Genesis 12, 1-4

Genesis 12, 1-4

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

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5. Sonntag nach Trinitatis
23.7.2000
1. Mose 12,1-4

Karsten Matthis


Liebe Gemeinde,

der Sommerurlaub zieht alle in seinen Bann: In den meisten
Bundesländern haben die großen Schulferien bereits begonnen. Die
ersten Ansichtspostkarten sind schon in unsere Briefkästen geflattert. Die
Strassen auf dem Weg zur Arbeit sind nicht so überfüllt. Das
Parkplatzangebot in den Innenstädten ist mehr als ausreichend. Die
Nahverkehrszüge sind ohne Schüler nur schwach besetzt –
überall herrscht Ferienstimmung. Wie jedes Jahr sind Tausende Deutsche in
die großen Ferien aufgebrochen, um die schönsten Tage im Jahr am
Strand oder in den Bergen zu genießen. Erholung suchen die Urlauber auf
allen Kontinenten. Viele hält es nicht in Europa, sondern sie fliegen
ferne exotische Ziele in Asien oder Lateinamerika an. Bei vielen
Bundesbürgern ist ein regelrechtes Fernweh zu verspüren. Unser
Aufbruch in den Urlaub ist auch die Flucht vor dem Alltagstrott. Wir wollen
einmal im Jahr den Zwängen und Abhängigkeiten des „grauen“
Berufsalltags entfliehen. Abschalten heißt die Devise, um auf andere
Gedanken kommen.

In unserem heutigen Predigttext bricht ebenfalls ein Mann auf. Ihn
treibt aber kein „Wunsch nach Luftveränderung“ oder ein Fernweh.
Nicht freiwillig, nicht geplant und ganz unvorbereitet fordert Gott ihn auf,
seine bisherige Heimat zu verlassen und sich auf eine gefährliche Reise in
ein unbekanntes Land zu begeben.

Textlesung: 1. Mose 12, 1-4a

Abraham bricht ohne Murren und ohne erkennbaren Widerstand mit
seiner kleinen Familie ins völlig Ungewisse auf. Gott reißt Abraham
ganz plötzlich aus allen Lebensbezügen heraus. Abraham, in Ur am
unteren Euphrat geboren, war nach biblischer Überlieferung bereits 75
Jahre alt. Trotz seines hohen Alters war er aber offensichtlich rüstig und
furchtlos. Für einen Menschen seiner Zeit im 15. Jahrhundert vor Christus
gehörte ein ungeheurer Mut dazu, sich aufzumachen und seine angestammte
Heimat zu verlassen. Gemeinsam mit seinem Neffen Lot hatte er sich mit
Viehherden einen bescheidenen Wohlstand erarbeitet. Nun soll er alles aufs
Spiel setzen? Doch Abraham vertraut Gott: Er zögert nicht eine Sekunde
aufzubrechen und alles hinter sich zu lassen. Voll und ganz lässt er sich
auf Gottes Wort ein. „Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er
berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus und
wusste nicht, wo er hinkäme
“ treffender als es der
Hebräerbrief (11,8) sagt, kann der Ruf Gottes an Abraham nicht beschrieben
werden.

Abrahams Glaubensmut hat in der Geschichte des Judentums und der
Christenheit große Bewunderung erfahren. Zeugnis davon gibt uns der Text
des Pfingstliedes von Philipp Spitta „Geist des Glaubens, Geist der
Stärke….“ „ Gib uns Abrahams gewisse, feste
Glaubenszuversicht, die durch alle Hindernisse, alle Zweifel siegend bricht;
die nicht bloß dem Gnadenbunde trauet froh und unbewegt, auch das Liebste
jede Stunde Gott zu Füßen niederlegt.“
(eg 137, 3). Der
Stammvater Israels ist die einzige Gestalt des Alten Testaments, die jede
wichtige Prüfung besteht und bis zum Ende seines Lebens ein makelloses
Leben im Gehorsam vor Gott führt. Dennoch gesegnet wird Abraham nicht
für seine Frömmigkeit und Lebensleistung, sondern aus freier Gnade
erwählt ihn Gott.

Gott mutete Abraham zwar viel zu, aber der Ruf Gottes in ein
unbekanntes Land ist verbunden mit einer großen Segensverheißung:
„Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen
und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.“
(12,2)
Abraham erhält den Segen nicht unmittelbar an Ort und Stelle,
sondern dieser wird in Aussicht gestellt. Fruchtbarkeit und Ansehen werden erst
in der Zukunft in einem unbekannten Land Wirklichkeit.

Gottes große Verheißung beschränkt sich aber
nicht nur auf Israel, es werden alle Völker der Erde, „alle
Geschlechter“, in den Blick genommen. Die Menschheitsgeschichte wird nach
der Vertreibung aus dem Paradies, der Sintflut und dem Turmbau zu Babel
fortgeschrieben. Gott unternimmt wiederholt einen Neuanfang. Mit Abraham hat
Gott ein neues Kapitel in der Menschheitsgeschichte aufgeschlagen: Stammvater
Abraham wird zum Segensvermittler, dies ist seine Bestimmung im Heilsplan
Gottes. Warum aber gerade Abraham und gerade Israel zur Quelle des Heils
werden, wird in der Erzählung nicht begründet. Das Volk Israel wird
nicht aufgrund seiner historischen und kulturellen Leistung erwählt ,
sondern weil es der freie Wille Gottes ist. So heißt es im 5. Buch Moses:
„Nicht hat euch der Herr angenommen und erwählt, weil ihr
größer wäret als alle Völker – denn du bist das
kleinste unter allen Völkern – , sondern weil er euch geliebt hat.“
(5. Mose 7,7f).
Gottes Liebe ist der alleinige Maßstab. Jahwe hat
Israel nicht berufen, um ihm Herrschaft über die Völker zu verleihen,
sondern um den Völkern durch Israel Segen zukommen zu lassen. Durch Israel
erfahren die anderen Völker von der großen Gnade und Güte
Gottes.

