Exodus 20, 14

Exodus 20, 14

 

Predigtreihe zum Dekalog, April 2002
Das sechste Gebot – Exodus 20, 14, Robert Schelander

Predigt über das sechste Gebot (lutherische Tradition):
„Du sollst nicht ehebrechen.“
(Ex 20, 14; EG 796; 806,1)

Das Folgende ist eine „Schulpredigt“ für evangelische
Schülerinnen und Schüler eines Wiener Oberstufengymnasiums.
Altersstufe 15-18 Jahre.

Ein Satz im morgendlichen Radio hat mich aufhorchen lassen. Eine Frauenstimme
spricht: „Hallo ich bin’s. Du … äh … wir können ja
Freunde bleiben.“ Ich horche unwillkürlich hin und will wissen,
worum es geht. Es ist eine Stimme auf einem Anrufbeantworter, eine Frau
die sagt: „… wir können ja Freunde bleiben.“

Es soll aber in dieser Predigt auch von einem anderen Satz die Rede sein:
„Du sollst nicht ehebrechen.“ So lautet das sechste Gebot. Gott
gibt dem Volk Israel zehn Gebote. Verhaltensregeln, wie sie leben sollen.
Eines davon, das sechste lautet: Du sollst nicht ehebrechen. Vielleicht
ist eure erste Reaktion ähnlich wie die mancher Schüler im Religionsunterricht:
gelangweilt. Der Satz ist für sie nicht halb so spannend wie jener
andere aus dem Radio und doch haben diese Sätze miteinander zu tun.

Zurück zum Radio. Ich höre also genauer hin. Der vollständige
Werbespot geht folgendermaßen. Ein Sprecher fragt: Woran denken
Sie, wenn sie am Abend nach Haus kommen und den Anrufbeantworter einschalten?
Man hört, wie der Anrufbeantworter eingeschaltet wird und eine Frauenstimme
vom Band redet: „Hallo ich bin’s. Du … äh … wir können
ja Freunde bleiben.“ Der Sprecher setzt fort und gibt eine Antwort
auf seine Frage: „Denken Sie an eine bestimmte Versicherungsgesellschaft.
Denn sie ist ein wirklich verlässlicher Partner. Gerade wenn Sie
noch große Pläne haben.“

Jetzt wird es klar: Hier wirbt eine Versicherungsgesellschaft. Sie will
deutlich machen, was sie zu bieten hat, und dies ist in erster Linie:
Verlässlichkeit, Treue. Wenn es darauf ankommt, kann man sich auf
sie verlassen. Aber was sagt die Frau am Anrufbeantworter? – Wen ruft
die Frau am Telefon an? Warum? Was will sie ihrem Gegenüber sagen?
Wenn ich darüber nachdenke, merke ich: Sie „macht Schluss“
… Sie hat vermutlich eine Beziehung zu diesem Mann, der hier nachhause
kommt und den Anrufbeantworter anmacht, und sie teilt ihm durch die Blume
mit: Es ist aus – unserer Beziehung ist zu Ende. Ich denke, das steckt
in diesem Satz: „Wir können doch Freunde bleiben.“

Ob ihr solche Geschichten kennt? Vermutlich ja, ich höre ja hin
und wieder in den Klassen davon: Wer mit wem jetzt neu zusammen ist. Wer
mit wem Probleme hat, weil sie zusammen sind, und wer Probleme hat, weil
sie sich wieder getrennt haben.
Wie zwei sich getrennt haben, davon höre ich selten und wenn, dann
ist es meist sehr vorwurfsvoll: Empörung, dass jemand unsauber Schluss
gemacht hat. Es ist offenbar nicht so leicht: das Schlussmachen.
So ist doch auch dieser Satz eigentlich eine Frechheit: „Du … äh
… wir können ja Freunde bleiben.“ Da traut sich jemand nicht
deutlich zu sagen, dass es aus ist, sie redet um den heißen Brei
herum. Anstatt es dem anderen persönlich ins Gesicht zu sagen, sagt
sie es über das Telefon, noch dazu auf dem Anrufbeantworter! Eine
Steigerung wäre wohl nur noch, wenn jemand per SMS Schluss machen
würde. „Es ist aus. cu.“

Wenn ich aber jetzt noch mal hinhöre, dann höre ich auch alle
möglichen Zwischentöne, was gemeint sein könnte. Vielleicht
meint die Frauenstimme Folgendes und kann es nur nicht so gut ausdrücken:
„Hallo ich bin’s, es fällt mir nicht leicht das zu sagen, aber
ich mache Schluss. Unsere Beziehung ist zu Ende. Es tut mir leid, ich
weiß, es trifft dich schwer, wir haben es uns anderes vorgestellt,
aber es passt jetzt nicht mehr … aber das heißt nicht, dass ich
etwas gegen dich habe. Wir können Freunde bleiben …“ Ganz
so hat sie es nicht gesagt – im Radio – aber vielleicht gemeint.
Es ist ja tatsächlich schwer: das Schlussmachen. Was kann man denn
schon sagen? Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden.
Aber ist es nicht auch schwer, die richtigen Worte zu finden, wenn man
verliebt ist und wenn man zusammen ist?

