Ezechiel 22,23-31

Ezechiel 22,23-31

Bußtag- und Bettag | 22.11.2023 | Ez 22,23-31 | Winfried Klotz |

Die führenden Schichten sind schuld am Untergang Judas (Text: Gute Nachricht Bibel)

23 Das Wort des HERRN erging an mich, er sagte:

24 »Du Mensch, sag zum Land Israel: ‚Du bist so unrein geworden, dass ich in meinem Zorn keinen Regen mehr schicke.

25 Deine Herrscher haben sich aufgeführt wie beutegierige Löwen: Sie raubten Schätze zusammen und mordeten. Wie viele Frauen haben sie zu Witwen gemacht!

26 Deine Priester haben meine Gebote willkürlich ausgelegt und die Opfer, die sie mir darbrachten, entweiht. Sie machten keinen Unterschied zwischen heiligen und unheiligen Dingen, belehrten das Volk nicht über das, was unrein macht, und kümmerten sich nicht darum, wenn der Sabbat geschändet wurde. So kam es dazu, dass die Leute von Israel mir ohne jede Ehrerbietung begegneten.

27 Deine Richter benahmen sich wie beutehungrige Wölfe; sie machten sich nichts daraus, Menschen umzubringen, um sich zu bereichern.

28 Deine Propheten aber deckten all dieses Unrecht mit beschwichtigenden Worten zu. Sie verkündeten trügerische Hirngespinste und sagten: So spricht der HERR, der mächtige Gott – wo ich doch gar nicht zu ihnen gesprochen hatte.

29 Deine angesehenen Leute verlegten sich auf Raub und Erpressung. Sie nutzten die Armen und Schutzlosen aus und verweigerten den Fremden ihr Recht.

30 Ich suchte überall nach einem, der in die Bresche springen und die Mauer um mein Volk vor dem Einsturz bewahren würde, damit ich es nicht vernichten müsste; aber ich fand keinen.

31 Da schüttete ich die Glut meines Zorns über sie aus und gab sie dem Untergang preis. Ihr eigenes Tun ließ ich auf sie zurückfallen.’« Das sagt der HERR, der mächtige Gott.

Sperrig – in mir sperrt es sich etwas gegen dieses Wort, aber darüber steht: „Das Wort des HERRN erging an mich, er sagte…“ Dieses Wort aus dem Ezechielbuch beansprucht eine Autorität, der ich mich schlecht entziehen kann – es ist das Wort des Herrn! Aber geht es mich denn etwas an, dieses uralte, vor mehr als 2500 Jahren aufgeschriebene Prophetenwort? Es ist doch an das Land Israel gerichtet, das bin ich doch nicht! Müssen es also die hören, die heute im Land Israel leben? Aber das sind doch nicht die Leute, die 587 vor Christus lebten – wen geht der Richterspruch Gottes im Munde Ezechiels über seine Zeitgenossen heute etwas an? Was ist unsere Verbindung zu diesem Wort?

Es ist ein Wort für den Buß- und Bettag – so haben es kirchenleitende Leute bestimmt; ist das genug Begründung dafür, dass wir uns damit beschäftigen müssen? In den Nachrichten sehen und hören wir täglich Berichte vom Krieg in der Ukraine und in Israel-Gaza, das reicht doch schon, um deprimiert durch den Tag zu gehen. Was soll ein dunkler Buß-Feiertag in einer sowieso dunklen Zeit, versehen mit einem niederschmetternden und hoffnungslosen Bibelwort?

Aber: es ist ein Gotteswort, ein Wort des Gottes, dem wir verbunden sind durch Jesus, ja noch mehr, für den wir durch Jesus Auserwählte, Heilige und Geliebte sind (Kolosser 3,12)! In Jesus leuchtet uns doch ein helles Licht in dunkler Zeit; und auch ein Bußtag im November, versehen mit einem harten Gerichtswort, bekommt ein anderes Aussehen. So können wir diesem Wort begegnen, so gewinnt der Bußtag als Ruf zur Umkehr eine Dynamik, die zur Freude führt!

