Galater 2, 11-20a

Galater 2, 11-20a

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


11. Sonntag nach Trinitatis, 3. September 2000
Predigt über Galater 2, 11-20a,
verfaßt von Wolfgang Petrak


Liebe Gemeinde,

wie sagt doch Paulus? „ Nicht aber ich, sondern…“

Wie sagt man selbst so oft? Also ich nicht. Sondern die
anderen. Die anderen sind anders als ich. Und wenn ich anders bin als sie, dann
weiß ich auch warum.

Paulus ist anders als Petrus, und wenn ich Petrus wäre, dann
wüsste ich schon, was ich dem Paulus sagen würde. Und wenn ich
über neun Ecken gehört hätte, was der in Griechenland an die
Galater über mich geschrieben hatte: sauer wäre ich gewesen. Und wenn
ich den ständig Reisenden irgendwann und irgendwo zu fassen gekriegt
hätte, dann hätte ich einfach gesagt:

„Also, jetzt bleib mal hier und hör endlich zu. So geht
das nicht, so was kannst du nicht in die Welt setzen. Unmöglich ist das.
Mich als einen Mann ohne Grundsätze darzustellen, leicht beeinflussbar,
das denkst du doch! Gerade ich! Gut, gut, ich weiss, dass du anders bist,
anders lebst, anders glaubst. Aber ich weiss es- und du weißt es auch-,
dass wir uns in Jerusalem geeinigt hatten wie weiland Abram und Lot,
nämlich: Du gehst zu den Heiden, um ihnen Christus zu verkünden, und
ich gehe zu unseren Brüdern, die Abraham zum Vater haben (wie du
übrigens auch). Du magst auf griechische Weise den Messias den Deinen
verkünden, auch wenn sie unrein sind; unbeschnittene, weil sie das Gesetz
nicht kennen; ja, du magst mit ihnen sogar das Mahl des Herren feiern…Aber:
Du solltest wissen (und du solltest es nicht vergessen!) wo wir herkommen. Du
solltest den Wert der Liturgie schätzen. Du solltest bedenken, dass es
ohne den Tempel, dass es ohne das Opfer keinen Zugang gibt zu dem, dessen Name
heilig ist. Hast du eigentlich noch einen Zugang zu uns? Wie verächtlich
du von uns sprichst:‘ ioudazein– zum
Juden machen- entschuldige, das hat den Klang des Hasses auf andere.
Natürlich sind wir Juden. Jakobus, Barnabas, ich. Wie unser Herr, der auch
dir (wie du sagst) erschienen ist. Wir sind Juden und bleiben es. Von dem
Allmächtigen auserwählt, den Bund zu halten und danach zu leben.
Glaube ist konkret. Du weißt doch noch um das Gebot der
Nächstenliebe?

Und noch eins, wenn ich schon einmal dabei bin: Du weisst, was
deine Leute in Rom angerichtet haben. Unseren Herrn zum König auszurufen!
Auferstehung zu verstehen wie bei Augustus und Claudius! Wenn das mit den
deinen so weitergeht, wird der Kaiser das Volk Abrahamas, Isaaks und Jakobs
verfolgen. Und die Glaubensgenossen, die sich zum Tempel halten, werden uns
hart bedrängen, die wir den Messias verkünden, aber Abraham zum Vater
haben! Ich habe in Antiochien aufgehört, mit den Griechen das Mahl
einzunehmen, damit es einen Frieden gebe zwischen den Kindern Abrahams. Und
nicht zuletzt mit den Römern, sicherlich auch den Griechen. Nein, die
Hoffnung gebe ich nicht auf, dass du von dem Irrweg ablässt und dass der
Tag kommen wird, an dem ihr zurückkehrt zu den Anfängen: das sagst
dir im heiligen Ernst immer noch dein Petrus“.

O nein, wir sind es nicht, aber manchmal möchte man schon so
sein wie er: diese Bereitschaft zum Frieden. Dabei auch fähig zu sein,
begangene Fehler zu korrigieren. Vor allem auch die andere Seite: bei aller
Aufgeschlossenheit und Flexibilität das Wissen um Grundsätze. Und
auch dazu zu stehen. Glaube, Religion: das ist eine zeitlose Grundlegung, die
erkennbar und gelebt sein will. Weil sich in unserer Zeit die Entwicklungen
beschleunigen, weil die Informationsflut im gleichen Maß ansteigt, ist es
wichtig, dass Grundsätze vernehmbar sind: biblisch begründete Ethik;
Jesus, der in die Nachfolge ruft; das Prinzip Hoffnung. Schade, dass von dem
Petrus der judenchristlichen Gemeinde so wenig überliefert worden ist.
Untergegangen im Strudel der Zeiten. Ich bin anders als er, aber ich frage
mich, ob es bei mir nicht auch so sein wird. Was also ist meine Identität,
wie werde ich gefunden, wie finden mich andere, werde ich eines Tages vergessen
sein?

