Four seasons in one day

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Four seasons in one day

Predigt über Johannes 20,19-23 | verfasst von Manfred Mielke |

 

Liebe Gemeinde,

was machen wir nach einem wochenlangen Verzicht? Wir atmen auf, wir planen ein Wiedersehen, wir feiern unsere Art des Fastenbrechens. – Und was machen wir nach einem Schicksalsschlag? Dann verlassen wir uns auf erlernte Rituale, brauchen andere Impulse, tasten uns in neue Aufgaben. Dafür brauchen wir meistens viel Zeit, seltener gelingt es an nur einem Tag. Durch so einen Tag nimmt der Evangelist Johannes uns mit. Es ist der 3. Tag nach Jesu dramatischer Kreuzigung, und er berichtet über den ganzen Tag.

Im Morgengrauen schreckt Maria zurück angesichts des aufgebrochenen Grabes Jesu. Am Vormittag mobilisiert sie zwei Jünger, die zaghaft alles inspizieren und iriitiert weggehen. Über Mittag erscheint ihr der Auferstandene, den sie als schusseligen Friedhofsgärtner zur Rede stellt. Dann aber löst Jesus in ihr das Bekenntnis aus, mit dem sie nachmittags die perplexen Jünger überrascht: „Ich habe den Herrn gesehen!“ – Nach so einem prallvollen Tag könnten alle zum gemütlichen Abendritual übergehen, frei nach dem Motto: „Ende gut, alles gut!“ Aber was dann geschieht, verändert die Nacht zum Tage und macht aus dem Ende einen Neuanfang. Johannes berichtet:

 

Es war schon spätabends an diesem ersten Wochentag nach dem Sabbat. Die Jünger waren beieinander und hatten die Türen fest verschlossen aus Angst vor den jüdischen Behörden. Da kam Jesus zu ihnen. Er trat in ihre Mitte und sagte: »Friede sei mit euch!« Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Die Jünger waren voll Freude, weil sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal: »Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so beauftrage ich jetzt euch!« Dann hauchte er sie an und sagte: »Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr seine Schuld vergebt, dem ist sie wirklich vergeben. Wem ihr sie aber nicht vergebt, dem ist sie nicht vergeben.« (Johannes 20,19-23)

 

Liebe Gemeinde,

Maria geht mutig und ergebnisoffen durch den Tag; dagegen haben die Jünger sich schon lange abgesichert. Nicht jeder für sich, sondern als große Gruppe hinter einer stark verriegelten Tür. Warum? Nun, die Kreuzigung Jesu war das Ergebnis einer üblen Zusammenarbeit der römischen mit den jüdischen Behörden. Hinzu kam persönliches Versagen: Judas hatte ihn verraten, Petrus verleugnet. Das lag bereits Tage zurück, bewirkte aber eine zunehmende Verzagtheit. Lähmende Gedanken wurden aneinandergereiht. Wenn 20, 50 oder sogar 70 Menschen zusammengedrängt keinen Zugang mehr zur Realität finden, wird die Angst zu ihrem Programm. Für die Jünger konkret die Angst, dass Römer und Juden sich gegen sie verschwören und sie der Reihe nach aufknüpfen.

Wir sind in den letzten Monaten mit vielen Verschwörungstheorien konfontiert, warum die Corona-Pandemie entstanden sei und wer sich am Impfstoff bereichern wird. Uns verunsichert, dass dabei Bilder aus der Bibel benutzt werden. Mal werden die ägyptischen Plagen zitiert, mal bedrohen uns apokalyptische Reiter. Dagegen hoffen wir, Klarheit und Mut zu schöpfen aus Gott. Wir orientieren uns an seine Zusagen, an seine Gegenwart auf Abstand, an Symbolen wie dem Regenbogen oder dem Ritual des Abendmahls. Und heute, am Tag, von dem Johannes berichtet, kommt noch das Symbol des leeren Grabes hinzu und die Wirkmacht des Heiligen Geistes. Das ist mehr als hilfreich.