Trotzdem noch ein „Aber“: Ratlosigkeit bleibt – jedenfalls bei mir: Ich kann ohne Problem Beispiele für die im Wort des Propheten Ezechiel genannten Verbrechen nennen, aus unserer deutschen Geschichte oder aus dem aktuellen Weltgeschehen. Aber was nützt es, mit Fingern auf andere zu zeigen? Das bessert mich nicht, das ist keine Umkehr, sondern Verhärtung: Die haben das getan, dort ist das geschehen, aber ich bin nur ein Zuschauer, der nichts dafür kann! Gewalttätige Regierung, eine Kirche, die sich vom Gebot Gottes abgewandt hat, Mächtige, deren Reichtum auf Ausbeutung beruht, populistische Schwätzer, die es verstehen, Schandtaten als Wohltaten zu verkaufen, insgesamt eine Kultur der Gewalttätigkeit, all das findet sich ständig und immer wieder in Ländern und Völkern. Das wahrzunehmen macht mich manchmal wütend und immer traurig, aber es ist betrifft mich nicht direkt. Was geht mich an, was ist mein Anteil, was bedeutet Umkehren für mich?

„Ihr eigenes Tun ließ ich auf sie zurückfallen“, heißt es im letzten Vers unseres Abschnittes; wenn das stimmt, dann bedeutet Umkehren Befreiung von bösen Taten und ihren Folgen. Wir sollen den Zusammenhang von Tun und Ergehen nicht pressen; es gibt Gewalttäter, denen ihre Verbrechen scheinbar nicht auf den Kopf fallen. Und es gibt Menschen, die Gutes tun und doch leiden müssen. Zugleich wissen wir aber, dass unser Tun Folgen hat, im persönlichen wie im gesellschaftlichen Bereich, und dass es notwendig ist, sich vom Bösen abzukehren.

Nun fällt aber auf, dass unser Bibelwort keine Mahnung zur Umkehr ist, sondern so etwas wie eine Abrechnung. Das Böse ist geschehen, die schlimmen Folgen – hier die Zerstörung Jerusalems und die Vertreibung aus der Heimat – sind eingetreten. Von Umkehr ist nicht die Rede und auch nicht von einem hoffnungsvollen Neuanfang. Wir wissen aber sowohl aus dem Buch des Propheten Ezechiel (vgl. Kap. 36f) wie aus dem Evangelium von Jesus, dass der Gott der Bibel ein starkes Interesse daran hat, dass sein Volk alten und neuen Bundes mit ihm leben kann, Rettung und Hilfe erfährt. Gottes Rettungsplan wird wunderschön in Ezechiel 37,26-28 beschrieben:

„Ich schließe mit ihnen einen Bund für alle Zeiten und verbürge ihnen Glück und Frieden. Sie sollen sich vermehren und zu einem großen Volk werden. Für immer wird mein Heiligtum in ihrer Mitte sein; ich will bei ihnen wohnen und ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein. Wenn die Völker sehen, dass mein Heiligtum für alle Zeiten in ihrer Mitte ist, werden sie erkennen, dass ich der HERR bin, der Israel als sein heiliges Volk erwählt hat.“

Gott ist und bleibt ein rettender Gott für sein erwähltes Volk Israel! Und schon hier geht der Blick über Israel hinaus zu den Völkern, die ihn als den Herrn erkennen durch seine rettende Hilfe für sein Volk. In Jesus Christus ist Gottes Hilfe auch zu uns gekommen. Nicht umsonst hat Jesus Kranke geheilt, mit Zöllnern und Sündern gegessen und sein Leben als Lösegeld für viele gegeben (Mk 10,45). Das ist unser Ausgangspunkt am Bußtag! Das bedeutet nicht, dass wir auf selbstkritisches Nachdenken verzichten können. Im Wissen um den rettenden Gott, im Vertrauen auf den Gott, dessen geliebte Kinder wir durch Jesus sind, ist es möglich, bisher Verdrängtes anzuschauen und Erneuerung zu suchen. Im Hinschauen auf Jesus wird Anklage und Urteilsspruch aus Ezechiel 22 zu einem Wort, das uns zur Umkehr ermutigt.

