Gottes schmerzlich schöne Wahrheit

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Gottes schmerzlich schöne Wahrheit

9. Sonntag nach Trinitatis – 09.08.2020 | Predigt zu Jeremia 1,4-10 | verfasst von Markus Kreis | 

4 Und des HERRN Wort geschah zu mir: 5 Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. 6 Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. 7 Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. 8 Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR. 9 Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. 10 Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.

 

 

Eine Diagnose, eine Benotung, ein Offenbarungseid, ein Gerichtsurteil, ein Gutachten, ein Geständnis unter vier Augen. Die Angst vor der Wahrheit, liebe Gemeinde. Jeder hat es schon mal kennengelernt, dieses Gefühl: die schmerzliche und seltsam schöne Angst vor der Wahrheit.

 

Das Schöne an der schmerzlichen Angst ist ihre Nähe zur Wahrheit. Die Wahrheit ist immer schön und erhaben. Das liegt daran, dass Gott in Wahrheit Gott ist. Und Gott ist schließlich der eine Schöne und Erhabene.

 

Die erhaben schöne Wahrheit lautet: Gott spricht in diese schmerzliche Angst und macht sie schön. Lässt sie unversehens vergehen, bringt an ihrer Stelle etwas ohne Fehl, etwas nur Schönes, etwas ganz Neues. So zu sehen im Leben des Jeremia. So zu sehen im Leben der Gläubigen.

 

Jeremia hatte doppelt mit der Wahrheit zu tun. Und nur in einem Fall machte sie ihm schmerzlich Angst. Dass sein Land bald untergehen würde, das war für ihn die Wahrheit. Die bittere politische Wahrheit damals. Nicht schön, aber erhaben. Also unausweichlich, wenn man ein Gespür dafür besaß, wer sich in diesem Konflikt durchsetzen würde. Meine Welt nicht, wusste Jeremia. Das machte ihm aber keine schmerzliche Angst.

 

Den baldigen Untergang Land und Leuten mitzuteilen, das ängstigte ihn dagegen schmerzlich. Denn denen kam die Wahrheit gar nicht recht. Im Gegensatz zu Jeremia hatten seine Landsleute schmerzlich Angst vor dieser Wahrheit. Konnten ihr deshalb nicht ins Auge schauen. Wurden darüber blind für die herrschenden Mächte. Und in eins damit blind für Gottes wahre Macht.

 

Die Reaktion seiner Landsleute auf seine Rede hat Jeremia beschäftigt. Vielleicht würde er gar nicht gehört oder überhört werden? Lange genug, bis die Sache vergessen ist? Oder sie lachten ihn aus. Spott wäre noch der harmloseste Ausdruck von Trotz! Vielleicht bliebe es bei den Lachern? Oder doch Ausgrenzung? Ihm tat sich die ganze Palette von Widrigkeiten auf. Das alles könnte auf ihn zukommen. Bis hin zu körperlicher Gewalt. Ganz klar, er bekam schmerzlich Angst vor seiner Aufgabe.

 

Angst macht blind für wahre Macht, das haben wir gerade gehört. Das kann auch einem Propheten passieren. Jeremia wird nämlich blind für Gottes Macht. Sonst hätte er Gott gegenüber nicht sein junges Alter genannt, um die ihm übertragene Aufgabe loszuwerden. Und damit frei zu werden von seiner schmerzlichen Angst.

 

Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an. Das kriegt Jeremia zu spüren: 7 Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. Zack! Ausrede erkannt und weggewischt. Ein Prophet muss tun, was ein Prophet tun muss. Auch wenn es ihm echt weh tut. Aber Gott stellt Jeremia im Zwiegespräch bloß und macht ihn zugleich schön und erhaben. Erhaben, denn Gott nimmt ihm die Angst. 8 Fürchte dich nicht vor ihnen; und da Gott in Wahrheit Gott ist, wirkt sein Befehl sofort auf Jeremias Gefühle. Angst und Schmerz vergehen.

 

Denn Gott pflanzt Jeremia göttliche Gewissheit ein. Reißt so dessen weltliche Ungewissheit aus: …denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR. In Gefahr macht Gewissheit schön erhaben, wenn sie von Gott ist. Zack! Bedenken weggewischt. Angesichts der Gefahr konnte kein Mensch eine gute Option sehen. Doch jetzt schon. Jetzt geht es los. Zumindest mal bei einem Gott sei Dank.

