Genesis 8, 18-22

Genesis 8, 18-22

 


Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes
Neukirch


20. Sonntag nach Trinitatis
17. Oktober 1999
1. Mose 8, 18-22

Johannes Neukirch


Liebe Gemeinde,

ein großes Schiff, eine riesige Überschwemmung, Tiere, eine
Taube, ein Regenbogen – ahnen Sie schon, worum es geht? Ja, die biblische
Geschichte von der Arche Noah ist überaus bekannt. Schon als Kinder haben
wir sie kennen gelernt – im Kindergottesdienst, im Religionsunterricht oder wo
auch immer. Diese Geschichte fehlt in keiner Kinderbibel.

Warum ist ausgerechnet diese Erzählung so beliebt? Zu einem
großen Teil liegt das sicherlich daran, dass sie sich so schön
erzählen und vor allem so schön darstellen und malen lässt. Noah
baute ein großes Schiff, die Arche, mitten auf dem Land, weit und breit
war kein Wasser zu sehen – schon das ist ein interessantes Bild. In der Bibel
gibt es dazu sogar genaue Anweisungen. Gott sprach zu Noah: „Mache dir
einen Kasten von Tannenholz und mache Kammern darin und verpiche ihn mit Pech
innen und außen.“ Es folgen noch genaue Maßangaben, wie
groß das Schiff sein soll. Dann nimmt Noah von allen Tieren je ein Paar
und führt sie in die Arche – das ist eines der beliebtesten Motive
für die Illustration der Geschichte. „Und du sollst“, sagte
Gott, „in die Arche bringen von allen Tieren, von allem Fleisch, je ein
Paar, Männchen und Weibchen, dass sie leben bleiben mit dir. Von den
Vögeln nach ihrer Art, von dem Vieh nach seiner Art und von allem
Gewürm auf Erden nach seiner Art.“ Nachdem die große Flut
gekommen war und nachdem sie schon wochenlang unterwegs gewesen waren, schickte
Noah immer wieder Vögel los, um herauszubekommen, ob schon wieder Land in
Sicht ist. Schließlich kommt eine Taube mit dem Blatt eines Ölbaums
zurück – da weiß Noah, dass die Flut zurückgeht. Zu guter Letzt
sieht Noah einen Regenbogen – als Zeichen Gottes, dass so etwas nie wieder
passieren wird. Auch dieser Regenbogen ist schon von unzähligen Kindern im
Kindergottesdienst gemalt worden und die Bilder davon hingen schon in vielen
Kirchen und Gemeindehäusern.

Aber die Geschichte von der Arche Noahs ist nicht nur deshalb so beliebt,
weil sie so dramatisch und bunt ist. Es ist auch eine spannende Glaubens- und
Hoffnungsgeschichte: Nur weil Gott es ihm sagt, baut Noah mitten auf dem Land
ein riesiges Schiff. Er tut, was Gott ihm aufträgt. In der Geschichte
werden Menschen und Tiere vor dem sicheren Tod gerettet. Gott schließt
einen Bund mit Noah und seiner Familie und gibt ein Versprechen: Es soll keine
Sintflut mehr geben.

So haben wir diese Geschichte vor Augen – die Arche als rettendes Boot, als
Ort der Zuflucht, fast schon der Geborgenheit. Darüber kann es leicht
geschehen, dass wir vergessen, was überhaupt zu dieser gewaltigen
Überschwemmung, zur Sintflut geführt hat. Wir vergessen leicht, dass
das auch eine brutale und grausame Geschichte ist. Denn es ist doch so: Noah
und seine Großfamilie („du sollst in die Arche gehen mit deinen
Söhnen, mit deiner Frau und mit den Frauen deiner Söhne“) und
die Tiere werden gerettet. Der Grund dafür ist: „Noah war ein frommer
Mann und ohne Tadel zu seinen Zeiten; er wandelte mit Gott.“

Alles andere Leben auf der Erde kommt in der Geschichte um. Denn, so beginnt
das ganze Drama: „Als aber der Herr sah, dass der Menschen Bosheit
groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur
böse war immerdar, da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf
Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach: Ich will die
Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis
hin zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem
Himmel; denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe.“

Und es wird in dieser Geschichte dann auch ganz genau beschrieben, wie das
vor sich ging: Vierzig Tage lang regnet es ununterbrochen „und die Wasser
nahmen überhand und wuchsen so sehr auf Erden, dass alle hohen Berge unter
dem ganzen Himmel bedeckt wurden. Da ging alles Fleisch unter, das sich auf
Erden regte.“ Schließlich lesen wir: „Allein Noah blieb
übrig und was mit ihm in der Arche war.“

Auf der einen Seite der brutale Gedanke, dass Gott die Schöpfung der
Menschen bereut und sie alle umbringen will. Auf der anderen Seite das Symbol
der Arche, die Rettung, und der Regenbogen als Zeichen, dass Gott mit den
Menschen einen Bund schließt, ihnen das Versprechen gibt, sie am Leben zu
erhalten, ihnen treu zu bleiben. Wie passt das zusammen?

