Genesis 18, 20-21.22b-33

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Genesis 18, 20-21.22b-33

 


23. Sonntag nach Trinitatis,
3. November 2002
Predigt über 1. Mose 18, 20-21.22b-33, verfaßt von Klaus Steinmetz

Liebe Gemeinde!

Unser heutiger Predigttext aus dem 18. Kapitel des ersten Buches Mose
macht uns zu Mithörern eines Gespräches, eines Gespräches
zwischen Abraham und seinem Gott. Es findet statt vor einem dunklen Hintergrund.
In Sodom und Gomorra herrschen Sünde und Unrecht, die zum Himmel
schreien. Schlimme Zustände und Ereignisse in unseren Tagen fallen
uns dazu wie von selbst ein, zuletzt gerade die grauenvolle Geiselnahme
in Moskau, deren opferreiche Beendigung nur sehr bedingt Erleichterung
aufkommen lässt.

Gott, so hören wir, muss herabkommen, um sich selbst ein Bild von
den Zuständen in den beiden Städten zu machen. Das ist sehr
menschlich von Gott geredet, als wäre er zu weit weg, um alles richtig
mitzubekommen. Aber die Bibel nimmt das in Kauf um der Lebendigkeit ihres
Gottesbildes willen. Die Alternative, abstrakt und d. h. letztlich unmenschlich
von Gott zu reden, kommt für sie nicht in Frage.

Aber bevor Gott das tut, beschließt er, Abraham als seinen Erwählten
ins Vertrauen zu ziehen. Er soll wissen, welche Katastrophe sich da wahrscheinlich
für Sodom und Gomorra anbahnt. Und indem er ihn ins Vertrauen zieht,
macht er ihn seinem Partner, der mitdenkt und daraufhin mitredet, in aller
Bescheidenheit, aber auch in der nötigen Deutlichkeit. Hören
wir das Gespräch (folgt Verlesung der Verse 22b-33).

Die Bescheidenheit Abrahams ist wirklich nicht zu überhören,
wenn er immer wieder geradezu umständlich betont, dass er sich des
Wagnisses seine Worte bewusst ist: Sie kämen ihm eigentlich nicht
zu, wo er doch nur Erde und Asche sei. Er weiß, dass er die Geduld
seines göttlichen Gesprächspartners ziemlich strapaziert.

Und doch meint er offenbar, sich in diesem Gespräch immer weiter
vorwagen zu müssen. Mit fünfzig Gerechten, die für eine
Verschonung der Stadt vielleicht ausreichen könnten, beginnt er,
über 45, dreißig, zwanzig bis zu schließlich zehn tastet
er sich immer weiter. Das erinnert daran, wie auf einem Basar im Orient
über den Preis verhandelt wird. Wer das einmal erlebt oder sogar
selber mitgemacht hat, weiß, wie viel Spaß das machen kann,
gerade auch wenn sehr höfliche Formulierungen auf beiden Seiten dabei
gebraucht werden. Also wie ein Pokern um den Preis kann uns dieses Gespräch
vorkommen, auch wenn es darin um etwas sehr Ernstes geht. Was ist es,
was Abraham veranlasst, sich so weit vorzuwagen? Man könnte vermuten,
es sei das Geschick der Stadt und ihrer Menschen, für die er bittet,
so wie es Gläubige immer wieder getan haben und bis heute tun. Dann
ginge es hier um das große und wichtige Anliegen der Fürbitte.
Das trifft auch bis zu einem gewissen Grade zu. Abraham spricht ja davon,
das der Stadt vergeben werden und sie der Vernichtung entgehen möge.
Doch lauet seine Bitte nicht einfach, wie man erwarten sollte: Verschone
doch die Stadt.

Die nächste Vermutung, was Abraham bewegt, nimmt die Gerechten in
der Stadt in den Blick. Sie wären ja mit betroffen, wenn die Stadt
vernichtet würde. Abraham würde sich also hier für sie
verwenden. Das tut er in der Tat auch. Es ist ihm unerträglich, wenn
sie zusammen mit den Bösen umkommen sollten. Aber auch hier lauten
seine Worte nicht einfach, wie man er warten sollte: Dann verschone doch
wenigstens die Gerechten. Zu den Gerechten in Sodom gehört ja auch
sein Verwandter Lot mit seiner Familie. Abraham erwähnt sie mit keinem
Wort. (Sie werden übrigens später, vor der Vernichtung der Stadt,
gerettet – bis auf Lots Frau, die sich bei der Flucht umdreht, um zurückzuschauen,
und daraufhin zur Salzsäule erstarrt.)