Ich habe Jugendliche gefragt: Was sie vom sechsten Gebot – Du sollst
nicht ehebrechen – halten. Die erste Reaktion war meist: Das trifft uns
nicht! Wir sind ja noch nicht verheiratet. Jemand meinte sehr schlau,
dann bräuchte man dieses Gebot auch nicht zu lernen.
Die anderen Gebote: Du sollst nicht stehlen, du sollst nicht lügen
und insbesondere du sollst Vater und Mutter ehren, ja das betreffe sie
schon eher, aber Ehebruch? Nein, dies nicht.
Andere Schüler kamen sofort auf die Ehe ihrer Eltern zu sprechen.
Das sechste Gebot betrifft sie indirekt: Vor allem wenn die Eltern sich
haben scheiden lassen, reagieren manche Kinder und Jugendliche sehr sensibel
und betroffen auf das Gebot.
Jemand hat einmal gesagt: Das sechste Gebot kann man sich leicht merken.
Es geht um Sex. Ich denke, dass ist eine Verkürzung und führt
sogar in die Irre. Weil es jedes Zusammenleben auf Sex reduziert. Ich
denke, wir müssen das sechste Gebot ausdehnen, um es richtig zu verstehen:
Es geht darum, wie Menschen ihre Beziehungen und ganz besonders ihre intimen
Beziehungen gestalten. Daher trifft es alle Menschen: junge und alte.
Menschen, die nicht verheiratet sind, Menschen, die in einer Ehe leben,
Menschen, die sich haben scheiden lassen, aber auch junge Menschen, die
sich verlieben, die zusammen sind. Wir müssen das Gebot dann aber
auch neu formulieren, damit es für all diese Situationen gilt. Vielleicht
so: Du sollst den anderen in intimen Beziehungen nicht betrügen,
sondern ehrlich und treu sein.

Wie ist das mit Beziehungen? Meist sind Beziehungen in der Schule ja
von kurzer Dauer. Man verliebt sich – man ist zusammen oder geht miteinander
– man trennt sich. Ist dieses Gebot für diese Situationen wichtig?
Ich will mit euch überlegen, was es für alle drei Fälle
– verliebt sein, miteinander gehen und Schluss machen – bedeutet:

Wenn man verliebt ist, sagt man: Ich liebe dich? Ich hab‘ dich gern,
ich mag dich. Es werden SMS ausgetauscht, manchmal kleine Zettelchen und
Briefchen. Man hofft natürlich, dass der andere genauso empfindet,
dass er oder sie die Liebe erwidert. Manche sagen auch: Ich liebe dich
auf immer und ewig. Hier verspricht man sich doch etwas? Ob man das halten
kann? Oder ist es nicht so ernst gemeint?
„Wie sollen sich junge Menschen in diesem Fall verhalten, welche
Regeln gelten für sie?“, so habe ich meine Schüler gefragt
und sie haben geantwortet: Du sollst nicht leichtfertig ein solches Versprechen
eingehen und man soll ehrlich sein. Einander nicht betrügen. Vor
allem niemand anlügen. Man soll von Liebe nur reden, wenn man es
auch wirklich meint. Es muss stimmen, es muss ehrlich sein. Auf einen
Nenner gebracht lauten die Formulierungen der Schüler: Du sollst
den anderen nicht betrügen. Man soll ehrlich sein und sich gut überlegen,
ob man so ein Versprechen geben kann. Und man soll treu sein, wenn man
es gesagt hat, dann soll man auch dazu stehen.
Das sind hohe Forderungen. Jedenfalls erkenne ich das sechste Gebot in
dem, was die Jugendlichen voneinander erwarten, wieder.

Als Nächstes – wenn man sich gefunden hat – geht es darum, diese
Liebe und Beziehung zu leben. Du sollst nicht betrügen, ehrlich und
treu sein: Was kann das heißen?

