Genesis 16,1-16

Genesis 16,1-16

Der Lebendige wird uns nicht im Stich lassen! | Misericordias Domini | 14.04.24 | 1. Mose 16, 1-16 | Winfried Klotz |

Sarai, Abrams Frau, hatte ihm keine Kinder geboren. Sie hatte aber eine ägyptische Magd namens Hagar. (1-16) 21,9-21

2 Sarai sagte zu Abram: Der Herr hat mir Kinder versagt. Geh zu meiner Magd! Vielleicht komme ich durch sie zu einem Sohn. Abram hörte auf sie.

Nach altorientalischem Recht konnte eine kinderlose Frau ihrem Mann die Sklavin überlassen. Die Kinder der Sklavin galten dann als legitime Kinder des Ehepaars. Sollte später die Frau wider Erwarten noch eigene Kinder bekommen, konnte der Vater die Kinder der Sklavin nach Übergabe von Geschenken fortschicken, er musste aber die Sklavin dann freilassen (vgl. 21,1-21).

3 Sarai, Abrams Frau, nahm also die Ägypterin Hagar, ihre Magd, – zehn Jahre, nachdem sich Abram in Kanaan niedergelassen hatte – und gab sie ihrem Mann Abram zur Frau.

4 Er ging zu Hagar und sie wurde schwanger. Als sie merkte, dass sie schwanger war, verlor die Herrin bei ihr an Achtung.

5 Da sagte Sarai zu Abram: Das Unrecht, das ich erfahre, komme auf dich. Ich habe dir meine Magd überlassen. Kaum merkt sie, dass sie schwanger ist, so verliere ich schon an Achtung bei ihr. Der Herr entscheide zwischen mir und dir.

6 Abram entgegnete Sarai: Hier ist deine Magd; sie ist in deiner Hand. Tu mit ihr, was du willst. Da behandelte Sarai sie so hart, dass ihr Hagar davonlief.

7 Der Engel des Herrn fand Hagar an einer Quelle in der Wüste, an der Quelle auf dem Weg nach Schur.

8 Er sprach: Hagar, Magd Sarais, woher kommst du und wohin gehst du? Sie antwortete: Ich bin meiner Herrin Sarai davongelaufen.

9 Da sprach der Engel des Herrn zu ihr: Geh zurück zu deiner Herrin und ertrag ihre harte Behandlung!

10 Der Engel des Herrn sprach zu ihr: Deine Nachkommen will ich so zahlreich machen, dass man sie nicht zählen kann.

11 Weiter sprach der Engel des Herrn zu ihr: Du bist schwanger, du wirst einen Sohn gebären und ihn Ismael (Gott hört) nennen; denn der Herr hat auf dich gehört in deinem Leid.

12 Er wird ein Mensch sein wie ein Wildesel. / Seine Hand gegen alle, die Hände aller gegen ihn! / Allen seinen Brüdern setzt er sich vors Gesicht.

Der Vers deutet den unbändigen Freiheitsdrang der Wüstenstämme an. Die arabischen Beduinen betrachten sich noch heute als Nachkommen Ismaels.

13 Da nannte sie den Herrn, der zu ihr gesprochen hatte: El-Roï (Gott, der nach mir schaut). Sie sagte nämlich: Habe ich hier nicht nach dem geschaut, der nach mir schaut? 13f: In H Wortspiel mit dem Namen des Brunnens.

14 Darum nannte sie den Brunnen Beer-Lahai-Roï (Brunnen des Lebendigen, der nach mir schaut). Er liegt zwischen Kadesch und Bered.

