Ezechiel 22,23-31

Ezechiel 22,23-31

Rote Linien, grüne Grenzen, weiße Flecken | Buß- und Bettag | 22.11.2023 | Ez 22,23-31 | Markus Kreis |

„Irgendwie hatte ich innerlich wohl schon länger gekündigt!“ sinnierte Herr Schäffbuch in seinem Ledersessel vor dem Schreibtisch aus Rotholz und Mattmetall. Nachdem er das sowohl bemerkt als auch vor sich gestanden hatte, endlich, legte er alles schön für sich zurecht. Headhunter kontaktiert, Firmen sondiert, Urlaub genommen, um im Stillen Gespräche zu führen und zu verhandeln. Und siehe da! Schließlich war man sich einig geworden. Er war sich einig geworden mit einem neuen Großbetrieb, und dieser Großbetrieb mit ihm. Ein Handschlag mit dem Personaler, Geschäft getätigt, eine schöne neue Stelle als Manager würde er dort bekommen. Sogar etwas höher veranlagt als die in seiner Nochfirma. Und das alles, obwohl er bereits in einem kritischen Alter für die Stelle war. Es lief so gut, Herr Schäffbuch rieb sich seine Hände, wenn auch nur im Gedanken, denn er verabscheute verbrauchte Gesten. Er freute sich an der Wärme, die in seine Zukunft floß. Seine neue Welt nahm ihn so sehr ein und mit, dass er kurz vor dem Übergang in diese seiner alten Firma mit allen formalen und weniger formalen Mitteln schriftlich kündigte. Das war ihm leider erst dann klar, als in den Tagen danach E-Mail, Brief und dergleichen von der neuen Firma zu seinem Erstaunen ausblieben. Obwohl die sich hätten melden müssen bei ihrer neuen Führungskraft. Bis sich dann auf sein Forschen und Nachfragen herausstellte, mündlich: Geschäft geplatzt. Handschlag ohne Zeugen. Der Personaler von damals fristlos entlassen. Und damit: Jetzt sitzt Du erst mal auf der Straße! Selbst wenn Du zuhause in Deinem Büro bist. Und das in Deinem Alter, mit Deinen Ansprüchen. Ein gemeiner Stoß in eiskaltes Wasser. So schnell wird das nix mit einer neuen, gut dotierten Stelle.

Nach einiger Zeit, die von Schrecken wie von hoch wucherndem Bambus durchschossen war, hirnte in Schäffbuchs Kopf eine Frage. Hatte er eine rote Linie Gottes überschritten? Was hatte er getan, um das zu verdienen? Weil er von einem Hersteller für Wärmepumpen zu einem für Waffen wechseln wollte? Hätte der Wechsel geklappt, wenn er sich von Waffen zu Wärmepumpen verändert hätte? Na ja. Es gibt genügend Firmen, die auf beiden Feldern mitmischen und produzieren. Außerdem wechseln genügend Leute ganz glatt zu Firmen, die ausschließlich mit Rüstung zu tun haben! Und wer behält eine weiße Weste, wenn man das auf der Ebene des Kapitals betrachtet? Im Geflecht der Finanzen und ihrer Lobbys? Ein Dickicht, in dem sich nur wenige zu Recht finden. Und wenn, dann wahrscheinlich eher aus Zufall denn voller Kenntnis und Absicht.

Oder geschah ihm diese Schmach, weil er den Wechsel auf seine Art betrieben hatte, also klammheimlich gehen wollte? Weg von der Firma, die ihm einen Gutteil seiner Karriere ermöglicht hatte. Das war alles legal und rechtens. Hatte ihn jemand verdächtigt oder verpetzt? Es stimmte, moralisch hundert Prozent sauber war sein Bäumchen Wechsel Dich kaum. Andererseits war es gang und gäbe in der Wirtschaft. Ob es legitim war, darüber gab es diese und jene Ansichten, einiges sprach dafür, anderes dagegen. Zu Ende diskutiert ist dieses Thema kaum. Was hatte er getan? Jedenfalls nichts, was zu außergewöhnlich war. Gab es überhaupt einen solchen Grund? Oder war alles blinder Zufall?

