Genesis 1, 27-31

Genesis 1, 27-31

 

Ist
der Mensch nur so viel wert, wie er verdient?

Predigt über Genesis 1, 27-31, von Richard Engelhardt

Gott schuf den

Menschen zu seinem Bilde,
zum Bilde Gottes schuf er ihn;
und er schuf sie als Mann und Frau.
Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen:
Seid fruchtbar und mehret euch
und füllt die Erde
und macht sie euch untertan
und herrscht über die Fische im Meer
und über die Vögel unter dem Himmel
und über das Vieh und über alles Getier,
das auf Erden kriecht.
Und Gott sprach:
Seht da,
ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen tragen,
auf der ganzen Erde,
und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen,
zu eurer Speise.
Aber allen Tieren auf der Erde
und allen Vögeln unter dem Himmel
und allem Getier, das auf Erden lebt,
habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben.
Und es geschah so.
Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte,
und siehe, es war sehr gut.
Und es ward Abend und es ward Morgen:
Der sechste Tag.
(Genesis 1, 27-31)

 

Liebe Gemeinde!

Das war ein grauer
Tag Ende November. Die ersten Schneeflocken wirbelten auf die Strasse.
Krieg war. Wir Kinder spielten vor dem Haus in unserer mecklenburgischen
Kleinstadt und versuchten, mit diesem ersten Schnee etwas anzufangen.
Da kam auf der Fahrbahn eine Gruppe von Menschen, Frauen und Kinder,
bewacht von Uniformierten mit Gewehren im Arm. Und sie waren barfuss.
Barfuss bei dieser Kälte auf dem Kopfsteinpflaster. Niemand von
ihnen sagte ein Wort. Ein Mädchen, vielleicht in unserem Alter,
sah uns mit grossen Augen an. Das ist jetzt sechzig Jahre her, aber
diese Augen haben mich bis heute begleitet. Augen ohne Tränen,
ohne Erkennen – Augen eines geschundenen Menschen.

Gott schuf den
Menschen zu seinem Bilde.

Immer wieder haben
sich diese Bilder in mein Gedächtnis eingebrannt: Die Bagger, mit
denen in Bergen-Belsen die toten Körper in Gruben geschaufelt wurden.
Das verbrannte Mädchen, das auf einer Strasse in Vietnam verzweifelt
nach Hilfe schreit. Der Junge, der auf einer Kreuzung in Gaza hinter
seinem Vater Schutz sucht und erschossen wird. Das kleine Kind, das
von seinem Mörder im Wald verscharrt wurde.

Gott schuf den
Menschen zu seinem Bilde.

Gewiss, da sind
auch die Bilder der Mörder. Nur – sie sind mir nicht eingeprägt,
auch nicht vergessen, nein, aber miteinander vermischt. Sie haben kein
eigenes Gesicht in meinen Erinnerungen. Aber sie sind ja da. Sie haben
gequält, geschunden, ermordet. Und wenn es mir noch so qualvoll
ist: Das Glaubenszeugnis derer, die dieses erste Kapitel des Buches
Genesis aufgeschrieben haben, lässt keine Ausnahme zu. Auch die
Mörder sind Menschen, Geschöpfe Gottes.

Gott schuf den
Menschen zu seinem Bilde.

Es war eine schwere
Zeit für das Volk Israel, als diese Sätze gedacht und aufgeschrieben
wurden. Zwar gab es das Gesetz, nach dem das Leben geordnet werden konnte,
aber den Tempel gab es nicht mehr. Opfer und Anbetung am heiligen Ort
waren nicht mehr möglich. Vielen Menschen kam es so vor, als hätten
sich die Götter der Völker ringsum als mächtiger über
den Gott Israels, den Gott der Väter erwiesen. Der Glaube, der
vorher im Tempelkult seinen Ausdruck fand, musste nun zur Sprache kommen.
So machten sich denn fromme Menschen, Priester wohl, daran aufzuschreiben,
wie Gott sich in seinem Wirken zeigt. Und so, wie sie sich selbst als
Geschöpfe Gottes erlebten, gestanden sie diese Ehre, nach Gottes
Bild geschaffen zu sein, allen Menschen zu.

