Fischfang 2.0

Fischfang 2.0

Quasi modo geniti | 11.04.2021 | Predigt zu Joh 21,1-14 | verfasst von Ralph Kunz |

Liebe Schwestern und Brüder,

Karfreitag und Ostern – eine Woche ist’s her. Und so schnell geht im Alltag vergessen, was wir Christen eigentlich glauben. Dass der Schöpfer dieser Welt sich gezeigt hat, sichtbar und greifbar. Dass ein neues Zeitalter begonnen hat, die Herrschaft Christi, unseres Herrn und Meisters. Dass wir einen Grund haben, voll Zuversicht zu beten: Dein Reich komme, Dein Wille geschehen. Das alles und noch viel mehr glauben wir. Aber glauben wir eigentlich, was wir glauben? Die grossen Brocken des Bekenntnisglaubens passen nicht zu unseren kleinen Ohren. Wir nehmen sie ungern in den Mund. Sie sind zu mächtig für unsere engen Schlünde, zu dick, um sie zu schlucken.

Karfreitag und Ostern – 2000 Jahre ist’s her. Und so schnell fliegen die Jahrhunderte dahin. Als wär’s letzte Woche gewesen. Wir erinnern uns. Sehen die Bilder vor dem inneren Auge, haben die Musik im Ohr, kennen die Geschichte, wissen, was wir eigentlich glauben und denken gelegentlich:  Ein bisschen spektakulärer hätte die Zeitenwende doch ausfallen können. Dann könnten wir vielleicht besser mit den Glaubensbrocken hantieren. Ein Kolosseum wäre eine feine Sache, oder eine Pyramide, etwas, das man anfassen, greifen und fotografieren kann, einen Erweis, dass er wahrhaftig auferstanden ist.
Aber wir haben nichts davon.

Wer hat versagt? Ich stelle mir vor, dass das Urteil professioneller Kommunikationsexperten, müssten sie das göttliche Marketing prüfen, gnadenlos wäre. Der Stoff wäre eigentlich gut! Ein Galiläer wagt den Aufstand, kommt mit einer Rotte von Anhängern nach Jerusalem; es verbreitet sich das Gerücht, er sei der Messias. Dann bringen sie ihn um, die Machthaber – die Herrschenden. Doch Gott hält sich zu ihm. Was für eine grandiose Botschaft! Christus steht auf von den Toten, Gott identifiziert sich mit dem Gekreuzigten, der Galiläer ist in Wahrheit Gottes Gesandter, gottgleich und doch Mensch. Was für ein Held! Seine Richter und Henker, die meinten, sie hätten ihn beseitigt, haben sich getäuscht. Er lebt! Eigentlich wäre es eine gute Geschichte.

Es ist schon erstaunlich, wie zurückhaltend die Evangelien von diesem Triumph erzählen und wie wenig spektakulär das ist, was erzählt wird. Den Auftritten Jesu fehlt jener Glamour, den Siegerauftritte haben. Kein himmlisches Feuerwerk, keine Engel, die Halleluja singen, keine Wunder, kein Triumph, keine Rache an Feinden. Nichts von alledem.

Es ist, als ob der Schöpfer des Himmels und der Erde beschlossen hätte, es uns schwer zu machen. Auf den ersten Blick scheint es so, als verblassen diese Szenen. Sie wirken wie Tuschezeichnungen im Vergleich zum Drama der Passion. Gott will es nicht plakativ. Oder – und diesen Schluss haben die meisten Zeitgenossen gezogen – unsere Erwartungen an Ostern sind zu gross. Denn eigentlich hat sich nichts verändert. Besser also man verkleinert die Glaubensbrocken und macht sie mundgerecht. Dass jedes Jahr der Frühling kommt, sollte uns als Hoffnung genug sein. Jesus liefert die Moral dazu und die Hasen sorgen für Stimmung.

Im Johannesevangelium kommen keine Hasen, keine Eier und auch keine Moral vor. Wir haben die Geschichte noch im Ohr. Sie ist schlicht. Einige der Jünger sind in ihre Heimat zurückgekehrt, dem See Genezareth. Es ist die Gruppe der Fischer mit Simon Petrus als markanter Figur – sozusagen die Kerntruppe der ersten, die dem Ruf des verrückten Rabbis gefolgt sind. Nach dem Abenteuer ihres Lebens sind sie wieder zuhause. Nichts hat sich verändert. Der Meister ist tot, die Hoffnung niedergemäht, der Glaube zerstückelt. Mit leeren Händen stehen sie da, mit leeren Versprechungen wurden sie abgefertigt, entsorgt auf dem Abfallhaufen der Geschichte. Dass sie eine nachtlang vergeblich fischen, passt.