Sollte Gott mitmischen? Hatte der einen Brass auf ihn? Vielleicht war er gegen moralisch leicht verschmutzte Jobwechsel? Oder gegen Rüstung und Waffen? Irgendwie stand der ja schon für Friede, Wahrheit und Liebe. Bekam er also deshalb diesen empfindlichen Schlag zu spüren? Schäffbuch nestelte an seinem Kugelschreiber, schaute auf dessen Spange, ließ, indem er die Hülle verdrehte, die Spitze der Miene mehrmals verschwinden und vortreten. Bei einem Seminar hatte er als Führungskraft einiges über Aggression gelernt. Wut, Ärger, Zorn, Hass, diese Gefühle gehören alle in diese Richtung.

War Gott wütend auf ihn? Wut bekam er öfter zu spüren. Schließlich war er Manager und bekam ab und an mit der Wut zu tun, die aus seinen Leuten gegen ihn als Chef herausbrach. Wenn er zum Beispiel etwas anwies, was sich als ihnen sehr zuwider zeigte. Schäffbuch wusste: Wut war eine wenig gute Sache. Kurzfristig mochte sie als Ventil nützen, also wenn man sich danach abregte, in eine andere Stimmung wechseln konnte. Sonst verriet Wut ihren Inhaber, ließ ihn umstandslos untergehen. Denn wenn einer seiner Leute wütend auf ihn war, dann merkte er dessen trotzige Energie, aber auch, dass er sich gleichzeitig machtlos und klein fühlte, angesichts der Umstände einsackte. Anstatt Mut und Zuversicht zu zeigen, von denen ein Chef auf Ideen und Tatkraft schließen konnte, also die Möglichkeit, die Lage wirksam zu ändern. Sollte Gott wütend, also so ohnmächtig und trotzig sein? Nein, Schäffbuch, schüttelte innerlich sein Haupt, mit Gottes Wut und Ohnmacht hatte sein Schicksalsschlag kaum zu tun. Dafür war der zu hart, der war ein Treffer mit Wirkung.

„Vielleicht ist es so, dass Gott mich hasst?“ überlegte Schäffbuch und drückte dabei so heftig am Kuli, dass er aus Versehen dessen Spange aus der Hülle brach. Vernichtet fühlte er sich zwar nicht, ernsthaft beschädigt aber schon. Sein Objekt, also seinen Empfänger vernichten oder wenigstens ernsthaft klein machen, das wollte Hass. Heiliger Krieg, Tod des Gottlosen, das nannte die Bibel schon im Kontext mit dem, was Gott so alles wollte und machte. Gott vernichtete und zerstörte da allerhand. Schäffbuch wiegte mit dem Kopf. Andererseits – Tod des Gottlosen – anstatt das persönlich, grammatisch männlich zu verstehen, kann man die Stelle auch sachlich, grammatisch neutral lesen: Tod des Gottlosen, verstanden als Ausrottung aller Gottlosigkeit. So als ob Gott von da an überall und jederzeit zugange wäre, Leben aus, in und für die Liebe erzeugte. Schäffbuch gefiel sich in seinem Scharfsinn. „Wie dem auch sei, ich lebe noch, und beschädigt bin ich bis jetzt eher nur seelisch. Dank meines Ersparten und dank Bürgergeld usw. rückt das mit einem Schaden an Leib und Leben eher in die Ferne. Und damit die Idee, dass Gott mich hasst.“ Ja, das stimmte schon. Und doch lauerte in aller Vernunft still die Frage in ihm: Sollte ich aus dem Leben gekickt werden?

