„Gib dich zufrieden und sei stille“ (EG 371)

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„Gib dich zufrieden und sei stille“ (EG 371)

Predigreihe zu Paul Gerhardt / 2007
„Gib dich zufrieden und sei stille“ (EG 371),
Predigt verfasst von Julia Helmke


Das Geheimnis von Zufriedenheit/

Gib dich zufrieden und sei stille.

»Gib dich zufrieden und sei stille
In dem Gotte deines Lebens;
In ihm ruht aller Freuden Fülle,
Ohn ihn mühst du dich vergebens.
Er ist dein Quell und deine Sonne,
Scheint täglich hell zu deiner Wonne.
Gib dich zufrieden«

„Gib Dich zufrieden und sei stille“, so beginnt dieses Werk von Paul Gerhardt, die im Evangelischen Gesangbuch unter der Nummer 371 zu finden ist, ein Kirchenlied, das zu den etwas seltener gesungenen und weniger bekannten des märkischen Liederdichters und Theologen zu finden ist, dessen 400. Geburtstag wir in diesem Jahr finden und uns an Begegnungen, Wiederbegegnungen wagen. „Gib dich zufrieden“, eindringlich ist diese Aufforderung, die sich am Ende jeder Strophe wieder findet und über die 15 Strophen hin eine ganz eigentümliche Wirkung entfaltet.

Gib dich zufrieden! Gib Dich zufrieden und sei stille!

Liebe Gemeinde, wie geht es Ihnen, wenn Sie diese Aufforderung hören?

Bei mir lösen diese Worte, gelinde gesagt, ambivalente Empfindungen aus. Zwei Situationen dazu, die mir dabei vor Augen und nahe am Herzen sind:

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer Patientin im Krankenhaus, die ich besuche. Die Diagnose Krebs begleitet sie seit Jahren, die Ergebnisse der letzten Untersuchungen waren niederschmetternd. Sie kann und will sich noch nicht abfinden. Sie ringt mit dem Leben, mit dem Tod und sie ringt mit Gott. Manchen Besuch von Freunden hält sie kaum aus, wie sie mir leise erzählt: „Die sagen, wohl um zu trösten: Sei doch zufrieden mit dem, was Du erlebt hast, viel Schönes ist doch dabei gewesen. Reise, Liebe, ein Beruf, der meistens Spass gemacht hat und auch erfüllend war. Sei zufrieden über die gute Betreuung der Ärzte, die alles tun, was getan werden kann. Aber, ihre Stimme wurde da wieder lauter, wie kann ich mich zufrieden geben, zufrieden, dass ich meinen 40. Geburtstag wohl nicht mehr erlebe?“

Gib Dich zufrieden und sei stille.

„Diese gelähmte Stille auf den Gängen unserer Firma, ich halte das kaum mehr aus“, vertraut mir ein Verwandter an, als wir nach Kaffee und Kuchen bei einer Familien-Geburtstagsfeier uns vor dem Abendessen die Beine vertreten. „Unsere direkten Chefs bekommen so viel Druck von oben, den sie an uns weitergeben, Einsparungen hier, Kürzungen da. Dauernd fällt ihnen etwas Neues ein, und wer nicht spurt, kriegt massiven Ärger. Ich bin jetzt schon seit über 20 Jahren dabei. Wir haben manche Krise gehabt und durchgestanden, doch jetzt ist es richtig schlimm und auch ungerecht. Aber was soll ich tun? Etwas sagen oder schweigen und ruhig bleiben? Ich muss mich doch zufrieden geben, dass ich überhaupt noch Arbeit habe, die Firma noch existiert – das sagt jedenfalls meine Frau immer, wenn ich wieder mal geladen nach Hause komme. Aber man kann doch nicht zu allem Ja und Amen sagen, oder?

Zufrieden sein. Sich zufrieden geben. Ein Gegensatz, ein Widerspruch oder eine unmögliche Möglichkeit?