Wenn zwei sich gefunden haben, kommt meist sehr schnell die Erfahrung,
dass so eine Beziehung nicht von selbst läuft. Es braucht Gemeinsames.
Gemeinsames Auftreten, gemeinsamer Besuch von Veranstaltungen, ins Kino
gehen, miteinander Reden, Musik hören … das alles ist nicht so
leicht, vor allem muss ein Weg gefunden werden zwischen dem „Gemeinsamen“
und dem, was man selbst und allein macht. Da braucht es Vertrauen, dass
der andere auch vor seinen Freunden, wenn ich nicht dabei bin, zu mir
steht, und da braucht es Vertrauen, dass ich dem anderen auch diesen Freiraum
zugestehe. Die Jugendzeitschriften sind ja voll von solchen Fragen und
Problemen. Wie kann man das Interesse und die Zuneigung des anderen spüren?
Was kann und soll ich tun? Was ist erlaubt? Was darf ich vom anderen erwarten?
Was muss ich dem anderen gewähren?
Auch in diesen Situationen hat das sechste Gebot seine Bedeutung. Wir
sollen ehrlich miteinander sein und wir sollen treu sein. Das ist aber
nicht immer leicht.

Und schließlich, wenn eine Beziehung zu Ende geht, wenn vielleicht
der Satz fällt, den ich im Radio gehört habe: Wir können
ja Freunde bleiben: soll man lieber sein Versprechen halten oder dem anderen
die Wahrheit sagen, wie es um einen steht? Wann betrügt man ihn oder
sie mehr?
In einer Schulklasse haben die Schüler sehr klar erkannt, dass beides
falsch sein kann. Wenn ich immer radikal die Wahrheit sage, so ist das
lieblos … am Ende läuft es darauf hinaus, dass so jemand sich nur
lieben lässt. Jemand anderer, der sich immer nur nach dem anderen
richtet, der Angst davor hat, den anderen zu enttäuschen, der betrügt
den anderen genauso: nämlich um seine ehrliche Liebe.

Wenn ich mit den Schülern rede, spüre ich, sie wissen um die
Geltung dieses Gebotes: Du sollst nicht ehebrechen oder – wie wir es formuliert
haben – du sollst nicht betrügen, in intimen Beziehungen ehrlich
und treu sein. Sie würden manches anders formulieren, aber grundsätzlich
soll es auch in diesem Bereich des intimen Zusammenlebens gute Regeln
geben. Oft ist es nicht ganz leicht abzuwägen, was wichtiger ist:
ehrlich zu sein oder treu. Oder zu entscheiden, ob man sich überhaupt
trauen soll, eine Beziehung einzugehen. Da gibt es viele Fragen.
Und das sechste Gebot kann dabei eine Hilfe sein. Es sagt, was man tun
soll. Ich denke, die Zehn Gebote können aber noch mehr.
Es gibt eine Möglichkeit, die Zehn Gebote neu und klug zu interpretieren:
Die Zehn Gebote sind in althebräischer Sprache geschrieben worden.
Man kann das „du sollst nicht“ auch übersetzen mit „du
wirst nicht“. Dann lauten die Gebote: Du wirst nicht töten,
du wirst nicht ehebrechen, du wirst nicht stehlen …
Dann stehen die Gebote in einem neuen Licht da, dann ist da nicht nur
eine Forderung, sondern auch eine Hilfe, die lautet: „Wenn du mich
Gott als deinen Schöpfer begreifst, als deinen Gott, dann wirst du
nicht töten, du wirst nicht ehebrechen, du wirst nicht stehlen …“
Allerdings braucht es dafür eine wichtige Ergänzung. Das sechste
Gebot lautet nicht nur: Du sollst nicht ehebrechen bzw. wie wir formuliert
haben: du sollst in intimen Beziehungen treu und ehrlich sein. Sondern
es gibt eine wichtige Ergänzung: Gott gibt uns diese Gebote.
Es ist nicht irgendwer, der hinter diesen Geboten steht. Es sind nicht
die Eltern und Lehrer oder Richter und Politiker, Menschen, die mit Gesetzen
zu tun haben. Es ist Gott selber, der zu den Menschen sagt: Ich will euch
treu sein. Einen Bund mit euch machen … und das heißt doch nichts
anderes, als eine Beziehung zu uns haben, zu jedem Einzelnen.
Das Gebot fordert dann nicht nur, es gibt auch etwas: Weil ich dein Gott
bin, weil ich eine Beziehung zu dir habe, wirst du treu und ehrlich sein.

Das sechste Gebot als Gebot Gottes kann mehr bieten als die Forderung:
Du sollst ehrlich und treu sein, nämlich Mut zur Ehrlichkeit und
Kraft zur Treue.
Amen.

Prof. Dr. Robert Schelander, Wien
Dozent für Religionspädagogik
robert.schelander@univie.ac.at

 

 

 

 

 

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