Epheser 4, 1-6

Epheser 4, 1-6

 

Göttinger

Predigten im Internet

hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


17. Sonntag nach Trinitatis,
22. September 2002
Predigt über Epheser 4, 1-6, verfaßt von Hinrich Buß

So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, daß ihr
der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid,
in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe
und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band
des Friedens:
ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer
Berufung;
ein Herr, ein Glaube, eine Taufe;
ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und
in allen.

Liebe Gemeinde,

ermahnen will der Apostel seine Leser, nachdem er bereits drei Kapitel
seines Briefes nieder geschrieben hat. Doch er kommt nicht weit damit.
Er hat gerade die mahnende Stimme erhoben, da unterbricht er sich selbst
und wendet sich einem Thema zu, welches ihn vor allem anderen beschäftigt
und umtreibt. Er läßt einstweilen das Auffordern sein und beschreibt
statt dessen, was die Kirche ist, ja er malt es vor Augen, nämlich:
„ein Leib, ein Geist, eine Hoffnung“. Er mahnt nicht, sondern
stellt fest, was Inhalt des Glaubens ist, nämlich „ein Herr,
ein Glaube, eine Taufe“ und „ein Gott und Vater aller, der da
ist über allen und durch alle und in allen.“

In der Tat, von solchen Formulierungen geht Faszination aus. Da sind
Menschen aus vieler Herren und Frauen Länder zusammen geströmt
– Ephesus war dazumal ein Schmelztiegel vieler Völker, Religionen
und Gebräuche – und sie alle sind nun geeint in einer Kirche und
einem Glauben. Unvorstellbar und doch wahr! Dies haben nicht Menschen
geschafft, es war der Kyrios selbst, der dies Werk vollbracht hat. Er,
Christus, hat den trennenden Zaun abgerissen und Menschen zusammen gebracht.
Oder mit Worten aus dem 2. Kapitel: „Er ist gekommen und hat im Evangelium
Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die
nahe waren.“ Jesus, der Friedensbringer.

„Ein Leib, ein Geist, eine Hoffnung“ – dies ist eingängig
in Worte gesetzt und die anderen Formulierungen auch. Man kann sie gut
behalten und leicht nachsprechen. Es gab in griechischen Volksversammlungen
die Sitte, daß einzelne Teilnehmer mit lauter Stimme Parolen ausriefen,
welche die gemeinte Sache auf den Punkt brachten. Der Redner griff sie
auf, die Volksmenge sprach sie nach. So flogen die Worte hin und her,
es war eine putzmuntere Versammlung, die da ablief. Man darf annehmen,
daß die Gemeinde in Ephesus diesen Brauch übernommen hat. .

Und warum tun wir das nicht?
„Eine Leib, ein Geist, eine Hoffnung“ – ich bitte Sie, diese
Zeile nachzusprechen, nicht zaghaft, vielmehr putzmunter: – …
Und nun die andere auch:
„Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“ – ….
Und weiter: – ….
„Ein Gott und Vater aller“ – …
„der da ist über allen und durch alle und in allen.“

Kirche und Glaube auf den Punkt gebracht. Oder genauer: In drei Dreierreihen
formuliert. Was auffällt ist das sich wiederholende Wort „ein“.
Um Einheit und Einigkeit geht es. Um sie dreht sich alles. Ist unsere
Kirche tatsächlich so? Und glauben bei uns alle dasselbe? Ich sehe
Sie schon den Kopf schütteln. So viele Köpfe, so viele Sinne.
Der Apostel fällt sich selbst ins Wort, in das ermahnende. Um deutlich
zu machen: Wir können die Einheit der Kirche und des Glaubens nicht
herstellen. Wir können sie aber in den Raum stellen, indem wir sie
laut aussprechen. Wir können sie uns gegenseitig zurufen. Sie gilt,
bei Gott im Himmel und darum auch bei uns auf Erden. Wie das Amen in der
Kirche. Was besagt: So ist es.

Nachdem dies klar gestellt ist, hat auch die Ermahnung ihren Platz. Nun
sind wir gefordert. Die zentrale Aufforderung lautet: „Seid darauf
bedacht zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens.“
Sie kommt zu stehen ausgerechnet zwischen dem 11. September und dem 22.,
dem ersten Jahrestag des Terrorangriffs auf die Doppeltürme in New
York und dem Wahlsonntag. Zwischen dem mutwilligen Auslöschen von
Menschenleben und dem Eindreschen auf den politischen Gegner. Als von
Gott Angesprochene, Angerufene, Berufene sind wir aufgefordert. Bemüht
euch darum, daß ihr euch der Berufung – und das heißt auch
eurem Beruf – würdig erweist. Paßt das eine mit dem anderen
zusammen?