15 Hagar gebar dem Abram einen Sohn und Abram nannte den Sohn, den ihm Hagar gebar, Ismael.

16 Abram war sechsundachtzig Jahre alt, als Hagar ihm Ismael gebar.

Was ist erfülltes Leben? Für Sarai damals ganz klar: Sie musste dem Abram einen Sohn zur Welt bringen, damit der Bestand der Familie gesichert war. Ein Nachkomme, Nachkommenschaft, war ganz klar „Segen Gottes“, keine Nachkommenschaft war ein Makel, Fragezeichen über ihrem Leben. Keine Nachkommenschaft brachte Sarai in Gefahr; ihr Mann konnte sich eine andere Frau suchen und sie verstoßen. Sarai war kein unmündiges Hausmütterchen, auch wenn sie nach außen wenig in Erscheinung trat; sie dirigierte den Haushalt mit allen Sklaven – Sklavinnen, heute würde man sagen, mit allem angestellten Personal. Sarai war eine selbstbewusste, entscheidungsfähige Frau. Ihre Kinderlosigkeit forderte eine Entscheidung und sie hatte sich schon für eine damals mögliche Lösung des Problems entschieden: Bevor Abraham selbst sich eine andere Frau nahm, wollte sie ihm ihre ägyptische Sklavin Hagar geben, damit er mit ihr einen Sohn bekommen sollte. Der würde nach damaligem Recht als ihr Sohn gelten. So bliebe sie Herrin des Geschehens und verlöre nicht ihren Rang.

In unserer Geschichte schwingt noch eine andere Dimension mit: Nachkommenschaft ist für Abraham und Sarai nicht nur eine Sache des Segens, sondern auch eine Zusage Gottes: Hatte Gott nicht versprochen: „Ich will dich zu einem großen Volk machen und will dich segnen und deinen Namen groß machen, und du wirst ein Segen sein?“ (Gen. 12, 2) Ohne Nachkommenschaft ist das in Frage gestellt. Wenn es um eine Gottesverheißung geht, ist Gott im Spiel. Ein Wort Gottes bedeutet doch, dass Gott den Weg von Menschen in eine bestimmte Richtung führen wird. Das ist nicht nur eine Absichtserklärung! Umso mehr mussten Abram und Sarai, auch wenn es der Erzähler nicht andeutet, unter dem Ausbleiben des Versprochenen gelitten haben. Es war doch nicht nur das, was wir erfülltes, gelingendes Leben nennen in Frage gestellt, sondern eine Zusage Gottes; Gott, der Abram auf den Weg geschickt hatte- „geh aus deinem Vaterland, ich mach dich zu einem großen Volk“, hielt sich verborgen.

Sarais Entscheidung ist auf dem Hintergrund ihrer Situation und der Gottesverheißung an Abram klug zu nennen. Verachten wir Sarai nicht, weil wir es scheinbar besser wissen. Das Streben nach Lebenserfüllung ist tief in uns verankert. Sind wir Menschen, die mit Gott rechnen, dann kennen wir auch die Anfechtung der Verborgenheit Gottes. Sarais Entscheidung ist damals weder unmoralisch noch unklug; es ist die Entscheidung einer mündigen Frau; und sie entspricht damaligem Recht. Abram dagegen wirkt farblos, schwach; er macht, was seine Frau will.

Welche Wege gehen wir, um Lebenserfüllung zu erlangen? Welche Kosten und Mühen nehmen wir auf uns? Welche Ansprüche, welche Erwartungen, muss uns das Leben, die Gesellschaft oder vielleicht auch Gott erfüllen, damit wir zufrieden sind? Alte Menschen sagen manchmal: Wenn es so bleibt, dass ich aufstehen kann, mich selbst versorgen kann, will ich zufrieden sein; da haben die Lebenstürme schon manchen Baum entwurzelt, manche stolze Krone gekappt. Aber ist diese vom Leben erzwungene Zufriedenheit Ausdruck erfüllten Lebens? Was ist erfülltes Leben? In unserer Geschichte von Sarai, Abram, Hagar und Ismael wird diese Frage nicht beantwortet. Zur Sprache kommt ein scheinbar geschickter Schritt, ein schwerwiegendes Defizit auszugleichen. Aber es bleibt ein Versuch, es führt nicht zur Lösung, zum Ausgleich des Defizits. Die Sehnsucht nach erfülltem Leben wird nicht gestillt, die Zusage Gottes nicht eingelöst. Die Abkürzung erweist sich als Sackgasse und wird so zum Umweg! Erfülltes – gelingendes Leben lässt sich nicht herstellen, nicht erzwingen! Neue Probleme ergeben sich, ja eine der beteiligten Personen gerät in große Bedrängnis.

