Herr über alle Könige

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Herr über alle Könige

«Herr über alle Könige» | Predigt im Evensong | 1. März 2023 | Daniel 2,46-48 |

Lesung

Jesus erzählte der Menge ein weiteres Gleichnis: »Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Senfkorn, das ein Mann[a] auf sein Feld sät. 32 Es ist zwar das kleinste aller Samenkörner. Aber was daraus wächst, ist größer als alle anderen Gartenpflanzen. Ein Baum wird daraus, auf dem die Vögel[b] sich niederlassen und in dessen Zweigen sie nisten.«

Predigttext

Im zweiten Jahr seiner Herrschaft hatte Nebukadnezar einen Traum, über den sein Geist so erschrak, dass er aufwachte. Und der König ließ alle Zeichendeuter und Weisen und Zauberer und Wahrsager zusammenrufen, dass sie ihm seinen Traum sagen sollten. Und sie kamen und traten vor den König – aber wussten nicht weiter. Ein Prophet Israels aber konnte den Traum deuten. Daniel sagte:

Der Gott des Himmels wird ein Reich aufrichten, das nimmermehr zerstört wird; und sein Reich wird auf kein anderes Volk kommen. Es wird alle Königreiche zermalmen und zerstören; aber es selbst wird ewig bleiben ….  Da fiel der König Nebukadnezar auf sein Angesicht und warf sich nieder vor Daniel und sprach: Wahrhaftig, euer Gott ist ein Gott über alle Götter und ein Herr über alle Könige, der Geheimnisse offenbaren kann, wie du dies Geheimnis hast offenbaren können. Und der König erhöhte Daniel und gab ihm große und viele Geschenke und machte ihn zum Fürsten über das ganze Land Babel und setzte ihn zum Obersten über alle Weisen in Babel.

Daniel 2,46-48

Predigt

Vorletztes Jahr reisten einige von uns für eine Woche nach Taizé. Der Zufall wollte es, dass auch eine Gruppe von orthodoxen Studierenden in der Communauté zu Gast war. Sie waren aus Albanien, Serbien, Griechenland, Rumänien, Ukraine und Russland. Frohe junge Menschen, Priesterkandidaten. Wir hatten schöne Begegnungen, feierten zusammen die heilige Liturgie nach orthodoxem Ritus. Ein liebenswürdiger und neugieriger Russe suchte den Kontakt – ich glaube, am Ende der Woche konnte er jassen.

Ein halbes Jahr später startete Russland seine Spezialoperation. Ich musste viel an diesen russischen Priesterkandidat denken. Wie er das Ganze sieht? Was er wohl betet? Was er von seinem Präsidenten hält? 600 vor Christus wurde ein kleines Land von einer Grossmacht bedroht. Der persische Riese spürte imperiale Fresslust.

Juda, der Zwerg, stand auf seinem Speiseplan. Die Führer Judas hofften auf ein militärisches Bündnis mit der anderen Grossmacht. Alles stand auf dem Spiel. Nationalismus und Pragmatismus gaben den Ton vor. Wer nicht spurte, störte, bekam es zu spüren.

Es war eine ungünstige Zeit für Querulanten. Und das galt auch für das Jahwe-Gemecker des Propheten Jeremia. Er nervte gewaltig – vor allem die Eliten. Weil er den Untergang voraussagte. Jeremia wurde verleumdet, verfolgt und verflucht. Er hatte kein schönes Leben und machte seinem Leid in bitteren Klagen Luft, so eindringlich, dass daraus die «Jeremiaden»  sprichwörtlich geworden sind. Aber immerhin sollte er Recht behalten. Israel wurde Jahre später aufgefressen.

Eigentlich hätte sich das judäische Volk, die Nation, spätesten 589 vor Christus auflösen müssen. Ohne König, Tempel und Land macht man keinen Staat. Aber die Hoffnung auf den Schalom eines Herren, der mächtiger regieren wird als alle Könige, der irrwitzige Glauben, dass JAHWE der Gott aller Götter ist – mit anderen Worten: das Erbe des prophetischen Gemeckers machte Juda unverdaulich. Was vordem bittere Frucht der Wahrheit war, wurde jetzt zum Spross für neue Hoffnung. Aus Judäa wurde das Jüdische. Israel lebte weiter.

Das Buch Daniel erinnert an einen Propheten, der nach Jeremia kam und im Bauch des persischen Wals lebte. Er war ein Weiser und Seher in  der Exilgemeinde in Babylon unter König Nebukadnezar. Und dieser König hatte einen Albtraum.

Er sah einen Riesen mit goldenem Haupt, mit Bronzebrust und Lenden aus Eisen, ein Riese, der auf tönernen Füssen stand. Was soll das Bild bedeuten? Kein Weiser im Land konnte es ihm sagen. Also liess er alle ins Gefängnis werfen und hatte vor sie zu töten. Das ist ein Standardverfahren der diktatorischer Problemlösung, das sich bis heute gehalten hat.