„Ertragt einer den anderen in Liebe“, heißt die schlichte
Umsetzung der Aufforderung. Sie klingt harmlos, prosaisch und trägt
den Mief des Kleinkarierten an sich. Wie soll damit Frieden, dieser edle
Zustand, je erreicht werden? Das Alltägliche dieser Aufforderung
ist ihre Stärke. Sie betrifft jede und jeden. Wenn Frieden nicht
im eigenen Haus, wie soll er dann auf dem Globus erreicht werden? Lassen
Sie uns also der Ermahnung näher treten.

1.
Jeder von uns kennt mindestens einen Menschen, dem er oder sie nicht begegnen
möchte. Wenn es doch geschieht, wechselt man besser auf die andere
Straßenseite. Das klingt nicht edel und schon gar nicht christlich,
jedenfalls nicht auf den ersten Blick, ist aber durchaus angemessen. „Nur
keinen Streit vermeiden“ ist eine Parole, die nur begrenzte Gültigkeit
hat. Es gibt eben auch Streithanseln, die keiner Auseinandersetzung aus
dem Wege gehen, dabei anderen Wunden zufügen und selbst Schrammen
auf der Haut und mehr noch an der Seele davontragen. Ein Wort gibt das
andere, und Worte können tiefer und dauerhafter verletzen als Schläge.
Wobei Schläge aus anderen Gründen zu vermeiden sind, sie treffen
die Würde.

Sich aus dem Wege zu gehen, empfiehlt sich auch, wenn man gern laute
Musik hört oder macht. Es können dadurch ausgewachsene Familientragödien
entstehen. Wände zittern und Nerven flattern. Ich habe vor einiger
Zeit ein Jugendheim kennengelernt mit Namen „Klex“, das in Bodenwerder
an der Weser steht und zwar allein und das in den Kellerräumen dicke
Wände hat. Sie sind ein Segen. Junge Leute können auf die Pauke
hauen und die Musikbox aufdrehen, es stört keinen und erfreut die
Krachmacher. Was bedeutet: Man muß nicht alles zusammen machen,
getrennte Wege zu gehen ist eine gescheite Art und Weise sich gegenseitig
zu ertragen.

2.
Diese Einsicht leitet über zu einer Empfehlung, die es in sich hat.
Sie lautet: „Versuche nicht andere dir gleich zu machen.“ So
weit so plausibel. Es folgt die Begründung: „Einer von deiner
Sorte genügt.“ Wer sie zum erstenmal hört, muß schlucken.
Sie klingt wie Kritik: Mehrere von deiner Sorte wären nicht zu ertragen.
Das könnte in der Tat so sein. Doch gemeint ist der Nachsatz als
Kompliment: Du bist einzigartig. Man kann auch sagen: Du bist ein Ebenbild
Gottes, von ihm so gewollt und bejaht. Das höchste Prädikat,
das einem Menschen zugesprochen werden kann. Mit Gott verglichen zu werden,
nimmt dem Menschen nichts von seinem Wert, verleiht ihm vielmehr Würde;
es nimmt ihm auch nichts von seiner Selbstbestimmung. Im Gegenteil: Wir
sind von ihm zur Freiheit befreit.

Wenn nun aber ein Mensch einen anderen sich gleich machen oder nach seinen
Wünschen gestalten will, durch Erziehung oder – irreversibler noch
– durch Eingriffe in die Erbanlagen, dann greift er ein in die Freiheit
eines Menschen. „Einer von deiner Sorte genügt“ ist so
gesehen eine weise Einsicht. Der auf diesen Unterschied von Ebenbild Gottes
und Gleichmacherei durch Menschen hingewiesen hat, ist der Philosoph Jürgen
Habermas, übrigens aus Anlaß des 11. September 2001. Vor diesem
Hintergrund bekommt der schlichte Satz „Ertraget einer den andern“
eine zusätzliche Bedeutung. Wenn denn Gleichmachenwollen die Selbstbestimmung
einschränkt oder gar zerstört, so ermöglicht das Ertragen
des anderen Freiheit.