Gott schuf den
Menschen zu seinem Bilde,
zum Bilde Gottes schuf er ihn;
und schuf sie als Mann und Frau.

Kein Unterschied
wird gemacht. Mann und Frau stellen in gleicher Weise das Bild Gottes
dar. Und gute und böse Menschen ebenso. Der Erfolgreiche ist Bild
Gottes und der Gescheiterte. Das Kind in den Slums von Manila und der
Spekulant an der Wall Street. Der Mensch ist nicht, was er darstellt
in einer Welt, in der Reichtum und Erfolg zählen und den Mördern
die Denkmäler gesetzt werden. Auch nicht nur der ist wahrer Mensch,
der für die Gerechtigkeit oder ein anderes Ideal kämpft.

Gott schuf den
Menschen zu seinem Bilde.

Es gibt kein minderwertiges
Bild, kein Zerrbild, kein Gegenbild Gottes. Die Menschheit in aller
Vielfältigkeit ist Abbild Gottes auf dieser Erde. Dieses Selbstverständnis,
Geschöpf Gottes zu sein, lässt keinen Raum für Unterschiede
der Geschlechter, der Hautfarbe, der Sprache. Es gibt auch keinen Dämon,
der als Gegengott diese gute Ordnung Gottes durch seine Geschöpfe
stören könnte. Es gibt keine besseren Menschen, die ein Herrscheramt
ausüben könnten, und keine schlechteren, die Sklavendienste
zu verrichten hätten.

Und alle diese
Menschen sind gesegnete. Sie können die Erde bewohnen. Sie können
die Erde gestalten. Sie haben der anderen guten Kreatur, den Fischen
und Vögeln und allem anderen Getier voraus, dass sie zum Bilde
Gottes geworden sind, Abbild seiner Macht und Grösse. Und dem Segen
Gottes folgt der Auftrag: Töten, Vernichten soll nicht sein. Pflanzen
und Früchte sollen ihre lebenserhaltende Speise sein. Blut soll
nicht fliessen. Weder den Menschen noch den Tieren wird zugestanden,
Blut zu vergiessen, von Gott geschaffenes Leben zu zerstören. Töten
beschädigt diese gute Schöpfung Gottes, auch wenn es zum Lebensunterhalt
scheinbar notwendig ist. Gottes Schöpfung ist Leben in seiner Fülle.
„Im Tode gedenkt man Deiner nicht,“ klagt der Psalmsänger,
„wer wird Dir bei den Toten danken?“

Und Gott sah an
alles, was er gemacht hatte,
und siehe, es war sehr gut.

Die Schöpfung
ist gut. Sie ist geordnet und schafft in der guten Ordnung Lebensraum
für alle Kreatur. Der Mensch als Bild Gottes in der Schöpfung
ist sehr gut. Das ist das Glaubensbekenntnis jener frommen Männer,
die dieses Kapitel aufgeschrieben haben und jener, die es an den Anfang
aller Berichte über die Geschichte der Menschen vor Gott und der
Geschichte Gottes mit den Menschen setzten.

Natürlich
wussten die Autoren dieses ersten Kapitels der Bibel und diejenigen,
die dieses Bekenntnis an den Anfang ihres heiligen Buches von Gott und
den Menschen setzten, auch von Leid und Schuld. Unvermittelt nehmen
sie nach diesem Bekenntnis des Schöpfergottes, der eine gute Ordnung
auf die Erde gibt, die andere Tradition auf, die vom Sündenfall
berichtet, von Mord und Totschlag, von Verrat und Zerstörung der
guten Ordnung Gottes. Und trotzdem bleibt dieses erste Kapitel der Bibel
bestehen. Ein Idealbild, eine Utopie, eine Wunschvorstellung? Vielleicht
das alles auch, aber doch zuerst ein unerschütterlicher Glaube
an Gott und seine gute Ordnung. Daran, dass es nach Gottes Willen nicht
sein soll, wie es auf der Erde zugeht.