Aber Nebukadnezar hatte nicht mit Daniel gerechnet. Der kam, sah und weisssagte ihm nichts anderes als den Untergang aller Reiche und den Aufgang eines einzigartigen neuen, letzten Imperiums. Erstaunlicherweise akzeptierte der König den Spruch und schluckte die apokalyptische Kröte: «Wahrhaftig, euer Gott ist ein Gott über alle Götter und ein Herr über alle Könige.»

Man fragt sich, warum Nebukadnezar Daniel nicht tötete und sogar den fremden  Gott ehrte. Euer Gott – ein Gott der Götter! Vielleicht weil der «Gott» Daniels der Gott eines politischen Nobodys war? Ein Gott ohne irdische Hausmacht! Vielleicht weil Nebukadnezar vom Propheten eine Streicheleinheit bekam?  Immerhin durfte er im Bild das goldene Haupt sein.

Es bleibt dabei. Daniels Deutung ist eine Offenbarung für die Mächtigen, eine Apokalypse – auf Deutsch, eine Deutung, die enthüllt, was den Mächtigen in ihrer Verblendung verhüllt ist: Alle Reiche fallen. Jede Macht steht auf tönernen Füssen. Das ist die Kröte.

Aber da ist auch ein Prinz, ein Königskind, das geboren wird, ein Friedfürst und Wunderrat, auf dessen Schultern eine neue Herrschaft ruht. Alle Reiche fallen, aber ein Reich soll kommen, ein Wille geschehe, nur eine Kraft wird sich durchsetzen, eine Herrlichkeit aufscheinen.
Vergleicht man Daniel mit Jeremia fallen die Unterschiede ins Auge: der Nachfolger kommt besser weg als der Pionier. Die «Jeremiaden» machen den Blues, die «Daniel»-Balladen eignen sich besser für Proteste. Er überlebte später sogar die Grube der Löwen. Sie finden den Propheten unverdaulich. Und Nebukadnezar, der sich als ziemlich wankelmütig erweist, beisst sich die Zähne an Daniel aus. Wie vor ihm der Pharao an Moses. Mene meine tekel upharshim!

***

Wir leben in unruhigen Zeiten und hören von Grossen, die Kleine fressen. Am liebsten würden wir die alten Männer in die Wüste schicken. Aber uns fragt niemand. Und ich muss viel an diesen jungen Russen denken. Er ist Priesterkandidat in seiner Kirche. Wie versteht er sein prophetisches Amt? Protestiert er? Klagt er? Hofft er?
Ich kann gut reden. Ich sitze nicht in der Löwengrube. Aber die Frage stellt sich auch mir: Wie verstehe ich mein Zeugnis? Und mit Blick auf uns als christliche Gemeinschaft: Wie leben wir, was in der protestantischen Tradition das munus propheticum heisst?

Wir haben  die Klagelieder Jeremias und Heldengeschichte Daniels gehört. Aber nicht Jeremia und nicht Daniel rufen uns ins prophetische Amt rufen. Es ist Jesus von Nazareth.
Einiges an ihmerinnert an Jeremia, anderes an Daniel. Aber etwas unterscheidet ihn von beiden. Er ist der Messias. Er ist der Friedefürst – er, der Heiland und heimatlose Poet des Himmelreichs ist es, der gekommen ist. Für ihn zeugen wir – in seiner Spur spüren wir Gottes Gegenwart.

Und sehen den entscheidenden Unterschied: Die prophetische Apokalypse hat enthüllt, dass die Mächtigsten vergehen, die messianische Apokalypse enthüllt, dass aus dem kleinsten Senfkorn ein Baum wächst. Das ist unser Lied. Wir vertreten keine Grossmacht. Wir sind Zeugen seiner Hoffnung.
Darum ist die «Jesus-Ballade» keine Jeremiade – und kennt doch den Blues. Sie ist kein Heldengeschichte – und singt doch vom Sieg. Und deshalb kann es auch uns passieren, dass wir als Zeugen in der Nachfolge Jesu meckern müssen, andere mit unserem Glauben unglaublich nerven – etwa dann, wenn wir – ehrlich mit uns und anderen sind.

Wenn wir unseren eigenen  Grössenwahnsinn anprangern. In kritischer Solidarität mit denen, die die Kröte geschluckt haben, aber in trotziger Hoffnung, dass der Friedefürst kein Märchenprinz ist. Weil wir hoffen, wie Maria, die spürt, dass Gott die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhöht, die Hungernden beschenkt und die Reichen leer ausgehen lässt. Weil wir hoffen wie die messianische Kirche: Dass der Tod, die grösste Grossmacht des Universums, sich an Marias Sohn die Zähne ausgebissen hat.

«Wahrhaftig, unser Gott ist ein Gott über alle Götter und ein Herr über alle Könige.»

Amen

de_DEDeutsch