 

Liebe Gemeinde,

drei Tage nach Jesu Kreuzigung und Grablegung haben sich Jesu Jünger verbarrikadiert. Draußen stockdunkel, drinnen eingeschlossen, innerlich reduziert. Maria bringt von außen die Nachricht von der Auferstehung Jesu, die aber den Schalter nicht umlegt. Nur Jesus, der Spezialist für das Verlassen einer Gruft, kann das Neue bewirken. Dafür tritt er in ihre Mitte und sagt: »Friede sei mit euch!« – Stille breitet sich aus, aus Verzagtheit wird Verlegenheit. Sein Gruß kommt ihnen bekannt vor, aber auch irgendwie abgenutzt. »Sein Friede – mit uns?« Die Worte hören sie wohl, aber ihnen fehlt der Glaube. Modern würde ich ihnen in den Mund legen: „Unser Jesus hat ja gut reden, der hat ja schon hinter sich, was uns noch droht!“ Stumm richten sie ihre Blicke aus. Zu Jesus, der seine Hände öffnet und die Nägelmale seiner Folterung zeigt. Er schiebt sein Obergewand hoch und zeigt den Lanzenstich. Noch immer schweigen sie, aber ein neues Gefühl entsteht. Es keimt Freude auf, ausgelöst durch die Entdeckung, wer der sei, der da seine Wunden zeigt. – Dazu möchte ich eine Beobachtung machen. Jesu Wunden sind gleich gruselig, aber sie unterscheiden sich. Weniger durch die Machart, mehr durch ihren Zeitpunkt. Angenagelt wurde er zu Beginn seiner Kreuzigung, der Lanzenstich war die medizinische Testung an deren Ende.

Jesus zeigt somit die Spuren des Vorher und des Nachher seiner Tötung und lenkt so den Blick auf das „Neue Nachher“. Seine Auferstehung ist die „Neue Normalität“. Die Wunden sind besiegt, der Tod ist besiegelt, die Auferstehung leibhaftig. Demzufolge, so kombinieren sie, muß der, den sie sehen, der ihnen vertraute Jesus sein. In einer neuen Seinsweise – als Sieger mit Opferspuren.

Das läßt die verängstigten Jünger sich selbst neu einordnen. Sie sind nicht mehr länger nur Opfer ihrer eigenen Verschwörungstheorien, sondern werden zugleich auch Sieger über ihre Angst. Noch fehlt ihnen die Kraft zum Zupacken und die Herzseite für Empfindungen. Aber immerhin sind sie nicht nur erleichtert, sondern erfüllt mit maximaler Freude. Weil sie in Jesus Christus ihren Herrn erkennen, der bei ihnen ist – verwundet und doch angstfrei.

 

Liebe Gemeinde,

Jesus zeigt sich ihnen versöhnt und angstfrei. Dass erfüllt sie zwar mit innerer Freude, aber immer noch hocken sie hinter verschlossenen Schlagläden. Mittlerweile ist es späte Nacht, als Jesus hinzufügt: »Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so beauftrage ich jetzt euch!« Dann haucht er sie an und verfügt: »Empfangt den Heiligen Geist!“ – Jesus stürmt nicht los, womöglich noch durch die verbretterte Tür. Er wartet auch nicht ab, bis der letzte Skeptiker endlich aufbricht. Vielmehr bindet er jeden mit ein in die Sendung Gottes als gemeinsame neue Zukunft. Dessen neuer Auftrag lautet wie der bisherige: Die Menscheit wieder zurückzubringen in die Mitte des Gottesfriedens, des Schaloms. Damit wird der Horizont hell, und das Abrutschen in negative Prophetie bleibt ihnen verstellt.

Dieser besondere Tag hatte ein wahrlich strammes Programm. Die Jüngerinnen und Jünger durchlebten in wenigen Stunden mehrere gefühlte Klimazonen. „Four seasons in one day“ heißt es in einem Lied (Sting: Mercury Falling, 1996). Spätabends kam ja auch noch der Auferstandene und wünschte Frieden! Bald ist es Mitternacht, irgendwann muß doch auch mal gut sein! Doch Jesus hat noch zwei Überraschungen parat.

Denn er haucht seine Jünger an und sagt: »Empfangt den Heiligen Geist! Und treibt Seelsorge!“ Jesus bleibt ganz bei sich, als er ihnen den Heiligen Geist übereignet, der in ihnen eine Tatkraft und eine Lebensfreude bewirkt, die ihre Hände und Herzseiten stärkt. Damit wird Jesu Auferstehung wirkmächtig in den Jüngern. Wer in Christus ist, ist eine neue Schöpfung. Die Gewißheit dazu kommt vom Heiligen Geist.

Ich spüre, wie sich zunächst der Raum verändert. Bisher schwirrten Ängste wie Staubkörner umher, doch Jesus bläst sie hinweg mit dem Odem Gottes. (Modernistisch gesprochen: Endlich mal heilsame Areosole!) Jesu Hauch ist verwandt mit dem Sturm, der Türen losrüttelt, Mauern kippt und blinde Fenster öffnet.

