Genesis 22

Genesis 22

Das Lamm | 1. Mose 22 | Judoka | 17.03.24 | Eberhard Busch |

Jetzt in der Passionszeit wird in manchen Kirchen der Choral gesungen „O Lamm Gottes unschuldig.“ In seiner lateinischen Fassung geht er zurück bis ins frühe Mittelalter und beginnt so: Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona nobis  pacem, d.h. Lamm Gottes, das da trägt die Sünden der Welt, gib uns Frieden. Mit diesem Text gibt es eindrückliche Musikwerke. Auf deutsch steht das Lied in unserem Gesangbuch:

„O Lamm Gottes, unschuldig / am Stamm des Kreuzes geschlachtet,

allzeit erfunden geduldig, / wiewohl du warest verachtet,

all Sünd hast du getragen, / sonst müssten wir verzagen.

Erbarm dich unser, o Jesus. / Gib deinen Frieden, o Jesus.“

Verwunderlich ist in dem Lied die Rede, statt von einem Menschen, von einem Lamm, und zwar von einem, das am Kreuz von Golgatha „geschlachtet“ wurde. Und das, weil es alle Sünde dieser Welt getragen hat. Wie sollen wir das nur verstehen!? Ist uns das nicht sehr befremdlich? Nun, diese Bildrede hat ihre Wurzel in einer Geschichte, die unsre Fragen klären kann. Sie steht auf den ersten Seiten der Bibel: 1. Mose 22. Auf sie hören wir heute in der Predigt.

Danach wollte Gott den Abraham prüfen. Er sprach zu ihm: Abraham! Er antwortete: Hier bin ich!

Er sprach: Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebhast, den Isaak, und gehe in das Land Moria und opfere ihn daselbst als Brandopfer auf einem Berge, denn ich dir nennen werde. Da bepackte Abraham am anderen Morgen in der Frühe seinen Esel und nahm seine beiden Knechte und seinen Sohn Isaak mit sich; und er spaltete das Holz und ging an den Ort, der ihm Gott genannt hatte. Am dritten Tag, als Abraham seine Augen erhob, sah er die Stätte von ferne. Da sprach Abraham zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel, ich aber und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir zu euch zurückkommen. Dann nahm Abraham das Holz zum Brandopfer und lud es seinem Sohn Isaak auf; er selbst nahm den Feuerbrand und das Messer, und so gingen die beiden miteinander. Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham:Vater!. Abraham antwortete: Was willst du mein Sohn? Er sprach: Hier ist wohl der Feuerbrand und das Holz; wo aber ist das Lamm zum Opfer? Abraham antwortete: Gott wird sich das Lamm zum Opfer selbst ersehen, mein Sohn. So gingen die beiden miteinander. Als sie nun an die Stätte kamen, die Gott ihm genannt hatte, baute Abraham daselbst den Altar und schichtete das Holz darauf; dann band er seinen Sohn Isaak und legte ihn auf den Altar, oben auf das Holz. Hierauf streckte Abraham seine Hand aus und ergriff das Messer, um seinen Sohn zu schlachten. Da rief ihm der Engel des Herrn vom Himmel her zu; Abraham, Abraham! Er antwortete. Hier bin ich. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tue ihm nichts, denn ich weiß nun, dass du Gott fürchtest; du hast deinen Sohn, deinen einzigen, mir nicht vorenthalten. Wie nun Abraham seine Augen erhob, sah er einen Widder, der sich mit seinen Hörnern im Gebüsch vergangen hatte. Da ging Abraham hin, nahm den Widder und opferte ihn als Brandopfer anstatt seines Sohnes. Und er nannte die Stätte „Gottessicht“. (Zürcher Bibel)

Abraham nennt den Platz, an dem diese aufregende Geschichte passiert: „Gottessicht“. Eine Gottessicht hat der Mann selbst bis auf weiteres gar nicht. „Der Mensch sieht, was vor Augen ist.“ (1Sam 16.l7) Ihm ist aufgetragen, seinen eigenen Sohn zu opfern. Welch unheimliche Zumutung! Aber regen wir uns nicht zu schnell auf, dass solches Entsetzliche in der Bibel steht. Heute, in der Zeit nach der öffentlich ausgerufenen „Zeitenwende“, ist das Umbringen von Menschen an der Tagesordnung. Auch nur die Zahl von Getöteten erfährt man allenfalls beiläufig. Jedes Opfer ein unwiederbringlich einmaliger Mensch! Und „die im Dunklen sieht man nicht.“ (Bertold Brecht)