Es bliebe ja noch der Zorn! Der fiel Schäffbuch in seiner leisen Unruhe ein. Gott zürnt mir! Das wäre auch denkbar. Zorn kam in der Bibel oft vor. Das Gefühl bekamen dort Gott und Menschen zuerkannt. Zorn ließ einen produktiv werden, im Unterscheid zu Wut und Hass, die nur schadeten, einem selbst oder anderen. Zusammen mit dem Verstand führte Zorn sich nämlich über in gute Ideen, Worte und Taten. Schäffbuch kannte das. Manchmal war er richtig sauer auf einen seiner Leute, wenn da was verbaselt wurde. Dann begab sich in eine Art stilles Kämmerlein, wo der Zorn zu Ärger zu verrauchen begann. Indessen versuchte er, sich in den Menschen und seine Fehlleistung zu versetzen. Und öfter muss er da einen Punkt entdeckt und getroffen haben. Bei der Besprechung dem Gegenüber Mitgefühl und gute Kritik erwiesen haben, anstatt zu verletzen. Denn dann sah ein Kollege mehr oder weniger offen den Fehler als seinen ein. Bat ihn vielleicht sogar um Entschuldigung. Egal, ob aus echter oder gespielter Reue und Einsicht. Und machte seine Aufgabe in Zukunft anders und besser, weil er Schäffbuchs Ideen und Vorschläge in der Sache annahm und umsetzte. Der Zornige wollte sein Objekt zum Guten verändern. Und es ließ doch den Zorn verrauchen, wenn einer sah, dass durch seine Ideen, Worte und Taten etwas Gutes noch etwas besser wird, oder? Das traf natürlich auch zu, wenn ein Einfall samt der passenden Tat etwas Schlechtes weniger schlecht oder sogar gut machte. In Schäffbuch hallte ohne Echo kurz die Idee auf: Gab es das auch umgekehrt? Hatte einer seiner Leute mal einen gewaltigen Brass auf ihn als Chef gehabt? Und hat sich mit einer guten Idee an ihn gewandt und erläutert, wie man die Sache wirksam und schmerzlos umsetzen könnte? Und wenn ja, war er dabei offen und dankbar oder eher abwehrend und verschlossen gewesen?

Schäffbuch führte indessen lieber die Überlegung von zuvor weiter: „Gott ist zornig und zürnt mir!“ Das hieße ja dann, dachte er weiter, statt auf Rache und Bestrafung zu sinnen, will Gott vergeben. Und tätige Reue beim Opfer seines Zorns sehen. Gott glich mit eigener Macht und Kraft aus, was Menschen aus Hass und Wut an Üblem und Schlechtem produziert haben, in sich und für die Welt. So gesehen hatte sein Zorn sogar was Gutes, er stand für ein Gefühl von Energie, Tatkraft und Zielerfolg. Bei dem, der vergab, und bei dem, der einsichtig war und sich und sein Leben änderte. Schäffbuch war beim Nachdenken etwas in sich gesunken und richtete sich im Sessel auf. Erhebend, diese Vorstellung. Das Problem war nur: Was sollte er an seinem Leben und Beruf verbessern? Wohin sollte er verbessert werden in Gottes Augen? Was steckte hinter diesem Abgang, der ihm so misslungen war?

Schäffbuchs Blick auf sein Leben zeigte wie eine Landkarte aus der Frühzeit allerlei weiße Flecken. Wobei die Farbe Weiß weniger für Reinheit und Unschuld stand. Sondern sie zeigte Unkenntnis und damit erzeugtes Ungemach. Ihm entging, dass sein Leben ein weißer Fleck war für ihn. Denn er war gewohnt, es als eine schön bunte Landkarte wie bei Google zu betrachten, mit deren Hilfe man sich hier oder dorthin bewegen konnte, wie es gerade angesagt schien. Ihm entwischte seine Blindheit, obwohl das Weiß der Flecken ihm immer greller zu werden schien, ja, ihn blendete, so dass es wenig half, sich weg zu drehen oder die Augen zu verschließen. Wohin sollte das alles nur führen?

Welche roten Linien habe ich überschritten? So rumorte es in Schäffbuch. Wenn er seine Partnerin gewechselt hätte, die Mutter seiner Kinder verlassen. Wenn er heimlich mit einer Geliebten eine Beziehung aufgebaut hätte. Und die Seinen dann Knall auf Fall verlassen hätte, sobald die Sache mit der Neuen gefestigt gewesen war, ja dann! Dann hätte er sowas wie den Übertritt einer roten Linie eher nachgefühlt. Einen Grund für seinen misslichen Abgang gesehen. Obwohl auch diese Praxis unter Partnern in der Gesellschaft alles andere als unüblich und wenig verbreitet war. Aber so wie es gelaufen war?

