Hebräer 4, 14-16

Hebräer 4, 14-16

14 Doch wir haben einen Hohenpriester, Jesus Christus, der durch
die Himmel hindurch bis zu Gottes Thron gelangt ist, weil er Sohn Gottes
ist. An dem Bekenntnis wollen wir festhalten. 15 Denn unser Hohepriester
steht bei uns: Wenn wir schwach sind, fühlt er mit uns; wenn wir
stolpern, taumelt er mit uns, wenn wir Angst und Schmerz leiden, ist
er auf unserer Seite. Jeder Versuchung hat er sich ausgesetzt, aber gestrauchelt
ist er nie. 16 Deshalb wollen wir mit Zuversicht zum Gnadenthron Gottes
treten, denn Jesus Christus wird uns gnädig und barmherzig helfen,
wenn wir es nötig haben.
(Übersetzung Klaus Berger, Christiane
Nord – Insel Verlag 1999)

Wie oft waren wir schon „Feuer und Flamme“ für eine gute
Sache! Wir hatten eine zündende Idee. Darauf haben wir uns zusammengesetzt,
diskutiert, Pläne geschmiedet und mit Feuereifer organisiert. Anfangs
ging alles gut. Die gegenseitige Hilfe war zugleich gegenseitige Bestätigung:
Wir sind auf dem rechten Weg! Doch wie oft wurde nach einiger Zeit und
wachsenden Schwierigkeiten das innere Feuer kleiner. Schwach wurde, was
hätte brennen sollen. Bei einigen ging das Feuer ganz aus. Solches
erleben wir immer wieder im Freundeskreis, in der Gemeinde – und an uns
selbst.

Im politischen Bereich geschieht Ähnliches. Wie viele Wahlkämpfer
haben sich schon mit Feuereifer eingesetzt, überzeugt, gekämpft,
gestritten. Sie teilten die Vision einer gerechten Gesellschaft und sahen
den richtigen Weg dahin. Doch nach den Wahlen kehrte der Alltag ein und
mit ihm die Mühen der Umsetzung. Versprechen konnten nicht sofort
eingelöst werden. Die Vision verblasste langsam. Das ersehnte Ziel
rückte in die Ferne. Der anfängliche Feuereifer erfüllte
immer weniger der einst Getreuen.

Doch in allen Fällen bleiben wenige, deren Herzen noch für
die ursprüngliche Sache brennt. Die möchten dann die andern
aufrütteln, sie zur Besinnung rufen und in ihnen das Feuer neu entfachen:
Lasst uns am Ziel festhalten! Wir vertreten doch eine gute Sache. Kommt,
lasst sie uns zum guten Ende führen!
„Feuer und Flamme“ sein für etwas und danach spüren, wie
das Feuer langsam kleiner wird und gar erlischt, das ist uns nicht unbekannt.
Sei es als immer noch Begeisterte, sei es als solche, die zu Zeiten auch schwach
geworden sind – damit haben wir unsere Erfahrungen, die uns für das Anliegen
des fast beschwörenden Aufrufs öffnen: „An dem Bekenntnis wollen
wir festhalten!“

Als gewöhnliches Gemeindeglied nimmt der ungenannte Verfasser des
Hebräerbriefes seine Verantwortung für die Gemeinschaft in
der Kirche Christi wahr. Darum mischt er sich mit diesem Aufruf ein.
Oder war es eine Frau, die sich Sorgen machte über eine bedenkliche
Entwicklung in der Gemeinde? Beides ist möglich.
Ob er oder sie: Die Schwachheit in der Kirche machte ihnen zu schaffen. Denn
bei vielen Kirchengliedern war die erste Begeisterung weg. Das frühere
Feuer schien nur noch mit kleiner Flamme zu brennen oder gar erloschen zu sein.
Da und dort bröckelte der Kitt in der Gemeinde. Nur noch wenige waren
sich bewusst, dass sie ihre Freiheit Christus zu verdanken hatten. Andere haben
sich mit ihrem Bekenntnis vielleicht bewusst zurückgehalten. Sie wollten
sich mit einer zu starken Betonung ihrer Zugehörigkeit zu Christus als
ihrem Herrn nicht in Schwierigkeiten bringen oder gar Beruf und Geschäft
schaden. Denn die römische Staatsgewalt legte Wert darauf, dass kein anderer,
sondern allein ihr Kaiser als „Herr und Gott“ verehrt wurde.

