestellt hat. Mehrere gescheitere Beziehungen hatte sie hinter sich. Als Samaritanerin gehörte sie außerdem zu einer religiös benachteiligten Gruppe. Es ist nicht untertrieben, wenn man festhält: Ihr soziales Kapital ging gegen Null. Und dennoch hielt das alles Jesus nicht ab, mit ihr ein Gespräch zu beginnen. Er arbeitet mit ihr ihre Geschichte auf, verwebt ihre Geschichte in seine. Er spricht sie an, weil er sie kennt. Er wendet sich dieser Frau zu, der sich so viele vermutlich abgewendet haben. Er würdigt diese Frau, geht wertschätzend mit ihr um. Er zählt sie ebenfalls zu den Kindern des Vaters, von dem er so oft erzählt. Und am Ende des Gesprächs zeigt er sich und sagt, wer er ist.

Die Zeit, ist schon jetzt. Und in dieser Zeit zu leben, sich Gottes Gegenwart bereits im Hier und Jetzt bewusst zu sein, das ist durchaus auch ein Anspruch. Es ist durchaus eine Zumutung. Aber mehr noch ist es ein Zuspruch Gottes, denn ehe ich auf große theologische Begriffe stoße, befinde ich mich bereits in das Gespräch und die Geschichte mit Gott verwickelt. Die Zeit ist schon jetzt, das heißt auch, dass ich in dieser Zeit Gottes lebe. Gott ist mir einen Schritt voraus. Nicht der Ort ist relevant, sondern bereits in meinem Hier-Sein trifft mich der Gott, der immer an der Seite Israels steht. Im Text steht, dass sie Gott in Wahrheit und im Geist anbeten werden. Das bedeutet ungefähr: Frei Schnautze alles rauszulassen, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Kein Klagepsalm ist Gott zu derb, kein Lobpsalm zu kitschig. Gott hat sich Israel erwählt, von dort kommt das Heil. Gott hat sich ein Baby im Vorderen Orient auserwählt, um Mensch zu werden. Gott blieb bei seinem Volk in der Wüste und im Exil. Gott hält an seiner Schöpfung fest und führt sie durch die Zeiten in seine Zeit. Kein Glaube ist ihm zu klein und kein Vertrauen zu gering. Die Zeit ist jetzt, fordert er mich heraus. Die Zeit ist jetzt, in das Gespräch einzutreten. Die Zeit ist jetzt, das „Ich bin’s“ zu hören. Die Zeit ist jetzt.

Die Zeit ist jetzt, klingt es in mir nach. Gott, hole mich aus dem Ruhemodus! Lass mich nicht im Warteraum sitzen. Nenn mich beim Namen und sprich mich an, wie du die Frau angesprochen hast. Du kennst meine Geschichte. Du weißt, wo du mich antriffst. Mach mich voller Hoffnung und Glaube. Lass du mich im Geist dich anbeten. Schenke mir Mut und Worte dafür. Lass mich dich treffen, wo ich dich nicht vermute. Und lass mich dich vermuten, wo man dich angeblich nicht trifft. Lass du mich erwarten, dass dein Geist mich bewegt. Lass du mich dich in Wahrheit anbeten. Mache deine Freiheit in meinem Leben sichtbar. Bewege du mich. Lass mich sehen, wo du mit anderen sprichst. Lass mich die Geschichten sehen, die in deine Geschichte verwoben sind.

Und nun: Bald ist Weihnachten. Zumindest fast.

Aber statt auf die großen kirchlichen Feste zu warten, will ich in der Zeit leben, die noch aussteht und zugleich bereits angebrochen ist. Ich will leben, in der Zeit, die Gott mir geschenkt hat. Das heißt übrigens, Gott von ganzen Herzen anzubeten. Deshalb ist die Zeit bis zu den großen kirchlichen Festen nach Pfingsten vielleicht auch so lange. Weil mir das in dieser Zeit zu leben, häufig so schwerfällt. Ich muss es geradezu üben. Jetzt ist die Zeit, wenn ich mal wieder eilig zur Bahn flitze. Jetzt ist die Zeit, wenn ich meine Arbeitskolleg:innen treffe. Jetzt ist die Zeit, wenn ich morgens mein Müsli esse. Jetzt ist die Zeit, wenn ich die Wäsche zusammenfalte. Jetzt ist die Zeit, wenn ich Essen koche. Jetzt ist die Zeit, wenn ich zum Sport fahre. Jetzt ist die Zeit, weil Gott mich anspricht und mir Heiligen Geist gibt.

Jetzt…

… ist die Zeit.

Felix Stütz

Halle/Saale

E-Mail: felix.stuetz@theologie.uni-halle.de

Felix Stütz ist Doktorand und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Systematische Theologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

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