Herzenssache

Predigt zu 5. Mose 30,11-14| verfasst von Dr. Sven Keppler |

I. Ihr Lieben, ein Bund ist nicht starr für alle Ewigkeit. Nicht unveränderlich. In Stein gemeißelt. Sondern ein Bund soll lebendig sein. Sich weiterentwickeln. Er ist nicht im Himmel für die Ewigkeit geschrieben. Er ist auch nicht abgeguckt von dem, was irgendwo auf der Welt immer schon gilt. Sondern wenn Menschen hier und jetzt einen Bund schließen, dann zählt, was sie auf dem Herzen haben. Dann ist der Bund so lebendig, wie das Herz schlägt.

Auch Gott schließt mit Menschen keinen Bund, der ewig unveränderlich ist. Sondern er hat seinen Bund immer wieder erneuert. Mit Noah. Mit Abraham. Mit Mose am Sinai. Und als Israel vom Sinai her an den Rand des Landes kommt, in dem sie wohnen sollen, da erneuert Gott seinen Bund mit diesen Menschen. Die Worte Gottes, die davon überliefert sind, stehen gegen Ende des 5. Buches Mose, im 30. Kapitel. Sie sind der heutige Predigttext:

Das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun? Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.

II. Ein guter Bund ist ein Neuanfang. Nach einem Umbruch. Nach einer Krise. Eine neue Chance. Nicht nur eine Neuauflage des Alten.

Der erste Bund, von dem die Bibel berichtet, ist so ein Neuanfang. Nach einer ökologischen Katastrophe von globalem Ausmaß. Starkregen. Sturmfluten. Steigender Meeresspiegel. Siedlungsgebiete sind verloren. Arten ausgestorben. In der biblischen Urgeschichte heißt diese Katastrophe „die Sintflut“. Viele andere Kulturen berichten ebenfalls von ihr. Und in den alten Erzählungen gibt es kein Vertun: Die Ursache der Krise ist der Mensch.

Vieles davon kommt mir bekannt vor. Nur das Entscheidende kann ich mir heute kaum vorstellen. Die Bibel erzählt vom Ende der Krise. Von ihrer Überwindung. Eine Gruppe von Menschen hat die Katastrophe überstanden. Das Wasser geht zurück. Das Land wird wieder bewohnbar. Für die überlebenden Tiere beginnt ein Aufzuchtprogramm. Und Noah, der Anführer der Geretteten, baut dankbar einen Altar.

Der Neuanfang beginnt mit einem Bund für das Leben. Zwischen Gott und den Menschen. Die Macht, der sich alles Leben verdankt – diese Macht verbündet sich mit ihren Geschöpfen. Um das Leben zu schützen. Der Bund Gottes mit Noah ist nicht von Gleich zu Gleich. Nicht auf Augenhöhe. Die alten Texte erzählen, dass Gott von sich aus diesen Bund aufrichtet. Er verpflichtet sich, das Leben niemals verloren zu geben: Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. [Gen 8,22]

Der Bund ist realistisch. Er verlangt nichts Unmögliches. Gott nimmt hin, dass Menschen sind, wie sie sind. Unersättlich. Eigennützig. Kurzsichtig. Dass Menschen die Quelle vergessen, der ihr Leben entspringt. Und dass sie die Grundlagen ihres Lebens nicht bewahren können. In Gottes ökologischem Bund gibt es nur eine Forderung: Gottes Bundesbürger sollen das Leben achten. Sie sollen nicht das Blut ihrer Mitmenschen vergießen. Und das Blut der Tiere nicht essen. Denn das Blut ist das Zeichen des Lebens. Der Noahbund ist nicht von Gleich zu Gleich. Gott gibt unendlich viel mehr. Er schenkt eine Auferstehung aus Ruinen. Und Freiräume zum Leben. Unter dem Bundeszeichen des Regenbogens.

 

III. Ein guter Bund kann Krisen überstehen. Er verkraftet es, wenn die Bundesbürger ihren Aufgaben nicht gewachsen sind. Ein guter Bund ist nicht nur ein einmaliger Neuanfang. Sondern wenn er scheitert, kann er auch selbst erneuert werden. Weil seine Basis stark genug ist. Mose hat das erlebt.

Ganz Israel steht damals vor einem Neuanfang. Vor über 3.000 Jahren war das. Zuvor hat Israel unter der Herrschaft einer der beiden damaligen Supermächte gestanden: Ägypten. Aber diese Herrschaft hat es abgeschüttelt.

Es will einen eigenen Bundesstaat gründen. Aus 12 Stämmen. Israel schließt diesen Bund. Nicht nur untereinander. Sondern mit Gott. Gott verspricht Israel einen Neuanfang. Im eigenen Land. Im Frieden. In Wohlstand und Gesundheit. Israel verpflichtet sich im Gegenzug auf ein neues Grundgesetz. Die Präambel heißt: Ich bin der Herr, Dein Gott. Die Grundrechte sind die 10 Gebote.

Der Bund wird geschlossen. Mose geht vierzig Tage lang auf den Berg Sinai, wo er die einzelnen Gesetze empfängt. Als er zurückkommt, hat Israel den Bund schon aufgekündigt. Nicht irgendeinen Teil. Sondern die Präambel, auf die alles ankommt. „Ich bin der Herr, Dein Gott,“ heißt es dort. Stattdessen haben die neuen Bundesbürger ein Kalb aus Gold gegossen und angebetet.