Das Bedeutungswörterbuch des deutschen Duden definiert Zufriedenheit ganz kurz und bündig:

„a) innerlich ausgeglichen und nichts anderes verlangend als man hat;

b) mit den gegebenen Verhältnissen, Leistungen o.ä. einverstanden, nichts auszusetzen habend. Zufriedenheit als Vorsatz wird auch mit Genügsamkeit bezeichnet – als Weltanschauung ist sie oft religiös abgestützt.“

Zufrieden sein. Sich zufrieden geben. Eine Momentaufnahme, ein erstrebenswerter Empfindungs-zustand oder eine Lebenseinstellung?

1666/67, als der Text zu „Gib dich zufrieden und sei stille“ entstand, war Paul Gerhardt, wenn man das so lapidar und kurz gefasst sagen kann, vom Leben schwer gebeutelt. Weit entfernt von a) oder b) aus der Dudendefinition von Zufriedenheit.

Seit seiner Jugend ist Paul Gerhardts Leben durch den 30-jährigen Krieg geprägt worden. Spät hat er das Glück einer Ehe und Familie sowie berufliche Anerkennung gefunden. Nach langjährigen und heftigen Streitigkeiten mit Kirchenleitung und Kurfürst muß er 1666  mit knapp 60 Jahren seine angesehene Stelle als Prediger in St. Nikolai zu Berlin aufgeben.

Verletzt und zermürbt von den Konflikten zieht er sich zurück, verbittert.

Da stirbt zu allem Unglück seine geliebte Frau, mit der er zusammen den Tod von dreien seiner vier Kinder ertragen und getragen hat. Wie muss sich ein Mensch in einer solchen Situation fühlen, welcher Begriff wäre da unpassender als ‚Zufriedenheit‘? Und doch schreibt Paul Gerhardt 15 Strophen lang darüber und verfasst einen Text zum Lobe Gottes. Im wahren Sinne des Wortes re-signiert er nicht, sondern schreibt sich hinein in eine Zufriedenheit, die weit mehr ist als Genügsamkeit. Sie führt ihn hinein in das Zu-frieden-Sein, in den Frieden Gottes.

Einen Weg, den er einschlagen kann, da er verbunden ist mit der Kraft der biblischen Texte, tausende Jahre zuvor verfasst und zwar von Menschen, die zuweilen ähnliche Situationen erleben musste wie jene von Paul Gerhardt im 17. Jahrhundert. Vielleicht, das kann ich nicht jedoch nur vermuten und nicht beweisen, sind Paul Gerhardt in jener Zeit vor allem die Lieder und Texte aus dem Trostbuch der Bibel, den Psalmen nahe gewesen. Ein Lied ist es ganz besonders, in dem ich Anklänge finde, Anklänge an das, was Paul Gerhardt in „Gib dich zufrieden und sei stille“  für seine Zeit und in seinen Worten ausgeführt hat. Es ist kein Klagelied, sondern ein Danklied, der Psalm 116, bei dem wir – in der Übersetzung nach Martin Luther – lesen:

„Ich liebe den HERRN, denn er hört die Stimme meines Flehens. Er neigte sein Ohr zu mir; darum will ich mein Leben lang ihn anrufen. Stricke des Todes hatten mich umfangen, des Totenreichs Schrecken hatten mich getroffen; ich kam in Jammer und Not. Aber ich rief an den Namen des HERRN: Ach, HERR, errette mich! Der HERR ist gnädig und gerecht, und unser Gott ist barmherzig. Der HERR behütet die Unmündigen; wenn ich schwach bin, so hilft er mir. Sei nun wieder zufrieden, meine Seele; denn der HERR tut dir Gutes. a Denn du hast meine Seele vom Tode errettet, mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten. Ich werde wandeln vor dem HERRN bim Lande der Lebendigen.

Ein Zufrieden-Sein, das erbetet wird, durchlitten worden ist, Worte und Erfahrungen, die in ein Lied gefügt, zu einem Psalm komponiert werden können, weil sie einen Bezug haben, bezogen sind auf ein Woher und ein Wohin, ein Anfang und ein Ziel. Auf Gott.