Schon damals: Schwäche in der Kirche aus völlig unterschiedlichen
Gründen!
Die bewusste Abwendung von Christus bis hin zur allmählichen Distanzierung
von Bibel, evangelischen Werten, von Kirche und deren kulturellen Prägungen
führte dazu, dass breite Kreise in unserer Gesellschaft kaum mehr um unsere
religiösen Wurzeln wissen. Es ist, wie wenn der Schreiber dieser Zeilen
das erfassen würde, was wir vielerorts in unserer Kirche erleben: Eine
Art Schwäche, eine Müdigkeit, wenn der Feuereifer langsam ausgeht.
Vielleicht konnte der Schreiber oder die Schreiberin damals noch nicht so klar
miterleben, wie sich die Menschen plötzlich neu nach Geborgenheit und
Halt sehnen, der Versuchung erliegen sich wenig kritisch nach dem ausstrecken,
was ihnen Heil, Kraft und Halt verspricht.

Um uns sehen wir heute Menschen, die als äusserlich starke Erscheinungen,
auf irgend eine Weise „schwach geworden sind“. Frei nach der
Devise „Was gibt mir am meisten?“ suchen sie Halt und halten
sich daher an die unterschiedlichsten Dinge. Sie schaffen sich, einer „Fleckendecke“ gleich,
einen eigenen Glauben unterschiedlichster religiöser Erfahrungen.
Das mag für einen einzelnen Menschen ein Ruhekissen ergeben. Fundament
einer tragfähigen, lebendigen Gemeinschaft ist es nicht.

An andern erleben wir, wie sie versuchen, mit allen möglichen Mitteln
ihre Zukunft zu ergründen, sie in den Griff zu bekommen. Sie leben
im Morgen und vergessen, was ihnen heute Kraft und Lebensinhalt geben
könnte. Sie kennen ihre christlichen Wurzeln kaum mehr. Diese scheinen
ihnen gleichgültig zu sein. Doch deswegen ist nicht alles gleich
gültig! Denn wer sich von seinen Wurzeln trennt, kann nicht mehr
wachsen, der welkt und wird schwach.
Wie aber steht es um uns? Eigentlich wissen wir das genau: Wir kennen die eigenen
Schwächen, wir haben Erfahrungen mit Unsicherheiten, mit Angst und Schmerz.
Wir waren und sind Versuchungen ausgesetzt. Dem möchten wir entgehen und
verstehen den bestens, der noch immer „Feuer und Flamme“ seiner Gemeinde
Halt geben will, damit sie sich nicht an Steine oder andere sogenannte Kraftquellen
halten muss. Er rüttelt die auf, denen er an anderer Stelle in seinem
Schreiben den Spiegel vorhält: „Ihr seid schwerhörig“ und „eure
Hände sind schlaff und die Knie weich geworden“ (5,11; 12,12)? Seine
Argumente, mit denen er ihr anfängliches Feuer neu zu entfachen will,
dürfen uns nicht gleichgültig lassen.

In drei Anliegen bedeutet er ihnen, was seiner Überzeugung nach
heute gilt. Und die sind:

Lasset uns am Bekenntnis festhalten!
Zentrum dieses Bekenntnisses bleibt, wie er im 13. Kapitel kurz formuliert: „Jesus
Christus, gestern und heute derselbe und in Ewigkeit.
Mit Zuversicht wollen wir zum Gnadenthron Gottes treten!

Drei Anliegen! Machen wir sie zu unserer Angelegenheit!

Am Bekenntnis festhalten wollen wir!
Nicht Du sollst – sondern wir wollen! Wir
wollen doch das behalten, was wir einst empfangen haben. „Wir wollen!“ Das
ist kein einsamer Entscheid sondern der gemeinsame Entschluss, einander beizustehen
und zu stärken. Denn wir sind alle gleich betroffen, da wir als Gemeinschaft
unterwegs sind. Sie wird sich als tragend bewähren, wann immer sich eine
einzelne Person verirrt oder versucht ist, ihr Vertrauen in Gott auf irgendwelche
Heilsbringer zu übertragen und so schwach zu werden.
Also wollen wir festhalten! Heute, jetzt und verbindlich, so wie es dem Anliegen
des Apostels für seine Gemeindeglieder entspricht. Für sie hat er
noch Hoffnung. Sie sind noch nicht allen Versuchungen erlegen. Schwach sind
sie zwar, doch „faul“ noch lange nicht. Auch wir sind noch nicht
so weit, dass wir den faulen Leuten gleich, alles auf morgen verschieben, was
wir heute tun können. Darum suchen wir nicht Halt an etwas in weiter Ferne,
sondern wir halten fest am Bekenntnis zu Christus. Denn was wir heute festhalten,
das bestimmt morgen unser Verhalten.