Aber da steht einer am Ufer und sagt: «Habt Ihr nichts zu essen?» Der Unbekannte hat Hunger, bittet um ein Mahl. Als die Fischer verneinten, sagt er: «Werft das Netz auf der rechten Seite aus. Dort werdet ihr Fische finden.» Und sie machen einen unglaublichen Fang. Wunderbarerweise zerreisst das Netz nicht. Erst jetzt erkennt Petrus seinen Herrn und Meister. Am Ufer brennt das Feuer, der Geruch des frischen Brotes und der Fische hängt in der Luft. Jesus wiederholt seine Einladung: «Bringt von den anderen Fischen, haltet das Mahl. Und er nimmt das Brot und gibt’s ihnen, desgleichen auch den Fisch.»

Natürlich ist die ganze Szene gespickt voll mit Erinnerungen. Es sind Signale für die Leserinnen und Leser, die am Ende des Evangeliums angelangt sind und wiedererkennen sollen. Johannes hat in allen drei Auferstehungsgeschichten Aha-Momente eingebaut und mit einer Weisung verbunden. Als erstes erschien er Maria Magdalena, seiner engen Gefährtin und Jüngerin: «Rühr mich nicht an!» sagt er ihr. Weil sie ihn erkannt hat. Als er ein zweites Mal den Jüngern und Thomas erscheint, ist sein erstes Wort: «Frieden sei mit euch.» Und sie hören den, der ihnen beim Abschied versprochen hat: «Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.» Thomas zweifelt und wird aufgefordert, die Wunden zu berühren. Dann erkennt auch er seinen Herrn.

Johannes erzählt drei Geschichten – lose aneinandergereiht, mit unterschiedlichen Besetzungen. Die Szenen ähneln sich. Es ist Morgen oder Abend, Jesus wird zuerst nicht erkannt, sagt etwas Gewichtiges und verschwindet wieder. Sieht so die grosse Wende aus? Sind diese fast schon scheuen Berichte von der Auferweckung des Gekreuzigten der Grund, weshalb wir – die ganze Welt – immer noch die Jahre zählen seit seiner Geburt?

Ja. Gerade weil es uns so seltsam vorkommt, so ganz und gar nicht herrschaftlich und gewaltig, finden diese Erzählungen ihren Weg zu unserem Herz. Sie haben eine andere Dichte, geben schon in ihrer Form zu verstehen, dass menschliches Sehen und Wahrnehmen an Grenzen stossen. Denn es ist einzigartig und analogielos. Könnte es sein, dass uns das mehr Mühe macht, was über unsere Begrenztheit offenbart wird? Mehr als das, was wir über Gottes Unbegrenztheit erfahren? Ich denke ja. Denn wir sehen, wenn wir die seltsamen Begegnungen des Auferstanden mit seinen Freunden nachlesen, Bilder vom Anfang der Kirche. Wir sehen einen versprengten Haufen, eine kleine Schar, die wider allen Schein daran glaubt, dass ihr toter Lehrer lebt. Was um Gottes Willen wollen diese Fantasten ausrichten? Wie können sie den Lauf der Welt ändern? Wo sehen sie Gott am Werk, nachdem sich ihr Rabbi – im eigentlichen und wörtlichen Sinn – aus dem Staub gemacht hat. Denn er hat ja nicht einmal ein Grab!

Die nachösterlichen Geschichten gehen unter die Haut, weil sie die Verletzlichkeit des Glaubens so überdeutlich vor Augen führen. Und unsere Angewiesenheit auf den Heiligen Geist. In keinem anderen Evangelium wird das so drastisch vorgeführt wie bei Johannes. Sein Jesus verspricht zu Lebzeiten, was am Kreuz in Erfüllung gehen wird. Es ist eine seltsame Frohbotschaft. Im Tod offenbart sich Gott – durch den Tod kommt sein Leben in die Welt, wie ein Licht, das die Finsternis noch nicht erkannt hat. Im Johannesevangelium beginnt Ostern am Karfreitag und am Ostersonntag beginnt Pfingsten. In der zweiten Erscheinung hauchte er seine Jüngerinnen und Jünger an und sagte: «So wie mich der Vater gesendet hat, so sende ich Euch […] nehmt hin den Heiligen Geist.» (Joh 21,19-23)  Im Johannesevangelium bereitet Jesus seine Jünger auf das vor, was in Jerusalem geschehen wird. «Denn es kommt der Herrscher der Welt. Über mich hat er keine Macht, aber die Welt soll erkennen, dass ich den Vater liebe und so handle, wie es mir der Vater aufgetragen hat.» (Joh 14,30)

Im Johannesevangelium bereitet Jesus seine Schar darauf vor, was nachher kommen soll: auf den Beistand, den Geist und den Frieden – damit sie wiedererkennen, wer ER ist: Der Gesandte Gottes, Sohn des Vaters, das Wort vom Anfang der Schöpfung.

