Galater 5,25 – 6,10

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Galater 5,25 – 6,10

Frei von und zu | 15. Sonntag nach Trinitatis | Gal 5,25 – 6,10 | Verena Salvisberg |

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus, der sich hingegeben hat um unserer Sünden willen, um uns herauszureissen aus der gegenwärtigen bösen Weltzeit nach dem Willen Gottes, unseres Vaters. (Gal 1, 3f)

Liebe Gemeinde

Anders. Ja, mehr als anders. Regelrecht fremd kommt mir vor, was Paulus hier in diesem Abschnitt im Galaterbrief schreibt, der als Predigttext vorgesehen ist.

Christinnen und Christen, die anders sind, als alles, was ich kenne.

So sind wir, schreibt er allerdings. So seid ihr, liebe Brüder und Schwestern:

Wenn wir im Geist leben, wollen wir uns auch nach dem Geist ausrichten. Lasst uns nicht eitlem Ruhm nachjagen, einander nicht reizen, einander nicht beneiden!

Liebe Brüder und Schwestern: auch wenn jemand bei einem Fehltritt ertappt wird, so sollt ihr, die ihr vom Geist bestimmt seid, den Betreffenden im Geist der Sanftmut zurechtbringen – doch gib acht, dass nicht auch du in Versuchung gerätst!

Tragt einer des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Denn wer meint, etwas zu sein, obwohl er nichts ist, der betrügt sich.

Jeder aber prüfe sein eigenes Werk! Dann wird er nur im Blick auf sich selbst Grund haben, sich zu rühmen – und nicht im Blick auf den anderen, denn jeder wird seine eigene Bürde zu tragen haben. Wer aber im Wort unterrichtet wird, lasse den, der ihn unterrichtet, an allen Gütern teilhaben. Täuscht euch nicht: Gott lässt sich nicht verhöhnen! Denn was der Mensch sät, das wird er auch ernten. Wer auf sein Fleisch sät, wird vom Fleisch Verderben ernten, wer aber auf den Geist sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten. Im Tun des Guten wollen wir nicht müde werden, denn zu gegebener Zeit werden wir ernten, wenn wir nicht ermatten.

Darum lasst uns, solange wir noch Gelegenheit haben, allen Menschen Gutes tun, am meisten aber denen, die mit uns im Glauben verbunden sind.

Fremd ist das. Ja, weltfremd.

Aber ich muss zugeben, es hat auch was. In dieser Fremdheit weht ein Geist der Freiheit. Freiheit, die wir vielleicht nicht kennen als Realität, aber als Gegenstand unserer Sehnsucht wohl schon.

Wie wäre das, befreit zu sein von der Jagd nach Ruhm? Befreit vom Zwang, im Minutentakt nachschauen zu müssen wie viel Beachtung ein Instagram-Post gefunden hat. Befreit vom Ringen um Beachtung und Publikum.

Wie wäre das, wenn wir es nicht nötig hätten, einander zu reizen und zu ärgern? Wieviel Leiden bliebe uns erspart, wenn wir nicht eifersüchtig abchecken müssten, wie gut es der Nachbar hat im Leben.

Wäre das nicht schön, wenn die Fehltritte eines Menschen nicht an die Öffentlichkeit gezerrt würden? Nein, nicht unter den Teppich gekehrt, aber geklärt, entschuldigt und beigelegt unter den Betroffenen! Dies würde uns zugleich von unserer Angst befreien, selber ins Visier der richtenden Öffentlichkeit zur geraten. Oder in einen medialen Shitstorm. Wer ist schon davor gefeit?

Wie wäre das, wenn wir noch wüssten oder gar erleben dürften, was Sanftmut ist.

Wie wäre das, wenn der Kollege, die Kollegin zu mir sagen würde: Lass mal, ich übernehme das? Wenn im Team nicht akribisch gezählt und verrechnet würde, wer wieviel gearbeitet hat?

Und wäre es nicht schön, wenn ich die Grösse hätte, vor meiner Türe zu kehren?

Wäre es nicht schön, wenn wir nicht ermattet und erschöpft wären, sondern uns immer neu Lebenskraft zuwüchse.

Wenn wir voll Liebe auf die Kirche und die dazugehören schauten, auf die Grauen, die wenigen, die im Glauben noch verbundenen?

Wäre das nicht schön? Wäre das nicht attraktiv? Frei zu sein von so vielem, was unser Leben, gerade als Christinnen und Christen, prägt, was uns knechtet und ermattet, erschöpft und deprimiert.

Freilich, man könnte die Worte des Paulus so lesen: Als Befehl, als Gesetz, oder mindestens als dringende Empfehlung: Wenn es euch ernst ist mit dem Christentum, dann hat das moralische und ethische Folgen. Jagt nicht dem eitlen Ruhm nach. Reizt einander nicht! Seid nicht neidisch!