In der Tradition dieser universalen Heilsgeschichte Israels steht
Jesus von Nazareth, als er zu der Samariterin sagte: „…. wir wissen
aber, was wir anbeten, denn das Heil
kommt von den Juden“ (Joh.
4, 22). Jesus richtet das Evangelium auch an die Menschen, die nicht als
vollwertige Israeliten anerkannt und von den Frommen gemieden wurden. Die
Verkündigung richtet sich an alle Völker (Mt. 28,19), niemand und
kein Volk hat einen Exklusivanspruch am Evangelium. Dass Jesus aber auch Jude
war und in jüdischer Glaubenstradition aufwuchs, dies haben Christentum
und Kirchen über Jahrhunderte vergessen, ignoriert und sogar geleugnet.
Fälschlicherweise wurde versucht, dass Christentum vom Judentum
abzutrennen. Dass der Antisemitismus unter den Nazis zum Holocaust führte,
hat den Dialog mit dem Judentum für Christen aller Konfessionen im
Nachkriegsdeutschland besonders schwierig gestaltet. Wir dürfen angesichts
der schrecklichen Verbrechen an Juden in der jüngsten deutschen Geschichte
dankbar dafür sein, dass es heute wieder wachsende jüdische Gemeinden
gibt, und diese unser geistiges und kulturelles Leben in Deutschland
bereichern. Dankbar dürfen wir auch dafür sein, dass die Bereitschaft
von jüdischer Seite zu einem vorurteilsfreien Gespräch besteht und im
Geist der Versöhnung geführt wird. Der fruchtbare Dialog mit dem
Judentum, der durch die christlich-jüdischen Vereinigungen getragen und
durch Erklärungen der EKD und Landeskirchen gefördert wird, gibt
Anlass zur Hoffnung, dass das Verständnis zwischen Juden und Christen in
unserem Land weiter wachsen wird.

Unterschiede in theologischen Fragen werden aber bleiben. Christen
glauben daran, dass in Jesus Christus Gottes Heils- und Segensgeschichte eine
entscheidende Wende erfahren hat. Mit Schmerzen müssen wir bekennen, dass
uns mit dem Judentum die alttestamentliche Überlieferung und der Glaube an
den einen Gott eint, aber der Glaube an den auferstandenen Herrn trennt. In der
Erzählung von Jesus und der Samariterin beruft sich Jesus auf die
jüdischen Traditionen, aber bekennt sich als der Messias. Unterschiedliche
Glaubensauffassungen können nicht in Kompromissformeln aufgelöst
werden, oder im Gespräch einfach beiseite geschoben werden. Dennoch: Juden
und Christen stehen gemeinsam unter dem Segen Gottes. In die Heilsgeschichte
Israels ist unser Weg mit Gott eingebettet. Wir dürfen auf die
großen Segensverheißungen Gottes vertrauen.

Die Abrahamerzählung vergegenwärtigt, dass Gott zu uns
spricht und uns neue Wege aufzeigen will. Abraham bricht zu Gott auf, sein
Glaubens- und Lebensmut ist bewundernswert. Abraham, der Weltenwanderer wurde
so zum Urbild des wandernden Gottesvolkes, welches vom Segen Gottes
lebt. Lassen wir uns von der Aufbruchstimmung, die in dem alttestamentlichen
Text liegt, anstecken? Oder gehen wir weiterhin kleinmütig unsere
gewohnten Trampelpfade, statt neuen Wegen zu vertrauen? Von alltäglichen
Sorgen angefressen, gehen wir zögerlich durch das Leben. Es fehlt uns die
innere Kraft aufzubrechen, Dinge in unserem Leben zu verändern, um
Brücken zum Nächsten zu schlagen. In Jesus Christus hat Gott die Hand
zu den Menschen ausgestreckt. Wir sind zur Nachfolge berufen, gehalten zu ihm
aufzubrechen.

„Vertraut den neuen Wegen.“ (eg 395, 1-3)
heißt ein Lied in unserem Gesangbuch mit einem Text von Peter Hertzsch,
welchen der Jenaer Theologieprofessor 1989 schrieb. Das Lied zu der alten
Melodie von „Lob Gott getrost mit Singen“ drückt die
Freude am Aufbruch zu Gott aus. So heißt es in der 2. Strophe:
„Gott will das ihr ein Segen für seine Erde seid
Unser Aufbruch zu Gott und zum Nächsten steht unter der großen
Segensverheißung, mit Christus jeden Tag neu aufbrechen zu können
und neu zu beginnen. Wir sind Erben des Segen Gottes (1. Petr. 3,9), dies gibt
uns Kraft aufzubrechen. Gott will mit uns – wie einst mit Abraham
geschehen – aufbrechen und einen Neuanfang machen.

Amen

Literaturhinweise:

Dietmar Mathias, 5. Sonntag nach Trinitatis, Gen. 12, 1-4a
in
Die Zeichen der Zeit/ Lutherische Monatshefte: Predigthilfen, 4. Ausgabe 1999/
2000 P63/ 64

Christian Schwindt, 5. Sonntag nach Trinitatis, Gen. 12,1-4a

in Deutsches Pfarrerblatt, Heft 6/ 2000

Dipl. Theol. Karsten Matthis, Predigthelfer
Hochheimer Weg
11a
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