Aber ein guter Bund übersteht auch das Scheitern. Ein guter Bund ist offen für einen Neuanfang. Eine Überarbeitung. Eine zweite Chance. Mose bittet Gott um diese zweite Chance. Und Gott kündigt den Bund nicht auf. Sondern erneuert ihn: Ich will meine ganze Güte vor dir vorüberziehen lassen und meinen Namen vor dir ausrufen. Ich bin gnädig, wem ich gnädig bin, und ich bin barmherzig, wem ich barmherzig bin. [Ex 33,19]

 

IV. Die Bibel erzählt die Geschichte des Bundes zwischen Gott und den Menschen. Eine Geschichte der Krisen und Brüche. Immer wieder muss der Bund erneuert werden. In diesen Krisen wird das Bundesrecht weiterentwickelt. Die Kernfrage ist immer wieder: Wie kann der Bund bestehen bleiben, obwohl die Bundesbürger ihren Aufgaben nicht gewachsen sind? Sie halten Gott nicht die Treue. Die Gesellschaft entwickelt sich in die falsche Richtung. Statt Einigkeit und Recht und Freiheit – Egoismus, Korruption und Unterdrückung.

Es reicht nicht aus, einzelne Gesetze zu erneuern. Der Prophet Jeremia sieht, dass ein neuer Bund bei der Haltung jedes Einzelnen ansetzen muss. Und dass dies nur gelingt, wenn Gott mit seinem Geist die Menschen erneuert.

„Der neue Bund, den ich mit meinem Volk schließen will, wird völlig anders sein: Ich werde ihnen mein Gesetz nicht auf Steintafeln, sondern in Herz und Gewissen schreiben. Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein“, sagt der HERR. „Alle werden dann wissen, wer ich bin, von den Geringsten bis zu den Vornehmsten. Das sage ich, der HERR. Ich will ihnen ihren Ungehorsam vergeben und nie mehr an ihre Schuld denken.“ [Jer 31,33-34]

Was Jeremia hier erkannt hat – das finden wir auch in unserem Predigttext. In der Erzählung vom erneuerten Bund zwischen Gott und Israel. Dort heißt es: Gottes Bundesregeln sind nicht im Himmel und auch nicht jenseits des Meeres. Sie sind nicht im Himmel für die Ewigkeit geschrieben. Sie sind auch nicht abgeguckt von dem, was irgendwo auf der Welt gilt. Sondern wenn hier ein Bund geschlossen wird, dann zählt, was wir im Herzen haben. Dann ist der Bund so lebendig, wie unser Herz schlägt. Weil Gott seinen Geist in unser Herz legt.

So hat auch Jesus die Erneuerung des Bundes verstanden. Es kommt auf die Haltung jeder einzelnen Bundesbürgerin, jedes einzelnen Bundesbürgers an. Ein guter Bund schätzt die Menschen realistisch ein. Er kennt ihre Grenzen. Er muss eine Antwort geben auf die Krisen, die immer wieder kommen. Er muss auch im Scheitern einen Neuanfang ermöglichen. Der neue Bund, den Jesus stiftet, atmet diesen Geist. Seine Präambel ist die Liebe Gottes und ein gnädiger Blick auf den Menschen. Sein Grundrecht ist die Liebe – zu Gott, zu anderen Menschen, zu Gottes Schöpfung.

 

V. Vor 30 Jahren sind die Bezirke der DDR der Bundesrepublik beigetreten – als neue Bundesländer. Damals hat man die Regeln des Bundes nicht wirklich erneuert. Sondern auf Sicherheit gesetzt und das bewährte Grundgesetzt des Westens übernommen. Aber letztlich ist die Frage bis heute offen: Wie kann so ein Bund gelingen? Als Bund von Gleichen. Auferstanden aus Ruinen. Einig in Recht und Freiheit. Und der Zukunft zugewandt!

1989/90 – was für eine Aufbruchstimmung! Endlich, nach 40 Jahren Teilung und Diktatur. Alles schien damals möglich: Friede. Demokratie. Eine neue, partnerschaftliche Weltordnung. 30 Jahre danach sind wir im Krisenmodus. Klimawandel. Corona-Pandemie. Artensterben. Überbevölkerung. Atomare Bedrohung. Armutsmigration. Vormarsch der Autoritären und Rechtspopulisten. Wo ist er geblieben, der Optimismus der Wendezeit?

Auch der Bund mit Gott wurde immer erneuert und weiterentwickelt. Das ist eine Ermutigung, ein Vorbild, eine Orientierung dafür, auch unseren politischen Bund zu erneuern. Jeder Bund mit Gott hatte ein eigenes Bundeszeichen. Besonders gut gefällt mir der Regenbogen. Er erinnert an die natürlichen Grundlagen unseres Lebens. An das Versprechen, dass Gott uns nicht der Katastrophe überlassen wird. Und er erinnert daran, dass die Welt bunt ist. Dass heute Menschen ganz unterschiedlicher Hautfarben zu unserer Bundesrepublik gehören. Ganz unterschiedlicher Herkunft. Und mit verschiedenen Identitäten. Es ist Zeit, unseren Bund miteinander zu erneuern. Als bunte Republik Deutschland. Unter Gottes buntem Bundeszeichen. Dem Regenbogen, dessen Bild wir im Herzen tragen. Amen.

 

 

 

 

Pfarrer Dr. Sven Keppler

Versmold

sven.keppler@kk-ekvw.de

 

Sven Keppler, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche von Westfalen. Seit 2010 Pfarrer in der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Versmold. Autor von Rundfunkandachten im WDR.

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