3.
Das Ertragen kann eine noch weiter reichende Bedeutung annehmen, im Sinne
von „Einer trage des andern Last“. Damit bin ich beim 11. September.
Als das erste Flugzeug sich in den Nordturm des Welthandelszentrums gebohrt
hatte und der Turm noch eine Weile stand, aber bereits brannte, stürzten
viele der in oberen Stockwerken arbeitenden Menschen die Treppe hinunter,
die Lifte funktionierten nicht mehr. Sie kamen bis zum 78. Stock, dort
war das Flugzeug eingeschlagen, dort brannte es lichterloh. Sie hätten
keine Chance mehr gehabt, wenn nicht ein Mann, einer von den dort Tätigen,
einen griffbereiten Schlauch genommen, ihn an einen Wasserhahn angeschlossen
und dergestalt das Feuer für einen Augenblick in Schach gehalten
hätte. So konnten die aus den oberen Stockwerken Kommenden weiter
hinunter steigen Sie waren gerettet. Einer von ihnen berichtete im Fernsehen,
daß dieser Helfer lange ausgeharrt habe und vermutlich bei seiner
Rettungstat selbst verbrannt sei. Wo die einen, die Attentäter, den
Tod brachten, ermöglichte ein anderer das Weiterleben. Auf seine
eigenen Kosten. „Einer trage des andern Last“, Paulus nennt
es das Gesetz Christi. Ja, dies ist seine Art. Erschrocken steht man da
vor und zugleich bewundernd.

4.
Nicht das Zerstören, sondern das Aufbauen; nicht der Terror, sondern
das Heilen; nicht der Krieg, sondern der Frieden ist den Christen, Frauen
wie Männern, ins Stammbuch geschrieben und eben auch auf den Leib,
insofern die Kirche der Leib Christi ist. „In der Zielrichtung christlicher
Ethik liegt nur der Frieden, nicht der Krieg“ hat die Evangelische
Kirche in Deutschland schon 1982 erklärt. Ich weiß wohl, seit
dem tausendfachen Morden in Srebenica und dem Niedermachen und Niederbrennen
im Kosovo, daß es Situationen gibt, in denen der Frieden nur eine
Chance hat, wenn zuvor den Mördern das Handwerk mit Gewalt gelegt
worden ist. Gleichwohl gibt es keinen „gerechten Krieg“. Vielmehr
dient der „Leitbegriff des gerechten Friedens…als Wegweiser für
alle künftigen Schritte auf dem Weg des Friedens.“ Dies ist
nicht nur innerkirchlich gedacht, sondern gilt auch, ja vor allem für
politisch Verantwortliche. „Die Einigkeit im Geist durch das Band
des Friedens zu wahren“, davon ist nichts abzumarkten.

5.
Ein Letztes: „Friede sei mit euch“ ist der gleichlautende Gruß
aller drei monotheistischen Religionen, des Judentums, des Christentums
und des Islam. Der Frieden ist ihnen in die Wiege gelegt. Dies gilt zumal
für unsere Religion: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede
auf Erden“ gehen Hand in Hand, sie sind bei der Geburt Jesu verkündet
worden. Gott setzt seine Ehre darein, daß Friede auf Erden sich
durchsetze.

Was viele bei dem Anschlag in Manhattan über die Maßen erschreckt
hat, ist, daß religiöse Überzeugung und kriegerische Tat
Hand in Hand gegangen sind. Daß der Glaube an ein Jenseits und der
Terror im Diesseits ein Bündnis geschlossen haben. Daß das
Unbedingte und das Ungeheuerliche gemeinsam aufgetreten sind. Dem ist
entschlossen entgegen zu treten: Kein Vorgang verdient es, verabsolutiert
und in den Rang des Göttlichen gehoben zu werden. Kein weltliches
Ziel ist es wert, mit dem Etikett „heilig“ versehen zu werden.
Es gibt keinen Krieg, der zu heiligen wäre.

Der Friede ist uns auf den Leib geschrieben. Gott ist freilich zugleich
„der Vater aller“ Menschen, wie im Epheserbrief geschrieben
steht. Da ist es nur konsequent, daß ein Band des Friedens auch
zwischen den Religionen entsteht und sie für ihn gemeinsam Verantwortung
übernehmen. Friede zwischen und in den Religionen – ein Segen für
die Menschheit wäre er.

Daß dieser eine Gott „über allen und durch alle und in
allen“ waltet, Menschen und Völkern und Religionen, ist eine
beflügelnde Verheißung. Großer Gott, erneuere die Gestalt
der Erde und mache deine Kirche neu und fange bei mir an.

Amen

Dr. Hinrich Buß
Landessuperintendent i. R. in Göttingen
E-Mail via: lasup.goettingen@evlka.de

 

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