Galater 5,25-6,10

Galater 5,25-6,10

Frei | 15. Sonntag nach Trinitatis | 25.09.2022 | Gal 5,25-6,10 | Silja Keller |

Paulus, oder Gefängnismauern stürzen ein

Paulus und Silas singen, die Erde bebt, Gefangene werden befreit, ein Gefängniswärter findet statt des Todes neuen Glauben. Was ihr heute von der Cevi-[1]Gruppe gesehen habt, ist eine Szene aus Paulus‘ Leben. Es ist ein bewegtes Leben, das von Paulus. Vom jüdischen religiösen Fanatiker, der Menschen wegen ihres Glaubens umgebracht hat, wird er zum Christusgläubigen, der Demut predigt. Paulus wird befreit. Nicht nur aus dem Gefängnis, sondern auch aus seinen starren Glaubenssätzen, seinen Gedankengebilden, die ihn gefangen nehmen. Und weil er diese Freiheit in sich spürt, erzählt er allen von Jesus und seiner Botschaft.

Das Engagement für seinen Glauben bringt Paulus immer wieder in Bedrängnis. Er wird verfolgt, verhaftet, angespuckt, eingekerkert. Er wird seiner Freiheit beraubt und erzählt trotzdem allen von der grossen Freiheit, die er in Christus gefunden hat. Im Brief an die Galater, aus dem ich später einen Ausschnitt vorlesen werde, schreibt er: «Zur Freiheit seid ihr berufen!» Oder anders gesagt: Die Freiheit soll euer Leben durchdringen. Die Fesseln der Vergangenheit können euch nicht mehr halten. Ihr seid frei!

Was er erzählt, bewegt die Menschen zutiefst. Viele stellen ihr Leben auf den Kopf, gründen Gemeinden und feiern ihren neuen Glauben mit Menschen, mit denen sie sonst wohl nie etwas zu tun gehabt hätten.

Problem Kaiserkult und Beschneidung

Eine dieser Gemeinden befindet sich in Galatien. Galatien lag in Kleinasien, dem heutigen Gebiet der Türkei. Paulus war während seiner Missionsreise dort und hat von Jesus und der Freiheit, die er schenkt, erzählt. Daraus ist eine neue Gemeinde entstanden, die diese Freiheit für sich annahm. Gerade ist Paulus aber nicht gut auf sie zu sprechen. Er schreibt ihnen einen scharfen Brief. Den Brief an die Galater. Genau die von Paulus gepredigte Freiheit steht nämlich auf dem Spiel. Judenchristliche Lehrer, also Christen mit einem jüdischen Hintergrund, behaupten, dass man nur richtig zu Christus gehören kann, wenn man sich nach jüdischer Manier beschneiden lässt. Diese Auffassung wurde von der Gemeinde in Galatien aufgenommen und heftig diskutiert. Ausgangslage dazu war, dass es zu jener Zeit für alle, ausser für jüdische Menschen, verpflichtend war, den Kaiser zu verehren.

Christinnen und Christen standen dem sehr kritisch gegenüber. Für sie war klar: Ihr einziger Herr ist Christus und nicht der Kaiser. Doch es war gefährlich, sich gegen diese Regelung des Kaiserkults aufzulehnen. Die Beschneidung bot hier eine kreative Lösung: Mit der Beschneidung wäre man in den Augen der Obrigkeit jüdisch und müsste so dem Kaiser nicht mehr huldigen.

Zur Freiheit seid ihr berufen

Paulus stellt sich explizit gegen diese Lösung. Mit der Beschneidung müsse man sich an alle jüdischen Gesetze halten. Dies sei aber für Heidenchristinnen und -christen nicht nötig. Sie seien frei in Christus und diese Gesetze gälten für sie sie nicht.

Zwischen den Zeilen des Briefes liest man, wie Paulus die Galater und Galaterinnen zum zivilen Ungehorsam aufruft. Er sagt: Wählt den richtigen Weg, nicht den einfacheren. Seid Christinnen und Christen und huldigt dem Kaiser nicht. Orientiert euch an Christus, denn nichts soll euch mehr einsperren. Ihr seid frei.