Seid sanftmütig, auch gegenüber denjenigen, die einen Fehler gemacht haben. Nehmt die Lasten des anderen auf euch. Bildet euch nichts ein auf euch, auf das, was ihr macht, oder auf eure Person. Tut Gutes! Und denkt immer daran: Die Folgen von Gutem wie Schlechtem sind manchmal erst später erkennbar.

So kann man das lesen, was Paulus schreibt. Wenn man Christin oder Christ sein will, gibt es einen gewissen moralischen Druck. Und schon wären wir wieder gefangen, geknechtet vom Kampf, ein guter Christ oder eine gute Christin zu sein. Vielleicht auch unterdrückt durch das, was andere denken, was wir sind oder sein sollten.

Ihr seid doch gut gelaufen! Wer hat euch bloss daran gehindert, euch weiterhin von der Wahrheit bestimmen zu lassen?, schreibt der Apostel an einer anderen Stelle in seinem Brief.

Mir fällt dazu ein kleines Beispiel ein: Es gibt Gesellschaftsspiele, die davon leben, dass man den Mitspieler:innen eine Falle stellt oder sie an den Start zurückbefördert. «Du als Pfarrerin! Du darfst nicht so gemein sein!», so jeweils der einhellige Vorwurf der Spielrunde an mich, wenn ich im Spiel ohne falsche Rücksicht täusche und nach Hause schicke und morde, wo es nur geht. Aber der Vorwurf ist nicht berechtigt: Im Spiel muss ich mich nur an die Regeln halten. Sonst nichts. Es gibt keinen moralischen Zwang. Die Regeln machen frei.

Und darum plädiere ich auch dafür, dass wir Paulus anders lesen. Er ist nämlich kein Moralapostel. Ganz unaufgeregt stellt er fest: Wenn wir im Geist leben, wollen wir uns auch am Geist festhalten.

Die Regeln bestimmt der Geist. Und der macht frei. Vor allem frei von sich selbst.

Ach, wäre das nicht schön? Eine Kirche, die nicht ist wie alle andern, sondern fremd, ja vielleicht sogar weltfremd. Eine Gemeinschaft von freien Menschen. Befreit vom Zwang nach Erfolg. Befreit vom Zwang, etwas darzustellen. Frei von Eifersucht und Neid. Frei, Gutes zu tun. Füreinander zu schauen.

Meistens sieht es allerdings anders aus. Kirchen buhlen mit vielen anderen um Aufmerksamkeit. Sie wollen modern sein. Erfolgreich. Gelikt werden. Jedenfalls nicht kleiner werden oder unbedeutend. Trotz grossem Druck und immensem Aufwand will dies nicht so richtig gelingen.

Und darum sehne ich mich danach, dass wir uns befreien lassen.

Denn wäre das nicht schön? Eine Kirche, die nicht ist wie alle andern, sondern fremd, ja vielleicht sogar weltfremd. Eine Gemeinschaft von freien Menschen. Befreit vom Zwang nach Erfolg. Befreit vom Zwang, etwas darzustellen. Frei von Eifersucht und Neid. Frei, Gutes zu tun. Füreinander zu schauen.

Eigentlich kann ich mir nicht vorstellen, dass dies nicht attraktiv wäre. Und mit der Zeit blieben diese Gemeinschaften wohl auch nicht unbeachtet.

Vielleicht so ähnlich wie damals in der Spätantike, als jüdische Gemeinden offensichtlich das Interesse nichtjüdischer Zeitgenossen weckten, der so genannten εὐσεβής, Gottesfürchtigen. Sie waren vom Lebenswandel der Jüdinnen und Juden beeindruckt oder fanden ihr Glaubensleben attraktiv. Waren es deren Ausstrahlung, die Exotik oder die Ethik, die bei den Mitbürgern auf Resonanz stiess? Nicht wenige der Gottesfürchtigen traten zum Judentum über. Und das ohne, dass man sich aktiv um sie bemühte. Anziehend war wohl, dass diese glaubende Gemeinschaft einfach sich selbst war, frei von Anbiederung und Anpassung.

Der Ort, wo diese Freiheit erinnert und eingeübt werden wird, ist die christliche Kirche.

Ihre Ausdauer, ihre Beständigkeit und Gelassenheit sprechen für sich. Und dass sie sich immer wieder befreien lässt von sich selbst und zueinander.

Eine solche Kirche spräche mich an. Und Sie?

Amen


Pfrn. Verena Salvisberg

Merligen

verenasalvisberg@bluewin.ch


Verena Salvisberg Lantsch, geb. 1965, Regionalpfarrerin seit 1. August 2022, vorher Gemeindepfarrerin in Laufenburg und Frick und Roggwil

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