Hagar wird auf Sarais Betreiben Abrams Zweitfrau. Er zeugt mit ihr einen Sohn, den erwünschten Nachkommen, der nun auch als Sarais Sohn gelten kann. Aber ich greife hier vor; erst einmal hat die Schwangerschaft der Hagar Auswirkungen auf ihren Status, so jedenfalls sieht es Hagar. Sie ist jetzt nicht mehr nur die Sklavin Sarais, Erfüllungsgehilfin für den Kinderwunsch ihrer Herrin; sie sieht sich in der Rangordnung an höherer Position und lässt das Sarai spüren. Durch ihren klugen Rat wollte Sarai ihren Rang bewahren und die Zukunft sichern; jetzt sieht sie sich in Frage gestellt! Der Weg zum erfüllten, der Gottesverheißung entsprechenden Leben, hat Risiken und Nebenwirkungen. In unserem Bibelwort heißt es:

„Da sagte Sarai zu Abram: Das Unrecht, das ich erfahre, komme auf dich. Ich habe dir meine Magd überlassen. Kaum merkt sie, dass sie schwanger ist, so verliere ich schon an Achtung bei ihr. Der Herr entscheide zwischen mir und dir.“

Ein Riss zwischen Abram und Sarai tut sich auf; aus Sicht Sarais ist Abram der Verantwortliche., er soll entscheiden. Er entscheidet, indem er Sarai Recht gibt. Seine Antwort an Sarai: „Abram entgegnete Sarai: Hier ist deine Magd; sie ist in deiner Hand. Tu mit ihr, was du willst. Da behandelte Sarai sie so hart, dass ihr Hagar davonlief.

So macht man das; in der Kette der Beteiligten ist Hagar die Unterlegene. Auf sie wird die Last abgewälzt, sie bekommt die Prügel. Sarai bewahrt ihren Status und lebt ihre Macht aus. Abram tritt zur Seite, er hat nach Recht entschieden, ihn geht das nichts mehr an. Welche andere Möglichkeit wäre ihm auch geblieben? Hagar leidet- und läuft davon. Sie hat keine Zukunft.

Ja, Hagar hat keine Zukunft. Aber was hier geschieht, ist nicht ohne Gott; Abram, Sarai und nun auch Hagar stehen unter einem Versprechen Gottes. Der aber hält sich nicht raus aus den eigenwilligen Wegen der Menschen, wenn sie Lebensglück, erfülltes, gelingendes Leben suchen. Gott hat Abram Zukunft zugesagt, Segen, Nachkommenschaft. Das gilt, auch bei eigenwilligen Wegen. Irrwege führen zu Zerbruch, Scheitern; der Karren wird an die Wand gefahren. Gott heilt nicht einfach menschliche Wege, auf denen wir ihm vorgreifen und den Karren unseres Lebens an die Wand fahren. Aber er bleibt auch nicht still; jedenfalls übersieht er das schwächste Glied in dieser Familiengeschichte, Hagar, nicht. Von Abram hat sie keine Hilfe zu erwarten, Sarai lässt sie ihre Überlegenheit spüren, quält sie, bis sie davonläuft. Gott aber findet sie an einer Quelle in der Wüste. Er achtet auf ihren verzweifelten Weg in die Wüste. Ein Bote Gottes fragt:

„Hagar, Magd Sarais, woher kommst du und wohin gehst du? Sie antwortete: Ich bin meiner Herrin Sarai davongelaufen.“

Über dem Worten „findet sie“ liegt ein Glanz. Hier strahlt etwas auf von der nachgehenden Treue Gottes. Gott steht zu Abram, dem er eine Zusage gemacht hat, und nun auch zu Hagar, die in den Schatten Abrams getreten ist durch die eheliche Verbindung mit ihm.