 

Wie kommt diese Gewissheit gegen jede Wahrscheinlichkeit zustande? Gott packt sozusagen noch was obendrauf. Pflanzt mitsamt der Gewissheit dem Jeremia Neugier, Tatendrang und Redekunst ein. 9 Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. 10 Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.

 

Gott ist manchmal ganz schön raffiniert, nicht wahr? Das sieht man auch an Folgendem: Gott nimmt Jeremias Argument – ich bin zu jung – das gegen seinen Auftrag an ihn spricht. Er wendet es. Und zwar so, dass seine Jugend in Gottes Augen gerade für Jeremia spricht. Es geht doch ums Säen, Keimen und Gedeihen. Neues soll entstehen. Warum sollte das ein Alter besser können als ein Junger?

 

Vielleicht hat diese Wendung Jeremia neugierig gemacht. So nach dem Motto: Hat Gott doch mehr drauf, als ich kleines Menschlein so ahne? Reden kann der jedenfalls. So wie er mich eben gekriegt hat. Er hat wohl einiges in Hinterkopf und Hinterhand. Mit ihm kann ich es wagen. Er hilft mir, wenn ich mit dem Reden dran bin. Schließlich steht er von Anfang an zu mir: 4 Und des HERRN Wort geschah zu mir: 5 Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker

 

Wie gesagt: Gott macht den Propheten zum Pflanzenzüchter. Soll heißen: Die Saat, die Jeremia wirft und aufzieht, die gedeiht im Nährboden von Menschenköpfen und -körpern. In den Verzweigungen ihres Nervensystems. In allen Teilen ihres Leibes. Überall gewinnen seine Worte an Bedeutung, an Raum und an Zeit. So dass sich gewaltig etwas ändert unter den Menschen. Das erste Gewächs, das da so keimt und gedeiht, ist übrigens der Prophet selbst, Jeremia.

 

Doch wer dessen Leben und Wirken kennt, der wird sagen: Ha, von wegen Pflanzenzüchter. Vielleicht so, wie es die böse Fee im Märchen von Dornröschen betrieben hat mit ihren wuchernden Hecken. Wie sie hat Jeremia Stillstand und Tiefschlaf erzeugt. Statt Wachheit und Anpassung an die Lage – sprich genügsam den Siegern  entgegen zu sehen.

 

Ja, das mag stimmen. Jeremias Worte haben zugleich gepflanzt und ausgerissen, zugleich gebaut und eingerissen. Seine Worte haben in ihrer Wahrheit Trotz bei den Landsleuten erzeugt. Die Wahrheit wurde bekämpft oder verdrängt. Einsicht erfolgte eher posthum, so viel man weiß.

 

Aber es gibt es eine erhaben schöne Wahrheit. Sie lautet: Zu Lebzeiten unerhört, ausgelacht, gemobbt, misshandelt, kurzum – wie auch immer gescheitert. In Wahrheit, Ewigkeit und Schönheit der eine einsame Rufer in der Wüste, der Recht hatte – gegen jede Chance, Recht zu bekommen. Eine der Quellen dessen, was in unserem Recht später als Unverletzlichkeit der Menschenwürde steht und wirkt. Gott spricht in unsere schmerzliche Angst und macht sie erhaben schön. Lässt sie unversehens vergehen, bringt an ihrer Stelle etwas ohne Fehl, etwas nur Schönes, etwas ganz Neues. Das ist die Wahrheit.

 

Davon zeugt die Bibel. In ihren Geschichten wimmelt es vor lauter solchen Leuten. Die würde kaum einer anstellen. Risikopersonal. Und gewiss gilt das auch für die Kirche mit ihren Gläubigen und deren Biografien. Vor den Augen der Welt irgendwie Sonderlinge, die in ewiger Wahrheit aber typisch anders sind. David, Großkotz und kleiner Killer, Hanna, Schnulzensängerin mit Fruchtbarkeitsproblemen, Petrus, der Lügenbold, Paulus der Ja-aber-Langweiler, Maria Magdala, Heilige mit Vergangenheit. Getaufte Verräter und irrlichternde Getaufte, glaubensvergessene Täuflinge. Ein Mensch Gottes muss tun, was ein Mensch Gottes tun muss. Auch wenn es ihm echt weh tut. Gott stellt ihn bloß und macht ihn doch zugleich erhaben. Das ist die schmerzlich schöne Wahrheit unseres Lebens. Amen.

 

de_DEDeutsch