Diese Doppelhandlung Jesu mit Anhauchung und Vergewisserung lässt mich an etwas Vergleichbares denken. Wenn ich in ein paar Monaten wieder im Kreis beim Abendmahl stehen werde, dann stelle ich mir vor, dass ich die Zutaten des Heiligen Geistes empfange und uns zugesagt wird: „Der Geist Gottes – in Euch!“ Das wird wirken; darauf freue ich mich jetzt schon.

 

Liebe Gemeinde,

wir sehnen uns nach neuem Mut und neuer Beständigkeit. Wir sehnen uns danach, dass Gott uns seelsorgerisch versorgt. Deswegen lautet sein zweiter Auftrag neben dem zum Shalom: „Treibt Seelsorge!“ Doch bevor wir sie ausüben, werden wir sie annehmen. Wenn ich Schuld verzeihe, sei sie vergeben und vergessen. Und falls ich zu meiner Schuld und Angst stehen soll, will ich damit bei einem Abendmahl beginnen, kombiniert mit einer Anhauchung Heiligen Geistes. Der schützt zudem auch gegen viele Unheilsprophetien, darauf vertraue ich.

Johannes nahm uns mit durch einen Tag voller neuer Impulse. Vom Schock des leeren Grabes bis zur Anhauchung durch Heiligen Geist. Von den Angstphantasien bis zur maximalen Freude. Raus aus der Gruft hinein in die frische Luft und den Gegenwind. Denn den Geist Gottes gibt es nicht in knapper Dosierung. Amen

 

Liedvorschläge:

EG 566 Der Geist des Herrn

EG 243 Lob Gott getrost (V3: Gott schwört bei seinem Leben….)

Gotteslob 788: Komm, heilger Geist (Mel: Eg 577)

EG 569 Zu Ostern in Jerusalem

EG 571 Unser Leben sei ein Fest

Wortlaute 94 Wo ein Mensch Vertrauen gibt

 

Gebet zu Heilung, Hoffnung und Verantwortung

(Text: Jeffrey Myers, Übersetzung aus dem Englischen: Birgit Arndt; aus: EKHN-Service 18.03.2020)

 

Gott, unser Schöpfer, der alle Sterne bei ihrem Namen ruft, der die Glühwürmchen zum Tanzen und die Berge zum Frohlocken bringt, und der die lila Krokusse ermutigt, ihre Köpfe durch den Schnee zu stecken.

 

Wir halten inne in Dankbarkeit für die Schönheit, die uns immer umgibt und für das Versprechen, dass das Leben weiter geht. Pflanze eine Hoffnung in unsere Herzen, die dem Coronavirus widersteht

und schenke uns das Vertrauen in Deine Macht, auch den schlimmsten Krankheiten noch etwas Gutes abzutrotzen.

Gott der Heilung und der Hoffnung, wir beten, dass Du die fiebernde Stirn der Kranken kühlst, und dass die Sterbenden Deine Stimme der Liebe hören, die stärker ist als der Tod. Schenke allen, die sich um Kranke kümmern, Dein heilendes Mitgefühl und ermutige diejenigen, die einsam sind in ihrer Isolation durch Deine friedenstiftende Gegenwart.

 

Wir beten, dass der Coronavirus uns dazu bewegt, über unsere Verantwortung nachzudenken –

einzeln und als Gemeinschaft derer, denen Deine Schöpfung am Herzen liegt. Bewege uns durch deinen berechtigten Zorn endlich zum Handeln. Lass uns jetzt lang überfällige Veränderungen angehen, damit Deine gesamte Schöpfung Raum zum Atmen bekommt.

Wir beten, dass Du in die Angst der Menschen hineinregierst, bevor sie ansteckend wird. Stärke Du das Vertrauen als Basis des menschlichen Miteinanders. Lass die unermüdlichen Bemühungen der Wissenschaft zu neuen und effektiven Mitteln gegen den Virus führen und leite die Menschen in Machtpositionen an, weise, wahrhaftige und integre Entscheidungen zu treffen.

 

Gott, der Du Dich uns liebevoll zuwendest: in diesen Zeiten wird uns schmerzhaft unsere Verletzlichkeit bewusst. Wir bitten demütig darum, dass sie nicht zu größerer Angst, sondern zu einem tieferen Glauben führt. Dem Glauben daran, dass nichts uns von Deiner Liebe trennen kann –

weder heute noch in Zukunft. Amen.

 

 

 

Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn und Ruanda. Instrumentalist und Arrangeur.

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