Um welches Bekenntnis geht es dem Apostel? Hier sagt er, es gehe um
Jesus Christus, den Sohn Gottes, der Zugang habe zum Vater. Etwas später
prägt er dafür den eingehenden Satz: „Jesus Christus,
gestern und heute derselbe und in Ewigkeit“ (13,8).
Damit meint er gerade nicht ein Festhalten an einem fertig formulierten Glaubensbekenntnis.
In der Flut der Worte und Heilsangebote, die täglich über uns einbrechen,
hilft ein solches Glaubensbekenntnis, uns auf die wesentlichen Glaubensaussagen
zu konzentrieren. Diejenigen, die anfänglich noch „Feuer und Flamme“ waren,
brauchten keine ausführlichen Formulierungen. Ihnen reichte dieser Satz: „Jesus
Christus, gestern und heute derselbe und in Ewigkeit“.

Wer sich daran festhielt, bekannte öffentlich sein volles Vertrauen
in Jesus Christus als dem einzigartigen, allen Mächten weit überlegenen
Hohenpriester. Einzigartig, weil er entgegen dem gesellschaftlich geachteten
Hohenpriester nicht abgesondert vom Volk den Zugang zu Gott gewährt,
sondern weil er in seinem Vertrauen zu Gott versucht war und wie wir
Schwäche erfahren hatte. Doch dabei blieb er standhaft und zeigte
aller Welt, dass niemand seiner Schwachheit erliegen muss.
Einzigartig auch, weil er nicht Opfer brachte, sondern selbst das Opfer war,
das in einer Art Notgemeinschaft mit den Menschen gleich wie wir empfinden
konnte. Das ist echte Sympathie, kein Gefühl, keine Stimmung, sondern
ein Mit-Leiden, wie hier das Neue Testament wörtlich sagt. Die ses ist
ohne jeden Vergleich in der Geschichte. Es führte ihn durch alle Höhen
und Tiefen zu wahrhaftem Mitleiden mit unseren Schmerzen, zum Empfinden unserer
Schwachheiten. Barmherzig lässt er sich unsere Nöte zu Herzen gehen.
Wir dürfen ihn an unserer Seite wissen, gerade so wie wir mit Paul Gerhardt
singen und bekennen: „… Wenn wir uns legen, dann ist er zu gegen; wenn
wir aufstehen, so lässt er aufgehen über uns seiner Barmherzigkeit
Schein.“

Noch einmal: Festhalten am Bekenntnis heisst, in aller Öffentlichkeit
dazu stehen, dass Christus so wie gestern auch heute und morgen unser
Verhalten bestimmt. An dem, was wir bekennen, werden wir erkannt. Und
unsere Mitmenschen sollen erkennen, dass wir unseren nächsten Weg
mit Blick auf ihn gehen wollen. Mit dieser Sicht zu ihm hin, also mit
Zu-Versicht zu dem, der für uns gelitten hat, schliessen wir uns
der Aufforderung des Apostels an: „Mit Zuversicht wollen wir zum
Gnadenthron Gottes treten!“ Mit dieser Sicht auf ihn wollen wir
gemeinsam den Weg dahin gehen, einander beistehen, um vor Gott Rechenschaft
abzulegen für das eigene und das gemeinsame Leben. Zuversichtlich
also, werden wir uns dem scharf unterscheidenden Wort Gottes (4,12) auszusetzen,
denn wir wissen: Er wird uns gnädig sein und barmherzig zu rechter
Zeit. Wenn immer wir es nötig haben, wird er sich unsere Not zu
Herzen nehmen.

Dankbar dafür, dass uns seine Gnade und Barmherzigkeit umfängt,
halten wir am Bekenntnis fest: „Jesus Christus, gestern und heute
derselbe und in Ewigkeit.“ Amen

Heinrich Rusterholz Pfarrer i.R.
Spitalstr. 220
CH – 8623 Wetzikon
u-h.rusterholz@bluewin.ch

 

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