Aber was heisst das frei sein? wie sieht ein Leben in Freiheit aus? Was denkt ihr? Ist frei, wenn ihr die eigene Zeit frei einteilen könnt? Ist es, dass ihr euren Glauben ohne Probleme ausüben dürft? Ist es die Möglichkeit in praktisch alle Länder reisen zu können? Oder ist Freiheit unter freiem Himmel, am Lagerfeuer mit Wind in den Haaren zu zelten?

Wie lebt es sich, wenn man frei ist? – Für Paulus ist klar: Man lebt durch den Geist Gottes. Im Einklang mit ihm. Ich lese euch aus Galater 5,25-6, 10:

«Wenn wir im Geist leben, wollen wir uns auch am Geist ausrichten. 26 Lasst uns nicht eitlem Ruhm nachjagen, einander nicht reizen, einander nicht beneiden!

Liebe Brüder und Schwestern: Auch wenn jemand bei einem Fehltritt ertappt wird, so sollt ihr, die ihr vom Geist bestimmt seid, den Betreffenden im Geist der Sanftmut zurechtbringen – doch gib acht, dass nicht auch du in Versuchung gerätst! Tragt einer des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Denn wer meint, etwas zu sein, obwohl er nichts ist, der betrügt sich. Jeder aber prüfe sein eigenes Werk! Dann wird er nur im Blick auf sich selbst Grund haben, sich zu rühmen – und nicht im Blick auf den anderen, denn jeder wird seine eigene Bürde zu tragen haben. Wer aber im Wort unterrichtet wird, lasse den, der ihn unterrichtet, an allen Gütern teilhaben.

Täuscht euch nicht: Gott lässt sich nicht verhöhnen! Denn was ein Mensch sät, das wird er auch ernten. Wer auf sein Fleisch sät, wird vom Fleisch Verderben ernten, wer aber auf den Geist sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten. Im Tun des Guten wollen wir nicht müde werden, denn zu gegebener Zeit werden wir ernten, wenn wir nicht ermatten. Darum lasst uns, solange wir noch Gelegenheit haben, allen Menschen Gutes tun, am meisten aber denen, die mit uns im Glauben verbunden sind.»

Sarx – Was man sät, wird man ernten

Paulus beschreibt das Leben in Freiheit als ein Leben in der Gemeinschaft. Es ist ein Leben in Auseinandersetzung mit meinem Nächsten, meiner Nächsten.

Dieses Zusammenleben soll vom Geist und nicht vom Fleisch bestimmt sein.

Fleisch. Welche Bilder tauchen vor euren Augen auf, wenn ihr Fleisch hört? – Ich sehe ein blutiges Steak vor mir. Oder es kommen mir mittelalterliche Bilder in den Sinn von sexuell aktiven Menschen, die in der Hölle schmoren. Für mich als Vegetarierin ist das erste Bild eher abstossend. Das zweite Bild befremdet mich als modernen Menschen. Ich bin überzeugt, dass verantwortungsbewusste Sexualität zum Menschen dazugehört und nicht verteufelt werden sollte. Aber spricht Paulus von diesen Bildern hier?

Ich glaube, Paulus meint weder das eine noch das andere. Mit Fleisch sind vielmehr die unerlösten Kräfte der Welt gemeint: Egoismus. Sich nur um sich selbst kümmern. Die anderen nicht im Blick haben. Neidisch und missgünstig sein.

Zum Ausdruck Fleisch gehören die Sätze: «Es ist so üblich.»; «Das haben wir schon immer so gemacht.»; «Jeder muss für sich selbst schauen.». Es sind Sätze, die Leben und Handeln ohne Nachdenken fördern. Sätze, die bequem sind für die, die schon immer privilegiert waren.

Wer aus dem Fleisch handelt, meint etwas zu sein, obwohl er nichts ist. Er vergleicht sich mit den anderen und fühlt sich besser als sie. Vielleicht gerade so, wie wenn ein Judenchrist den Heidenchristen die Beschneidung vorschreibt.

Wenn eine aus dem Fleisch lebt, schliesst sie die Augen vor Missständen, die sie selbst nicht persönlich treffen. Und in dem giftigen Klima, das so entsteht, muss der Mensch, der aus dem Fleisch lebt, überleben. Er erntet, was er sät.

Ein neuer geistlicher Lebensstil

Geist. Auch wer aus dem Geist sät, wird ernten. Doch was heisst den eigentlichen Geist? Ist damit ein Gespenst gemeint? Oder meine Vernunft, mein Verstand?