Aber warum ist uns gleichwohl das Vorgehen Abrahams anstößig? Es geht doch um seinen Sohn! Gibt er ihn einfach so weg? Den soll er opfern? Nein!! Schweigend geht er drei Tagesmärsche neben ihm her. Es war für ihn ein bitterschwerer Gang. „Ach, wie so manchmal schweigt Gott still, / da unterdessen unser Will / und Herz in Ängsten sitzet.“ (Paul Gerhardt) Wie kann Gott das zulassen? So hört man fragen. Abraham tut es weh, was er tun soll. Ich besitze eine Plastik, die ihn dabei zeigt: der Kopf gesenkt, der Rücken gekrümmt, die Hand mit dem Messer fällt fast zu Boden, wie von einer Riesenlast niedergewalzt.

Die Frage muss erlaubt sein: Ist etwa Abraham in einem Kadavergehorsam befangen? Ist er einer, der blindlings Befehle befolgt? – selbst wenn sie grober Unfug sind. Ist er wie einer, der sich freispricht von der Verantwortung für sein falsches Tun, nur weil es ihm jemand vorgeschrieben hat? Ich denke, dass Abraham nicht Gott blind gehorcht. Ich denke, dass er ihm vertraut, sich ihm anvertraut. Er folgt der Mahnung: „Werft euer Vertrauen nicht weg“ (Hebr 10,  23), auch wenn ihn Gott einer harten Prüfung unterzieht, wie ein Lehrer seinen Schüler, der nicht nachkommt. Trotz allem Widersinn hält er sich daran:: „Gott wirds machen, dass die Sachen gehen, wie es heilsam ist.“ Es gibt Zeiten, in denen es genau darauf ankommt: auf ein Warten in Geduld. Da befindet man sich wie in einem dunklen Tunnel und hofft darauf, dass es hell werden wird. „Ausdauer habt ihr nötig“ (Hebr 10,36), heißt es in der Bibel.

Aber ist die Sache nicht ärger? Abraham kann sich ja auf Gott berufen, der das Unerträgliche selbst

geschickt hat. Und was hat Gott damit heraufbeschworen!! Ist es nicht verkehrt, ihm zu vertrauen? Wenige Zeit vorher, so lesen wir, hat er sich feierlich gegenüber Abraham dazu verpflichtet: „Siehe, das ist mein Bund mit dir, dass du ein Vater vieler Völker werden sollst. Ich richte meinen Bund auf zwischen dir und mir und deinen Nachkommen als einen ewigen Bund“ (17, 4.7). Und nun hat Abraham nur den diesen einen, seinen geliebten Sohn. Und den soll er jetzt noch weggeben?! Wirft Gott sich damit nicht selbst vor sein eigenes Rad? Es wird eng für ihn. Ist seine Ewigkeit von so winziger Dauer? Wirft er damit nicht sein eben noch gegebenes Versprechen über den Haufen? Können wir uns denn nicht auf ihn verlassen? Da stockt einem schier der Atem.

Das in Aussicht Gestellte hängt an einem einzigen, dünnen Faden. Doch der zerreißt nicht. Der ist stabil wie sonst nichts. Das zeigt sich, als die beiden nach drei Tagen ans Ziel kommen. Wo kommt das übrigens noch einmal vor: die Zahl der drei Tage? Richtig: im Markusevangelium (9,31) sagt Jesus zu seinen Jüngern von sich: „Man wird ihn töten. Nach drei Tagen wird er von den Toten auferstehen.“ Den seltsamen Ort Moria, an den Abraham und sein Sohn gelangen, haben Juden später mit dem Jerusalemer Tempel gleichgesetzt. Das ist sinnvoll. Gerade hier geschieht es nämlich, dass Gott dem Abraham in den Arm fällt. Ja, Gott setzt außer Kraft, was er selbst zuvor angeordnet hat. Das kann er. Gott ist ein lebendiger Gott. Er ist zuverlässig in seiner Beweglichkeit und Gott lässt sich bewegen. Die Bitte um Gnade, die im Brandopfer zum Himmel geschickt wurde, wird erhört.