Natürlich: wer ist schon so bekannt wie der andere, Paulus.
Paulus ist anders als wir. Aber wäre ich Paulus, dann würde ich
sagen:

„Hör mal zu“, würde ich sagen, dabei im Ton
verbindlich sein, denn mein Anliegen wäre es, alle zu erreichen, auch den,
der anders ist- „hör mal zu, ich verstehe dich, dass du um Gottes
willen mit den Römern, den Juden und den Freunden ihres Glaubens, den
Christen zusammen leben willst. Der Shalom für alle. Friede sei mit dir,
denn Christus ist unser Friede. Deshalb…“(und dann würde sich der
Tonfall unwillkürlich verschärfen, „müssen wir ihn
verkünden. Wir können gar nicht anders. Ist seine Wahrheit, die du ja
auch zu kennen meinst, es nicht wert, dass wir unbedingt dafür eintreten,
notfalls sogar das Martyrium auf uns nehmen; so wie er das Kreuz auf sich
genommen hat. Können wir uns vor der Welt im Verborgenen halten,
müssen wir nicht in diese Welt hineingehen, so wie er hingegangen ist.
Nicht dass er damit zu Sünder geworden wäre…Ihr indessen, und das
sollte euch Jerusalemern gesagt werden, ihr seid es doch, die andere
ausgrenzen. Ihr seid es doch, die die Freunde eures Glaubens, die zum Tempel
wollen um dort zu opfern, nicht hinein lasst. Wie die Frauen und Kinder. Weil
sie eurer Ansicht nach unrein sind, das Gesetz des Mose nicht anwenden.
Sünder heißt ihr sie deshalb. Ja, Sünder. -Bist du denn, der du
das Gesetz hast, ohne Sünde? Bin ich es?- das sei fern“.

Und dann würde ich, schon einmal dabei, noch weiter ausholen
und sagen, was schon immer gesagt werden sollte, dass der Petrus immer ganz
vorn sein wollte: Glaube als Leistungssport! Heißt es aber nicht, dass
die Ersten die Letzten sein werden? Und wenn der Petrus als Apostel für
sich die Vollmacht in Anspruch nimmt, eine –natürlich gläubige-
Ehefrau zu haben, hätte dann ich er, also ich, das gleiche Recht? Und wenn
Petrus und der Herrenbruder Jakobus und die anderen 10 laut gesagt haben, dass
der Auferstandene ihnen erschienen ist: ist es denn bei Paulus etwas anderes.
Ja gerade ihm ist erschienen, ihm, der die Gemeinde Jesu verfolgt hat: ihn hat
er berufen. Dieser Wechsel, diese Befreiung. Diese Gnade. „Durch Gottes
Gnade bin ich, was ich bin. Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Gnade sei
mit euch und Friede…“

O nein, wir sind nicht Paulus, aber möchte man,
müßte frau nicht so sein: diese Freiheit gegenüber den
eingeschliffenen Gewohnheiten, die das Leben regulieren, strukturieren,
fixieren. Müsste ich nicht da raus, ganz radikal getrieben von dem Geist
der Wahrheit, mich einzig und allein von dem Christus in Beschlag nehmen
lassen, der für uns da ist? Wie gern wäre ich wie Paulus und
hätte ich diese Sicherheit und religiöse Identität, die einen
gleichsam in einer Nussschale über das Meer segeln liesse: Gottes Geist
weht, wo er will. Es meint die Umwertung aller bisherigen Werte. Es meint
sicherlich das Wissen, am Ende gefunden zu werden, gerechtfertigt zu sein, also
oben zu sein. Und wenn nicht?

Wo finde ich mich wieder?

Da sind Menschen, denen ich in der letzten Woche begegnet bin. Sie
sind anders als ich, auch nicht so kirchlich. Sie tragen das Schicksal einer
schweren Krankheit. Er hatte seine Frau ins Krankenhaus begleitet, konnte ein
paar Tage auch dort bleiben. Sie hatte ihm gesagt, dass sie im Bett die
Übertragung der Andacht gehört hatte, und die Worte und die Lieder
seien so gewesen, als gelte das für sie ganz allein. Und dann hatte sie
lächelnd hinzugefügt: „Ich habe dich beim Singen heraus
gehört“.

Das ist diese Verbundenheit trotz allem. Diese sichere
Identität, die man sich nicht selbst geben oder herbei reden kann. Diese
Kraft, die einfach da ist.

Nicht aber ich, sondern Christus in mir. Mit ihm und durch ihn.
Das ist es. Amen.

Liedvers nach der Predigt: 299,3

Pastor Wolfgang Petrak
Schlagenweg 8a
37077
Göttingen
Tel.:31838
Fax:0551/31627

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