Das hat Bedeutung auch für uns! Auf uns gewendet kann das heißen: Wir haben einen Gott, der uns sucht und findet. Erinnern wir uns doch an Gottes Zusagen in Jesus. Er sagt: „Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt setzt sein Leben ein für die Schafe.“ (Joh. 10, 11) Erinnern wir uns an Jesu Gleichnis von dem Hirten, der seine 99 Schafe in der Wüste lässt, um das eine, verlorene Schaf zu suchen und zu finden! (Lukas 15, 4) So handelt Gott in seiner Liebe zu uns durch Jesus. ER ist Gottes JA zu Dir, alle Gottesverheißungen sind in Jesus zusammengefasst. Paulus schreibt:

„Denn was immer Gott verheißen hat – in ihm – Jesus -ist das Ja und so auch durch ihn das Amen, damit Gott verherrlicht werde durch uns. (2. Kor. 1, 20) So ist der Engel des Herrn, der Hagar findet, eine Vorabbildung dessen, was Gott in Jesus Christus für uns getan hat und bis heute tut.

Der Ort, an dem Hagar gefunden wird, bekommt einen besonderen Namen: Beer-Lahai-Roï, übersetzt: Brunnen des Lebendigen, der nach mir schaut. (V. 14) Eine besondere Gotteserfahrung gibt einem Ort den Namen. Für Hagar ist die Gottesbegegnung – ich halte daran fest, dass sie nicht nur eine literarische Fiktion ist – etwas höchst Tröstliches, auch wenn ihr Weg in die Freiheit hier zu Ende ist.

„Geh zurück zu deiner Herrin und ertrag ihre harte Behandlung!“ sagt der Bote.

Hagar muss eine Entscheidung treffen gegen ihren Wunsch nach Freiheit. Sie soll sich der damaligen Rechtsordnung unterordnen. Das ist aber nicht alles: Zahlreiche Nachkommenschaft wird ihr versprochen, die Verheißung Gottes an Abram auf sie übertragen. Ein Sohn wird ihr angekündigt, dessen Name Ismael, übersetzt „Gott hört- Gott hat erhört“, spiegelt, dass Gott barmherzig auf Hagar schaut. Erklärend sagt unser Bibelwort, „der Herr hat auf dich gehört in deinem Leid“. Ismael wird als Stammvater der Beduinen vorgestellt und in seinem Freiheitsdrang beschrieben als Mann wie ein „Wildesel“.

Ich schließe: Unser Predigtwort ist gerade auf dem Hintergrund menschlicher Irrungen eine Hoffnungsgeschichte, die auf einen Gott weist, der uns in Jesus Christus sucht und findet, der unser Bitten hört und dem unser Elend nicht gleichgültig ist. Schenkt Gott erfülltes Leben? Von Abram, Sarai und Hagar her gesehen führt unsere Vorstellung von erfülltem Leben in die Irre. Leben ist immer umkämpft, Wege, die kluge Lösungen versprechen, können sich als Irrwege erweisen; vertrauende Geduld fällt uns schwer. Schauen wir auf Gottes Zusagen in Jesus Christus! Dann klebt unser Blick nicht fest an irdischen Glücksversprechen und wir haben einen festen Halt gegen die uns dahintreibende Sehnsucht nach Leben. Entscheidend sind die Gottesverheißungen, nicht die irdischen Glücksversprechen! Erfüllt Gott seine Zusagen? Aus meiner Erfahrungen sage ich: Gott hat sich immer wieder als der Lebendige und Gegenwärtige erwiesen, wie er es durch Jesus versprochen hat. „Der das Ohr einpflanzt, sollte der nicht hören? Der das Auge bildet, sollte der nicht sehen?“ (Psalm 94, 9) Der Lebendige wird uns nicht im Stich lassen! Amen.

Winfried Klotz, Pfr. i. R., Bad König/Odenwald, Jg. 1952, verh., drei erwachsene Kinder. Theol. geprägt von Otto Michel und Hans Joachim Iwand, Mitglied Pfarrgebetsbund.

winfried.klotz@web,de

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