Da sind sie wieder, die riesengrossen Brocken. Aber sie sind schon zerbrochen durch die Mühlen der Geschichte, die von Anfang an gemahlen haben und weiter mahlen werden. Doch die Lehre, die der Glauben daraus gezogen hat, ist nicht die Lehre, die die Welt daraus zieht. Wenn wir uns ganz auf den Auferstandenen verlassen, erlauben wir uns, was wir uns sonst nicht erlauben dürfen. Wie erkennen, wie zerbrechlich wir sind, wie sehr wir auf seine Liebe angewiesen bleiben. Wir lernen den Weg zu verstehen, den der Messias gehen muss, um die Welt zu überwinden. Und wir verstehen, dass wir, wenn wir ihm nachfolgen, keine spektakuläre Triumphgeschichten erzählen können. Was uns diese Geschichte offenbart über uns, die wir uns Kirche nennen, ist auch nicht himmeltraurig. Es lässt uns die Welt neu schauen, gerade weil wir den Auferstandenen an seinen Wunden erkennen. Es berührt uns in der Tiefe, weil unser Schlund so eng und unsere Sehnsucht nach der Weite so gross ist.

Die Szene am See mündet in ein Mahl. Natürlich ist das kein Zufall. Auch das Lukasevangelium schliesst mit der Schilderung einer Mahlfeier, die eine Verbindung zum irdischen Jesus hergestellt. Für die Leserinnen und Leser des Evangeliums ist es das Signal des Wiedererkennens schlechthin. Und wie die Auferstehungsberichte beschert uns im Abendmahlsbericht das Gedächtnis an jene Nacht, in der Jesus verraten wurde, auch ein Wiedererkennen der menschlichen Untreue.

Darauf zielt auch der Schluss des Johannesevangeliums. Es hört nicht mit der Mahlszene auf. Nach dem Grillfest kommt noch etwas. Jesus spricht Simon Petrus an und fragt ihn dreimal: «Liebst Du mich?» Zweimal antwortet Petrus: Ja, Herr. Beim dritten Mal «wurde Petrus traurig, weil er wieder zu ihm sagte: Hast du mich lieb? und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge.» Wer die Geschichte kennt, weiss es auch. Dreimal hat Petrus in jener Nacht seinen Herrn verleugnet. Und was sagt sein Herr? «Weide meine Schafe! […] folge mir nach!» (Joh 21, 15-19)

Karfreitag und Ostern – eine Woche ist’s her, zweitausend Jahr vergangen und manchmal fliegt uns das, was wir eigentlich glauben, um die Ohren. Wir sehen nur noch schwarz, kehren mit leeren Netzen um, wenn wir nach Hoffnung fischen, verraten heute, was uns gestern heilig war. Und ER sagt zu uns: «Weidet meine Schafe!» Warum?

Weil er unsere Untreue nicht nur erträgt. Er beruft uns neu. Johannes macht es seiner Gemeinde mit einem genialen schriftstellerischen Einfall bewusst. Wie an vielen anderen Stellen schimmert auch in der Fischzuggeschichte die Quelle der älteren Evangelien durch. Johannes verarbeitet oder besser verstellt dieselbe Geschichte, die auch Lukas und Markus erzählen, allerdings am Anfang des Wirkens Jesus. So hat alles begonnen, damals, als die Jünger ihm nachfolgten: «Ihr sollt Menschenfischer sein.» (Mk 1,17) Johannes stellt also den Anfang ans Ende. Er mutet seinen Leserinnen und Lesern zu, dass Petrus vom gekreuzigten Auferweckten (noch einmal) den Ruf zu hören bekommt, den er schon gehört hat: «Folge mir nach!» Noch einmal: Warum?

Weil Jesus nicht aufgibt. Weil Gott seiner Schöpfung die Treue hält. Das ist die Botschaft, das, liebe Gemeinde, ist der Beweis seiner Auferstehung. Mehr bekommen wir nicht, mehr brauchen wir nicht. Er sendet uns, wie er selbst gesendet wurde. Er glaubt an uns, wie er seinen Jüngerinnen und Jüngern geglaubt hat und vergibt uns, wie er ihnen vergeben hat. Und wir folgen ihm nach, bis wir das nächste Mal auf den Hintern oder auf die Nase fallen. Mehr bekommt er nicht. Hat er auch damals nicht bekommen von Petrus, Maria oder Thomas. Weil sie Menschen geblieben sind. Schwach, zerbrechlich und doch so schön und liebenswert, dass er zu ihnen gesagt: «Weidet meine Schafe!»

Dass mich das Johannesevangelium mit diesem Kohlenfeuergespräch entlässt, hilft meinem Glauben (wieder) auf die Beine. Es hilft mir aufzustehen und besser zu verstehen, zu wem ich gehöre: Zu einer Gemeinschaft von Gebrochenen, die wiederaufgerichtet werden. Ich bin ein Bruder von dem, der eine nachtlang mit Gott ringt und am Morgen davon humpelt, ich darf dem um den Hals fallen, der auf meine Rückkehr aus der Fremde gewartet hat. Ich bin mit andern zusammen eingeladen, den Fang des Lebens mit ihm zu teilen. Es scheint nicht viel zu sein, wenn man grosse Erwartungen hegt, aber manchmal reicht’s immerhin für 5000 Menschen.

Prof. Dr. Ralph Kunz

Zürich

E-Mail: ralph.kunz@theol.uzh.ch

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