Exodus, 20

Exodus, 20

„Und Gott redete alle diese Worte. Ich bin der Herr, dein Gott,
der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt
habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Du sollst
dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was
oben im Himmel, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete
sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der Herr, dein Gott, bin
ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins
dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, aber
Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich lieben und meine
Gebote halten.
Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht mißbrauchen;
denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht.
Gedenke des Sabbattages, daß du ihn heiligest. Sechs Tage sollst
du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der
Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch
nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh,
auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt.
Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer
und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete
der Herr den Sabbattag und heiligte ihn.
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß du lange
lebest in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott, geben wird.
Du sollst nicht töten.
Du sollst nicht ehebrechen.
Du sollst nicht stehlen.
Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Rind,
Esel noch alles, was dein Nächster hat.“

Liebe Gemeinde,

285 Wörter, 1395 Zeichen – mehr ist das nicht, was ich eben als
Predigttext vorgelesen habe. In der Fassung, in der Sie diesen Text,
die zehn Gebote, wahrscheinlich alle mal im Konfirmandenunterricht gelernt
haben, in der Fassung von Martin Luther sind sie sogar noch kürzer.
Und doch sind diese wenigen Gebote die wichtigste Grundlage für
das menschliche Leben – für das Leben miteinander und das Leben
mit Gott.

Normaler weise hört man ja nicht gerne hin, wenn es heißt
„Du sollst….“ Wenn man aber zur Zeit die Nachrichten einschaltet,
kann man sogar eine richtige Sehnsucht nach der Einhaltung der Gebote
bekommen. Wenn sich die Terroristen nur an das fünfte Gebot gehalten
hätten, wäre der Welt vieles erspart geblieben, und jetzt
sieht es so aus, als wäre es gar nicht zu vermeiden, dieses Gebot
wieder und wieder zu übertreten.

Du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht
falsch Zeugnis reden gegen deinen Nächsten, du sollst nicht begehren,
was anderen Menschen gehört – auch wenn diese Gebote täglich
übertreten werden, wird kaum jemand daran zweifeln, dass sie sinnvoll
sind, dass sie das menschliche Miteinander überhaupt erst möglich
machen. Bei den Geboten „Du sollst keine anderen Götter haben
neben mir“ oder dem Gebot, dass man den Feiertag heiligen soll,
oder dem „Du sollst nicht ehebrechen“, sieht das schon anders
aus, das dürfte bei vielen unter „ferner liefen“ rangieren
oder ganz rausfallen.

Wie ist das nun: Können wir sagen – an das fünfte und siebte
halten wir uns, die anderen sind nicht so wichtig? Oder: Das erste verstehe
ich nicht und das sechste ist veraltet? Ist es möglich, sozusagen
über die zehn Gebote mit Gott zu verhandeln? Ich bin sicher, dass
viele so denken, und es liegt ja auch nahe. Das kommt dann in die Schublade:
„Im Alten Testament steht sowieso eine Menge, was nicht mehr zeitgemäß
ist“. Das ist zwar richtig, aber bei den Zehn Geboten geht es um
wesentlich mehr. Das sind nicht beliebige Gesetze, die veralten können
und geändert werden müssen. Die Zehn Gebote sind die Grundlage
für das menschliche Leben in der Verantwortung vor Gott. Im Alten
Testament wird gesagt, dass Gott einen Bund mit den Menschen geschlossen
hat. Gott hat das Volk Israel aus der ägyptischen Sklaverei gerettet,
daraus folgt, dass das Volk Israel die Zehn Gebote hält, so erfüllt
es seinen Anteil am Bund mit Gott.

Die alles entscheidende Frage, „warum soll ich die Zehn Gebote
befolgen?“ ist also aus der Sicht des Volkes Israel eindeutig beantwortet:
Weil Gott uns befreit hat, weil Gott mit uns einen Bund geschlossen
hat. Das ist die Grundlage der Gebote und aller Gesetze, die daraus
entstanden sind.

Wie ist das im Neuen Testament, im Neuen Bund, den Gott mit uns durch
seinen Sohn, Jesus Christus, geschlossen hat? Wie verstehen wir als
Christinnen und Christen die Zehn Gebote und warum sollen wir sie befolgen?
Wie Jesus zu den Geboten steht, ist tatsächlich eine der wichtigsten
Fragen, die im Neuen Testament behandelt werden. Immer wieder wird Jesus
auf die Probe gestellt und will man von ihm wissen, wie er es mit den
Geboten und dem Gesetz hält, wie er zum Bund steht, den Gott mit
dem Volk Israel geschlossen hat.

Bei Markus wird überliefert, wie einer der Schriftgelehrten Jesus
fragt: „Welches ist das höchste Gebot von allen? Jesus aber
antwortete ihm: Das höchste Gebot ist das: „Höre, Israel,
der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn,
deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem
Gemüt und von allen deinen Kräften. Das andre ist dies: „Du
sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Es ist kein
anderes Gebot größer als diese.“ (Mk 12, 28ff.).

Damit bringt Jesus die Zehn Gebote auf den Punkt. Sie hängen sozusagen
in zwei Scharnieren: du sollst Gott lieben, und: du sollt deinen Nächsten
lieben. Dies sind die Dreh- und Angelpunkte, aus denen alles andere
folgt. Martin Luther hat das im Kleinen Katechismus schön zum Ausdruck
gebracht: In seinen Erklärungen zu den Geboten, schreibt er immer
zuerst, vor den eigentlichen Ausführungen: „Wir sollen Gott
über alle Dinge fürchten und lieben…“. Beim fünften
Gebot heißt es also: „Du sollst nicht töten. Was ist
das? Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unserm
Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid tun, sondern
ihm helfen und beistehen in allen Nöten“ oder beim sechsten
Gebot: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir
keusch und zuchtvoll leben in Worten und Werken und in der Ehe einander
lieben und ehren.“ Das wichtigste Gebot ist also das Erste Gebot
„Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst nicht andere Götter
haben neben mir“ mit der Erklärung Luthers: „Wir sollen
Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen“.
Alles andere, das Befolgen der weiteren Gebote ist die FOLGE davon,
dass wir Gott über alle Dinge fürchten und lieben. „Wir
sollen Gott fürchten und lieben, daß wir..“, man kann
auch sagen: damit wir…. Damit wir das tun können, müssen
wir Gott fürchten und lieben… Wobei das „fürchten“
nichts mit Angst zu tun hat. Es meint so viel wie: „den größtmöglichen
Respekt haben.“

285 Wörter, 1395 Zeichen, liebe Gemeinde, die uns zum Kern unseres
Glaubens führen. Das Zentrum aller Gebote und aller Gesetze, der
Grund, warum man überhaupt irgendwelche Gebote halten soll, der
liegt darin: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem
Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Das ist aber
eben kein Gesetz, das man so einfach einhalten kann oder nicht.
Das macht niemand, nur weil er es befohlen bekommt. Das ist eine Angelegenheit
des Glaubens. Das bewegen wir in unseren Herzen; das beten wir;
das schmecken wir im Abendmahl. Denn in der Tiefe unserer Seele spüren
wir: Gott zu lieben und seinen Nächsten wie sich selbst – das ist
ein Geschenk Gottes, das nur der Heilige Geist bewirken kann.
„Such, wer da will, ein ander Ziel“ haben wir vorhin gesungen,
„die Seligkeit zu finden; mein Herz allein bedacht soll sein, auf
Christus sich zu gründen.“ Amen.

Dr. Johannes Neukirch, Hannover
E-Mail: johannes.neukirch@evlka.de

de_DEDeutsch