Auf Gott hin. Das ist das Geheimnis. Gott, der das Geheimnis der Welt ist und das Geheimnis von Zufriedenheit ist.

Auf Gott hin, bei dem es nicht um Zufriedenheit geht, sondern der der Friede ist. Zu ihm hin, und das können wir mit dem Psalm 116 und dem Evangelischen Gesangbuchlied 371 singen und beten, hören, lesen und lernen, so wie Paul Gerhardt es in der ersten Strophe formuliert: „Er ist dein Quell und deine Sonne scheint täglich hell zu deiner Wonne. Gib dich zufrieden.“

Zu ihm hin, so wie es auch der zum Christentum konvertierte Philosoph, der Bischof und Kirchenvater Augustinus im 5. Jahrhundert  am Beginn seiner berühmten „Bekenntnisse“ formuliert hat:

„Wir sollen dich loben aus fröhlichem Herzen; denn du hast uns auf dich hin geschaffen, und unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in dir“.

Ein Weg, der nicht leicht zu gehen ist, aber ein Weg, der für die biblischen Psalmbeter und beterinnen und für Paul Gerhardt der einzig mögliche Weg im Leben war. Im Leben und für ein Leben, und trotz all dessen, was geschehen und einem widerfahren kann.

Kein Geheim-Weg, sondern einer, der gangbar ist, und den Paul Gerhardt in diesem Lied mit uns gehen will. Und wie er das macht, das ist so einzigartig, und wie ich finde so berührend und schön, dass ich Ihnen nun am liebsten einfach nur alle fünfzehn Strophen vorlesen, ja vorsingen würde. Aber das werden wir ihm Anschluss gleich gemeinsam tun (dies kann wirklich einmal gewagt werden!).

In „Gib dich zufrieden und sei stille“ schreitet er die Welt, die vor uns liegt, die um uns liegt, die äußere wie die innere ab und verwandelt sie in Strophen [wenn auch vielleicht nicht alle so unnachahmlich stilsicher sind wie bei seinem Lied „Geh aus mein Herz“].

Paul Gerhardt wirbt um ein Zufrieden-Sein, das seinen Frieden findet, da der Mensch bei Gott geborgen ist; im Jenseits, aber auch im Diesseits. Ein Zufrieden-Sein, das zu einer heilsamen, nicht tödlich-verschweigenden Stille führen kann und führt, ein Zufrieden Sein, das die Perspektive Gottes mit-bedenkt, von ihr ausgeht und zu ihr hinführt. Das mag in dem einen Fall, d.h. auch in der einen Strophe durchaus auch ein sich zufrieden-geben, aushalten meinen, wie in der Strophe 12: „Wo ist ein Haus, das könnte sagen: ‚Ich weiß durchaus von keinen Plagen‘? Gib dich zufrieden!“ Es ist jedoch zugleich und öfter auch ein Wechsel in der Perspektive, wie in Strophe 11 „Ist Gott dein Freund und deiner Sachen, was kann dein Feind, der Mensch, groß machen? Gib dich zufrieden!“ und ein Zuspruch an Trost, an Verheißung von Frieden. Der Frieden eines Gottes, der auf Seiten der Menschen steht. Ein Friede, der zur Stille in einem Menschen werden kann, der den Menschen jedoch nicht verstummen lässt. Ein Friede, der mich als Hoffnung begleitet und der mich die Ambivalenzen aushalten lässt, ein Friede, der mich sehnsüchtig bleiben lässt und nicht zur vorschnellen Befriedung führt. Zum Klagen und Aushalten und Beten mit der Patientin im Krankenhaus, und zum Verwandten, der um Gottes willen sich getraut hat zu sprechen und seinen Mund aufzutun.

Amen


Pastorin Dr. Julia Helmke
Hannover

E-Mail: helmke@kirchliche-dienste.de

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