Und außerdem: Die Welt kannte ja beides, sowohl rote Linien als auch grüne Grenzen. Letztere durfte man bekanntlich passieren, ohne dass einem etwas passierte. Weil die da oben davon ausgingen, dass das Leben zusammen nur gewinnt dadurch. Gott arbeitete doch auch mit grünen Grenzen. Hatte da einen Übergang eröffnet, wo es mit der alten Grenze den Menschen schlechter ging. Die Nomaden, die aus Richtung Ägypten gekommen waren, sind von der Wüste her auch mehr eingesickert, als dass sie offen Feldschlachten gesucht hätten und Städte erobert, von Jericho mal abgesehen. Die Rückkehr aus Babylon wurde auch in Grün und Tröpfchen für Tröpfchen beschrieben. Strotzte nur so von Bildern aus Feld, Wiese und Wald. Gott arbeitete mit grünen Grenzen. Vielleicht war sein Nachfolger bei der alten Firma in Sachen Wärmepumpe viel besser als er? Brachte die Firma auf seinem Fachgebiet richtig voran? Und schaffte damit richtig neuen Schwung in dem ganzen Laden? Oder vielleicht konnte er neues Gutes in der Rüstung bewirken? Mehr Waffen, die weniger tödlich wirken. Oder neue Verfahren, um deren Versand und Nutzung digital zu prüfen. Und die Waffen notfalls außer Gefecht zu setzen?

Wer wusste das alles schon? Wer wusste genau, was sich in all den weißen Flecken zutragen und vor sich gehen würde? „Wer kennt all die roten Linien und grünen Grenzen?“, sinnierte Schäffbuch. Die Lücken in seinem Wissen zogen ihm ein stummes Seufzen ab. Vielleicht sollte ich die weiße Flagge hissen. Und hoffen, dass die weißen Flecken meines Lebens sich mit Farben und Formen, Zurufen und Zeichen füllen. Welche Ideen, Worte und Taten bedeuten eine rote Flagge für mein Leben und welche Ereignisse eine grüne. Mein letztes Wort soll jetzt wohl heißen: Ich ergebe mich in das, was kommt und mein blankes Weiß erfüllt. Amen.

23 Und des HERRN Wort geschah zu mir: 24 Du Menschenkind, sprich zu ihnen: Du bist ein Land, das nicht gereinigt wurde, das nicht beregnet wurde zur Zeit des Zorns, 25 dessen Fürsten in seiner Mitte sind wie brüllende Löwen, wenn sie rauben; sie fressen Menschen, reißen Gut und Geld an sich und machen viele zu Witwen im Lande. 26 Seine Priester tun meinem Gesetz Gewalt an und entweihen, was mir heilig ist; sie machen zwischen heilig und unheilig keinen Unterschied und lehren nicht, was rein oder unrein ist, und vor meinen Sabbaten schließen sie die Augen; so werde ich unter ihnen entheiligt. 27 Die Oberen in seiner Mitte sind wie reißende Wölfe, Blut zu vergießen und Menschen umzubringen um ihrer Habgier willen. 28 Und seine Propheten streichen ihnen mit Tünche darüber, haben Truggesichte und wahrsagen ihnen Lügen; sie sagen: »So spricht Gott der HERR«, wo doch der HERR gar nicht geredet hat. 29 Das Volk des Landes übt Gewalt; sie rauben drauflos und bedrücken die Armen und Elenden und tun den Fremdlingen Gewalt an gegen alles Recht. 30 Ich suchte unter ihnen, ob jemand eine Mauer ziehen und in die Bresche vor mir treten würde für das Land, damit ich’s nicht vernichten müsste; aber ich fand keinen. 31 Darum schüttete ich meinen Zorn über sie aus, und mit dem Feuer meines Grimmes machte ich ihnen ein Ende und ließ so ihr Tun auf ihren Kopf kommen, spricht Gott der HERR.

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