Die Frage liegt
nahe, warum denn aber Gott dem Menschen nicht zugleich mit der Schöpfung
Grenzen gesetzt hat. Er schuf ihn zu seinem Bilde. Er segnete ihn. Er
sah sein Werk und es war sehr gut. Warum hindert er nicht, dass der
Mensch das Bild Gottes seines Schöpfers verdunkelt? Warum hindert
er nicht, dass der Mensch seinen Segen missachtet? Warum hindert er
nicht, dass der Mensch das „Sehr gut“ brutal pervertiert?
Die Priester, die ihrer Bekenntnis zu Gott in einem -wie wir annehmen
dürfen – langen und mühsamen Prozess aufschrieben, diese Priester
waren zweifelsohne auch Realisten und kannten ihre Welt. Sie kannten
die selbstsichere Brutalität in den Gesichtern der Peiniger und
die hoffnungslose Trauer derer, die geschunden wurden. Aber die Frage
nach dem Warum des Elends auf der Welt ist für sie keine Frage
des Glaubens, sondern der Erkenntnis, dass die Menschen die gute Ordnung
Gottes einfach nicht begreifen. Sie pervertieren die Macht, die Gott
ihnen gab. Sie wollen – wie es wenig später in einer anderen Überlieferung
heisst – „sein wie Gott“. Und trotz aller schlechten Erfahrungen,
die sie damit machen, bleiben die Menschen dabei, die gute Ordnung Gottes
für ihre jeweiligen und zumeist kurzfristigen Vorstellungen von
eigener Ordnung zu stören und damit zu zerstören. Leid und
Elend bis zum grausamsten Mord sind die Folgen.

Das Volk Israel,
das sich mit Gott im Bunde weiss, hat diesen unheilvollen menschlichen
Weg immer wieder zu korrigieren versucht. Immer wieder hat es auf dem
göttlichen Gesetz bestanden und dieses Gesetz gegen alle Widerstände
einzuhalten versucht. „Wenn an einem einzigen Tag alle Menschen
die Ordnung Gottes, die Thora, einhalten würden, wäre die
Erlösung gekommen,“ so wird es als Gedankengang jüdischer
Frömmigkeit überliefert.

Jahrhunderte später
nach diesem Bekenntnis von der guten Schöpfung Gottes und nach
unendlich vielen Erfahrungen mit Menschenleid und Menschenschuld, nach
einer Geschichte, die als immer neue Zusage und Zuwendung Gottes an
seine Menschen und immer wieder neuem Verrat an Gott verstanden wird,
hören die Menschen eine neue Antwort.

Der Apostel Paulus
schreibt sie in seinem Brief an die Gemeinde in Rom so: Ich bin gewiss,
dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Herrscher noch Gewalten,
weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes
noch keine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die
in Christus Jesus ist, unserem Herrn.

Diesen Jesus Christus
glauben wir, die wir uns nach ihm Christen nennen, als den neuen Adam.
Durch ihn fällt auf das Bekenntnis zur guten Schöpfung Gottes
ein neues Licht. Gottes Schöpfung kann als Ausdruck seiner Liebe
erkannt werden. Wir Menschen erkennen uns als Kinder Gottes, als seine
geliebten Kinder. Damit beginnt die neue Schöpfung. Wir bekennen,
dass Gott uns in Jesus Christus das endgültige Zeichen seiner Liebe
gegeben hat. Der Theologe Jürgen Moltmann kann von diesem Ansatz
her sagen: „Das Christentum lebt davon, dass verborgen in der Gestalt
des Gekreuzigten das Reich des Menschensohns schon angebrochen ist und
man heute schon aus seinen neuen Möglichkeiten heraus anders leben
kann. Im Weg und Geschick Jesu Christi liegt für den Glauben die
Vorwegnahme, oder besser: die Vorgabe des kommenden Reiches der menschlichen
Menschen mitten in den Weltreichen.“

Und Jochen Klepper
sagt es in einem seiner Weihnachtslieder so:

„Noch manche
Nacht wird fallen
auf Menschenleid- und schuld.
Doch wandert nun mit allen
der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte,
hält euch kein Dunkel mehr.
Von Gottes Angesichte
kam euch die Rettung her.“

Amen.

Pastor i.R Richard
Engelhardt
19055 Schwerin
August-Bebel-Str.18A
Tel.: 0385-5815432
Fax : 0385-5815431

 

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