So sehr diese beiden Überlegungen über das Motiv Abrahams etwas
Richtiges treffen, sein Hauptanliegen ist ein anderes: Es geht ihm um
die Gerechtigkeit Gottes. Dass zusammen mit den Bösen auch Gerechte
umkommen sollten, das verträgt sich nicht mit Gottes Gerechtigkeit.
„Sollte der Richter aller Welt nicht gerecht richten?“ An dieser
Stelle wird der sonst so umständlich unterwürfige Abraham ganz
deutlich und direkt: Das sei ferne von dir! Ein sehr starker Ausdruck,
der Gott geradezu entgegengeschleudert wird. Das kannst du doch nicht
machen, ja nicht einmal wollen! Worauf soll denn da noch Verlass sein?
Es ist dieselbe Erschütterung, angesichts von Katastrophen und Schicksalsschlägen,
die anscheinend grundlos und wahllos über Menschen hereinbrechen,
ohne Unterschied zwischen Guten und Bösen zu machen, die Menschen
bis heute fragen lässt: Wie kann Gott das zulassen?

Gottes Gerechtigkeit – darum ringt Abraham mit Gott. Keine Frage ist
für ihn, dass menschliches Handeln und Verhalten Konsequenzen hat.
Es ist nie egal, was sie tun. Wenn Menschen nicht nach Gottes Willen fragen,
sich über seine Gebote hinwegsetzen, bringt das Unheil über
sie. Abraham steht darin für die Überzeugung der ganzen Bibel
und des Glaubens, dass die Sünde ein todernste Sache ist, genauso
wie die Gerechtigkeit Gottes, der sich nicht spotten lässt.

Aber was ist dann mit den Gerechten? Wiegt ihr Tun und Dasein in einer
Gemeinschaft nicht auch etwas? Das kann doch für die Gerechtigkeit
Gottes nicht gleichgültig sein. Darüber verhandelt Abraham mit
Gott. Und die Antwort, die er erhält, lautet: Das Gewicht der Gerechten
wiegt schwer. Nicht erst fünfzig, sondern am Ende schon zehn wiegen
sämtliches Unrecht der übrigen auf. Die Gerechten sind ein Segen
für die Gemeinschaft. Das ist alle andere als eine schematische Rechenfrage.
Gottes Gerechtigkeit lässt nicht interesselos die beiden Waagschalen
sich auspendeln. In der Schale der Gerechten ist gleichsam noch ein anderes
Gewicht mit enthalten und schließlich ausschlaggebend. Wir können
es nur die Barmherzigkeit Gottes nennen, die seine vergeltende Gerechtigkeit
um ein Vielfaches übertrifft. In die Weite dieser Barmherzigkeit
tastet sich Abraham mit seinen Fragen hinein. Es gehört zur Eigenart
und zum Reiz dieses Gesprächs, dass es bei zehn Gerechten abbricht.
Wie hätte Gottes Antwort gelautet, wenn Abraham noch weiter gegangen
wäre? Wir erfahren es nicht. Die Geschichte verwehrt es uns, nun
auf eigene Faust weiter zu spekulieren und womöglich in Konsequenzenmacherei
zu verfallen. – In Sodom und Gomorra haben sich anscheinend nicht einmal
die zehn Gerechten gefunden; die Städte verfallen dem Unheil, das
sie sich selbst bereitet haben.

Erst später in der Geschichte des Glaubens wurde das Problem noch
weiter vorangetrieben, bis hin zu dem einen Gerechten. Die Sache
wurde da auch nicht im Gespräch, also theoretisch entschieden, sondern
praktisch, im Geschick und Erleiden dieses einen. Darin wurde das ganze
Gewicht der Sünde der Menschen deutlich, sie kostet ihn das Leben,
am Kreuz. Aber seine Gerechtigkeit, sein Gehorsam wiegen die ganze Last
der Schuld der Übrigen auf. Der Gerechte wird hier, anders als in
Abrahams Fragen, nicht verschont, aber die anderen, gerade auch die Schuldigen,
erhalten dadurch den Freispruch zum Leben. So erweist sich die barmherzige
Gerechtigkeit Gottes für alle, die ihr vertrauen.

Ich habe vorhin gesagt, dass Abraham mit seinen Fragen ganz nahe bei
denen steht, die sich herumschlagen damit: Wie kann Gott das zulassen?
Dabei scheint mir ein Unterschied allerdings sehr wichtig zu sein. Wie
kann Gott das zulassen? – das ist eine Frage nicht an Gott, sondern über
ihn. Wer so anfängt, gleichsam ohne ihn, wird schwerlich am Ende
wirklich bei ihm ankommen. Er läuft Gefahr, mit seinem Fragen allein
zu bleiben. Abraham dagegen redet mit Gott, wendet sich mit seinen Fragen
direkt an ihn. Üblicherweise nennen wir ein Gespräch dieser
Art Gebet. Wer so zu Gott redet, mit ihm ringt, hat gewiss nicht die Garantie,
dass sich für ihn alle Rätsel dieser oft so abgründigen
Welt lösen. Aber er hat die Chance, dass er mitten in noch so vielen
Rätseln doch an Gott festhalten und auf seine barmherzige Gerechtigkeit
sich verlassen kann. Denn er entdeckt: Noch bevor er selber angefangen
hat, hat Gott schon ihn festgehalten und mit seiner Barmherzigkeit umfangen.
Amen

Klaus Steinmetz, Sup.i.R.
Hainholzweg 8, 37085 Göttingen

 

 

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