Darum geht es in unserer Geschichte, darum, dass Isaak überlebt und nicht geopfert wird. Bei dem Propheten Hosea (11,8) lesen wir die Pointe von dem, was die Erzählung von Abraham und Isaak uns sagt, nämlich dies, dass Gott spricht: „Wie könnte ich dich preisgeben! Mein Herz kehrt sich um in mir, all mein Mitleid ist entbrannt. Ich will meinen glühenden Zorn nicht vollstrecken. Denn Gott bin ich, und nicht ein Mensch, heilig in deiner Mitte, doch nicht ein Vertilger.“

Wo bleibt da das Nein, das Gott nicht bloß zu unseren Feinden sagt, das Nein, das Gott zu jedem von uns sagt, und in seiner Gerechtigkeit sagen muss? Jedenfalls trifft es nicht uns, auch nicht unsre Nachbarn, auch nicht unsre Gegner. Es erleidet nicht Abraham und nicht sein Sohn. Sie werden verschont. Nicht weil das Nein nicht ernst gemeint ist; es ist blutig ernst gemeint. Es gibt eine Schuld, die wir nicht wieder gutmachen können. Aber es gibt gleichwohl eine Verschonung, schon bei Isaak. Es gibt sie, weil ein Anderer für ihn unsern Karren aus dem Dreck zieht, weil der an der Stelle des Sohnes das ihm Drohende erleidet. Der Vater sagt zuvor ausweichend zu Isaak: „Gott wird sich das Lamm zum Opfer selbst ersehen.“ Doch jetzt geht das buchstäblich in Erfüllung.

Wahrhaftig, es ist ein Lamm, das der Himmel schickt, ein Lamm, das an der Stelle des Knaben geopfert wird. Friedrich Schiller hat in seinem freiheitlichen Reiterlied gedichtet: „da tritt kein Anderer für ihn ein, / auf sich selbst steht er ganz allein.“ Doch, doch! Genau das geschieht ja in unserer Geschichte. Wir leben davon, dass wir nie ganz allein sind, dass ein Anderer für uns die Hand ins Feuer legt, für uns da ist, für uns eintritt, dass er uns die Last abnimmt, die uns zu schwer ist. Damit wir entlastet sind. Wundern wir uns nur! Es ist ein Lamm! Das Lamm tritt für uns ein.

Und wir sind frei. Wir dürfen leben, weil das von Gott gesandte Himmels-Geschenk an unsere Stelle tritt – und entlastet dich. Es ist haftbar für das von dir Angerichtete. Aber es ersetzt dich nicht. Er nimmt dir die Verantwortung nicht ab, sondern macht dich verantwortlich. Und macht es dir nicht bequem damit, dass eine andere Gestalt den Kopf für dich hinhält. Es gibt dir das Leben neu, damit du ein neuer Mensch seist. Einer, dem die Augan aufgehen für die „Gottessicht“ auf das Leben. Einer, der verantwortungsvoll umgeht – auch mit Tieren, auch mit dem eigenen Leben wie mit dem Leben anderer. Friedens-tüchtig.

Diese Geschichte lehrt uns, dass das uns und unserm Nächsten verliehene Leben unendlich wertvoll ist; mit ihm ist sorgsam umzugehen. Die christliche Gemeinschaft der Herrnhuter vertritt den Grundsatz:. „Das Lamm hat gesiegt – lasst uns ihm folgen.“ Und jetzt gilt nun doch der Spruch von Friedrich Schiller. „Da tritt kein anderer für dich ein.“ Da ist jeder und jede aufgerufen, Christus zu folgen, ihm, der ein Lamm ist. Es ruft uns zu: Stopp den Menschenopfern. Ihr dürft leben. leben, ohne einander auf die Nerven zu gehen, ja, ohne dass einer dem anderen ein Wolf ist. „Du sollst nicht töten.“ (Ex 20,13). Der auf der Gegnerseite ist auch ein Mensch.  Haben wir es schon einmal probiert, unseren Nächsten geduldig wie ein Lamm zu begegnen?

Und wohlgemerkt, die Erzählung aus uralten Zeiten von Abraham und Isaak reicht über Jahrhunderte hinweg die Hand hin zu dem anderen Lamm, zu dem vom Karfreitag, dem Lamm, das nach der Bibel im Zentrum der Macht steht, in der Mitte des Lebens, für immer (Apk 7). Keine Raubkatze, keine Schlange, aber dieses Eine: „O Lamm Gottes, unschuldig, am Kreuzesstamm geschlachtet, … all Sünd hast du getragen, sonst müssten wir verzagen. Erbarm dich unser, o Jesus. Gib deinen Frieden.“ Amen

Du sollst nicht töten . –

de_DEDeutsch