Lassen Sie uns einen Blick auf das Ende der Sintflut richten, auf den
Augenblick, als die Wasser wieder weg waren. Gott sagt dann zu Noah, er soll
zusammen mit seiner Familie und allen Tieren die Arche verlassen:

„So ging Noah heraus mit seinen Söhnen und mit seiner
Frau und den Frauen seiner Söhne, dazu alle wilden Tiere, alles Vieh, alle
Vögel und alles Gewürm, das auf Erden kriecht; das ging aus der
Arche, ein jedes mit seinesgleichen. Noah aber baute dem Herrn einen Altar und
nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte
Brandopfer auf dem Altar. Und der Herr roch den lieblichen Geruch und sprach in
seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen
willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse
von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt,
wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und
Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“

An dieser Szene merken wir wieder, warum die Noah-Geschichte so beliebt ist:
Gott hat hier so menschliche Züge! Er lässt sich von dem dankbaren
Noah beeinflussen. Es ist ihm offensichtlich nicht egal, ob auf seiner Erde
Menschen sind oder nicht. Denn wenn da niemand mehr gewesen wäre,
könnte ihm auch niemand ein Dankopfer bringen, dann würde er nicht
den „lieblichen Geruch“ riechen. „Gott spricht in seinem
Herzen“ – das ist ein anrührender Gedanke: Gott hat eine Beziehung zu
uns Menschen. Weil Noah ihm dankbar ist, lässt sich Gott in seinem Herzen
ansprechen! Und nicht nur das: Er beschließt, dass so etwas wie diese
grausame Sintflut nie mehr geschehen soll.

Da stellt sich doch aber die Frage: Was hat sich denn durch die Sintflut
grundlegendes geändert? Vor der Sintflut war es doch so: „Gott sah,
dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und
Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar.“ Und nach der Sintflut
ist es immer noch so: „denn das Dichten und Trachten des menschlichen
Herzens ist böse von Jugend auf.“ Letzten Endes, so folgt daraus, hat
sich durch die Sintflut bei den Menschen nichts geändert. Aber Gott hat
sich geändert: Er hat zwar immer noch genug Gründe dafür, immer
wieder eine neue Sintflut zu schicken, er tut es aber nicht mehr! Statt dessen
nehmen Gott und Noah einen Kontakt auf, treten in eine Beziehung zueinander.

Ich glaube, wir sollen durch diese Geschichte von der Arche Noah begreifen,
wie Gott zu uns steht, was er für ein Verhältnis zu uns hat.
Offensichtlich will er gar keine anderen Menschen haben als die, die es gibt,
keine anderen als uns. Wenn er das gewollt hätte, dann hätte er nicht
Noah und seine Familie die Arche bauen lassen. Gott hat sich sozusagen damit
abgefunden, dass wir so sind, wie wir sind. Er hat die Schöpfung nicht
wiederholt und versucht, es beim zweiten Mal besser zu machen. Aber er
möchte, dass wir, so wie Noah, „mit Gott“, also mit ihm
„wandeln“. Er möchte, dass wir eine Beziehung zu ihm haben, er
möchte – so ist es in unserer Geschichte ausgemalt – „den lieblichen
Geruch“ unserer Dankopfer riechen! Er tut sehr viel für diese
Beziehung: Er hält er sich zurück, er legt sich selbst eine Grenze
auf, er will uns retten.

Dieses ganze Drama mit der Sintflut, der Arche und dem Regenbogen sagt uns:
Du, Mensch, bist wertvoll für Gott. Er will etwas von dir! Wegen dir
hält er seine Gerechtigkeit zurück und schickt keine zweite Sintflut.
Wegen dir spricht er in seinem Herzen: Ich will das Leben erhalten! Genug Grund
für uns, Gott treu zu sein, dankbar zu sein und mit ihm zu wandeln.

Amen.

Dr. Johannes Neukirch, Geversdorf
E-Mail:
johannes.neukirch@t-online.de

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