Paulus spricht vom göttlichen Geist. Vom Geist, der ewiges Leben gibt, der Kraft, durch die Gott in unserer Welt wirkt. Wer durch den Geist Gottes lebt, weiss: Vor Gott sind wir alle gleich. Niemand ist wichtiger. Weder der Bäcker noch die Bundesrätin, weder ihr noch ich. Vor Gott sind wir alle gleich, alle gleich wertvoll, alle gewollt, alle geliebt. Das heisst, dass wir uns nicht mit anderen vergleichen müssen. Wer auf Gottes Seite steht, für den, für die, wird gesorgt. Diese Gewissheit gibt uns einen festen Grund. Wir können realistisch auf uns selbst schauen und uns fragen: Was kann ich eigentlich gut? Worauf darf ich stolz sein? – ohne mich mit anderen zu vergleichen. Und wo sind meine Fehler? Welche Lasten muss ich selbst tragen, da ich sie verursacht habe? Kann ich dort Verantwortung für mich selbst übernehmen?

Und wo, darf ich mich in den Dienst von meinen Mitmenschen stellen? Wo ist mein Rat gefragt? Mein Mittragen? Mein geduldiges Aushalten von Schwächen der anderen? Wie kann ich da sein für meine Nächsten?

Wenn ich realistisch auf mich blicke, sehe ich meine Stärken und meine Schwächen. Und wenn ich mir meiner Schwächen und Fehler bewusst bin, fällt es mir leichter, auch das Versagen meiner Mitmenschen zu ertragen.

Geht es euch auch so, dass ihr versucht, den christlichen Glauben zu leben und doch immer wieder daran scheitert? Wie heilsam ist es, wenn wir unsere Lasten gegenseitig tragen. Das Versagen des anderen anteilnehmend, liebevoll ertragen und selbst in unserem Scheitern getragen werden.

Wie schön würde eine Welt aussehen, die nicht von Konkurrenzdenken geleitet wird? Was für eine wunderbare Atmosphäre muss in einer Gemeinde sein, die versucht, sich das Leben gegenseitig leichter zu machen?

Rosch-Ha-Schanah

Inspiration, wie dies gehen könnte, finde ich im Judentum. Während einer bestimmten Zeit im Jahr stehen bei ihnen Vergebung und Versöhnung ganz besonders im Zentrum. Diese Zeit beginnt morgen mit Rosch-Ha-Schanah, dem jüdischen Neujahrstag. Zehn Tage später, an Jom Kippur dem grossen Versöhnungstag, endet sie. In dieser Zeit glauben Juden und Jüdinnen, dass Gott für sie das Geschick des nächsten Jahres festschreibt. Der Klang des Widderhorns, des Schofars, den man überall um jüdische Gemeinden und auf den Strassen hört, erinnert sie daran. Sie nehmen sich Zeit, überdenken das vergangene Jahr und ihre Taten. Viele stehen in diesen Tagen ein für ihre Fehler, vergeben und versöhnen sich. Damit tragen sie bei zu einer liebevolleren Gemeinschaft unter den Menschen und gleichzeitig vertiefen sie ihre Beziehung zu Gott.

Wer für die eigenen Fehler einsteht, sich entschuldigt und vergibt, der wird fürs nächste Jahr ins Buch des Lebens eingeschrieben. Es ist ein Streben danach, sich gegenseitig die Lasten zu tragen, einander das Leben leichter zu machen und in seiner Fülle zu geniessen. Diese Haltung zwischen Rosch-Ha-Schanah und Jom Kippur, diese Haltung, die Paulus der Gemeinde in Galatien wünscht, die möchte ich einüben. Immer mehr. Macht ihr mit? – denn wir sind zur Freiheit berufen!

Amen


Silja Keller, geb. 1990, Pfarrerin der reformierten Kantonalkirche Zürich. Seit 2021 tätig als Pfarrerin in der reformierten Kirche Fehraltorf. Die Predigt wurde gehalten in einem Gottesdienst, in dem der Cevi mit einem Theater zu Paulus und Silas im Gefängnis mitwirkte. Darauf beziehen sich die einleitenden Sätze der Predigt.


Pfrn. Silja Keller

Fehraltorf

E-Mail: silja.keller@kirche-fehraltorf.ch


[1] Der Cevi Schweiz ist Teil der europäischen und weltweiten Cevi-Verbände YMCA und YWCA.

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