Buße, Umkehr beruht nicht zuerst auf der Erkenntnis unserer Fehler, unserer Sünde, unserer Verirrung, sondern darauf, dass Gott uns eine Tür öffnet, einen Neuanfang schenkt, uns anspricht. Ohne das bliebe nur die Selbstrechtfertigung oder die Verzweiflung über die Verfehlung des Guten. Umkehr bedeutet deshalb auch nicht, jetzt schüttele ich mich und bin oder werde ein guter Mensch, sondern ich gebe demjenigen Antwort, der mich ruft und sich meiner annimmt. Als Jesus Zachäus begegnete hat er ihm nicht ein Programm zur Besserung seines Lebens auferlegt, sondern gesagt: „ich muss heute in deinem Haus einkehren.“ Die Gemeinschaft mit Jesus hat Zachäus verändert!

Ich lese im Buch des Propheten Ezechiel nichts davon, dass das aus seiner Heimat vertriebene Volk auf die Predigt Ezechiels hin umkehrte, Gott sich dann seiner erbarmte und es in die Heimat zurückgebracht hat, sondern die Reihenfolge ist anders: Gott handelt für sein Volk, er bringt es zurück in die Heimat, dann erkennen sie ihren Gott. In Kap 39,28-29 heißt es: „Ich habe sie aus ihrem Land weggeführt und unter die Völker zerstreut; aber ich hole sie wieder zusammen und lasse niemand zurück. Daran werden sie erkennen, dass ich der HERR, ihr Gott, bin. Ich werde meinen Geist über das Volk Israel ausgießen und dann werde ich mich nie mehr von ihnen abwenden. Das sage ich, der HERR, der mächtige Gott.“ Umkehr ist nur deshalb möglich, weil Gott in Vorleistung tritt.

Gerade das ist der Kernpunkt des Wirkens Jesu. Er wird sein Volk retten von ihren Sünden, heißt es am Anfang des Matthäusevangeliums! (1,21) Und im Lukasevangelium (4,18-21) wird berichtet, dass Jesus in der Synagoge in Nazareth aus dem Buch des Propheten Jesaja vorliest; der Abschnitt endet mit dem Satz „und das Jahr ausrufen, in dem der Herr sich seinem Volk gnädig zuwendet.“ Jesus kommentiert die Lesung mit dem Satz: „Heute, da ihr dieses Prophetenwort aus meinem Mund hört, ist es unter euch in Erfüllung gegangen.“

Übertragen bedeutet das: Jetzt ist Umkehr möglich, jetzt kann jeder Mensch umkehren, indem er/sie Gott antwortet, sich rufen lässt. Sekundär ist, ob aus den Gerufenen auch so etwas wie gute Menschen werden. Sie gehen jetzt in der Spur Jesu, das verändert ihr Leben, aber sie sind nicht die strahlenden Heilige geworden, denen niemand etwas ankreiden kann und die sich nichts vorzuwerfen haben.

Sich rufen lassen befreit zu einem neuen Leben, einem Leben unter der Zusage Gottes: ‚Du gehörst zu mir, Du bist angenommen und geliebt, halte dich an Jesus.‘ Jetzt werden Lasten abgelegt, Schuld vergeben, Ehrlichkeit mit sich selbst möglich, Zwänge neutralisiert, weil Gottes Liebe größer ist als unser Herz. Und ich sage es noch einmal: Befreit zu einem neuen Leben bedeutet nicht, jetzt bin ich ein guter Mensch. Nein, jetzt bin ich ein Mensch, der auf Jesus schaut, in seiner Spur geht, Tag für Tag in ihm die Gemeinschaft mit Gott sucht und aus Gottes Gnade auch findet. Gehalten im Licht der Gnade Gottes erkenne ich mich, bekenne und bereue meine Verfehlung des Guten und finde immer neu tiefe Annahme, die mich zum Frieden führt. Das ist der neue Mensch! Dieser neue Mensch ist nicht gut aus sich, sondern hat Frieden, weil er durch Jesus Christus versöhnt ist mit Gott und nun lernt, sich selbst und seine Nächsten anzunehmen.

Gott ist in Jesus Christus in Vorleistung getreten, so ruft er uns zu einem neuen Leben, lasst uns IHM Antwort geben. Amen.

Winfried Klotz, Pfr. i. R., Bad König/Odw., verh. 3 erwachsene Kinder. winfried.klotz@web.de

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